Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.04.2013, Az.: 1 Ws 115/13 (StrVollz)

Grundsätze zur Rechtfertigung der vorübergehenden Speicherung von Bildaufzeichnungen kameraüberwachter Gefangenenbesuche zum Zweck der nachträglichen Aufklärung und zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.04.2013
Aktenzeichen
1 Ws 115/13 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 37395
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0423.1WS115.13STRVOLLZ.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 22.02.2013 - AZ: 17a StVK 479/12

Fundstellen

  • NStZ 2014, 626
  • StRR 2013, 243
  • StV 2014, 355-356
  • ZfStrVo 2013, 393-394

Amtlicher Leitsatz

Die vorübergehende Speicherung von Bildaufzeichnungen kameraüberwachter Gefangenenbesuche durch die Vollzugsbehörde zu dem Zweck, nachträglich Verstöße oder Vorfälle aufklären zu können, die nicht durch zeitgleiche Überwachung festgestellt werden konnten, ist zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt nach § 191 Abs. 1 und Abs. 2 NJVollzG gerechtfertigt.

In der Strafvollzugssache
des A. D.,
geboren am xxxxxx 1959 in S.,
zurzeit in der JVA C., Abteilung S.,
- Antragstellers -
gegen die Justizvollzugsanstalt C.,
vertreten durch den Anstaltsleiter,
- Antragsgegnerin -
wegen Speicherung von Bildaufzeichungen kameraüberwachter Besuche
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle vom 22. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und die Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und xxxxxx am 23. April 2013
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet verworfen.

  2. 2.

    Der Streitwert wird auf 300,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt C., Abteilung S., und wandte sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 5. Dezember 2012 dagegen, dass die Antragsgegnerin die Bilder der im Besuchsraum der Anstalt angebrachten Überwachungskamera aufzeichnet und speichert.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag mit Beschluss vom 22. Februar 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Die Speicherung der Aufzeichnungen sei nach § 191 Abs. 1 NJVollzG zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt gerechtfertigt. Nach den getroffenen Feststellungen werden die Videoaufzeichnungen von der Antragsgegnerin für jeweils fünf Tage gespeichert, um nachträglich Verstöße oder Vorfälle aufklären zu können, die - zum Beispiel aufgrund krankheitsbedingter Ausfälle von Bediensteten oder wegen erhöhten Arbeitsanfalls - nicht durch zeitgleiche Überwachung festgestellt werden konnten.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er macht insbesondere geltend, dass es sich bei den Aufzeichnungen nicht um Daten im Sinne von §§ 179 ff. StVollzG handele, weil damit nur personenbezogene Daten des Gefangenen gemeint seien.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Sie ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Der Senat hat bislang nur entschieden, dass die Speicherung von Bildaufzeichnungen überwachter Besuche der Gefangenen nicht auf § 28 Abs. 1 NJVollzG als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - 1 Ws 366/10 (StrVollz), Nds. Rpfl. 2010, 387).

2. Die Rechtsbeschwerde ist indes nicht begründet.

a) Eine den formellen Anforderungen nach § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG genügende Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden. Es ist nicht nachvollziehbar, welcher Rechtsfehler mit der "Verletzung von Verfahrensvorschriften im gegenständlichen Bescheidungsverfahren zur Antragstellung zu obigem Aktenzeichen" gerügt werden soll.

b) Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler auf.

Die Strafvollstreckungskammer hat zutreffend darauf erkannt, dass sich die gesetzliche Ermächtigung für die Speicherung der Bildaufzeichnungen aus § 191 NJVollzG ergibt. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift ist das Speichern personenbezogener Daten zulässig, wenn es zur Erfüllung von Aufgaben nach dem NJVollzG erforderlich ist und die Daten zu diesem Zweck erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

aa) Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer werden die Bildaufzeichnungen von der Antragsgegnerin für jeweils fünf Tage gespeichert, um nachträglich Verstöße oder Vorfälle aufklären zu können, die - zum Beispiel aufgrund krankheitsbedingter Ausfälle von Bediensteten oder wegen erhöhten Arbeitsanfalls - nicht durch zeitgleiche Überwachung festgestellt werden konnten. Danach ist die Speicherung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt - und damit zur Erfüllung von Aufgaben nach § 28 Abs. 1 NJVollzG, zu deren Zweck sie regelmäßig auch erhoben worden sind, - gerechtfertigt. Zwar hat der Senat in seinem Beschluss vom 11. August 2010 - 1 Ws 366/10 (StrVollz) - darauf hingewiesen, dass die optische Überwachung der Gefangenenbesuche gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere dazu dient, "die Übergabe unerlaubter Gegenstände im Besuchsraum feststellen zu können"(vgl. LT-Drucks. 15/3565 S. 113), was es regelmäßig angezeigt erscheinen lassen wird, diese Feststellung zeitnah zu treffen, bevor sich die mit den verbotenen Gegenständen verbundenen Gefahren realisiert haben (z.B. bei Betäubungsmitteln durch ihren Konsum oder bei Waffen durch ihren Einsatz). Der Senat hat jedoch auch ausgeführt, dass dadurch eine Speicherung der Aufzeichnungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Auch eine spätere Feststellung, ob unerlaubte Gegenstände im Besuchsraum übergeben worden sind oder sich dort andere sicherheitsrelevante Vorkommnisse ereignet haben, kann sinnvoll sein, weil sich nicht in jedem Fall die damit begründete Gefahr sofort realisieren muss. So kann etwa mit der heimlichen Übergabe eines Mobiltelefons eine dauerhafte Gefahr für die Sicherheit der Anstalt bestehen.

bb) Vor diesem Hintergrund ist die Speicherung der Aufzeichnungen hier auch dann gerechtfertigt, wenn ihre Erhebung im Einzelfall zu einem anderen Zweck erfolgte. Denn gemäß § 191 Abs. 2 NJVollzG ist eine Speicherung von Daten auch für andere Zwecke zulässig, wenn die Daten auch für die geänderten Zwecke hätten erhoben werden dürfen. Nach den Gesetzesmaterialien (vgl. LT-Drucks. 15/4325 S. 69 f.) umfasst § 191 Abs. 2 NJVollzG auch die in § 180 Abs. 8 StVollzG enthaltene bundesrechtliche Regelung, die die Speicherung von bei der Überwachung der Besuche bekannt gewordenen personenbezogenen Daten u. a. zur Wahrung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt erlaubt (vgl. auch Schmid, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG 6. Aufl. § 180 Rn. 88; Arloth StVollzG 3. Aufl. § 191 NJVollzG Rn. 2). Sie deckt damit auch den vorliegenden Sachverhalt ab.

cc) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, dass es sich bei den Bildaufzeichnungen der Besuche nicht um Daten im Sinne von §§ 179 ff. StVollzG handele, weil damit nur personenbezogene Daten des Gefangenen gemeint seien, kann ihr nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass hier das niedersächsische Vollzugsrecht anzuwenden ist, sehen weder § 191 NJVollzG noch die entsprechende Regelung in § 180 Abs. 8 StVollzG eine Beschränkung der Speicherermächtigung auf personenbezogene Daten des Gefangenen vor, sondern verwenden den Begriff der Daten allgemein. Es liegt zudem in der Natur der Sache, dass die Speicherung von bei der Überwachung der Besuche bekannt gewordenen personenbezogenen Daten auch diejenigen der Besucher erfasst. Dass der Gesetzgeber die Daten der Besucher eines Gefangenen nicht von der Speicherermächtigung des § 191 NJVollzG ausgenommen hat, ergibt sich zudem aus einem Vergleich mit § 190 Abs. 3 NJVollzG, der sich ausdrücklich mit der Erhebung personenbezogener Daten von Personen, die nicht Gefangene sind, außerhalb der Anstalt befasst. Hieran zeigt sich, dass der Gesetzgeber es im Gesetz ausdrücklich erwähnt hat, wenn er Datenschutzbestimmungen auf einen bestimmten Personenkreis beschränken wollte. Schließlich fallen auch Bildaufzeichnungen unter den Begriff der personenbezogenen Daten im Sinne des Gesetzes. Dies ergibt sich schon aus § 190 Abs. 2 Satz 4 NJVollzG, der die Datenerhebung durch verdeckte Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen regelt.

dd) Die Strafvollstreckungskammer hat schließlich auch mit Recht darauf erkannt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Speicherung nicht entgegensteht. Da die Speicherung nur offen angefertigte Bildaufzeichnungen ohne Tonmitschnitt betrifft, handelt es sich angesichts der kurzen Speicherdauer nicht um einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers und seiner Besucher von solchem Gewicht, dass die Belange der Allgemeinheit, deren Sicherung die Maßnahme dient, dahinter zurücktreten müssten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.

Die Festsetzung des Streitwert beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.