Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 29.10.2019, Az.: L 7 AS 15/17 B

Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren; Vereitelung eines Erstattungsanspruchs gegen einen Dritten; Treuwidriges Verhalten; Nachteil für die Staatskasse

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.10.2019
Aktenzeichen
L 7 AS 15/17 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 44541
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 27.01.2017 - AZ: S 58 SF 420/15 E

Fundstellen

  • FA 2020, 53
  • RENOpraxis 2020, 60
  • ZAP EN-Nr. 72/2020
  • ZAP 2020, 126

Redaktioneller Leitsatz

1. Nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 BGB widerspricht es Treu und Glauben, wenn der Rechtsanwalt aus der Staatskasse auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung eine Vergütung fordert, obwohl er oder der Mandant entgegen der gesetzlichen Verpflichtung aus § 59 RVG, die Staatskasse bei der Beitreibung von auf sie übergegangenen Ansprüchen gegen einen potentiell erstattungspflichtigen Dritten zu unterstützen, dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und vielmehr ohne hinreichenden sachlichen Grund einen solchen Erstattungsanspruch sogar von vornherein unmöglich gemacht hat.

2. Der Rechtsanwalt oder der Mandant muss in dem Wissen um einen Nachteil für die Staatskasse gehandelt haben, ohne dass hierfür ein hinreichender sachlicher Grund gegeben war; eine Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich.

Tenor:

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 27. Januar 2017 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH).

Der Beschwerdeführer wurde in einem am 10. Oktober 2014 anhängig gemachten, auf die Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 1. Juni 2010 hinsichtlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Monat Dezember 2008 gerichteten Klageverfahren dem dortigen Kläger als Prozessbevollmächtigter mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 20. November 2015 ab Antragstellung am 5. November 2015 beigeordnet. Im Laufe des Klageverfahrens hob der dortige Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2015 seinen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid auf. Gleichzeitig setzte er mit Bescheid vom 20. November 2015 die dem Kläger für Dezember 2008 zustehenden Leistungen nach dem SGB II endgültig fest und machte eine Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 135,00 Euro geltend. Das Verfahren endete in der mündlichen Verhandlung des SG am 26. November 2015 durch gerichtlichen Vergleich. Unter Punkt 1 des Vergleichs hieß es: "Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der vorliegende Rechtsstreit insgesamt erledigt ist." Unter Punkt 2 des Vergleichs vereinbarten die Beteiligten: "Der Kläger legt keinen Widerspruch ein gegen die Bescheide vom 20. November 2015, betreffend den Erstattungsbescheid für Dezember 2008 und die endgültige Festsetzung im Änderungsbescheid für Dezember 2008." Unter Punkt 3 des Vergleichs regelten die Beteiligten: "Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers mit Ausnahme der Vergleichsgebühr."

Mit Schreiben vom 29. November 2015 beantragte der Beschwerdeführer beim SG die Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren. Abgerechnet wurden dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) eine Einigungsgebühr nach "Nr. 1006, 3102 VV RVG" in Höhe von 250,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 51,30 Euro, insgesamt also 321,30 Euro.

Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2015 setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle beim SG die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 261,80 Euro fest. Er setzte dabei eine Verfahrensgebühr in Höhe von 100,00 Euro sowie die Einigungsgebühr in Höhe von 100,00 Euro an. Hinzu kamen noch die Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 Euro und die Umsatzsteuer in Höhe von 41,80 Euro. In der Begründung führte er aus, zu Gunsten des Beschwerdeführers sei er davon ausgegangen, dass dieser sowohl eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG als auch eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG jeweils in Höhe von 250,00 Euro habe geltend machen wollen. Der Antrag sei in diesem Punkt nicht vollständig nachvollziehbar gewesen. Ohne Kenntnis der Höhe der Verfahrensgebühr wäre eine Festsetzung allein der Einigungsgebühr jedoch ohnehin nicht möglich gewesen. Die geringere Höhe der festgesetzten Verfahrensgebühr resultiere zusammengefasst aus dem sehr kurzen Beiordnungszeitraum.

Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 22. Dezember 2015 beim SG Erinnerung eingelegt. Im Laufe des Erinnerungsverfahrens hat er eine Rechnung vom 29. November 2015 eingereicht, die an den Kläger des Ausgangsverfahrens adressiert war, nach Angaben des Beschwerdeführers jedoch an den Beklagten des Ausgangsverfahrens übersandt und von diesem am 9. Dezember 2015 in voller Höhe ausgeglichen worden sei, und einen Gesamtrechnungsbetrag in Höhe von 559,30 Euro auswies. In der Rechnung wird u.a. eine Verfahrensgebühr in Höhe von 250,00 Euro nach Nr. 3102 VV RVG geltend gemacht. Die Geltendmachung der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG wies die Rechnung dagegen nicht aus.

Am 22. Dezember 2016 hat der Beschwerdegegner Anschlusserinnerung eingelegt. Die Überprüfung der Angelegenheit habe ergeben, dass entgegen der Formulierung in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2015 ein Vergleich nicht geschlossen worden sei. Aus dem Text ergebe sich vielmehr, dass der Rechtsstreit durch ein volles Anerkenntnis des dortigen Beklagten beendet worden sei. Eine Einigungsgebühr sei insofern nicht entstanden. Er beantragt insofern lediglich die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe von 100,00 Euro.

Mit Beschluss vom 27. Januar 2017 hat das SG die Erinnerung des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Auf die Anschlusserinnerung des Beschwerdegegners hat es den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2015 aufgehoben und den Antrag auf Vergütungsfestsetzung abgelehnt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Urkundsbeamte eine Verfahrensgebühr festgesetzt habe und der Beschwerdegegner die Festsetzung einer Verfahrensgebühr beantrage. Eine Verfahrensgebühr könne nicht festgesetzt werden, weil sie richtigerweise gar nicht erst beantragt worden sei. Der Antrag sei deshalb unterblieben, weil die Verfahrensgebühr bereits in voller (beantragter) Höhe vom Beklagten ausgeglichen worden sei. Eine Einigungsgebühr sei nicht entstanden. Die von den Beteiligten im mündlichen Verhandlungstermin bezeichnete Regelung sei kein prozessbeendender gerichtlicher Vergleich. Es handele sich lediglich um eine deklaratorische Feststellung bzw. in Punkt 2 des Vergleichs um eine Zusicherung außerhalb des Streitgegenstands. Punkt 1 des "Vergleichs" stelle eine beiderseitige Erledigungserklärung dar. Der Rechtsstreit sei damit beendet. Punkt 3 des Vergleichs sei logischer Ausfluss dieser Rechtsfolge, denn eine Vergleichsgebühr falle gar nicht an.

Gegen den am 1. Februar 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13. Februar 2017 eingelegte Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren in Höhe von 321,30 Euro weiterverfolgt. Die Rechtsansicht des SG zu dem "Nicht-Anfall" der Vergleichsgebühr gehe fehl. In dem Rechtsstreit sei es um eine Rückforderung des Beklagten aus dem Jahr 2010 gegangen. Diese Rückforderung sei inhaltlich grundsätzlich korrekt gewesen. Da aber vorläufige Bescheide der Leistungsbewilligung zugrunde gelegen hätten, habe kein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ergehen dürfen. Folglich seien diese im Klageverfahren aufgehoben worden. Mit Bescheid vom 20. November 2015 - also nach 5 Jahren - habe der Beklagte die Leistungen dann endgültig festgesetzt. Dabei sei fraglich, ob dies nach 5 Jahren überhaupt noch möglich sei. Auch hätte der Kläger gegen diese erneute Festsetzung Widerspruch einlegen können. Fraglich sei zudem gewesen, inwieweit die endgültige Festsetzung Gegenstand des Verfahrens werden sollte. Um allen diesen Fragen aus dem Weg zu gehen und weitere Verfahren zu vermeiden, habe der Kläger auf sein Widerspruchsrecht verzichtet. Eindeutiger könne ein Vergleich nicht sein.

Der Beschwerdegegner hat zu der Beschwerde keine Stellungnahme abgegeben.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Beiakten Bezug genommen.

II.

1.

Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Zusammensetzung der drei Berufsrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG, nachdem der Berichterstatter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen hat. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

2.

Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beschwerde ist fristgemäß nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung des SG eingelegt worden. Der nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 200,00 Euro wird auch überschritten, weil der Vergütungsfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers in Höhe von 321,30 Euro durch den Beschluss des SG vollumfänglich abgelehnt worden ist.

3.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Zwar hat das SG in seinem Beschluss vom 27. Januar 2017 zu Unrecht den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2015 vollständig aufgehoben, weil die von dem Beschwerdegegner eingelegte Anschlusserinnerung sich lediglich gegen die Festsetzung der Einigungsgebühr richtete, die Festsetzung von 100,00 Euro für die Verfahrensgebühr dagegen unangetastet ließ, so dass die vom Urkundsbeamten erfolgte Festsetzung eines Betrages von 100,00 Euro für die Verfahrensgebühr im Erinnerungsverfahren nicht korrigiert werden konnte. Außerdem hat das SG unzutreffend die grundsätzliche Entstehung der Einigungsgebühr verneint, weil im vorliegenden Fall die für die Entstehung der Einigungsgebühr normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Beschwerdeführer hat aber gleichwohl keinen Anspruch auf Aufhebung des Beschlusses des SG vom 27. Januar 2017 und auf Festsetzung einer höheren Vergütung gegen die Staatskasse, weil er gegen die Staatskasse keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren hat. Der Geltendmachung der Vergütung fehlt teilweise das Rechtsschutzbedürfnis, soweit die Beschwerde die Verfahrensgebühr einschließlich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer betrifft, weil ihr insoweit die bereits erfolgte Begleichung der fraglichen Gebühr und Auslagen durch den Beklagten des Ausgangsverfahrens entgegensteht. Teilweise (hinsichtlich der Einigungsgebühr) stellt sich die Geltendmachung als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar.

a)

Das SG durfte den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten vom 9. Dezember 2015 nicht vollständig aufheben. Für eine vollständige Aufhebung der erfolgten Vergütungsfestsetzung von Amts wegen fehlt es im vorliegenden Fall an einer Rechtsgrundlage. Die Änderung einer nach § 55 Abs. 1 RVG erfolgten Vergütungsfestsetzung setzt stets eine vorherige Erinnerung gemäß § 56 RVG voraus (vgl. Beschluss des Senats vom 16. September 2019 - L 7 R 26/19 B -; Sozialgericht Halle, Beschluss vom 15. Dezember 2016 - S 11 SF 520/14 E -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. März 1991 - 2 WF 34/91 -; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Dezember 1981 - 6 WF 504/81 -; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 55 Rn 5). Denn das sowohl im Erinnerungs-, als auch im Beschwerdeverfahren geltende Verbot der reformatio in peius (Verböserungsverbot) steht einer vollständigen Aufhebung des bereits festgesetzten Betrags entgegen (vgl. Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Aufl. 2015, § 56 RdNr. 29), wenn die eingelegte Erinnerung oder Anschlusserinnerung sich lediglich auf einen Teil des festgesetzten Betrages beschränkt. So liegt der Fall hier. Der Beschwerdeführer hat sich mit seiner Erinnerung gegen die gegenüber seinem Vergütungsfestsetzungsantrag geringere Höhe der Vergütungsfestsetzung gewandt, so dass auf die Erinnerung des Beschwerdeführers die Aufhebung der Vergütungsfestsetzung nicht gestützt werden kann. Aber auch der Beschwerdegegner hat mit seiner Anschlusserinnerung die Vergütungsfestsetzung nicht in voller Höhe angegriffen. Die Anschlusserinnerung beschränkte sich auf die einen Betrag von 100,00 Euro übersteigende Vergütungsfestsetzung, was sich aus der Formulierung des Beschwerdegegners ergibt: "Ich lege daher Anschlusserinnerung ein und beantrage lediglich die Festsetzung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 100,00 EUR".

b)

Das SG ist unzutreffend davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall keine Einigungsgebühr entstanden ist.

Gemäß Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung des Rechtsanwalts beim Abschluss eines Vertrags über einen Gegenstand, über den ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, durch den 1.) der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird oder 2.) die Erfüllung des Anspruchs bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung und, wenn bereits ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt, bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen geregelt wird (Zahlungsvereinbarung), wobei auch Ansprüche in die Einigung einbezogen werden dürfen, die nicht in diesem Verfahren rechtshängig sind. Die Gebühr entsteht nicht, wenn sich der Vertrag ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt (Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 2 VV RVG).

Die in Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG gewählte Formulierung "durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird" entspricht im Wesentlichen der Formulierung des § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), in dem der Vergleich legal definiert wird. Lediglich die Wörter "im Wege gegenseitigen Nachgebens", die in § 779 Abs. 1 BGB zusätzlich enthalten sind, finden sich in Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG nicht wieder. Dies beruht darauf, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des RVG bewusst das Kriterium des gegenseitigen Nachgebens aufgegeben hat, um den unter der Geltung des früheren § 23 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) häufig ausgetragenen Streit darüber, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu werten ist, im Rahmen der Kostenfestsetzung zu vermeiden (BT-Drucks. 15/1971, S. 147 und S. 204, zu Nummer 1000). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist es daher im Rahmen des RVG nicht erforderlich, dass ein echter Vergleich abgeschlossen wurde; vielmehr soll es genügen, wenn durch Vertrag der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird (BT-Drucks. 15/1971, S. 204 zu Nummer 1000). Dies werde auch durch die Bezeichnung der Gebühr als Einigungsgebühr statt wie früher unter der Geltung der BRAGO als "Vergleichsgebühr" klargestellt (BT-Drucks. 15/1971, S. 204 zu Nummer 1000). Ein vollständiges Anerkenntnis oder vollständiger Verzicht sollen jedoch nicht für den zusätzlichen Anfall einer Einigungsgebühr ausreichen (BT-Drucks. 15/1971, S. 204 zu Nummer 1000). Diese Einschränkung sei notwendig, damit nicht schon die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs oder der Verzicht auf Weiterverfolgung eines Anspruchs die Gebühr auslösen könne (BT-Drucks. 15/1971, S. 204 zu Nummer 1000).

Die Anforderungen an das Vorliegen eines Vertrags i.S.d. Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG dürfen vor diesem Hintergrund nicht überspannt werden.

Es muss sich nicht - wie das SG meint - um einen gerichtlichen Vergleich handeln. Auch außergerichtlich geschlossene Vergleiche können die Entstehung einer Einigungsgebühr nach Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG auslösen, wie sich aus dem Wortlaut der Normen ergibt, die an keiner Stelle einen gerichtlichen Vergleich verlangen. Die für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziffer 1 VV RVG bestehende Rechtsprechung des Senats, wonach Voraussetzung für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist (vgl. z.B. die Beschlüsse des Senats vom 15. November 2018 - L 7 AS 73/17 B - , vom 17. Oktober 2017 - L 7 AS 49/17 B - und vom 20. Juli 2015 - L 7/14 AS 64/14 B), ist auf die Entstehung der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG nicht zu übertragen, weil der fiktiven Terminsgebühr einerseits und der Einigungsgebühr andererseits gänzlich unterschiedliche Zielrichtungen zugrunde liegen.

Der Entstehung der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG steht - anders als das SG meint - auch nicht entgegen, dass unter Punkt 2 des Vergleichs eine außerhalb des gerichtlich anhängigen Streitgegenstandes liegende Streitigkeit in den Vergleich einbezogen worden ist. Dies sieht Nr. 1006 VV RVG in dessen Abs. 1 ausdrücklich als zulässig an.

Ausgehend von diesen Vorgaben haben die Beteiligten des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 26. November 2015 einen Vertrag geschlossen, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wurde und der sich nicht ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkte. Unter Punkt 2 des in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vertrags haben sich die Beteiligten geeinigt, einen möglichen Streit über die Rechtmäßigkeit der endgültigen Festsetzung der dem Kläger für Dezember 2008 zustehenden Leistungen nach dem SGB II nicht zu führen, sondern die Festsetzungsentscheidung des Beklagten zu akzeptieren. Sie haben dadurch eine außerhalb des anhängigen Streitgegenstands (die endgültige Leistungsfestsetzung wurde nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens, weil die endgültige Leistungsfestsetzung den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nicht abänderte oder ersetzte) liegende neue Streitfrage abschließend und streitvermeidend geregelt. Dadurch erschöpfte sich der Vertrag auch nicht lediglich in der Abgabe eines auf den anhängigen Rechtsstreit bezogenen Anerkenntnisses oder in einem Verzicht. Die Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG sind damit erfüllt.

c)

Der Beschwerdeführer hat gleichwohl keinen Anspruch auf Aufhebung des Beschlusses des SG vom 27. Januar 2017 und auf Festsetzung einer höheren Vergütung gegen die Staatskasse, weil er gegen die Staatskasse keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren hat.

aa) Soweit die Beschwerde die Verfahrensgebühr einschließlich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer betrifft, fehlt ihr das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Geltendmachung dieser Gebühr und Auslagen die bereits erfolgte Begleichung durch den Beklagten des Ausgangsverfahrens entgegensteht. Der Beschwerdeführer hat im Erinnerungsverfahren die an den Beklagten des Ausgangsverfahrens übersandte Kostenrechnung über 559,30 Euro, die die Geltendmachung der Verfahrensgebühr in Höhe von 250,00 Euro, einer Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 Euro sowie der darauf entfallenden Umsatzsteuer beinhaltete, eingereicht und erklärt, diese Rechnung sei von dem Beklagten am 9. Dezember 2015 in voller Höhe ausgeglichen worden. Diese Zahlung muss sich der Beschwerdeführer gemäß § 58 Abs. 2 RVG auf seinen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse anrechnen lassen. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Festsetzung der Verfahrensgebühr einschließlich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer gegen die Staatskasse besteht bei dieser Sachlage nicht mehr.

bb) Soweit der Beschwerdeführer mit der Beschwerde die Festsetzung einer Einigungsgebühr gegen die Staatskasse einschließlich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer begehrt, stellt sich die Geltendmachung als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB dar. Der Senat hat bereits entschieden, dass es nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur Treu und Glauben nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 BGB widerspricht, wenn der Rechtsanwalt aus der Staatskasse auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung eine Vergütung fordert, obwohl er oder der Mandant entgegen der gesetzlichen Verpflichtung aus § 59 RVG, die Staatskasse bei der Beitreibung von auf sie übergegangenen Ansprüchen gegen einen potentiell erstattungspflichtigen Dritten zu unterstützen (vgl. zu dieser Verpflichtung LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. April 2008 - L 1 B 33/07 AL), dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und vielmehr ohne hinreichenden sachlichen Grund einen solchen Erstattungsanspruch sogar von vornherein unmöglich gemacht hat (Beschluss des Senats vom 3. Mai 2019 - L 7 AS 12/17 B - juris; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. November 2008, - L 20 B 59/08 SO - juris; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 9. Mai 1997, - 11 W 1452/97 - juris; SG Berlin, Beschluss vom 13. Mai 2015 - S 133 SF 6211/13 E - juris; Bayerisches LSG, Beschluss vom 9. März 2016 - L 15 SF 109/15 - juris (allerdings mit der Einschränkung, dass die Beeinträchtigung der Staatskasse durch das Handeln des Rechtsanwalts oder des Mandanten ohne sachlichen Grund "auf der Hand liegen" müsse); Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage 2015, § 55 Rn. 55; Hartmann, Kostengesetze, 47. Auflage 2017, § 59 Rn. 15;). Hierfür genügt es, dass der Rechtsanwalt oder der Mandant in dem Bewusstsein handelte, die Staatskasse ohne einen zwingenden sachlichen Grund zu beeinträchtigen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 47. Auflage 2017, § 59 Rn. 15). Es reicht demnach aus, dass der Rechtsanwalt oder der Mandant in dem Wissen um einen Nachteil für die Staatskasse handelt und hierfür ein hinreichender sachlicher Grund nicht vorhanden ist. Eine regelrechte Absicht zur Schädigung der Staatskasse ist nicht erforderlich (Beschluss des Senats vom 3. Mai 2019 - L 7 AS 12/17 B - juris ; SG Berlin, Beschluss vom 13. Mai 2015 - S 133 SF 6211/13 E - juris Rdnr. 9). Diese Situation war im Ausgangsverfahren gegeben. Obwohl die Beteiligten des Ausgangsverfahrens eine Einigung dahingehend erzielt hatten, den Rechtsstreit nicht mehr fortzuführen und auch keinen Widerspruch gegen den endgültigen Festsetzungsbescheid vom 20. November 2015 eingelegt werden sollte, und ihnen bewusst war, dass sie damit die Entstehung einer Einigungsgebühr nach Nr. 1006 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG ausgelöst hatten, vereinbarten sie in Kenntnis der zugunsten des Klägers erfolgten PKH-Bewilligung, dass der Beklagte zwar die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstattet, nicht aber die Einigungsgebühr. Auf diese Weise hat der Beschwerdeführer ohne hinreichenden sachlichen Grund den Erstattungsanspruch der Staatskasse nach § 59 Abs. 2 RVG gegen den Beklagten des Ausgangsverfahrens von vornherein vereitelt. Denn der im Vergleich vereinbarte Verzicht auf die Erstattung der Einigungsgebühr bewirkte insoweit auch, dass ein nach § 126 Abs. 1 Zivilprozessordung (ZPO) möglicher Erstattungsanspruch des Beschwerdeführers gegen den Beklagten des Ausgangsverfahrens hinsichtlich der Einigungsgebühr nun nicht mehr nach Befriedigung des Rechtsanwalts nach § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG auf die Staatskasse übergehen und damit nicht mehr gemäß § 59 Abs. 2 RVG von der Staatskasse gegenüber dem Beklagten des Ausgangsverfahrens geltend gemacht werden konnte.

Der Beschwerdeführer handelte auch in dem Bewusstsein, die Staatskasse ohne einen zwingenden sachlichen Grund zu beeinträchtigen. Denn als Rechtsanwalt, der Prozesskostenhilfe für seinen Mandanten beantragt, waren ihm die einschlägigen Vorschriften zur Prozesskostenhilfe-Vergütung im RVG und damit einhergehend die Erstattungsvorschriften zugunsten der Staatskasse gegenüber dem unterlegenen Prozessgegner bekannt. Gleichwohl erklärte er für seinen Mandanten in dem Vergleich den Verzicht auf die Erstattung der Einigungsgebühr gegenüber dem dortigen Beklagten und verzichtete damit zugleich auf seine Möglichkeit zur Beitreibung dieser Gebühr über § 126 ZPO und - nach Befriedigung durch die Staatskasse - auf die Möglichkeit der Beitreibung dieser Gebühr durch die Staatskasse gegenüber dem dortigen Beklagten nach § 59 RVG i.V.m. § 126 ZPO. Damit handelte er in dem Wissen um einen Nachteil für die Staatskasse, ohne dass ein hinreichender sachlicher Grund hierfür erkennbar ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das SG an der Gestaltung des Vergleichs beteiligt war, indem es die von den Beteiligten geschlossene Kostenregelung in der mündlichen Verhandlung protokollierte. Das SG hätte zwar die Protokollierung der im vorliegenden Fall rechtsmissbräuchlichen Kostenregelung verweigern müssen (vgl. zur Prüfungspflicht des SG auf eine etwaige missbräuchliche Beantragung eines gerichtlichen Vergleichs: Beschlüsse des Senats vom 15. November 2018 - L 7 AS 73/17 B - juris RdNr. 25, und vom 26. November 2018 - L 7 AS 24/18 B - juris RdNr. 19). Die Beteiligung des SG an dem geschlossenen gerichtlichen Vergleich führt indes nicht dazu, dass die Beachtung der Rechtsmissbräuchlichkeit entfällt und der Beschwerdeführer seinen Anspruch auf Erstattung der Einigungsgebühr und Auslagen für seine Tätigkeit im Klageverfahren gegenüber dem Beschwerdeführer durchsetzen kann.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).