Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.02.2016, Az.: L 11 AS 1392/13

Grundsicherung für Arbeitsuchende; Tilgung eines Mietkautionsdarlehens; Erklärung der Aufrechnung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.02.2016
Aktenzeichen
L 11 AS 1392/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 13740
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2016:0223.L11AS1392.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 24.05.2013 - AZ: S 19 AS 2358/10

Fundstellen

  • NZS 2016, 7-8
  • ZfSH/SGB 2016, 290 (Pressemitteilung)

Redaktioneller Leitsatz

1. Nach der bis zum 31. März 2011 geltenden Rechtslage war eine Aufrechnung von SGB-II-Leistungsansprüchen mit Rückzahlungsansprüchen aus Mietkautionsdarlehen nicht möglich.

2. Die Entscheidung des Senats entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach der Leistungsträger nicht berechtigt ist, mittels rechtswidriger Einbehalte die für den maßgeblichen Zeitraum geltende gesetzgeberische Wertentscheidung zur Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu unterlaufen.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Mai 2013 wird wie folgt geändert:

Der Beklagte wird verurteilt, die von den laufenden Leistungen des Klägers zwecks Tilgung des Mietkautionsdarlehens einbehaltenen Beträge an diesen auszuzahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet dem Kläger 1/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wege des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) um die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für eine Mietkaution. Zusätzlich wehrt sich der Kläger gegen den Einbehalt von laufenden SGB II-Leistungen zwecks Tilgung des ihm vom Beklagten gewährten Mietkautionsdarlehens.

Der 1989 geborene Kläger beantragte nach seinem Auszug aus einer Jugendhilfeeinrichtung im Januar 2009 beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Diese wurden ihm zunächst ausschließlich in Form der Regelleistung nach § 20 SGB II (in der damals geltenden Fassung) gewährt. Nachdem der Kläger eine eigene Wohnung bezogen hatte, erhöhte der Beklagte die SGB II-Leistungen um 345,- Euro pro Monat für Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. im Einzelnen: Bescheid vom 22. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2010 sowie Änderungsbescheide vom 13. Mai und 6. Juni 2009).

Am 20. Mai 2009 beantragte der Kläger beim Beklagten mittels eines ihm dort überreichten Antragsvordrucks die Gewährung eines Darlehens von 750,- Euro für die von ihm zu zahlende Mietkaution. Im Antragsformular kreuzte der Kläger folgendes Textfeld an:

Für den Fall einer Bewilligung der Mietkaution (...) als Darlehen erklärt der Antragsteller freiwillig sein Einverständnis zur vorzeitigen Rückzahlung der Leistungen durch Einbehaltungen von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 35,- Euro. Der Antragsteller verzichtet insoweit gemäß § 46 SGB I auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Der Beklagte bewilligte antragsgemäß 750,- Euro als Darlehen für die Mietkaution und verfügte, dass das Darlehen spätestens zurückzuzahlen sei u.a. bei Aufgabe der Wohnung, in jedem Fall aber bei Wegfall der Hilfebedürftigkeit. Außerdem führte der Beklagte im Bescheid wörtlich aus: "Soweit das Darlehen durch laufende Einbehaltungen von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (...) getilgt wird, entfällt Ihre Rückzahlungsverpflichtung". Dieser am 20. Mai 2009 erlassene Bescheid wurde mangels eines Widerspruchs des Klägers bestandskräftig.

Ab Juli 2009 behielt der Beklagte monatliche Teilbeträge von 35,- Euro von den laufenden SGB II-Leistungen ein (vgl. im Einzelnen: Kassenanordnung vom 8. Juni 2009, Bl. 65 Verwaltungsakte - VA-, sowie A2LL-Zahlungsübersichten für das Jahr 2009, etwa auf Bl. 64, 66 und 75 VA). Die Einbehalte wurden in den Leistungsbescheiden zunächst nicht erwähnt. Erstmals der Bescheid vom 23. Juni 2010 enthielt den Zusatz, dass "weiterhin monatlich 35,- Euro zur Tilgung des Darlehens für Ihre Mietkaution von Ihren Leistungen einbehalten" werden.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2009 (Eingang beim Beklagten am 26. Oktober 2009) beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 20. Mai 2009 nach Maßgabe des § 44 SGB X. Konkretes Vorbringen zum Sachverhalt oder zur Rechtslage enthielt dieser Antrag nicht. Ebenso wenig machte der Kläger deutlich, auf welches konkrete Rechtsschutzziel sein Antrag gerichtet war. Gleichzeitig mit dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Antrag stellte der Kläger mittels gleichlautender Schreiben zahlreiche weitere Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X, welche sämtliche bis dahin beschiedenen Bewilligungszeiträume, einen Bescheid über Leistungen für Erstausstattung der Wohnung und einen Sanktionsbescheid betrafen.

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 20. Mai 2009 (Mietkaution) mit der Begründung ab, dass kein hinreichend konkreter Antrag nach § 44 SGB X gestellt worden sei. Dem Vorbringen des Klägers sei nicht einmal im Ansatz zu entnehmen, weshalb im Ursprungsbescheid das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sein könnte (Bescheid vom 14. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2010). Im Widerspruchsverfahren hatte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten wiederum weder konkret zur Sache vorgetragen noch einen konkreten Antrag formuliert.

Die vom Kläger hiergegen am 26. April 2010 beim Sozialgericht (SG) Braunschweig eingelegte Klage ist zunächst ebenfalls inhaltlich unbegründet geblieben und vom SG mit Gerichtsbescheid vom 4. April 2011 abgewiesen worden. Hiergegen hat der Kläger im Mai 2011 einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, jedoch auch weiterhin keine Klagebegründung übersandt. Vielmehr hat der Kläger erstmals am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem SG um 6.49 Uhr per Telefaxschreiben ausdrücklich die Auszahlung der vom Beklagten einbehaltenen Mietkautionsbeträge zzgl. Zinsen verlangt. Der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, zwecks Tilgung des Mietkautionsdarlehens 35,- Euro pro Monat von den laufenden SGB II-Leistungen einzubehalten. Da sich der Beklagte den Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution habe abtreten lassen, seien die zusätzlich vorgenommenen Einbehalte rechtswidrig (Schriftsatz vom 2. April 2013, Eingang beim SG am 24. Mai 2013). Zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG sind weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter erschienen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. Mai 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die Gründe des zuvor ergangenen Gerichtsbescheides verwiesen, wonach die für die Mietkaution ausgezahlten 750,- Euro zu Recht als Darlehen gewährt worden seien (§ 22 Abs 3 Satz 3 SGB II). Die Modalitäten der Tilgung begegneten keinen rechtlichen Bedenken. Der Kläger habe bei Antragstellung einen Verzicht nach § 46 SGB I hinsichtlich der ihm nach dem SGB II zustehenden Leistungen erklärt. § 46 SGB I finde - entsprechend der Rechtsprechung der Sozialgerichte J. und K. - auch auf Einbehalte von Tilgungsraten für ein Kautionsdarlehen Anwendung.

Auf die vom Kläger gegen das ihm am 8. Juni 2013 zugestellte Urteil am 8. Juli 2013 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat die Berufung zugelassen (wegen Divergenz der erstinstanzlichen Entscheidung zum Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 22. März 2012 - B 4 AS 26/10 R -, vgl. im Einzelnen: Beschluss vom 22. November 2013). Konkreter Vortrag des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten ist weder im Nichtzulassungsbeschwerde- noch im Berufungsverfahren erfolgt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat ist weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter erschienen.

Dem schriftlichen Vorbringen des Klägers dürfte folgender Antrag zu entnehmen sein,

1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Mai 2013 aufzuheben,

2. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2010 zu verpflichten, das Mietkautionsdarlehen unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 20. Mai 2009 als Zuschuss anstatt als Darlehen zu gewähren,

3. den Beklagten zur Auszahlung der einbehaltenen Tilgungsraten zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Bescheid vom 14. Dezember 2009 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2010) sowie den die Mietkaution betreffenden Bescheid vom 20. Mai 2009 für rechtmäßig. Der Kläger habe auch unter Berücksichtigung des BSG-Urteils vom 22. März 2012 - B 4 AS 26/10 R - keine weitergehenden Ansprüche. Selbst wenn nach dieser Rechtsprechung der Einbehalt der Tilgungsraten nicht hätte erfolgen dürfen, sei es mit der "durch § 44 SGB X bezweckten materiellen Gerechtigkeit kaum vereinbar, bereits vorgenommene Darlehenstilgungen wieder an den Fürsorgeempfänger zurückzuzahlen und insofern die Schuldverpflichtung des Fürsorgeempfängers gegenüber dem Jobcenter wieder zu erhöhen".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte sowie die vom Beklagten bzw. vom SG übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen (4 Bände Verwaltungsakten sowie 2 zum Teil aus mehreren Teilen bestehende Heftstreifen mit Verwaltungsvorgängen bzw. Fotokopien).

Entscheidungsgründe

Die vom Senat zugelassene Berufung ist hinsichtlich des Antrags zu 3. begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Auszahlung der zwecks Tilgung des Mietkautionsdarlehens einbehaltenen SGB II-Leistungen. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

I. Streitgegenstand ist zunächst der Antrag auf Überprüfung des Darlehensbewilligungsbescheides vom 20. Mai 2009 im Wege des § 44 SGB X. Insoweit handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Möglicherweise handelt es sich zusätzlich um eine Leistungsklage, soweit nämlich der Kläger aus der von ihm begehrten Rücknahme des Darlehensbewilligungsbescheides weitere Leistungsansprüche herleiten sollte. Dies kann der Senat angesichts des nur rudimentären Vorbringens des Klägers (bzw. seines Prozessbevollmächtigten) nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Zusätzlich begehrt der Kläger - wie er erstmals mit Schriftsatz vom 2. April 2013 (Eingang beim SG am 24. Mai 2013) mitgeteilt hat - auch die Auszahlung der vom Beklagten zum Zwecke der Tilgung des Mietkautionsdarlehens einbehaltenen Beträge (35,- Euro pro Monat). Da dieser Einbehalt weder Regelungsgegenstand des Darlehensbewilligungsbescheides vom 20. Mai 2009 noch der nachfolgenden Leistungsbescheide war (s. unten IIII.), handelt es sich hierbei um eine reine Leistungsklage.

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Darlehensbescheides vom 20. Mai 2009. Es fehlt bereits an einem hinreichend konkreten Antrag nach § 44 SGB X, der den Beklagten zu einer inhaltlichen Prüfung hätte veranlassen können.

Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ein Sozialleistungsträger ist allerdings dann nicht zur inhaltlichen Prüfung nach § 44 SGB X verpflichtet, wenn er den Einzelfall, der zur Überprüfung gestellt werden soll, objektiv nicht ermitteln kann. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide auf ihre Rechtmäßigkeit begehrt wird, ohne dass konkretisiert wird, auf welche konkreten Bescheide sowie auf welche konkreten Regelungspunkte sich das Überprüfungsbegehren bezieht (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 22/13 R -, BSGE 115, 126). Eine solche Konkretisierung muss spätestens bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung erfolgen, d.h. bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Fehlt es hieran, besteht kein Anspruch auf inhaltliche Prüfung nach § 44 SGB X (vgl. im Einzelnen: BSG, aaO.; Urteil vom 28. Oktober 2014 - B 14 AS 39/13 R -, SozR 4-1300 § 44 Nr 31).

Nach Maßgabe dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, der der erkennende Senat folgt, fehlt es im vorliegenden Verfahren an einem hinreichend konkretisierten Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Zwar hatte der Kläger nicht - wie in den BSG-Entscheidungen vom 13. Februar und 28. Oktober 2014 - pauschal die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide beantragt. Allerdings hat der Kläger mit den diversen am 26. Oktober 2009 gestellten Überprüfungsanträgen die Überprüfung praktisch sämtlicher seit Leistungsbeginn erlassener Bescheide veranlasst. Trotz der unterschiedlichen Regelungsgegenstände der von diesen Überprüfungsanträgen betroffenen Bescheide (u.a. Leistungsbewilligungen, Änderungsbescheide wegen erzielten Einkommens, Bewilligungsbescheide bzgl. Mietkautionsdarlehen und Erstausstattung, Sanktionsbescheid) waren sämtliche Überprüfungsanträge wortgleich und - im Hinblick auf die jeweiligen Regelungsgegenstände - lediglich mit einer inhaltsleeren Begründung versehen. Ein solches Vorgehen entspricht im Ergebnis einem einzigen pauschalen Überprüfungsantrag hinsichtlich sämtlicher bislang ergangener bestandskräftiger Bescheide. Die Anforderungen an eine hinreichende Konkretisierung des Antragsbegehrens nach § 44 SGB X (Überprüfung eines Einzelfalls) können nicht dadurch unterlaufen werden, dass statt eines einzigen pauschalen Überprüfungsantrags eine Vielzahl - ebenfalls pauschaler und nicht einzelfallbezogen begründeter - Einzelanträge nach § 44 SGB X hinsichtlich praktisch sämtlicher bislang ergangener Bescheide gestellt werden.

Auch im weiteren Zeitablauf hat der Kläger bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht einmal ansatzweise deutlich gemacht, gegen welche konkreten Regelungspunkte des Darlehensbescheides vom 20. Mai 2009 er sich wendet oder welche konkreten weiteren Leistungen er überhaupt begehrt - zumal mit dem Darlehensbescheid vom 20. Mai 2009 seinem diesbezüglichen Antrag vollumfänglich entsprochen worden war. Der Beklagte hatte auch keinen Anlass, den Kläger im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren nochmals aufzufordern, sein Rechtsschutzbegehren zu konkretisieren (vgl. zu der Obliegenheit des Grundsicherungsträgers, bei pauschalen Überprüfungsanträgen Nachfrage hinsichtlich des begehrten Rechtsschutzziels zu halten: BSG, Urteile vom 13. Februar 2014 und 28. Oktober 2014, aaO., jeweils Rn 15). Schließlich hatte der Beklagte im angefochtenen Bescheid ausführlich dargelegt, dass die Antragsablehnung auf fehlender inhaltlicher Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens beruht. Dem Kläger war also bekannt, dass sein Vorbringen seitens des Beklagten als unzureichend angesehen wurde und eine inhaltliche Prüfung nach § 44 SGB X dementsprechend nicht vorgenommen worden war. Damit hatte der Kläger ausreichend Gelegenheit, im Widerspruchsverfahren die bislang fehlende inhaltliche Konkretisierung seines Überprüfungsantrags nachzuholen. Dass der Kläger diese Möglichkeit nicht genutzt hat, ist ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigten anzulasten, nicht dem Beklagten. Letzterer war weder verpflichtet noch gehalten, den Kläger über die im Ablehnungsbescheid bereits mitgeteilte Begründung hinaus nochmals ausdrücklich zu ergänzendem Vortrag aufzufordern. Eine solche erneute Aufforderung wäre angesichts der ausführlichen Begründung des Ablehnungsbescheides reine Förmelei. Dies gilt im vorliegenden Fall auch deshalb, weil sämtlichen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. Oktober 2010 gestellten Überprüfungsanträgen jeglicher Einzelfallbezug fehlte. Es war im Verwaltungsverfahren somit gerade nicht erkennbar, dass ein wirkliches Interesse an einer zeitnahen inhaltlichen Klärung bestimmter Punkte bestand. Die Art der Verfahrensführung legt vielmehr nahe, dass es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers offensichtlich lediglich darum ging, möglichst viele Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen. Hierfür spricht auch, dass der Kläger in der Klageschrift vom 26. April 2010 trotz des hierdurch eingeleiteten Klageverfahrens einen weiteren denselben Streitgegenstand betreffenden Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt hat. Dieser weitere Überprüfungsantrag enthielt wiederum keinerlei Konkretisierung des Rechtsschutzbegehrens.

III. Die Leistungsklage - gerichtet auf Auszahlung der vom Beklagten zwecks Tilgung des Mietkautionsdarlehens einbehaltenen Beträge - ist dagegen zulässig und begründet. Der Zahlungsanspruch ergibt sich aus den vom Beklagten erlassenen Leistungsbescheiden. Der Beklagte war nicht berechtigt, die in den Leistungsbescheiden zugunsten des Klägers bewilligten Beträge teilweise, d.h. in Höhe von monatlichen Teilbeträgen von 35,- Euro einzubehalten.

Die vom Beklagten vorgenommenen Einbehalte von 35,- Euro pro Monat erfolgten nicht auf der Grundlage einer wirksamen Aufrechnung i.S.d. § 51 SGB I. So enthielt der Darlehensbewilligungsbescheid vom 20. Mai 2009 keine ausdrückliche Erklärung der Aufrechnung (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen an eine öffentlich-rechtliche Aufrechnungserklärung etwa: Hänlein in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Auflage 2013, § 51 SGB I Rn 14 mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur). Der Hinweis im Bescheid vom 20. Mai 2009, wonach bei Einbehalten von den laufenden SGB II-Leistungen das Darlehen in entsprechender Höhe getilgt werde, beinhaltet nicht die für eine Aufrechnung erforderliche Erklärung, wann, gegen welche konkrete Forderung und in welcher Höhe aufgerechnet werden soll. Dies gilt sinngemäß auch für die späteren Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide. Diese Bescheide wiesen z.T. nicht einmal die entsprechenden Abzugsbeträge von 35,- Euro pro Monat aus, obwohl diese ausweislich der Zahlungsnachweise tatsächlich vom Beklagten einbehalten wurden. Stattdessen wurde etwa in dem Bescheid vom 30. Juni 2009 verfügt, dass außer den Direktzahlungen an den Vermieter des Klägers der vollständige Restbetrag ("Alles/Rest") an den Kläger ausgezahlt würde (trotz des tatsächlich erfolgten Einbehalts von 35,- Euro pro Monat zugunsten des Beklagten). Lediglich in einzelnen späteren Bescheiden wurde - eher beiläufig - darauf hingewiesen, dass "weiterhin monatlich 35,- Euro zur Tilgung des Darlehens für Ihre Mietkaution von Ihren Leistungen einbehalten" werde (vgl. etwa: S. 2 des Bescheides vom 23. Juni 2010). Eine Aufrechnungserklärung ist in diesem Hinweis zur Fortführung der bisherigen Verfahrensweise nicht zu erkennen. Vielmehr hat der Beklagte die erfolgten Einbehalte offensichtlich auf die vom Kläger im Darlehensantrag formularmäßig abgegebene Verzichtserklärung gestützt. Insoweit ist jedoch bereits höchstrichterlich entschieden, dass ein SGB II-Leistungsträger aus einer - wie im vorliegenden Fall - von ihm vorformulierten und erwirkten Verzichtserklärung keine Rechte herleiten kann (BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 4 AS 26/10 R -).

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der erfolgte Einbehalt von 35,- Euro pro Monat auch dann rechtswidrig erfolgt wäre, wenn der Beklagte eine entsprechende Aufrechnungserklärung abgegeben hätte. Denn nach der bis zum 31. März 2011 geltenden Rechtslage war eine Aufrechnung von SGB II-Leistungsansprüchen mit Rückzahlungsansprüchen aus Mietkautionsdarlehen nicht möglich (BSG, Urteil vom 22. März 2012, aaO.).

Da nach alledem die Einbehalte zu Unrecht erfolgten, hat der Kläger Anspruch auf ungekürzte Auszahlung der ihm bewilligten Leistungen. Die Forderungen waren zum Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung (spätestens am 24. Mai 2013) noch nicht verjährt. Der Beklagte ist somit dem Grunde nach zur Aus- bzw. Nachzahlung zu verurteilen (§ 130 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beträge sind gemäß § 44 SGB I zu verzinsen.

Hiergegen kann der Beklagte auch nicht mit Erfolg einwenden, dass diese Entscheidung mit "der durch § 44 SGB X bezweckten materiellen Gerechtigkeit" nicht vereinbar sein soll. Die Entscheidung des Senats entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach der Beklagte nicht berechtigt ist, mittels rechtswidriger Einbehalte die für den streitigen Zeitraum geltende gesetzgeberische Wertentscheidung zur Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu unterlaufen (vgl. erneut: BSG, Urteil vom 22. März 2012, aaO. Rn 21). Es erschließt sich dem Senat nicht, weshalb eine gerichtliche Entscheidung, in der einer begründeten Klage bzw. Berufung stattgegeben wird, der materiellen Gerechtigkeit widersprechen soll.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt einerseits den Teilerfolg des Klägers und andererseits die Tatsache, dass dem Beklagten eine inhaltliche Prüfung des Rechtsschutzbegehrens im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren mangels hinreichend konkreten Vortrags des Klägers überhaupt nicht möglich war. Die Auferlegung von Kosten hätte der Beklagte insgesamt vermeiden können, wenn er nach erfolgter Konkretisierung des Rechtsschutzbegehrens (Schriftsatz vom 24. Mai 2013) den dort geltend gemachten Auszahlungsanspruch zeitnah anerkannt hätte. Hierzu war der Beklagte allerdings nicht einmal im Rechtsmittelverfahren bereit (vgl. Schriftsatz des Beklagten vom 13. Februar 2014).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.