Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 11.08.2010, Az.: 1 A 122/08
Auslandserkrankung; Einsatzerkrankung; Einsatzunfall; Unfallfürsorge, beamtenrechtliche
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 11.08.2010
- Aktenzeichen
- 1 A 122/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41244
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2010:0811.1A122.08.0A
Rechtsgrundlage
- BeamtVG 31 a
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer tiefen Beinvenenthrombose und eines postthrombotischen Syndroms als sogenannte Einsatzerkrankung.
Der am C. geborene Kläger ist Bundesbeamter und als Regierungsamtsrat (Besoldungsgruppe A 12Bundesbesoldungsgesetz) Leiter der Truppenverwaltung D.. In der Zeit vom 29. Januar 2006 bis 6. Juni 2006 nahm er als Wehrübender im Soldatenstatus (Hauptmann der Reserve) an einem EUFOR - Auslandseinsatz in Bosnien als Truppenverwaltungsoffizier teil. Er war als Leiter der Truppenverwaltung in Mostar eingesetzt.
Während des Einsatzes traten beim Kläger im Mai 2006 im rechten Bein Beschwerden auf. Vom Truppenarzt vor Ort wurde am 22. Mai 2006 eine Thrombophlebitis diagnostiziert. Diese wurde mit niedermolekularem Heparin in prophylaktischer Dosis, Exhirud-Salbe und Antithrombosestrümpfen Klasse 1 behandelt. Im German Field Hospital in Rajlovac bei Sarajevo, in das der Kläger danach überwiesen worden war, erfolgte am 23. Mai 2006 eine doppelsonografische Untersuchung des rechten Beines, bei der eine tiefe Beinvenenthrombose ausgeschlossen wurde. Die eingeleitete Therapie wurde fortgesetzt. Die Beinbeschwerden hörten danach auf. Am 6. Juni 2006 trat der Kläger den Rückflug nach E. mit Zwischenstation in Ramstein an. Nach einer routinemäßigen Rückkehruntersuchung beim Truppenarzt überwies dieser ihn zu einem Facharzt. Der Internist Dr. F. stellt am 8. Juni 2006 eine relativ frische (ca. 2 Wochen her) Beinvenenthrombose fest. Nach der weiteren Behandlung im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg leidet der Kläger heute noch an einem postthrombotischem Syndrom.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 lehnte es die Wehrbereichsverwaltung Nord auf Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung ab, die vom Kläger erlittene Thrombose und das postthrombotische Syndrom als "Einsatzerkrankung" anzuerkennen. Nach den fachärztlichen Gutachten habe sich die Beinvenenthrombose hauptsächlich im Zeitraum des Rückfluges aus Bosnien ereignet. Des Weiteren sei das Entstehen der Thrombose nicht auf das übliche Tätigkeitsfeld des Klägers als Leiter der Truppenverwaltung im Einsatzland zurückzuführen. Eine Anerkennung nach § 31 a BeamtVG scheide daher aus. Eine Anerkennung der Erkrankung als Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG komme ebenfalls nicht in Betracht.
Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein mit der Begründung, nach Feststellung des Internisten Dr. F. habe sich die Thrombose bei der Untersuchung am 8. Juni 2006 bereits in einem deutlich fortgeschrittenen Stadium befunden und müsse daher deutlich vor dem Rückflug entstanden sein. Der Rückflug selbst sei nicht besonders belastend gewesen, da lediglich 6 Passagiere in der Transall transportiert worden seien. Er habe sich im Flugzeug bewegen und auch sein Bein hochhalten können. Darüber hinaus seien die Verhältnisse in Bosnien deutlich anders und gefährlicher als an seiner Arbeitsstelle in Deutschland gewesen. Die Temperaturen hätten in der Regel über 30 Grad gelegen und er habe einen Kampfanzug mit Kampfstiefeln und Gummibändern zum Hochbinden der Uniformhose tragen müssen.
Den Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung Nord mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2008 (zugestellt am 6. Juni 2008) zurück. Darin wurde ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung der Erkrankung als "Einsatzerkrankung" im Sinne des § 31 a BeamtVG. Am Einsatzort hätten keine Verhältnisse bestanden, die das gesundheitliche Risiko besonders und signifikant gesteigert hätten. Die klimatischen Bedingungen und die Bekleidung hätten nach dem Fachgutachten allenfalls nachrangige Bedeutung für das Entstehen der Thrombose. Soweit die Thrombose auf dem Rückflug entstanden sei, gehöre dieser Zeitraum nicht mehr zur besonderen Verwendung im Ausland. Die Voraussetzungen des § 31 a Abs. 1 und § 31 Abs. 3 BeamtVG seien ebenfalls nicht gegeben.
Am 2. Juli 2008 hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben, das den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen hat. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger seine Ausführungen aus dem Vorverfahren. Ergänzend weist er darauf hin, dass die medizinische Versorgung in Bosnien schlechter gewesen sei als in Deutschland. Darüber hinaus habe er jeden Tag in der Woche - bis auf einen freien Tag -Dienst leisten müssen und zwar regelmäßig mehr als acht Stunden. Sein Büro sei innerhalb des Camps in einem Container untergebracht gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 12. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Erkrankung, nämlich tiefe Beinvenenthrombose und postthrombotisches Syndrom, als gleichgestellten Dienstunfall im Sinne des § 31 a BeamtVG anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus den angefochtenen Bescheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung seiner tiefen Beinvenenthrombose und seines postthrombotischen Syndroms im rechten Bein als "Einsatzerkrankung" im Sinne des § 31 a Abs. 2 BeamtVG. Der Bescheid der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 12. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2008 ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist zur entsprechenden Anerkennung zu verpflichten.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 31 a Abs. 2 BeamtVG. Danach erhält ein Beamter Unfallfürsorge wie bei einem Dienstunfall und dies ist entsprechend anzuerkennen, wenn bei ihm eine Erkrankung oder ihre Folgen oder ein Unfall bei einer besonderen Verwendung im Ausland auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentliche abweichende Verhältnisse zurückzuführen sind (§ 31 a Abs. 2 Alternative 1). Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt.
Der Kläger befand sich in Bosnien in der Zeit vom 29. Januar bis 6. Juni 2006 in einer besonderen Verwendung im Ausland. Eine besondere Verwendung im Ausland ist eine Verwendung, die aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat auf Beschluss der Bundesregierung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen stattfindet, oder eine Verwendung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen mit vergleichbar gesteigerter Gefährdungslage (§ 31 a Abs. 1 Satz 2 BeamtVG). Die besondere Verwendung im Ausland beginnt mit dem Eintreffen im Einsatzgebiet und endet mit dem Verlassen des Einsatzgebietes (§ 31 a Abs. 1 Satz 3 BeamtVG). Der Kläger nahm hier an einem EUFOR-Auslandseinsatz in Bosnien teil, der die oben genannten Kriterien erfüllt. Obwohl er als Wehrübender im Soldatenstatus an diesem Auslandeinsatz teilnahm, erfolgt die Anerkennung einer Erkrankung nach dem Beamtenversorgungsgesetz, da der Kläger wegen seiner beamtenrechtlichen Funktion als Leiter der Truppenverwaltung dort eingesetzt wurde und die Übernahme in den Soldatenstatus nur aus Sicherheitsgründen erfolgte (vgl. auch Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom 17.3.2003).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist durch die fachärztlichen Gutachten hinreichend nachgewiesen, dass die tiefe Beinvenenthrombose ihre Ursache im Auslandeinsatz hat. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn die Schädigung oder die Erkrankung in einem untrennbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Auslandsverwendung erfolgt oder aufgetreten ist. Ein derartiger Zusammenhang ist aufgrund der Untersuchung des Fachinternisten Dr. F. am 8. Juni 2006 hinreichend belegt. Nach seinen Feststellungen war die Beinvenenthrombose zwei Wochen alt, so dass ihre Entwicklung bzw. Entstehung bereits vor dem Rückflug begonnen haben muss. Von dieser Einschätzung geht auch das fachinternistische Gutachten des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg vom 25. Juni 2007 aus. Es übernimmt den Befund einer relativ frischen (ca. 2 Wochen) zurückliegenden Beinvenenthrombose von Dr. F..
Die Beinvenenthrombose ist auch auf vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse des Einsatzortes in Bosnien zurückzuführen. Sowohl im fachinternistischen Gutachten des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg vom 25. Juni 2007 als auch in den personalärztlichen Stellungnahmen vom 22. November 2006 und 10. Juli 2007 wird davon ausgegangen, dass die tiefe Beinthrombose des Klägers auf vom Inland wesentlich abweichenden Verhältnissen beruht oder zumindest mitberuht. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass am Ort des Einsatzes besondere Verhältnisse bestehen müssen, die die gesundheitlichen Risiken deutlich erhöhen und hierzu ein Vergleich zwischen den konkret am Aufenthaltsort bestehenden Verhältnissen und den Verhältnissen in der Heimat stattzufinden habe. Danach ist eine Wertung vorzunehmen, ob die Abweichung "wesentlich" ist (Plog/Wiedow, Loseblatt-Kommentar zum BeamtVG, Stand: Juli 2010, § 31 a Rdnr. 47). Hierzu ist von den Ärzten aber eindeutig ausgeführt worden, dass die Thrombose nicht durch endogene sondern durch exogene Faktoren verursacht worden ist. Trotz vergleichbarer sitzender Tätigkeit seien in Bosnien das Tragen von Kampfstiefeln und klimatische Bedingungen, die am heimatlichen Dienstort in G. nicht gegeben seien, risikoerhöhend hinzugetreten und hätten die Thrombose ausgelöst oder mit ausgelöst. Im fachinternistischen Gutachten des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg vom 25. Juni 2007 ist entgegen der Auffassung der Beklagten ebenfalls ausgeführt, dass diese Unterschiede zwischen Einsatzland und dem Heimatland bei der Thrombosenbildung durchaus ins Gewicht fallen. Lediglich der prozentuale Einfluss konnte nachträglich nicht mehr bestimmt werden. Als das Risiko ebenfalls erhöhend ist neben diesen Feststellungen des Weiteren zu berücksichtigen, dass der Kläger in einem Bürocontainer Dienst leisten musste, der - anders als bei "festen" Gebäuden - keinen wirksamen und ausreichenden Schutz vor den hohen Dauertemperaturen bot. Gleichfalls fällt risikoerhöhend ins Gewicht, dass der Kläger im Gegensatz zu seiner Tätigkeit in Deutschland verdichteten (6 Tage in der Woche) und längeren Dienst (über acht Stunden täglich) leisten musste und ein körperlicher Ausgleich im Camp - wenn überhaupt - nur eingeschränkt möglich war. Damit ist zur Überzeugung des Gerichts hinreichend belegt, dass bei der Tätigkeit des Klägers in Mostar (Bosnien) wesentliche Abweichungen zu den Verhältnissen im Heimatland vorgelegen haben, die gerade das Risiko einer Beinvenenthrombose deutlich erhöht haben. Die Voraussetzung des § 31 a Abs. 2 BeamtVG sind mithin hier erfüllt und die Beklagte entsprechend zur Anerkennung zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.