Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.04.2007, Az.: 2 K 24/05
Zulässigkeit eines Ergänzungsbescheides zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.04.2007
- Aktenzeichen
- 2 K 24/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 50332
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2007:0425.2K24.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 19.03.2009 - AZ: IV R 20/08
Rechtsgrundlage
- § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO
Fundstellen
- DStR 2008, XII Heft 50 (Kurzinformation)
- DStRE 2009, 245-246 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2008, 1929-1931 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz: Ergänzungsbescheid zur gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Änderungsvorschrift unzulässig
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt dazu berechtigt war, einen Ergänzungsbescheid zu erlassen.
Die A-GmbH (im Folgenden: GmbH) betrieb einen Landhandel, Gesellschafter waren im Streitjahr die Herren M (Kläger zu 3), H (Kläger zu 2), K und J, seit dem Jahre 2002 nur noch die Kläger zu 2) und 3). Zum Betriebsvermögen gehörte das Grundstück B, auf dem die GmbH bis zum Jahre 1991 u.a. eine Diesel-Zapfsäule und einen Diesel-Kraftstofftank betrieb. An der GmbH waren die Kläger zu 2) und 3) als (atypisch) stille Gesellschafter beteiligt. Nach § 8 des Vertrages über die stille Gesellschaft vom ... war bei Beendigung der stillen Gesellschaft eine Auseinandersetzungsbilanz zu erstellen, in der alle Vermögens- und Schuldposten der Gesellschaft anzusetzen waren. An dem so ermittelten Wert sollte jeder Gesellschafter entsprechend der Bestimmung des § 3 dieses Vertrages beteiligt sein (zu den weiteren Einzelheiten vgl. Vertrag über die stille Gesellschaft Hey Agrarhandel GmbH vom 26.11.1986, Vertragsakte). Nach § 3 des Vertrages war der - nach Abzug einer Haftungsvergütung von 7.500 EUR verbleibende - Jahresüberschuss nach dem Verhältnis des Stammkapitals der GmbH zu den Einlagen der stillen Gesellschafter zu verteilen.
Die stille Gesellschaft der Kläger zu 2) und 3) wurde zum 31.12.1991 aufgelöst.
Das Auseinandersetzungsguthaben der stillen Gesellschafter sollte erst nach Erhalt des Erlöses aus dem Verkauf des Grundstückes B ausgezahlt werden. Die Beteiligten ermittelten einen Auseinandersetzungsanspruch zum 31.12.1991 für den Kläger zu 3) in Höhe von 1.236.160 DM (= 632.038 EUR) und für den Kläger zu 2) in Höhe von 716.429 DM (= 366.304 EUR).
Die GmbH bemühte sich zunächst vergeblich um einen Verkauf des Grundstücks. Als das Grundstück im Jahre 2002 verkauft werden sollte, stellte sich heraus, dass dieses bereits am 31.12.1991 durch den Betrieb einer Diesel-Zapfsäule mit Altlasten kontaminiert war. Die stillen Gesellschafter verständigten sich in einer Vereinbarung vom 9. Dezember 2002 mit der GmbH auf einen Verkehrswert des Grundstücks von ca. 80.000 EUR und verzichteten rückwirkend "zur Beseitigung einer drohenden Überschuldung" zum Teil auf die ursprünglich vereinbarten Auseinandersetzungsguthaben. Der Kläger zu 3) erklärte einen "Verzicht" in Höhe von 1.167.675 DM, der Kläger zu 2) verzichtete auf 700.728 DM; gleichzeitig vereinbarten die Gesellschafter einen Rangrücktritt hinsichtlich der noch bestehenden Forderungen).
Das Finanzamt behandelte die stillen Gesellschaften im Rahmen einer Gewinnfeststellung vom Juli 1993 für das Streitjahr als atypisch stille Gesellschaften und stellte den Gewinn gesondert und einheitlich fest (§§ 179, 180 AO). Es legte zunächst - erklärungsgemäß - einen Verkehrswert für das Grundstück der GmbH in Höhe von 2,2 Mio. DM zugrunde und ermittelte einen nach den §§ 16, 34 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.601.373 DM, den es entsprechend der Beteiligung zurechnete. Der Feststellungsbescheid und der an den Kläger zu 3) im Jahre 1993 bekannt gegebene Einkommensteuerbescheid wurden bestandskräftig. Nach einer Betriebsprüfung erhöhte das Finanzamt im März 1998 im Feststellungsbescheid den gesondert und einheitlich festzustellenden laufenden gewerblichen Gewinn. Die Änderungsbescheide wurden ebenfalls bestandskräftig.
Das Finanzamt änderte im April 2003, nachdem es Kenntnis von der Vereinbarung vom Dezember 2002 erhalten hatte, unter Hinweis auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO den Feststellungsbescheid. Es berücksichtigte zudem bei der Einkommensteuerfestsetzung des Klägers zu 3) im Rahmen einer auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderung einen Veräußerungsverlust in Höhe von 254.783 DM, von dem 166.884 DM auf den Kläger zu 3) entfielen.
Gegen die - mit der Einkommensteuerfestsetzung verbundene - Zinsfestsetzung erhob der Kläger zu 3) Klage, die unter dem Aktenzeichen 2 K 744/03 geführt wird und über die der erkennende Senat ebenfalls mit Urteil vom heutigen Tage entschieden hat.
Mit Bescheid vom November 2004 gab der Beklagte einen Ergänzungsbescheid unter Hinweis auf § 179 Abs. 3 AO bekannt, in dem es feststellte:
"Änderungen im Feststellungsbescheid vom 10.04.2003 erfolgten ausschließlich wegen eines im Jahr 2002 eingetretenen rückwirkenden Ereignisses".
Gegen den Ergänzungsbescheid richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Die Klägerin sind der Auffassung, der Ergänzungsbescheid sei rechtswidrig. Entgegen der Auffassung des Beklagten begründe das Bekantwerden der wertmindernden Altlasten kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung, so dass der Tatbestand des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt sei. Vielmehr liege eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache vor. Bei einer Änderung nach § 173 AO beginne der Zinslauf indes gem. § 233a Abs. 1 AO bereits 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraumes und nicht erst, wie bei Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses, 15 Monate nach Eintritt des Ereignisses (§ 233a Abs. 2a AO).
Die Kläger beantragen,
den Ergänzungsbescheid vom 3. November 2004 zum Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1991 vom 10.04.2004 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.12.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und ist weiterhin der Auffassung, der Ergänzungsbescheid sei rechtmäßig. Der ursprünglich erlassene Feststellungsbescheid sei unvollständig gewesen. Im Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 233 AO habe der BMF in Randziffer 74 nämlich ausdrücklich klar gestellt, dass die Entscheidung darüber, ob ein Bescheid wegen Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses geändert werde, im Grundlagenbescheid und mithin einheitlich für alle Feststellungsbescheidbeteiligten zu treffen sei. Der Ergänzungsbescheid vom November 2004 ergänze inhaltlich den Feststellungsbescheid vom April 2003, in dem die für die Zinsberechnung erforderliche Feststellung, dass ein nachträgliches Ereignis vorliege, ausdrücklich nachgeholt werde. Diese Feststellung sei sinnvoller Weise für alle Feststellungsbeteiligten einheitlich vorzunehmen.
Auch liege ein rückwirkendes Ereignis vor. Die Erwägungen des BFH im Urteil vom 01.04.1998 (X R 150/95, BStBl II 1998, 569), wonach ein Altlastenverdacht den Aufgabegewinn nicht mindere, seien für den Streitfall nicht maßgeblich. Maßgeblich sei nämlich im Streitfall nicht die Verseuchung durch Altlasten, sondern der Verzicht der stillen Beteiligten auf Auszahlung des im Jahre 1991 begründeten Abfindungsanspruches. Es könne auch dahinstehen, aus welchen Gründen im Einzelnen der Verzicht der Gesellschafter ausgesprochen worden sei.
Die Berufung auf einen späteren Beginn des Zinslaufes sei jedenfalls nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Der Feststellungsbescheid für das Streitjahr habe nämlich lediglich noch nach der Änderungsvorschrift des § 175 AO wegen des für diese Vorschrift besonders geregelten Ablaufs der Festsetzungsverjährungsfrist geändert werden können. Nach einer anderen Korrekturvorschrift als § 175 AO hätte das Finanzamt indes wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr ändern können.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Ergänzungsbescheid ist rechtswidrig.
1.
Der Erlass eines Ergänzungsbescheides war unzulässig. Nach § 179 Abs. 3 AO ist, soweit in einem Feststellungsbescheid eine notwendige Feststellung unterblieben ist, diese in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen. Eine "unterbliebene" Feststellung liegt vor, wenn das Finanzamt eine Feststellungen hätte treffen müssen, aber nicht getroffen hat. Eine notwendige Feststellung ist im Streitfall indes nicht unterlieben.
Zwar ist ein nachrichtlicher und nicht verbindlicher Hinweis auf die angewandte Änderungsvorschrift zulässig. Soweit ein solcher Hinweis unterblieben ist, rechtfertigt dies indes - mangels unterbliebener notwendiger Feststellung - nicht den Erlass eines Ergänzungsbescheides.
a)
Die vom Finanzamt nachträglich getroffene Feststellung, dass die Änderung des Feststellungsbescheides aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses vorgenommen wurde, stellt keine nach den §§ 179, 180 AO notwendige Feststellung dar. Nach den §§ 179, 180 Abs. 1 Nr. 2a AO werden Besteuerungsgrundlagen - abweichend von § 157 Abs. 2 AO - gesondert und einheitlich festgestellt, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Eine Änderungsvorschrift stellt indes keine Besteuerungsgrundlage dar. Zu den zwingend im Rahmen der gesondert und einheitlichen Gewinnfeststellung zu treffenden Feststellungen gehören
die Entscheidung, ob die gemeinschaftlich erzielten Einkünfte steuerbar und steuerpflichtig sind,
die Feststellung der Höhe der steuerpflichtigen Einkünfte,
das Vorliegen von steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen,
die Art der steuerpflichtigen Einkünfte gemäß § 2 Abs. 1 EStG,
die Aufteilung des Gesamtbetrags auf die Beteiligten,
der Feststellungszeitraum und Änderungen im Gesellschafterbestand sowie
andere mit den steuerpflichtigen Einkünften "im Zusammenhang stehende Besteuerungsgrundlagen" (vgl. Schöll/Leopold/Madle, Komm. zur Abgabenordnung, § 180 Rz. 22; Brandis in Tipke/Kruse, Komm. zur AO, § 180 Rz. 64).
b)
Die bei der Änderung eines bestandskräftigen Bescheides vom Finanzamt angegebene Änderungsvorschrift stellt indes keine mit steuerpflichtigen Einkünften im Zusammenhang stehende Besteuerungsgrundlage dar. Gemeint sind mit dieser Formulierung in § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO solche Besteuerungsgrundlagen, die nicht bereits bei der Ermittlung der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte berücksichtigt worden sind (vgl. auch Anwendungserlass zur Abgabenordnung - AEAO - zu § 180 Nr. 1 Abs. 2). Dies betrifft zum einen die Einbeziehung einkünftebezogener Feststellungen in die gesonderte Feststellung, die nur einzelne Beteiligte betreffen, wie Sonderbetriebseinnahmen und Sonderbetriebsausgaben. Zum anderen fallen darunter auch Besteuerungsgrundlagen, die zwar durch die Gesellschaft/Gemeinschaft verwirklicht werden, aber nicht bei der Ermittlung der Einkünfte der Gesellschaft/Gemeinschaft zu berücksichtigen sind, sondern nur für die Besteuerung der Gesellschafter von Bedeutung sind, z.B. Spenden oder Vorsorgeaufwendungen i.S. v. § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 EStG, die die Gesellschaft leistet oder die Abziehbarkeit von Leistungen einer Gesellschaft/Grundstücksgemeinschaft an den Übergeber eines Hausgrundstücks als dauernde Last nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG(FG München v. 26.07.2005, 6 K 85/03, EFG 2006, 11 rkr.). Die vom Finanzamt bei Erlass eines Änderungsbescheides angegebene Änderungsvorschrift stellt demgegenüber - entgegen der - offenbar - im Anwendungserlass zur AO zu § 233a AO (dort Rz. 74) für den Fall einer Änderung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses vertretenen Auffassung - nicht verbindlich fest, nach welcher Verfahrensvorschrift ein Steuer- oder gleichgestellter Bescheid geändert werden kann. Die Gründe für die Zuordnung eines (Veräußerungs-)Gewinns - also z.B. hier die Frage einer Rückwirkung der Vereinbarung - gehören vielmehr zu den nicht bindenden Grundlagen für die Feststellung (vgl. auch FG Schleswig-Holstein v. 23.02.2000, II 87/99, EFG 2000, 412). Insoweit wäre lediglich eine nachrichtliche Mitteilung zulässig.
2.
Die Kosten hat nach § 135 FGO der Beklagte zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.