Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.10.2024, Az.: 9 U 75/23
Keine Ergänzung eines Prozessvergleichs; Gegenstand eines Vergleichs im Hinblick auf an Dritte übergegangene Ansprüche
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.10.2024
- Aktenzeichen
- 9 U 75/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 25369
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2024:1021.9U75.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - AZ: 4 O 4092/18
Rechtsgrundlagen
- § 256 ZPO
- § 278 Abs. 6 ZPO
- § 319 ZPO
- § 321 ZPO
- § 794 Abs. 1 ZPO
- § 412 BGB
- § 86 VVG
- § 116 SGB X
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein verfahrensbeendender Prozessvergleich kann nicht durch gerichtliche Entscheidung ergänzt werden.
- 2.
Ist der Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO zutreffend festgestellt, ist eine Ergänzung auch nicht im Wege der Berichtigung möglich.
- 3.
Sind durch einen Prozessvergleich nach dessen Regelung "alle gegenseitigen Ansprüche aus dem zugrundeliegenden Rechtsstreit abgegolten" und hat der Kläger mit der Klage nur eigene Leistungsansprüche sowie einen Feststellunganspruch für zukünftige Ansprüche mit der üblichen Einschränkung "soweit nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden" geltend gemacht, so bedarf es in dem Vergleich ohnehin nicht noch zusätzlich einer ausdrücklichen Regelung, wonach auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte (z. B. eine private Krankenversicherung) von Gesetzes wegen übergegangene oder zukünftig übergehende Ansprüchen nicht Gegenstand des Vergleichs sind.
In dem Rechtsstreit hatte der Kläger jeweils aus eigenem Recht gegen den Beklagten aufgrund behauptet fehlerhafter ärztlicher Behandlung materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die auf die angeblich fehlerhafte Behandlung zurückzuführen sind, geltend gemacht. Von seinem Feststellungsbegehren waren dabei "Ansprüche, die auf Dritte, insbesondere Versicherungen oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden", ausdrücklich ausgenommen. Unter Abweisung der Klage im Übrigen gab das Landgericht in seinem Grund- und Teilurteil dem Antrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes dem Grunde nach statt. Auf die Berufung des Beklagten unterbreitete das Oberlandesgericht den Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zur Zahlung eines Betrages unter Vereinbarung einer Kostenquote. Der Vergleichsvorschlag enthielt außerdem die Regelung: "Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem zugrundeliegenden Rechtsstreit abgegolten." Nachdem die Parteien diesen Vergleichsvorschlag schriftsätzlich angenommen hatten, stellte das Oberlandesgericht dementsprechend den Vergleich mit dem identischen Wortlaut wie vorgeschlagen als zustandgekommen durch Beschluss gemäß § 278 Abs. 6 ZPO fest. Vier Tage nach Zustellung beantragt der Kläger den im Beschluss festgestellten Vergleichstext wie folgt zu berichtigen "bzw." zu ergänzen: "4. Nicht Gegenstand des Vergleichs sind Ansprüche, die von Gesetzes wegen auf die private Krankenversicherung oder andere Dritte übergegangen sind oder künftig übergehen werden."
In dem Rechtsstreit
Dr. med. S.,
- Beklagter und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Sch.
gegen
W.,
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin Dr. K.
hat das Oberlandesgericht Braunschweig - 9. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brand, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer-Altmann und den Richter am Landgericht Wieder am 21. Oktober 2024 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Klägers vom 8.10.2024, den gem. § 278 Abs. 6 ZPO vergleichsfestsstellenden Senatsbeschluss vom 30.9.2024 dahingehend zu berichtigen "bzw." zu ergänzen, dass eine weitere Vergleichsregelung "4. Nicht Gegenstand des Vergleichs sind Ansprüche, die von Gesetzes wegen auf die private Krankenversicherung oder andere Dritte übergegangen sind oder künftig übergehen werden." hinzugesetzt wird, wird
zurückgewiesen.
Gründe
Die Voraussetzungen für eine Berichtigung oder Ergänzung liegen nicht vor.
Eine Berichtigung kommt lediglich bei einer fehlerhaften Niederlegung einer Entscheidung - hier des Beschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO - in Form einer Abweichung zwischen dem von dem Gericht Gewollten und dem vom Gericht Erklärten (vgl. BGH NJW 1985, 742 [BGH 12.01.1984 - III ZR 95/82]) in Betracht; eine Ergänzung i. S. v. § 321 ZPO verlangt, dass das Gericht beim Fällen eines Urteils oder bei einer Beschlussfassung etwas übergangen hat.
An alldem fehlt es vorliegend:
Die Parteien haben den Vergleichsvorschlag des Senats (Beschluss vom 15.5.2024, S. 9 = Bl. 45 NHA) durch Schriftssätze des Klägers vom 5.6.2024 (Bl. 62 NHA) und 10.9.2024 (Bl. 6 RHA) sowie den Schriftsatz des Beklagten vom 27.9.2024 (S. 3 = Bl. 20 RHA) exakt genau so angenommen, wie er ihnen zuvor vorgeschlagen worden ist. Der Feststellungsbeschluss vom 30.9.2024 (Bl. 22f. RHA) stimmt damit ebenfalls genau überein.
Unabhängig davon ist eine Ergänzung eines Vergleichs durch ein Gericht bereits nicht statthaft. Ein Vergleich ist ein von den Parteien vor Gericht geschlossener Vertrag (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 35. Aufl., Rn. 3ff.), den das Gericht nicht durch Beschluss ändern kann (OLG Nürnberg MDR 2003, 652).
Vorsorglich wird auf Folgendes hingewiesen:
Der nunmehr nachträglich vom Kläger zu Ziffer 4 gewünschte Zusatz ist rechtlich überflüssig. Die Zahlung zu Ziffer 1 und Abgeltungsregelung unter Ziffer 2 beziehen sich allein auf alle "gegenseitigen" Ansprüche "aus dem zugrundeliegenden Rechtsstreit". Das erfasst logisch nur Ansprüche der Parteien. Den gesetzlich auf die private Krankenversicherung oder andere Dritte übergegangenen Ansprüchen fehlte es jeweils wechselseitig an der Aktivlegitimation der Parteien, um Ansprüche "der Parteien" zu sein. Solche Ansprüche konnten damit auch keine "gegenseitigen" sein, mithin auch nicht "aus dem zugrundeliegenden Rechtsstreit". Das gilt auch für zukünftige Ansprüche. Denn erfasst sind von Vergleichsziffer 2 zukünftige Ansprüche auch nur "aus dem zugrundeliegenden Rechtsstreit". Im vorliegenden Rechtstreit anhängig waren die etwaigen zukünftigen Ansprüche nur in Form der beantragten Feststellung, die aber bereits jeweils die gesetzlich auf Dritte, insbesondere Versicherungen oder Sozialversicherungsträger übergegangene oder übergehenden Ansprüche von vornherein ausdrücklich ausgenommen hat ("mit Ausnahme", vgl. Klagesschrift S. 2, Ziffer 3 = Bl. 2 d.A.; LGU S. 7 = Bl. 399 d.A.).
Mit anderen Worten: Die mit Schriftsatz vom 8.10.2024 - ohne Erfolg - vom Senat begehrte Zusatzregelung wäre eine rein deklaratorische, die nur die ohnehin bereits bestehende Rechtslage ausdrückt. Sie ist daher auch nicht erforderlich.
Sollten die Parteien das anders sehen, steht es ihnen frei, diese außergerichtlich noch zu vereinbaren. Im vorliegenden, durch den Vergleich endgültig beendeten (vgl. Zöller/Geimer, a.a.O., Rn. 13) Rechtsstreit ist dafür aus den oben genannten Gründen unter Beteiligung des Gerichts jedenfalls kein Raum mehr
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gesonderte gerichtliche oder anwaltliche Gebühren sind nicht angefallen.