Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 04.06.1985, Az.: 1 Ss (OWi) 235/85

Feststellung wegen fahrlässiger Unterlassung der Verkehrssicherung als Unfallbeteiligter nach einem Verkehrsunfall

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.06.1985
Aktenzeichen
1 Ss (OWi) 235/85
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1985, 31201
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1985:0604.1SS.OWI235.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Hildesheim - AZ: 34 Js 28351/84
AG Gifhorn - 14.02.1985

Verfahrensgegenstand

Verkehrsordnungswidrigkeit

In der Bußgeldsache
...
hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle
auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen
gegen das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 14. Februar 1985
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 4. Juni 1985
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird von dem Vorwurf, als Beteiligter nach einem Verkehrsunfall die Sicherung des Verkehrs unterlassen zu haben (§§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 49 Abs. 1 Nr. 29 StVO, 24 StVG), freigesprochen.

Im übrigen werden das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Gifhorn zurückverwiesen.

Gründe

1

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils kam der von dem Betroffenen geführte Pkw beim Befahren der Bundesstraße 244 nach links von der Fahrbahn ab, überschlug sich und blieb auf dem Dach im Straßengraben liegen. Der Betroffene entfernte sich von seinem Pkw. Zurück blieb sein inzwischen verstorbener Schwiegervater, der als Beifahrer in dem Pkw mitgefahren war. Dieser machte auf die gegen 22.30 Uhr hinzukommenden Polizeibeamten einen angetrunkenen Eindruck, er gab ihnen nicht die vollständigen Personalien des Betroffenen und dessen Wohnanschrift an.

2

Wegen dieses Vorfalls hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen "fahrlässiger Unterlassung der Verkehrssicherung als Unfallbeteiligter nach einem Verkehrsunfall" zu einer Geldbuße von 60 DM verurteilt. Es hat angenommen, der Betroffene habe dadurch, daß er sich von seinem Pkw entfernt habe, das Gebot der Sicherung des Verkehrs nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO mißachtet. Das auf dem Dach im Straßengraben liegende Fahrzeug habe dadurch ein "optisches Hindernis" gebildet, daß es die Aufmerksamkeit vorüberkommender Verkehrsteilnehmer erweckt habe. Es sei damit zu rechnen gewesen, daß diese anhalten würden um nachzuschauen, ob etwa noch Insassen in dem Fahrzeug seien oder man helfen könne. Deshalb sei es erforderlich gewesen, daß eine Person am Vorfallsort geblieben wäre, die etwa hinzukommenden Personen jederzeit schnell und vollständig Auskunft über das Vorgefallene hätte geben können. Der von dem Betroffenen zurückgelassene Schwiegervater sei dazu nicht in der Lage gewesen. Den dem Betroffenen im Bußgeldbescheid zur Last gelegten Vorwurf, die Geschwindigkeit nicht an die Fahrbahnverhältnisse angepaßt und dadurch einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, hat das Amtsgericht nicht als erwiesen angesehen. Zu einem Teilfreispruch hat es sich deshalb nicht in der Lage gesehen, "weil der Bußgeldbescheid vom Grundsatz der Tateinheit ausgeht".

3

Der Senat läßt die Rechtsbeschwerde aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und auch zur Fortbildung des Rechts zu (§ 80 Abs. 1 OWiG). Zum einen ist die Zulassung deshalb geboten, weil das Amtsgericht nicht selbst über die Frage der Konkurrenz zwischen den beiden dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Ordnungswidrigkeiten entschieden hat, sondern sich - zu Unrecht - insoweit an den Bußgeldbescheid gebunden fühlte; ohne Zulassung muß befürchtet werden, daß sich dieser Rechtsfehler in ähnlich gelagerten Fällen wiederholt. Zum anderen nötigt die Eingrenzung der Anwendbarkeit des § 34 StVO die Zulassung.

4

1.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht in dem Verhalten des Betroffenen die Verletzung einer Pflicht zur Sicherung des Verkehrs nach einem Verkehrsunfall im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO gesehen. § 34 StVO kommt hier nicht zur Anwendung, weil ein Verkehrsunfall im Sinne dieser Vorschrift nicht vorlag. Darunter ist - ebenso wie bei § 142 StGB - ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr, zu verstehen, das in ursächlichem Zusammenhang mit diesem Verkehr zur Tötung oder Verletzung eines Menschen oder zu einer nicht völlig belanglosen Sachbeschädigung geführt hat. Anders als bei § 142 StGB kommt es auf den Umfang des Schadens nicht an, weil dieser erst z.B. durch das Halten entsprechend der Verpflichtung gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO festgestellt werden soll. Allerdings müssen immer fremde Interessen mit im Spiel sein. Bloße Selbstschädigung genügt nicht (vgl. Möhl in Full/Möhl/Rüth, Straßenverkehrsrecht, § 34 StVO Rdnr. 2; Möhl in Müller, Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage Bd. III, § 34 StVO Rdnr. 3; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 27. Auflage, § 142 StGB Rdnr. 22 und 24). Schon aus dem Sinn und dem Schutzzweck des § 34 StVO ergibt sich, daß er einen Unfall mit Fremdschaden voraussetzt. Die in ihm aufgeführten einzelnen Verpflichtungen hätten zumeist keine Berechtigung, wenn nur der Betroffene einen Schaden erlitten hat. Für einige Pflichten, z.B. die Verkehrssicherungspflicht nach Abs. 1 Nr. 2 bedarf es im Falle der Selbstschädigung hier keiner Regelung, weil dafür an anderer Stelle Pflichten aufgestellt sind, z.B. in §§ 15, 17 Abs. 4, 32 StVO.

5

Gegen die letztgenannten Vorschriften hat der Betroffene nicht verstoßen.

6

Feststellungen, die zu einer Verurteilung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit dem Verhalten des Betroffenen nach dem Verkehrsunfall führen könnten, sind nicht zu erwarten. Der Senat kann deshalb insoweit selbst entscheiden. Weil eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach einem Verkehrsunfall mit einer Ordnungswidrigkeit, die zu dem Unfall geführt hat, in Tatmehrheit stehen würde, ist der Angeklagte insoweit freizusprechen.

7

2.

Das Amtsgericht hat nur geprüft, ob eine nicht angepaßte Geschwindigkeit zu dem Unfall geführt hat, und dies verneint. Für den Unfall ursächlich können aber andere Verhaltensweisen gewesen sein, die im Sinne des § 1 Abs. 2 StVO eine Verkehrsordnungswidrigkeit bedeuten können. Hierüber fehlen in dem Urteil Feststellungen. Diese wird das Amtsgericht nachzuholen haben.