Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 05.02.2010, Az.: 11 A 2543/08
Feststellungsklage als statthafte Klageart bei Unterlassen der Erteilung eines Verwaltungsaktes über das Erlöschen des Aufenthaltstitels eines Ausländers; Die Ausländerbehörde als Trägerin der materiellen Beweislast bei Berufung auf eine Norm i.R.d. Geltendmachung des Erlöschens eines Aufenthaltstitels; Vorliegen von Einreisestempel und Ausreisestempel der Grenzkontrollbehörde des Heimatlandes in dem Pass des Ausländers als Indiz für die Vermutung eines dauerhaften Aufenthaltes in seinem Heimatland
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 05.02.2010
- Aktenzeichen
- 11 A 2543/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 14214
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2010:0205.11A2543.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Beruft sich eine Ausländerbehörde darauf, dass der Aufenthaltstitel eines Ausländers nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist, ohne darüber einen feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen, so ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Dies gilt auch dann, wenn gegen den Ausländer eine Abschiebungsandrohung erlassen wurde.
- 2.
Die materielle Beweislast für das Erlöschen eines Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG trägt die Ausländerbehörde, die sich auf diese Vorschrift beruft.
- 3.
Befinden sich im Reisepass eines Ausländers Ein- und Ausreisestempel der Grenzkontrollbehörden seines Heimatlandes und steht aufgrund von Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes fest, dass diese Behörden normalerweise Ein- und Ausreisen sorgfältig durch Passtempel dokumentieren, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Ausländer sich die gesamte Zeit ununterbrochen in seinem Heimatland aufgehalten hat.
- 4.
Zur Entkräftung dieser Vermutung bedarf es zwar nicht des vollen Beweises, dass der Ausländer vorübergehend nach Deutschland zurückgekehrt war, aber es müssen zumindest Umstände vorliegen, die dies als ernsthaft möglich erscheinen lassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist indische Staatsangehörige. Sie reiste am 2. Juni 2003 erstmals nach Deutschland ein und heiratete am 13. Juni 2003 einen deutschen Staatsangehörigen. Am 1. Juli 2003 erteilte ihr der Beklagte erstmals eine Aufenthaltsgenehmigung aus familiären Gründen, die später verlängert wurde.
Am 7. September 2006 erteilte der Beklagten der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis.
Am 20. März 2007 wurde die Ehe der Klägerin mit ihrem deutschen Ehemann geschieden (Familiengericht Nordenham, Urteil vom 07. Februar 2007 - 4 F 318/06 S -, rechtskräftig seit 20. März 2007).
Im Herbst des Jahres 2007 sprach die Klägerin beim Beklagten vor und berichtete, dass sie in Indien erneut geheiratet habe und nun ein Visum für ihren zweiten Ehemann beantragen wolle. Bei dieser Gelegenheit legte sie dem Beklagten ihren Reisepass vor. Der Beklagte stellte fest, dass sich im Reisepass der Klägerin ein Einreisestempel nach Indien vom 12. Januar 2007 und ein indischer Ausreisestempel vom 8. August 2007 befanden.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2007 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass sie ausweislich der Ein- und Ausreisestempel in ihrem Pass vom 12. Januar bis zum 8. August 2007 und damit länger als 6 Monate im Ausland gewesen sei. Daher sei ihre Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Die Klägerin wurde zur Ausreise aufgefordert; andernfalls wurde ihr die Abschiebung nach Indien angedroht.
Nachdem ihr Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz 10. März 2008 vorgetragen hatte, dass die Klägerin sich nicht länger als 6 Monate im Ausland aufgehalten habe, forderte der Beklagte die Klägerin unter dem 6. Juni 2008 auf, Nachweise darüber vorzulegen, dass sie sich zwischen den Daten der Ein- und Ausreisestempel nicht die ganze Zeit in Indien aufgehalten habe (z.B. Flugtickets, Reisebürorechnungen). Mit einem weiteren Schreiben, das ebenfalls auf den 6. Juni 2008 datiert ist, bekräftigte der Beklagte erneut, dass er die Niederlassungserlaubnis als erloschen ansehe. Es erging eine erneute Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
Die Klägerin hat am 15. September 2008 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, sie sei im Jahr 2007 nicht länger als 6 Monate ununterbrochen in Indien gewesen. Sie sei dort zunächst vom 12. Januar bis zum 15. Februar 2007 gewesen, dann nach Deutschland zurückgekehrt und schließlich vom 30. März bis zum 8. August 2007 erneut nach Indien gereist. Hierzu legt sie eine Bestätigung eines indischen Reisebüros vor, wonach sie Flüge von Frankfurt nach Delhi für den 12. Januar 2007, von Delhi nach Frankfurt für den 26. Februar 2007, von Frankfurt über Zürich nach Delhi für den 30. März 2007 und von Delhi über Zürich nach Frankfurt für den 8. August 2007 gebucht hat. Ferner kündigte die Klägerin an, sie werde noch Zeugen benennen, die sie zwischen dem 26. Februar und dem 30. März 2007 in Deutschland gesehen haben. Im Übrigen ist die Klägerin der Auffassung, dass der Beklagte die materielle Beweislast dafür trägt, dass sie sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hat. Ein solcher Auslandaufenthalt sei nicht schon allein durch die indischen Ein- und Ausreisestempel in ihrem Pass bewiesen. In Deutschland erhielten die Inhaber von langfristigen Aufenthaltstiteln überhaupt keine Stempel bei der Ein- und Ausreise. In Indien erhielten indische Staatsbürger zwar normalerweise solche Stempel, aber auch dies geschehe nicht ausnahmslos. Zum Beispiel würden bei einer Ausreise über Nepal die Pässe von den indischen Behörden gar nicht kontrolliert und gestempelt.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die ihr vom Beklagten am 7. September 2006 erteilte Niederlassungserlaubnis nicht gemäߧ 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Klägerin verletze ihre Mitwirkungspflicht aus § 82 AufenthG, da sie keine Nachweise darüber, dass sie sich nicht länger als 6 Monate in Indien aufgehalten hat, vorlege. Aus der vorgelegten Buchungsbescheingung des Reisebüros gehe nicht hervor, dass gerade die Klägerin die betreffenden Flüge gebucht habe. Es gäbe laut Ausländerzentralregister in Deutschland nämlich mehrere Personen mit dem Namen der Klägerin. Ferner obliege die Prüfung, ob ein Aufenthaltstitel erloschen sei, nicht dem Verwaltungsgericht, sondern dem Beklagten als Ausländerbehörde. Er - der Beklagte - habe hierüber aber noch keinen rechtsmittelfähigen Bescheid erlassen.
Die Klägerin ist nach Klageerhebung zunächst in die Stadt Oldenburg und dann in den Landkreis Friesland verzogen.
Das Gericht hat beim Auswärtigen Amt eine Auskunft zur Praxis der indischen Grenzkontrollbehörden am Flughafen in Delhi bei der Erteilung von Ein- und Ausreisestempeln an eigene Staatsangehörige eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 10. Dezember 2009 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Feststellungsklage der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
Die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ist hier die statthafte Klageart, da die Klägerin und der Beklagte darüber streiten, ob die Niederlassungserlaubnis der Klägerin gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kraft Gesetzes erloschen ist (vgl. Schäfer, GK-AufenthG, § 51 Rn. 141, 143).
Einen feststellenden Verwaltungsakt über die Frage des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis, der dazu führen würde, dass wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nur noch letztere statthaft wäre, hat der Beklagte hier nicht erlassen. Unabhängig davon, welchen Rechtscharakter die Schreiben des Beklagten vom 18. Dezember 2007 und 6. Juni 2008 im Hinblick auf die in ihnen enthaltene Abschiebungsandrohung haben, sind sie jedenfalls im Hinblick auf die Behauptung, dass die Niederlassungserlaubnis der Klägerin kraft Gesetzes erloschen sei, nicht mit hinreichender Deutlichkeit als feststellende Verwaltungsakte zu erkennen. Ihrem Wortlaut nach stellen sich diese Schreiben als bloßer Verweis auf eine gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG automatisch eingetretene Rechtslage dar. Ferner spricht gegen eine Auslegung als feststellender Verwaltungsakt, dass beide Schreiben keine Rechtsbehelfsbelehrungen enthalten, wie sie bei einem Verwaltungsakt zu erwarten gewesen wären. Auch der Beklagte wertet seine Schreiben offenbar nicht als feststellende Verwaltungsakte. Er hat im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich vorgetragen, er habe über die Frage des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis noch keinen rechtmittelfähigen Bescheid erlassen (vgl. Schriftsatz vom 23. September 2008, Blatt 24 der Akte).
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Beklagten, ist das Verwaltungsgericht auch nicht daran gehindert, vor dem Erlass eines solchen feststellenden Verwaltungsaktes im Rahmen einer Feststellungsklage über das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenhG zu entscheiden. Zwar kann der Beklagte wohl einen solchen feststellenden Verwaltungsakt zur Klärung der Rechtslage erlassen, dies ist aber gesetzlich weder zwingend vorgesehen noch Voraussetzung dafür, dass der Klägerin das Erlöschen ihrer Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG entgegengehalten werden kann. Wenn aber für die Klägerin aus § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG schon vor Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes negative Rechtsfolgen entspringen können, muss sie wegen der Rechtschutzgarantie des Artikel 19 Abs. 4 GG auch schon vor Erlass eines solchen Verwaltungsaktes die Möglichkeit haben, Rechtschutz gegen eine Behörde, die sich auf diese Norm beruft, zu erlangen. Dies geschieht hier mit der Feststellungsklage.
Auch der Umstand, dass der Beklagte seine Behauptung, die Niederlassungserlaubnis der Klägerin sei kraft Gesetzes erloschen, mit einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung verbunden hat, führt nicht zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage im Hinblick auf deren Subsidiarität gegenüber einer Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung (a. A. Schäfer, GK-AufenthG, § 51 Rn. 142). Zwar trifft es zu, dass im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung meist inzident auch geprüft werden wird, ob der Aufenthaltstitel der Kläger nach § 51 Abs. 1 AufenthG erloschen ist. Logisch zwingend ist dies allerdings nicht. Denn die Abschiebungsandrohung könnte theoretisch im Rahmen der Anfechtungsklage auch aus anderen Gründen (z.B. wegen formeller Mängel wie einer nicht ordnungsgemäßen Zielstartbestimmung oder einer ungemessen kurzen Ausreisefrist) aufgehoben werden, so dass die Frage, ob der Aufenthaltstitel nach § 51 Abs. 1 AufenthG erloschen ist, nicht beantwortet würde. Der Subsidiaritätsgedanke steht der Zulässigkeit einer Feststellungsklage nicht entgegen, wenn der Kern des mit ihr verfolgten Rechtschutzbekehrens in einem anderen Verfahren - hier: einer Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung - nur eine Vorfrage wäre und es dem Kläger um die Gesamtbeurteilung des Rechtsverhältnisses geht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 43 Rn. 29 mit weiteren Nachweisen). So liegt der Fall hier: Der Klägerin geht es nicht darum, zu wissen, ob die gegen sie ergangene Abschiebungsandrohung rechtmäßig war, sondern vielmehr darum, umfassend zu erfahren, ob ihr Aufenthaltstitel erloschen und ihr Aufenthalt in Deutschland damit rechtswidrig ist.
Das gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich hier daraus, dass die Klägerin Rechtssicherheit darüber haben muss, ob sie sich noch rechtmäßig in Deutschland aufhält (vgl. Schäfer, GK-AufenthG, § 51 Rn. 141).
Der Beklagte ist hier trotz des zweimaligen Umzugs der Klägerin in den Zuständigkeitsbereich anderer Ausländerbehörden auch weiterhin der richtige Klagegegner. Richtiger Klagegegner ist bei einer Feststellungsklage derjenige, gegenüber dem das streitige Rechtsverhältnis festgestellt werden soll und dem gegenüber dem das Feststellungsinteresse besteht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 43 Rn. 15 f.). Dies ist hier der Beklagte, der die umstrittene Niederlassungserlaubnis ausgestellt und seither mehrfach behauptet hat, dass diese erloschen sei.
Die Feststellungsklage ist aber unbegründet. Die Niederlassungserlaubnis der Klägerin ist gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Der Grund des Auslandsaufenthaltes und die Gründe dafür, dass der Ausländer nicht fristgerecht wieder eingereist ist, sind dabei grundsätzlich irrelevant (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09. April 2009 - 11 ME 484/08 - [...]; Urteil vom 27. März 2008 - 11 LB 203/06 -Juris; Schäfer, GK-AufenthG, § 51 Rn. 59, 61 - 63, 71).
Die materielle Beweislast hierfür trägt nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Beklagte. Denn er beruft sich darauf, dass ein zunächst wirksamer, die Kläger begünstigender Verwaltungsakt nachträglich erloschen ist und greift somit in bestehende Rechte der Klägerin ein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 108 Rn. 15). Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen des§ 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG würden somit zu Lasten des Beklagten gehen.
Es steht aber im vorliegenden Fall zur vollen Überzeugung des Einzelrichters fest, dass sich die Klägerin vom 12. Januar 2007 bis zum 8. August 2007 - und damit mehr als 6 Monate - in Indien aufgehalten hat.
Die Ein- und Ausreisestempel im Reisepass der Klägerin begründen in Verbindung mit der amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 10. Dezember 2009 eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass die Klägerin sich zwischen den im Pass eingetragenen Ein- und Ausreisedaten ununterbrochen in Indien aufgehalten hat und nicht, wie von ihr vorgetragen, dazwischen einmal nach Deutschland zurückgekehrt ist, ohne dass diese Reise von den indischen Grenzkontrollbehörden durch Ein- und Ausreisestempel dokumentiert wurde.
Eine tatsächliche Vermutung liegt vor, wenn aus bestimmten feststehenden Tatsachen nach der Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen bestimmten Geschehensablauf geschlossen werden kann (vgl. Hartmann, in Baumbach/ Lautherbach/ Albers/ Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Auflage, Anhang § 268 Rn. 14; Anders/ Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 7. Aufl., Rn. 351). Es spricht nichts dagegen, auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei der Beweiswürdigung auf dieses Rechtsinstitut zurückzugreifen.
Feststehende Tatsache ist hier, dass sich im Reisepass der Klägerin ein Einreisestempel der indischen Behörden vom 12. Januar 2007 und ein Ausreisestempel der indischen Behörden vom 8. August 2007 befinden. Aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10. Dezember 2009 geht ferner hervor, dass aus dieser Tatsache aufgrund der Erfahrungen der deutschen Botschaft in Indien mit hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass die von der Klägerin behauptete dazwischen liegende Aus- und Wiedereinreise über den Flughafen Delhi nicht stattgefunden hat. Denn nach Angaben des Auswärtigen Amtes dokumentieren die indischen Einreisebehörden am Flughafen in Neu-Delhi Ein- und Ausreisen erfahrungsgemäß sehr genau durch Stempel in den Pässen. Diese Einschätzung habe auch der Dokumentenberater der Bundespolizei, der regelmäßig am Flughafen in Neu-Delhi seinen Dienst verrichtet, dem Auswärtigen Amt bestätigt. Somit sind die Voraussetzungen einer tatsächlichen Vermutung gegeben.
Um diese Vermutung zu erschüttern bedarf es zwar nicht des vollen Beweises, dass die Klägerin vom 26. Februar bis zum 30. März 2007 in Deutschland war. Es müssten aber zumindest Umstände vorgetragen oder aus anderen Gründen für das Gericht ersichtlich sein, die es als ernsthaft möglich erscheinen lassen, dass die indischen Behörden im Fall der Klägerin abweichend von ihrer gewöhnlichen Praxis die Ein- und Ausreise nicht mit Stempeln im Reisepass dokumentiert haben (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1978 - VI ZR 15/77 - NJW 1978, 2032 f.; Anders/ Gehle, a.a.O.., Rn. 358, die natürlich jeweils die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegebene Möglichkeit, dass sich solche Umstände nicht aus dem Parteivortrag ergeben, sondern vom Gericht von Amts wegen ermittelt wurden, außer Acht lassen). Daran fehlt es hier völlig:
Entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigung, hat die Klägerin keinerlei Zeugen benannt, die sie im fraglichen Zeitraum in Deutschland gesehen haben. Ob der Vortrag der Klägerin aus der Klageschrift, dass an der indisch-nepalesischen Grenze keine Passkontrollen stattfinden, zutrifft, kann dahinstehen, weil die Klägerin später selbst vorgetragen hat, dass sie nicht über Nepal, sondern über den Flughafen von Neu Delhi mit einem Direktflug nach Frankfurt aus- und von dort über Zürich und den Flughafen Neu Delhi wieder nach Indien eingereist sei.
Die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung eines indischen Reisebüros über die Buchung eines Fluges von Delhi nach Frankfurt für den 26. Februar 2007 und eines Fluges von Frankfurt via Zürich nach Delhi für den 30. März 2007 hat schon deswegen für die hier interessierende Frage kaum Beweiswert, weil aus dieser Bescheinigung nicht hervorgeht, ob die Klägerin diese Flüge auch wirklich angetreten hat.
Irgendwelche anderen Unterlagen, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit in Deutschland anwesend war - etwa Urkunden über von ihr in dieser Zeit in Deutschland persönlich vorgenommene Rechtsgeschäfte - liegen ebenfalls nicht vor.
Und schließlich spricht auch der Inhalt der beigezogenen Scheidungsakte des Familiengerichts Nordenham (4 F 318/06 S) eher dafür, dass sich die Klägerin vom 12. Januar bis zum 8. August 2007 ununterbrochen in Indien aufgehalten hat. So wurde die persönliche Anhörung der Klägerin durch das Familiengericht auf Antrag beider Eheleute auf den 24. November 2006 vorgezogen, da die Klägerin mitgeteilt hatte, dass sie eine längere Reise nach Indien beabsichtige. Auch im Scheidungstermin vom 7. Februar 2007 hat der damalige Ehemann der Klägerin erklärt, dass diese wohl noch längere Zeit in Indien bleiben werde. Damit ist die Behauptung der Klägerin, sie sei bereits vom 26. Februar 2007 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, nur schwer vereinbar. Wenn die Klägerin wirklich schon Ende Februar 2007 nach Deutschland hätte zurückkehren wollen, hätte es näher gelegen, eine Verschiebung des Scheidungstermins um wenige Wochen anzuregen, anstatt die Klägerin aufwendig in einem vorgezogenen Termin getrennt von ihrem Ehemann anzuhören. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auch nicht dargelegt, dass ihre angebliche Rückkehr nach Deutschland am 26. Februar 2007 ein überraschendes Ereignis gewesen wäre, das sie bei der Gestaltung des Scheidungsverfahrens noch nicht vorhersehen konnte. Sie hat überhaupt keine nachvollziehbare Erklärung dafür benennen können, wieso sie den zeitlichen und finanziellen Aufwand, am 26. Februar 2007 nach Deutschland zurückzukehren und bereits am 30. März 2007 wieder nach Indien zu fliegen, auf sich genommen haben sollte. Ferner kann der Einzelrichter bei der Würdigung der Behauptungen der Klägerin nicht außer Acht lassen, dass sich aus dem Inhalt der Scheidungsakte ernsthafte Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit ergeben. Im Scheidungsverfahren hat die Klägerin gegenüber dem Familiengericht erklärt, dass sie schon seit Oktober 2005 von ihrem deutschen Ehemann getrennt lebe, während sie dies in ihrem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 27. Juni 2006 verschwiegen hat. Dies zeigt, dass die Klägerin durchaus bereit ist, gegenüber Ausländerbehörden falsche Angaben zu machen, wenn ihr dies Vorteile bringt.
Da somit zur vollen Überzeugung des Einzelrichters feststeht, dass sich die Klägerin länger als sechs Monate in Indien aufgehalten hat, ist ihre Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen.
Dabei ist unerheblich, dass die Ausländerbehörde im Falle einer rechtszeitigen Antragstellung wohl die Wiedereinreisefrist gemäß § 51 Abs. 4 AufenthG hätte verlängern müssen. Denn eine solche längere Frist kann von der Behörde nicht nachträglich bestimmt werden, um das bereits eingetretene Erlöschen des Aufenthaltstitels wieder rückgängig zu machen (vgl. Hess.VGH, Beschluss vom 16. März 1999 - 10 TZ 325/99 -, InfAuslR 1999, 454; VG Augsburg, Urteil vom 15. April 2009 - AU 6 K 08.1772 -, [...]). Im Übrigen ist eine solche Fristverlängerung hier schon deshalb nicht möglich, weil sie von der Klägerin bis heute nicht beantragt wurde. Im bisherigen Vorbringen der Klägerin gegenüber dem Beklagten und dem Verwaltungsgericht kann kein konkludenter Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist gesehen werden. Denn die Klägerin hat bislang immer bestritten, dass sie die gesetzliche Wiedereinreisefrist von sechs Monaten überschritten hat, so dass von ihrem Standpunkt aus betrachtet auch kein Bedürfnis für die Bestimmung einer längeren Frist bestehen kann.
§ 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG steht dem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis hier nicht entgegen. Denn die Klägerin lebte weder bei ihrer Ausreise aus Deutschland im Januar 2007 noch beim Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG noch bei ihrer Wiedereinreise nach Deutschland am 8. August 2007 mit einem deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft. Die Frage, auf welchen der drei vorgenannten Zeitpunkte es für § 51 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ankommt, kann daher dahinstehen. Zwar war die Klägerin bei ihrer Ausreise aus Deutschland am 12. Januar 2007 noch formal mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. § 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG greift aber nur ein, wenn über den formal-rechtlichen Bestand der Ehe hinaus auch noch eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. (vgl. Schäfer, GK-Aufenthaltsgesetz, § 51 Rn. 92). Die Klägerin lebte aber nach den übereinstimmenden Angaben beider Ehegatten im Scheidungsverfahren bereits seit Oktober 2005 von ihrem Ehemann getrennt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.