Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 14.10.1998, Az.: 1 B 1194/98
Platzverweis mit dem Ziel der Bekämpfung des Drogenhandels; Öffentliches Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit einer ausgesprochenen Platzverweisung ; Geltung der Beschränkung in Form des Platzverweises aus dem Gefahrenabwehrgesetz auch für Ausländer; Hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Begehung einer Straftat in dem betroffenen örtlichen Bereich
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 14.10.1998
- Aktenzeichen
- 1 B 1194/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 17628
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1998:1014.1B1194.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 64 Abs. 4 S.1 GefAG,NI
- § 17 Abs. 2 GefAG,NI
- § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG
Fundstellen
- FStNds 2000, 77-79
- NVwZ-RR 1999, 169-170 (Volltext mit red. LS)
- NdsVBl 1999, 46-48
- VA 2000, 187-188
Verfahrensgegenstand
Platzverweisung
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Prozessführer
Herr ..., Staatsangehörigkeit: ...
Prozessgegner
die Stadt Göttingen,
vertreten durch den Oberstadtdirektor, Hiroshimaplatz 1-4, 37083 Göttingen, Aktenzeichen: ...,
Redaktioneller Leitsatz
Zeigt eine Prognose auf gesicherter Tatsachengrundlage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, dass eine Person künftig in einer bestimmten Stadt mit Drogen unerlaubt Handel treiben wird, so bestehen weder hinsichtlich einer gegen diese Person verfügten Platzverweisung, noch im Hinblick auf eine Zwangsgeldandrohung für den Fall der Zuwiderhandlung, Bedenken.
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
hat am 14. Oktober 1998
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.250,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung, in der die Antragsgegnerin gegen ihn für das gesamte Gebiet der Stadt Göttingen und für die Dauer von 6 Monaten einen Platzverweis mit dem Ziel der Bekämpfung des Drogenhandels verhängt hat.
Der zwanzig Jahre alte Antragsteller ist ... Staatsangehöriger. Er reiste im Oktober 1994 nach Deutschland ein und betrieb ein Asyl verfahren. Der Asylantrag blieb - auch im Klageverfahren - erfolglos. Angesichts des in Liberia stattfindenden Bürgerkrieges hat allerdings die 3. Kammer des erkennenden Gerichts durch Urteil vom 06.03.1995 entschieden, dass im Fall des Antragstellers derzeit ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt (Aktenzeichen 3 A 3490/94). Der Antragsteller ist in Bovenden wohnhaft und erhält dort Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von derzeit 365,00 DM im Monat.
Der Antragsteller wurde in den letzten Monaten mit verschiedenen Maßnahmen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr belegt. Dies geschah im Rahmen eines gemeinsamen Konzepts des 1. Polizeikommissariats Göttingen und der Ordnungsbehörde der Antragsgegnerin zur Eindämmung der sogenannten offenen Drogenszene, die sich in den letzten Jahren im Bereich der Turmstraße in der südlichen Altstadt von Göttingen gebildet hat und die im Zusammenhang mit dem dort von der ...-Gemeinde für Obdachlose und Bedürftige eingerichteten Mittagstisch steht. Nach vorliegenden polizeilichen Erkenntnissen werden in dem dortigen Bereich rund um die Uhr Drogendelikte sowie Delikte der Begleit- und Folgekriminalität begangen und Betäubungsmittel - insbesondere auch sogenannte harte Drogen - konsumiert. In letzter Zeit haben sich - nicht zuletzt durch polizeiliche und ordnungsbehördliche Verdrängungsmaßnahmen - weitere Schwerpunkte des Drogenhandels auch in anderen Teilen des Stadtgebietes von Göttingen gebildet.
Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Göttingen vom 02.06.1998 (Aktenzeichen ...) wurde der Antragsteller des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Bei polizeilichen Kontrollen in der Turmstraße hatte man bei ihm am 05.11. und 06.11.1997 12,4 g Haschisch in 14 Portionsbrocken bzw. 5,3 g Haschisch in 4 Brocken gefunden. Das Amtsgericht sah sich auf eine Anwendung des § 29 BtMG wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln beschränkt, weil es die Einlassung des Antragstellers, er habe das gesamte Haschisch von einem Unbekannten zum Eigenverbrauch gekauft, zwar als unglaubhaft, aber nicht zu widerlegen ansah. Darüber hinaus sprach das Amtsgericht den Antragsteller von insgesamt 113 zur Anklage gebrachten Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der Zeit von Januar bis Dezember 1997 frei, da dem Antragsteller diese Taten angesichts widersprüchlicher Zeugenaussagen nicht nachgewiesen werden konnten.
Unabhängig von den durch das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 02.06.1998 erfaßten Taten wurden gegen den Antragsteller weitere - derzeit noch nicht abgeschlossene - strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet und mehrere Maßnahmen auf der Grundlage des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG) ergriffen.
Am 27.05.1998 fand die Polizei bei der damaligen Freundin des Antragstellers, Frau ..., insgesamt 9 mit Heroin bzw. Kokain gefüllte Kugeln. Frau ... gab an, sie habe die Kugeln von dem Antragsteller erhalten und habe sie verkaufen wollen. Bei der Durchsuchung der Wohnung der Frau ... fand die Polizei eine sogenannte "Tickerliste", auf der insgesamt 12 Namen mit zugehörigen Geldbeträgen verzeichnet waren. Frau ... erklärte gegenüber der Polizei, sie habe diese Liste gemeinsam mit dem Antragsteller erstellt. Die Liste weise die Schulden aus, die die jeweiligen Rauschgiftkonsumenten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Rauschgift bei dem Antragsteller hätten; sie selbst habe die Geschäfte teilweise vermittelt. Der Antragsteller bezeichnete diese Aussagen gegenüber der Polizei als Lügen.
Am 18.08.1998 führte die Polizei bei dem Antragsteller in der Nähe der Turmstraße eine Personenkontrolle durch, nachdem dieser nach ihrer Einschätzung zu mehreren Personen aus der BTM-Szene Kontakt gesucht und mit ihnen Anbahnungsgespräche geführt hatte. Auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 NGefAG erteilte die Polizei dem Antragsteller einen Platzverweis für die Dauer von drei Tagen für einen auf einer beigefügten Stadtkarte näher bezeichneten Bereich der Innenstadt von Göttingen. Am Nachmittag des 25.08.1998 wurde der Antragsteller erneut in der Turmstraße angetroffen und polizeilich überprüft.
Am Mittag des 02.09.1998 hielten drei in der Turmstraße eingesetzte Polizeibeamte auf einem Videofilm fest, dass der Antragsteller vor der Essensausgabe der ... einem Mann gegen Bezahlung ein helles Beutelchen übergab, das er zuvor seinem Mund entnommen hatte und das auch der Erwerber sogleich in seinen Mund steckte. Diese unmittelbar danach von weiteren Polizeibeamten angehaltene und als ... identifizierte Person räumte ein, kurz zuvor auf dem Treppenaufgang zum katholischen Pfarramt für 40,00 DM Heroin bei einem Farbigen gekauft zu haben. Daraufhin führte die Polizei eine Kontrolle der Essensausgabe in dem ... durch. Der Antragsteller wurde auf einer Toilette zusammen mit Frau ... angetroffen und hielt mehrere 20,00 DM-Scheine in der Hand. Bei einer Durchsuchung des Antragstellers wurden 1.160,00 DM in Scheinen gefunden und beschlagnahmt. Der Antragsteller gab an, bei dem beschlagnahmten Geld handele es sich um seine Sozialhilfe. Frau ... ließ sich dahingehend ein, sie habe dem Antragsteller lediglich einen Kleidungsschutz zum Kauf angeboten. Dem Antragsteller wurde ein weiterer polizeilicher Platzverweis gemäß § 17 Abs. 1 NGefAG für die Dauer von drei Tagen für einen wiederum anhand einer Stadtkarte bezeichneten Bereich der Innenstadt von Göttingen erteilt.
Am 03.09.1998 gab der zuvor wegen des Verdachts eines Diebstahls vorläufig festgenommene ... bei seiner Vernehmung durch die Polizei an, er habe von dem Antragsteller am 02.09.1998 zwischen 12.30 Uhr und 13 Uhr auf der Toilette der Essensstelle in der Turmstraße eine Kugel Heroin und eine kleine Kugel Koks für insgesamt 73,00 DM gekauft. Der Antragsteller habe die Heroinkugel im Mund gehabt. Für den Mittag des 03.09.1998 habe er mit dem Antragsteller einen Handel über eine Fünfer-Kugel Heroin verabredet. Er habe auch schon zuvor - meistens in der Turmstraße - mit dem Antragsteller Rauschgiftgeschäfte abgewickelt. Es seien insgesamt zehn bis zwanzig Geschäfte gewesen.
Am 04.09.1998 wurde der Antragsteller von Polizeibeamten beobachtet, wie er sich dem am 02.09.1998 erteilten Platzverweis zuwider in der Turmstraße aufhielt.
Am 07.09.1998 wurde der Antragsteller durch die Polizei in der nahegelegenen Nikolaistraße angetroffen und wegen des am 04.09.1998 beobachteten Verstoßes gegen den zuletzt angeordneten Platzverweis zum Ordnungsamt der Antragsgegnerin gebracht. Dort händigte ihm die Antragsgegnerin die hier streitgegenständliche, auf der Grundlage des § 17 Abs. 2 NGefAG erlassene und für sofort für vollziehbar erklärte Platzverweisungsverfügung für das gesamte Gemeindegebiet der Antragsgegnerin für die Dauer von 6 Monaten samt Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 DM für den Fall der Zuwiderhandlung aus. Zur Begründung ihrer Entscheidung verwies die Antragsgegnerin auf die Drogenszene, die sich innerhalb der Wallanlagen und insbesondere in der Turmstraße gebildet habe. Der dort stattfindende offene Drogenverkauf stelle eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit und vor allem für Kinder und Jugendliche dar. Der Antragsteller sei am 25.08. bzw. 04.09.1998 dadurch aufgefallen, dass er bei szenetypischem Verhalten Kontakte zu mutmaßlichen Drogenkonsumenten gesucht und vermittelt habe bzw. sich in der Turmstraße am Treppenaufgang neben der Essensausgabe der ...-Gemeinde aufgehalten und einem Kunden aus seinem Mund einen kleinen Beutel gegeben habe. Diese Verhaltensweisen legten die Vermutung nahe, dass der Antragsteller Straftaten nach dem BtmG oder sonstige Straftaten im Zusammenhang mit der offenen Drogenszene begehen werde, soweit er weiterhin ungehinderten Zugang zu den betroffenen Gebieten habe. Da die bisher ausgesprochenen kurzfristigen Platzverweisungen nach § 17 Abs. 1 NGefAG bei dem Antragsteller keine Verhaltensänderung bewirkt hätten, sei es erforderlich, den Antragsteller längerfristig aus der Stadt fernzuhalten, um zu verhindern, dass er durch sein Verhalten zur weiteren Verfestigung der Drogenszene beitrage. Eine auf bestimmte Tageszeiten beschränkte Platz Verweisung sei zur Gefahrenabwehr ungeeignet, da die Drogenszene nach den polizeilichen Feststellungen rund um die Uhr präsent sei. Um Verlagerungstendenzen entgegenzuwirken, sei eine Erstreckung der Maßnahme auf das gesamte Stadtgebiet erforderlich, zumal der Antragsteller nicht im Stadtgebiet wohne. Von der Platzverweisung könnten aus besonderem Anlaß Ausnahmen beantragt werden. Angesichts der mit dem Aufenthalt des Antragstellers verbundenen Gefahren für bedeutende Individualrechtsgüter sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung des ausgesprochenen Platzverweises notwendig.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.09.1998 legte der Antragsteller am 10.09.1998 Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 ein. Zur Begründung dieses Rechtsbehelfs führte er im wesentlichen aus, es lägen keine Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass er im Stadtbereich von Göttingen oder anderswo Straftaten begehen werde. Durch das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 02.06.1998 sei er von dem Vorwurf, Betäubungsmittel verkauft zu haben, in vollem Umfang freigesprochen worden. Er habe am 25.08.1998 keine Kontakte zu Drogenkonsumenten gesucht oder vermittelt und habe sich auch am 04.09.1998 nicht in der Turmstraße aufgehalten, er habe vielmehr den damaligen dreitägigen polizeilichen Platzverweis beachtet. Er nutze regelmäßig den von der ... in der Turmstraße angebotenen Mittagstisch, da er als Sozialhilfeempfänger nur über geringe Barmittel verfüge. Auf jeden Fall sei das von der Antragsgegnerin ausgesprochene Aufenthaltsverbot unverhältnismäßig, weil es den gesamten Stadtbereich der Antragsgegnerin erfasse. Im übrigen sei ihm anläßlich der Aushändigung des angefochtenen Bescheides vom 07.09.1998 durch die Polizei ein Stadtplan übergeben worden, in dem mit gelbem Markierstift als verbotene Zone lediglich der Bereich innerhalb des Walls eingetragen gewesen sei.
Ebenfalls am 09.09.1998 hat der Antragsteller bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Der Antragsteller vertieft und konkretisiert seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Er behauptet, er verkaufe keine Betäubungsmittel. Seit November 1997 seien bei ihm trotz durchgeführter zahlreicher Durchsuchungen keine Betäubungsmittel mehr aufgefunden worden. Die aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen und strafrechtlichen Ermittlungsakten ersichtlichen Umstände stellten insgesamt keine Tatsachen dar, die den Erlaß der angefochtenen Verfügung auf der Grundlage des § 17 Abs. 2 NGefAG rechtfertigen könnten. Die beschlagnahmten 1.160,- DM stammten nicht aus Drogengeschäften, sondern seien ihm, soweit es sich nicht um die vom Flecken Bovenden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährten Mittel handele, von zwei Bekannten anvertraut worden. Im übrigen sei weder bei der Aushändigung der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin an ihn noch bei den zuvor erfolgten polizeilichen Vernehmungen oder Erörterungen ein Dolmetscher hinzugezogen worden, obwohl er der deutschen Sprache nicht in hinreichendem Maße mächtig sei. Der Antragsteller reicht überdies den in seinem Widerspruchsschreiben genannten Stadtplan mit dem farblich markierten Innenstadtbereich zur Akte.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen das mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 ihm gegenüber ausgesprochene Aufenthalts verbot im gesamten Bereich der Stadt Göttingen bis zum Vorliegen eines Widerspruchsbescheides wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält ihren Bescheid für offensichtlich rechtmäßig, ergänzt diesen aber vorsorglich in seiner Begründung. Sie stützt die Annahme dafür, dass der Antragsteller künftig Straftaten begehen werde, auf weitere Geschehnisse, die sich aus den beigezogenen Ermittlungsakten und Verwaltungsvorgängen ergeben, insbesondere die polizeilichen Feststellungen vom 02.09.1998. Bei der Bewertung des Urteils des Amtsgerichts Göttingen vom 02.06.1998 sei zu berücksichtigen, dass es bei dem streitgegenständlichen
Platzverweis nicht um Strafrecht, sondern um Gefahrenabwehr gehe.
Mit Bescheid vom 16.09.1998 hat die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller das in dem angefochtenen Bescheid vom 07.09.1998 angedrohte Zwangsgeld von 500,00 DM festgesetzt, weil sich der Antragsteller am 16.09.1998 in der Weender Straße im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin aufgehalten hat. Gleichzeitig hat sie dem Antragsteller für den Fall eines weiteren Verstoßes gegen die mit Bescheid vom 07.09.1998 ausgesprochene Platz Verweisung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 DM angedroht. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.09.1998 Widerspruch eingelegt. Am 05.10.1998 hat er bei der Kammer auch um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 16.09.1998 nachgesucht (Aktenzeichen 1 B 1208/98). Diesen Antrag hat die Kammer mit Beschluss vom heutigen Tage zurückgewiesen. Mit weiterem Bescheid vom 17.09.1998 hat die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 DM festgesetzt, weil sich der Antragsteller am 17.09.1998 in der Theaterstraße in Göttingen aufgehalten hat. Gleichzeitig hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Fall eines weiteren Verstoßes gegen die Verfügung vom 07.09.1998 ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 DM angedroht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens mitsamt den hier beigezogenen Verwaltungsvorgängen und strafrechtlichen Ermittlungsakten (Beiakten A bis K) sowie auf die Gerichtsakten zu den Aktenzeichen 1 B 1208/98 und 3 A 3490/94 verwiesen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Beratung der Kammer gewesen.
Gründe
II.
Die Kammer legt den gestellten Antrag gemäß § 88 VwGO interessegemäß dahingehend aus, dass der Antragsteller über die Suspendierung der in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 ausgesprochenen Platz Verweisung hinaus auch eine Ausservollzugsetzung der von der Antragsgegnerin gleichfalls ausgesprochenen Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 DM begehrt. Dies ergibt sich daraus, dass der Antragsteller in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 B 1208/98 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch gegen die von der Antragsgegnerin vorgenommene Festsetzung des angedrohten Zwangsgeldes nachgesucht hat.
Der derart ausgelegte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, weil dem Widerspruch des Antragstellers vom 10.09.1998 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bzw. §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 64 Abs. 4 Satz 1 NGefAG weder hinsichtlich der verfügten Platzverweisung, noch im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung eine aufschiebende Wirkung zukommt. Gegen die Zulässigkeit des Antrages bestehen auch im übrigen keine Bedenken. Der Antrag kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben.
Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet.
In materiell-rechtlicher Hinsicht überwiegt bei der von der Kammer bei ihrer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit der ausgesprochenen Platzverweisung und der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung das entgegenstehende private Suspensivinteresse des Antragstellers. Der Vorrang des öffentlichen Interesses rührt daher, dass sich der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird und seine sofortige Vollziehung zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren der Drogenkriminalität erforderlich ist, wogegen es dem nicht in Göttingen wohnhaften Antragsteller zugemutet werden kann, das Stadtgebiet der Antragsgegnerin vorläufig nicht zu betreten.
Rechtsgrundlage der von der Antragsgegnerin in der Verfügung vom 07.09.1998 ausgesprochenen Platzverweisung ist § 17 Abs. 2 GefAG. Die Kammer, hat keinen Anlass, sich mit den in der Literatur unter Hinweis auf die in Artikel 73 Nr. 3 GG geregelte ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Freizügigkeit geäußerten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 2 NGefAG (vgl. zum Meinungsstand: Waechter, Nds. VBl 1996, 197 ff.) auseinanderzusetzen. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sich der Begriff der Freizügigkeit in Artikel 73, Nr. 3 GG anders als die Gewährleistung in Artikel 11 Abs. 1 GG nicht nur auf Deutsche, sondern auch auf Ausländer beziehen könnte. Es unterliegt mithin keinen Bedenken, dass - wie im vorliegenden Fall geschehen - jedenfalls Ausländer grundsätzlich den Beschränkungen des § 17 Abs. 2 NGefAG unterworfen werden können.
Gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 ist in formell-rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern. Insbesondere ist er inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne der §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. VwVfG, 37 Abs. 1 VwVfG. Den von der Kammer beigezogenen Verwaltungsvorgängen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dem Antragsteller tatsächlich - wie dieser behauptet - zusammen mit dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 der zur Gerichtsakte gereichte Stadtplan, in dem als verbotene Zone nur der Innenstadtbereich der Antragsgegnerin eingezeichnet ist, überreicht worden ist. Vielmehr spricht ganz Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller diesen Stadtplan bei einer der zuvor durch die Polizei auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 NGefAG erlassenen Platzverweisungen, die sich ausdrücklich nur auf den Innenstadtbereich bezogen, erhalten hat.
Materiell-rechtlich sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 NGefAG erfüllt. Die Annahme, dass der nicht im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin wohnhafte Antragsteller in diesem örtlichen Bereich zukünftig Straftaten nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG in der Form des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln begehen wird, ist durch Tatsachen gerechtfertigt.
Die Kammer legt die durch Gesetz vom 20.05.1996 (Nds. GVBl. S. 230) in das NGefAG eingefügte Vorschrift des § 17 Abs. 2 NGefAG dahin aus, dass auf gesicherter Tatsachengrundlage eine Prognose in dem Sinne erfolgen muß, dass die Begehung einer Straftat in dem betroffenen örtlichen Bereich hinreichend wahrscheinlich ist (in diesem Sinne auch: Ausführungsbestimmungen zum NGefAG, Nds. MBl. 1998, S. 1078, allgemeiner Teil und zu § 17 sowie VG Hannover, Urteil vom 07.07.1997 - 10 A 5589/96 -, Nds. VBl. 1998, 147 f). Durch diesen Rückgriff auf den Kern der allgemeinen polizeirechtlichen Gefahrendefinition des § 2 Nr. 1 a NGefAG bleibt für Bedenken gegen eine in § 17 Abs. 2 NGefAG angelegte, zu weit gehende Absenkung der polizeilichen Eingriffsschwelle kein Raum.
Eine die Prognose, der Antragsteller werde künftig im Gebiet von Göttingen mit Drogen unerlaubt Handel treiben, rechtfertigende Tatsache liegt zunächst darin, dass der Antragsteller mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 02.06.1998 des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen worden ist. Dabei ist hervorzuheben, dass das Amtsgericht den Antragsteller, bei dem die Polizei am 05./06.11.1997 im Rahmen von Kontrollen im Bereich der Turmstraße erhebliche, in übliche verkaufsfähige Portionierungen aufgeteilte Mengen gefunden hatte, nur deshalb nicht auch des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln für schuldig erachtete, weil dem Antragsteller seine als unglaubhaft erachtete Einlassung, er habe das Haschisch zum Eigenverbrauch gekauft, nach strafrechtlichen Maßstäben nicht widerlegt werden konnte.
Unabhängig von den durch das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 02.06.1998 erfassten Taten liegen weitere - von der Antragsgegnerin jedenfalls durch ihren Vortrag im gerichtlichen Verfahren in Bezug genommene - Tatsachen vor, aus denen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Schluss ziehen läßt, dass der Antragsteller in Zukunft unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel treiben wird. Es bedarf mithin keiner Entscheidung der von der Antragsgegnerin aufgeworfenen Frage, ob nicht auch die durch die strafrichterlichen Freisprüche erfassten Taten des Antragstellers einer Würdigung nach den Maßstäben des Gefahrenabwehrrechts unterzogen werden müssen.
So hat die ehemalige Freundin des Antragstellers, Frau ..., gegenüber der Polizei erklärt, sie habe die bei ihr am 27.05.1998 sichergestellten Kugeln mit Heroin bzw. Kokain vom Antragsteller zum Weiterverkauf erhalten und die in ihrer Wohnung gefundene "Tickerliste" als Auflistung von Schuldnern und Schulden im Zusammenhang mit Rauschgiftgeschäften des Antragstellers identifiziert. Zwar hat der Antragsteller diese Aussagen vor der Polizei als Lügen bezeichnet. Es spricht jedoch nichts dafür, dass Frau ... den Antragsteller zu Unrecht belastet haben könnte. Sie war zum Zeitpunkt ihrer ersten Aussage noch mit dem Antragsteller befreundet und hat sich im übrigen durch ihre Angaben in erheblicher Weise selbst belastet.
Die Kammer hat auf der Grundlage der vorliegenden polizeilichen Feststellungen auch keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller am 02.09.1998 vor der Essensausgabe der ...-Gemeinde in der Turmstraße an ... und wenig später auch an ... Rauschgift verkauft hat. Dafür, dass derartige Geschäfte keine Einzelfälle darstellten, spricht, dass bei einer kurz darauf durchgeführten Durchsuchung des Antragstellers der erhebliche Geldbetrag von 1.160,00 DM in Scheinen aufgefunden wurde, der den Betrag von 365,00 DM, den der Antragsteller derzeit monatlich auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes erhält, um ein Vielfaches übersteigt. Die Kammer qualifiziert den Vortrag des Antragstellers, er habe keinen Beutel aus seinem Mund heraus verkauft und das bei ihm aufgefundene Geld sei ihm zu wesentlichen Teilen von Bekannten zur Verwahrung übergeben worden, als unbeachtliche Schutzbehauptung. Die Kammer sieht vielmehr die von der Polizei am 02.09.1998 ermittelten bzw. die für diesen Tag bezeugten Vorfälle als exemplarisch für die Betätigung des Antragstellers in der offenen Drogenszene an, die der Antragsteller, sofern er daran nicht wirksam gehindert wird, auch in Zukunft fortsetzen wird.
Hierfür spricht schließlich auch, dass sich der Antragsteller nach den von der Kammer nicht bezweifelten Feststellungen der Polizei am 04.09.1998 einer kurz zuvor auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 NGefAG ausgesprochenen kurzfristigen polizeilichen Platzverweisung zuwider im Bereich der offenen Drogenszene in der Turmstraße aufhielt und auch nach Erlass der sofort vollziehbaren Verfügung der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 bereits wieder zweimal in der Innenstadt von Göttingen von der Polizei angetroffen wurde. Diese Tatsachen stellen angesichts der angedrohten und schließlich auch festgesetzten Zwangsgelder in Höhe von 500,00 DM bzw. 1.000,00 DM zur Überzeugung der Kammer ein weiteres Indiz dafür dar, dass der Antragsteller mit erheblichen Summen aus dem Drogenhandel kalkuliert und deshalb zum Zweck der Durchführung dieses Handels auch das Risiko in Kauf nimmt, notfalls hohe Zwangsgelder zahlen zu müssen. In diesem Zusammenhang kann auch der Einwand des Antragstellers, weder die Polizei noch die Antragsgegnerin hätten bei den durchgeführten Vernehmungen oder der Verhängung der jeweiligen Platzverweisungen einen Dolmetscher hinzugezogen, nicht durchgreifen. Die ausgesprochenen Platz Verweisungen sind dem Antragsteller in schriftlicher Form und entsprechend den gesetzlichen Vorschriften (vgl. §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. VwVfG, 23, Abs. 1 VwVfG) in deutscher Sprache ausgehändigt worden. Es wäre die Sache des Antragstellers gewesen, sich - notfalls durch Hinzuziehung eines Dolmetschers - über den Inhalt der ergangenen Verfügungen zu vergewissern. Im übrigen ergeben sich aus den beigezogenen Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller jedenfalls den in englischer Sprache durchgeführten Vernehmungen nicht - hätte folgen können.
Die Ausdehnung der von der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller verfügten Platzverweisung auf das gesamte Gebiet der Antragsgegnerin ist aufgrund von § 17 Abs. 2 Satz 2 NGefAG zulässig. Sie ist nach den Umständen des konkreten Einzelfalles i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 3 i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 3 NGefAG erforderlich, um zu verhüten, dass der Antragsteller in Zukunft weiterhin unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel treibt und verstößt auch sonst nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Insoweit ist eine Vergleichbarkeit mit Sachverhalten, in denen die Rechtsprechung großräumige Platzverweisungen als unverhältnismäßig bewertet hat (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.09.1996 - 1 S 2531/96 -, DöV 1997, 255 f; VG Stuttgart, Beschluss vom 06.12.1995 - 1 K 4045/95 -, NVWZ-RR 1996, 390 f.) nicht gegeben. Nach den vorliegenden und für die Kammer nachvollziehbaren polizeilichen Erkenntnissen sind als Folge von Maßnahmen, die die Polizei zur Bekämpfung der offenen Drogenszene im Bereich der Turmstraße ergriffen hat, Tendenzen einer Verlagerung des Drogenhandels in andere Bereiche der Altstadt von Göttingen, aber auch in weitere Bezirke des Stadtgebietes erkennbar. Aufgrund dieser Erkenntnisse wäre eine räumlich enger begrenzte Platzverweisung des Antragstellers aller Voraussicht nach nicht geeignet, diesen von der Begehung des unerlaubten Drogenhandels abzuhalten und die Drogenszene in Göttingen von den Aktivitäten und Lieferungen des Antragstellers zu entlasten. Dies gilt umsomehr, als der in Bovenden wohnhafte Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass er darauf angewiesen sein könnte, bestimmte Örtlichkeiten im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin aufzusuchen. Der Wunsch des Antragstellers, das Angebot eines Mittagstisches durch die ... Gemeinde wahrzunehmen, ist insoweit unbeachtlich, da es dem Antragsteller zugemutet werden muss, sich in Bovenden zu verköstigen, wie dies andere Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die in dieser Gemeinde wohnhaft sind, auch tun. Im übrigen kann der Antragsteller nach dem Inhalt des Bescheides der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 aus besonderen Anlässen Ausnahmen von der verfügten Platzverweisung beantragen.
Schließlich verstößt auch die von der Antragsgegnerin verfügte sechsmonatige Dauer der Platz Verweisung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie ist geeignet und erforderlich, um die illegalen Geschäfte des Antragstellers nachhaltig zu unterbinden, und belastet den Antragsteller nicht in unangemessener Weise.
Die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.09.1998 enthaltene Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 DM für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die angeordnete Platzverweisung entspricht den Voraussetzungen der §§ 64, 65, 70 Abs. 1-3 und 5 NGefAG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.250,00 DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GKG. Dabei setzt die Kammer für die verfügte Platzverweisung den Auffangstreitwert in Höhe von 8.000,00 DM und für das Zwangsgeld die Hälfte des angedrohten Betrages von 500,00 DM an. Im Hinblick auf den die Hauptsache vorwegnehmenden Charakter des Eilverfahrens ist eine Verminderung des Streitwertes nicht angezeigt.
Lange
Dr. Möller