Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 30.12.2004, Az.: 6 B 6902/04

Förderschule; Maßstab; sonderpädagogische Förderung; sonderpädagogischer Förderbedarf; vorläufiger Rechtsschutz; Überweisung an Förderschule

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
30.12.2004
Aktenzeichen
6 B 6902/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50820
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Lassen sich die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage gegen die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bei summarischer rechtlicher Prüfung im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz nicht abschließend beurteilen, tritt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der mit einer Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs verbundenen Förderschulüberweisung regelmäßig hinter das Interesse des Schülers, vor dem Vollzug der Überweisung in die Förderschule zunächst den Ausgang des Klageverfahrens abzuwarten, zurück.

2. Maßstab für die Beurteilung, ob die individuellen Lernmöglichkeiten einer Schülerin bzw. eines Schülers im Sekundarbereich I über einen längeren Zeitraum über den Klassen- und Förderunterrichts der Regelschule hinausgehende Hilfen erfordern, sind die Lernzielanforderungen der Hauptschule.

Gründe

1

I. Der am G.. März 1990 geborene Antragsteller besuchte im Schuljahr 1996/1997 nach seiner Zurückstellung vom Schulbesuch einen Schulkindergarten. In den Schuljahren 1997/1998 bis 2001/2002 besuchte er unter Wiederholung der 2. Klasse eine Grundschule in H.. Anschließend ging er auf die Orientierungsstufe I. in H. über, wo er den 5. und 6. Schuljahrgang durchlief. Mit Auflösung der Orientierungsstufe erfolgte sein Übergang auf eine Hauptschule in H..

2

Bereits im Verlauf des Schuljahres 2002/2003 hatte die Orientierungsstufe I. ein Beratungsgutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs eingeholt, allerdings ohne zuvor einen diesbezüglichen Beschluss der zuständigen Klassenkonferenz herbeizuführen. Auf der Grundlage eines Beratungsgutachtens der Schule J., einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernhilfe in H., hatte die Antragsgegnerin unter dem 22. Mai 2003 einen sonderpädagogischen Förderbedarf des Antragstellers im Bereich des Lernens festgestellt und den Schüler in die Schule J. überwiesen. Dem dagegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers hatte die Antragsgegnerin wegen des Verfahrensfehlers der Schule abgeholfen.

3

Am 4. März 2004 beschloss die Klassenkonferenz der von dem Antragsteller inzwischen besuchten Klasse 6k der Orientierungsstufe I. die (erneute) Einleitung eines Verfahrens auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Grundlage der Konferenzentscheidung waren zum vorangegangenen Schulhalbjahr bewertete mangelhafte Leistungen des Schülers in den Fächern Deutsch, Welt u. Umweltkunde, Biologie, Physik und Werte u. Normen, ungenügende Leistungen in der Rechtschreibung, ausreichende Leistungen in Mathematik und Englisch, sowie befriedigende Leistungen im Werken und gute Leistungen im Sport (Bl. 84 Beiakte A, Ordnerteil 2). Ferner lagen der Klassenkonferenz schriftliche Berichte der den Antragsteller unterrichtenden Fachlehrkräfte vor. In den Berichten heißt es unter anderem, dass der Schüler Gelerntes nur über einen kurzen Zeitraum behalten und wiedergeben könne, dass er Schwierigkeiten bzw. große Probleme damit habe, dem Unterricht zu folgen, dass ihm kaum die inhaltliche Verarbeitung des Fachunterrichts gelinge und er als mit dem Lerntempo und den Lernanforderungen der Orientierungsstufe überfordert eingeschätzt werde.

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Das von der Orientierungsstufe eingeholte Beratungsgutachten der Schule J. vom 20. April 2004 empfiehlt den Wechsel des Antragstellers an eine Schule für Lernhilfe. Es kommt - die Einzelergebnisse der Begutachtung zusammenfassend - zu dem Schluss, dass der Antragsteller trotz intensiver Nachhilfe weiterhin Lerndefizite habe, welche in die Klasse 4 zurückreichten. Dieses beruhe auf erheblichen Einschränkungen im Bereich der persönlichen Lernvoraussetzungen, insbesondere der Merkfähigkeit des Antragstellers. Ihm gelinge es nur sehr schlecht, komplexere Sachverhalte dauerhaft zu speichern und abzurufen. Selbst alltägliche Begriffe aus seinem eigenen Wortschatz könne er nicht immer spontan abrufen. Seine Schwierigkeiten, logische Zusammenhänge zu erkennen und zu beschreiben, wirkten sich maßgeblich auf das Verständnis von Sachtexten und Textaufgaben seiner Klassenstufe aus. Auch die Ergebnisse der durchgeführten Intelligenztests wiesen klar auf eine grundlegende Beeinträchtigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Lernmöglichkeiten hin. Dagegen ließen sich die Schwierigkeiten des Antragstellers nicht auf eine Entwicklungsverzögerung aufgrund seiner Zweisprachigkeit (türkisch/deutsch) zurückführen, da sich dieselben Verständnisschwierigkeiten auch im muttersprachlichen Unterricht des vergangenen Schuljahres gezeigt hätten.

5

Der Antragsteller benötige besondere Lernbedingungen. Deshalb reichten reine Nachhol- und Übungssequenzen nicht aus, um seine Lerndefizite auszugleichen. Insoweit habe auch der intensive Nachhilfeunterricht des Schülers nicht zu einer deutlichen Verbesserung geführt. Die Bedingungen, die ein Unterricht des Antragstellers an die Lerninhalte und das Lerntempo stelle, könnten nur in einer Schule für Lernhilfe geschaffen werden.

6

Der Empfehlung des Beratungsgutachtens folgend stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15. Juni 2004 einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich des Lernens fest. Zugleich überwies sie den Antragsteller mit Wirkung vom 1. August 2004 in die Schule J. als Schule für Lernhilfe in H..

7

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch. Nachdem die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren eine Stellungnahme ihrer Schulpsychologin sowie einen Leistungsstandbericht der Klassenlehrerin der von dem Antragsteller besuchten 7. Klasse der Hauptschule eingeholt hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2004 unter Hinweis auf die in dem Beratungsgutachten vom 4. März 2004 wiedergegebenen Feststellungen als unbegründet zurück. Zugleich ordnete sie die sofortige Vollziehung der Überweisung des Antragstellers in die Schule für Lernhilfe an.

8

Der Antragsteller hat am 1. Dezember 2004 im Hauptsacheverfahren 6 A 6903/04 Klage erhoben und zugleich im vorliegenden Verfahren um vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug der Förderschulüberweisung nachgesucht.

9

Der Antragsteller trägt unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren vor, das Beratungsgutachten vom 20. April 2004 dürfe zur Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht herangezogen werden, weil es seine besonderen individuellen Lebensumstände vernachlässige. Das Gutachten berücksichtige nicht, dass seine Eltern berufstätig seien und ihn deshalb nicht fördern könnten, weshalb er seine Freizeit überwiegend mit Freunden verbringe. Zumindest hätte ein Gespräch mit ihm, dem Antragsteller, geführt werden müssen. Seine schlechten Leistungen im letzten Schuljahr beruhten darauf, dass er die Schule boykottiert habe, weil er sich dort nicht wohl gefühlt habe. Dieses sei in seiner neuen Schule, der Hauptschule in H., ganz anders. Dort sei es den Lehrkräften gelungen, Zugang zu ihm zu finden, was sich inzwischen in guten bis ausreichenden schriftlichen Leistungen ausdrücke. Demgegenüber habe er nach dem Besuch der Schule J. über Magen-, Bauch- und Kopfschmerzen geklagt. Aus diesem Grund sei ihm bis zum 30. November 2004 vom Arzt Schulunfähigkeit bescheinigt worden. Außerdem befinde er sich seit dem 29. November 2004 in jugendpsychiatrischer Behandlung.

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Der Antragsteller beantragt,

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die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2004 und deren Widerspruchsbescheid vom 18. November 2004 wiederherzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vor, dass der Antragsteller nach übereinstimmender Stellungnahme aller ihn unterrichtenden Lehrkräfte der Orientierungsstufe Schwierigkeiten beim Arbeitstempo und bei der deutschen Grammatik habe und als sehr leistungsschwacher Schüler gesehen werde. Gelerntes könne er nur über einen kurzen Zeitraum behalten und Textaufgaben nicht ohne Hilfestellung lösen. Er benötige deshalb eine kleinere Lerngruppe sowie langsameres Vorangehen im Unterricht; insoweit könne er in einer Regelschulklasse nicht ausreichend gefördert werden. Aus seinem aktuellen Zensurenstand in der Hauptschule sei eine deutliche Steigerung seiner Leistung nicht zu erkennen. Zum einen sei der bisherige Beobachtungsstand vom 10 Wochen zu kurz, zum anderen seien die Leistungsanforderungen an der Hauptschule anders.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Beiakte A) Bezug genommen.

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II. Der ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist begründet.

17

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt regelmäßig aufschiebende Wirkung. Hat die Behörde zur Vermeidung dieses Suspensiveffekts wie im vorliegenden Fall die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich angeordnet, muss dafür ein besonderes Vollzugsinteresse vorliegen. Demzufolge ist im gerichtlichen Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen, wenn die Abwägung der widerstreitenden Interessen einerseits des Rechtsschutzsuchenden, den Vollzug des Verwaltungsakts bis zum Ergehen einer Entscheidung im anhängigen Hauptsacheverfahren vorläufig abzuwenden, und andererseits der Behörde an der Durchsetzung der angefochtenen Maßnahme ergibt, dass ein über das regelmäßige Vollzugsinteresse hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes nicht besteht.

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Dem vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist stattzugeben, weil ein besonderes Interesse daran, den angefochtenen Bescheid vom 15. Juni 2004 abweichend von der gesetzlichen Regel des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO sofort zu vollziehen, nach dem bisher bekannten Sach- und Streitstand nicht gegeben ist.

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Ein besonderes Vollzugsinteresse lässt sich insbesondere nicht damit begründen, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2004 offensichtlich rechtmäßig wäre und die im Hauptsacheverfahren erhobene Klage daher voraussichtlich keinen Erfolg hätte. Vielmehr lassen sich die Erfolgsaussichten der im Hauptsacheverfahren 6 A 6903/04 erhobenen Klage bei summarischer rechtlicher Prüfung mit Verbindlichkeit für das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz nicht abschließend beurteilen; sie sind vielmehr offen. Unter diesen Voraussetzungen überwiegt das Interesse des Antragstellers, vor dem Vollzug einer möglicherweise später gerichtlich aufzuhebenden Überweisung in die Förderschule zunächst den Ausgang des Klageverfahrens abzuwarten, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und der damit verbundenen Förderschulüberweisung. Hätte die Klage später Erfolg, wögen die Nachteile für den Antragsteller, die dadurch entstehen können, dass er für einen längeren Zeitraum nicht an dem Unterricht der von ihm gewählten Schulform (Hauptschule) teilgenommen hat, wesentlich schwerer als die Vorteile, die ihm mit einem eventuelle Lerndefizite besser ausgleichenden Unterricht an der Förderschule geboten werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.4.1997, Nds. Rpfl. S. 126).

20

Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2004 stützt sich auf die Rechtsgrundlage des § 68 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 NSchG. Er setzt danach voraus, dass der Antragsteller im Bereich des Lernens einer sonderpädagogischen Förderung bedarf (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG), die nur an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen gewährleistet ist. Für die Beurteilung der Frage, ob dieses der Fall ist, ist nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschluss vom 10.9.2003 - 6 B 3431/03 -) auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also im Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2004, abzustellen.

21

Dass der Antragsteller im Bereich des Lernens einer sonderpädagogischen Förderung bedarf, kann das Gericht nach dem bisher bekannten Sachstand dem Beratungsgutachten der Schule J. vom 20. April 2004 und den ihm zugrunde liegenden Berichte der Lehrkräfte der Orientierungsstufe I. nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit entnehmen. Der Antragsteller weist unter Hinweis auf die Ergänzenden Bestimmungen zur VO-SF (Erlass des MK vom 6.11.1997, SVBl. S. 385, - Erg. Best. VO-SF -) zu Recht darauf hin, dass die Unterlagen, die von der Orientierungsstufe im Verfahren auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs der Schule J. vorgelegt worden sind, ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge unvollständig sind. Sie enthalten offenbar nicht den nach Nr. 5 der Erg. Best. - VO-SF - vorausgesetzten Bericht der Schule mit den darin enthaltenen Ausführungen zu den Rahmenbedingungen, zur bisherigen persönlichen Entwicklung, zu den individuellen Lernvoraussetzungen, zu schulischen und außerschulischen Fördermaßnahmen sowie zum Umfeld des Schülers. Insbesondere beschränkt sich der stichwortartige Bericht der Klassenlehrerin (Bl. 17 Beiakte A) allein auf den Leistungsstand im Fach Deutsch.

22

Das Fehlen dieses Berichtes allein würde zwar noch nicht das Ergebnis des Beratungsgutachtens vom 20. April 2004 in Zweifel ziehen, denn der das Gutachten erstellende Sonderschullehrer Reimann hat insoweit, wie seine Ausführungen auf Seiten 2 bis 4 des Gutachtens zeigen, in dieser Hinsicht eigene Feststellungen getroffen.

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Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Gutachters, dass bei dem Antragsteller (weiterhin) ein umfangreicher sonderpädagogischer Förderbedarf bestehe (Ziffer 5., Seite 8 des Beratungsgutachtens), können sich aber daraus ergeben, dass nicht hinreichend deutlich wird, an welchem Maßstab die Lerndefizite des Antragstellers und der daraus abgeleitete besondere Förderbedarf gemessen worden sind. Im Einklang mit der Definition in Nr. 1 der Eg. Best. VO-SF besteht ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich des Lernens dann, wenn die individuellen Lernmöglichkeiten einer Schülerin bzw. eines Schülers über einen längeren Zeitraum besondere Hilfen erfordern, welche mit den Mitteln des Klassen- und Förderunterrichts der Regelschule nicht bedarfsentsprechend geleistet werden können (Nr. 2. der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zum Förderschwerpunkt Lernen, - KMK-Beschluss vom 1.10.1999 -).

24

Besondere Hilfen sind danach erforderlich, wenn ohne sie die Ziele und Inhalt der Lehrpläne der Regelschulen nicht oder nur ansatzweise erreicht werden. Die Beantwortung der Frage, auf welche Lehrpläne dabei abgestellt werden muss, folgt aus der Gliederung des Schulwesens und der Durchlässigkeit der Schulformen. Maßstab bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs muss danach sein, ob die bei einer Schülerin oder einem Schüler vorliegenden Lerndefizite so schwerwiegend sind, dass ohne eine besondere pädagogische Förderung im Primarbereich die Lernziele der Grundschule und im Sekundarbereich I der Hauptschule nicht oder nur ansatzweise erreicht werden. Ob das Beratungsgutachten vom 20. April 2004 bei der Auswertung der Ergebnisse der Untersuchungen zum Stand des Schülers in den schulischen Lernbereichen (Seiten 6 und 7 des Gutachtens) den Lernzielanforderungen der Hauptschule Rechnung getragen hat, lässt sich dem Gutachten nicht unmittelbar, sondern allenfalls indirekt entnehmen. Insoweit findet sich in der Zusammenfassung lediglich die Aussage, dass die (seinerzeit) festgestellten Lerndefizite in die 4. Klasse der Grundschule zurückreichen sowie ferner die Aussage, dass die Hauptschule die für den Antragsteller zu schaffenden Bedingungen an Lerninhalte und Lerntempo nicht schaffen könne.

25

Dem widersprechen aber folgende Umstände:

26

Am 17. November 2004 und damit noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides hatte der Antragsteller in der Hauptschule ausweislich der Aufstellung der Hauptschule I. vom 22. Dezember 2004 (Bl. 104 der Gerichtsakte) einen Leistungsstand erreicht, der mit Ausnahme der Note mangelhaft in den Fächern Arbeit und Wirtschaft, Physik sowie Werte und Normen in allen übrigen acht Fächern mit den Noten gut bis ausreichend bewertet worden ist. Insbesondere hat sich in den Fächern Deutsch (ausreichend), Biologie (befriedigend) und geschichtlich-soziale Weltkunde (ausreichend) eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Notenstand in der Orientierungsstufe ergeben, und die schriftlichen Leistungen des Antragstellers waren der Stellungnahme der Hauptschule zufolge durchweg ausreichend. Auch wenn der Antragsteller jetzt ausweislich der Stellungnahme der Hauptschule in einer Lerngruppe befindet, in der gegenüber der Orientierungsstufe relativ verminderte Leistungsanforderungen gestellt werden, so drücken die - mit Ausnahme der Note im Fach Physik - erzielten Noten ausreichend bzw. befriedigend in den drei Fachbereichen Sprachen, Mathematik-Naturwissenschaften und geschichtlich-soziale Weltkunde, die den wesentlichen Teil des Curriculums der Hauptschule darstellen, einen Leistungsstand des Schülers aus, der über einen nur ansatzweisen Erfolg der Vermittlung von Lerninhalten der Hauptschule deutlich hinausgeht. Die Note „ausreichend“ kennzeichnet, wenn sie nicht nur aus „pädagogischen Gründen“ oder anderen Motiven erteilt wird, eine Leistung, die im Ganzen den Anforderungen der Hauptschule noch entspricht (Nr. 3.4.1 des RdErl. des MK vom 24.5.2004, SVBl. S. 305).

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Die Frage, ob diese im Verlauf des Widerspruchsverfahrens eingetretene Verbesserung des Notenbildes nur die Folge einer mit dem Übergang auf die Hauptschule verbundenen vorübergehenden Reduzierung der Leistungsanforderungen ist und deshalb nicht im weiteren Verlauf des gegenwärtigen Schuljahres Bestand haben wird, muss der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Gegen eine solche Prognose könnte zum einen sprechen, dass bis zum Beurteilungsstichtag (17.11.2004) bereits 11 der insgesamt 19 Schulwochen des ersten Schulhalbjahres 2004/2005 verstrichen waren und somit ein beurteilungsrelevanter Zeitraum vorhanden ist. Zum anderen spricht gegen eine nur kurze Dauer der eingetretenen Verbesserung des Leistungsstandes, dass der Antragsteller schon vor der Einleitung des Verfahrens auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im ersten Halbjahr des 6. Jahrgangs der Orientierungsstufe nach Einstufung in den C-Kurs und damit nach der für die Schulform vorgesehenen Reduzierung der Leistungsanforderungen seine durchschnittlichen Leistungen in den Fächern Fremdsprache (Englisch) und Mathematik von zuvor mangelhaft auf ausreichend verbessert hatte. Dieses, obwohl er ausweislich der ihm im 4. Schuljahr erteilten Zeugnisse im Unterschied zu den übrigen Grundlehrgängen der Grundschule im Fach Mathematik nur schwach ausreichende Leistungen erzielt hatte, folglich mit ungünstigen Voraussetzungen in diesem Fach in die Orientierungsstufe übergegangen war.

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Unter diesen Umständen bedarf es im Hauptsacheverfahren näherer Feststellungen dazu, ob das Beratungsgutachten vom 20. April 2004 zum einen im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides die tatsächlichen Lerndefizite des Antragstellers noch hinreichend aktuell wiedergibt und zum anderen den spezifischen Lernanforderungen der Hauptschule ausreichend Rechnung trägt.