Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.04.2007, Az.: 2 K 379/04

Einkommensteuerliche Veranlagung wegen negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Unbefristet rückwirkende Gesetzesänderung zu den Voraussetzungen einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG); Sinn und Zweck der Anwendungsvorschrift § 52 Abs. 55j EStG; Amtsveranlagung in Fällen negativer Einkünfte

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
25.04.2007
Aktenzeichen
2 K 379/04
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2007, 34634
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2007:0425.2K379.04.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: VI R 29/07

Fundstellen

  • DStR 2007, VIII Heft 41 (Kurzinformation)
  • DStRE 2007, 1447-1448 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2007, 1878-1879 (Volltext mit red. LS)
  • GStB 2007, 316
  • KÖSDI 2007, 15777 (Kurzinformation)
  • NWB direkt 2007, 7
  • Jurion-Abstract 2007, 228677 (Zusammenfassung)

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 1999

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

Keine unbefristet rückwirkende Gesetzesänderung zu den Voraussetzungen einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG

Tatbestand

1

Streitig ist, ob das FA den Kläger zur Einkommensteuer für das Streitjahr 1999 veranlagen muss.

2

Der Kläger war im Streitjahr als Arbeitnehmer tätig. Er erzielte daraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. rund 110.000 DM. Daneben erzielte der Kläger Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung von 18.491 DM und weitere Werbungskostenüberschüsse aus einer Grundstücksgemeinschaft i.H.v. von weiteren 11.691 DM. Seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1999 ging (erst) am 21. November 2003 beim FA ein.

3

Im Januar 2004 lehnte das FA daraufhin die Veranlagung zur Einkommensteuer 1999 ab. Das FA vertrat die Ansicht, es sei allenfalls eine Antragsveranlagung nach § 46 EStG durchzuführen, für die aber die Antragsfrist vor dem Eingang der Steuererklärung schon abgelaufen sei. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

4

Der Antragsteller ist der Ansicht, die Einkommensteuerveranlagung sei - wie erklärt - durchzuführen.

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Der Kläger beantragt,

wie erkannt zu entscheiden.

6

Der Beklagte beantragt,

7

die Klage abzuweisen und hält daran fest, dass die Antragsfrist nach § 46 EStG im Zeitpunkt des Eingang der Steuererklärung bereits seit Jahren abgelaufen gewesen sei. Soweit der BFH im Urteil vom 21. September 2006 (VI R 52/04, BStBl II 2007, 45) entschieden habe, dass auch negative Einkünfte von mehr als 800 DM zu einer Amts- statt einer Antragsveranlagung führten, habe der Gesetzgeber dieser Ansicht jedenfalls durch rückwirkende Gesetzesänderung im Jahressteuergesetz 2007 die Grundlage entzogen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

9

Das FA war gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der im Streitjahr 1999 geltenden Fassung verpflichtet, die eingegangene Einkommensteuererklärung des Klägers als so genannte Amtsveranlagung zu bearbeiten und dem Kläger einen Einkommensteuerbescheid zu erteilen, denn der Kläger hatte neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit weitere negative Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Lohn unterworfen waren, von mehr als 800 DM. Der Kläger erzielte im Streitjahr persönlich negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. über 18.000 DM und zusätzlich - gesondert und einheitlich festgestellt - negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. weiteren knapp 12.000 DM. Der Senat nimmt insoweit ausdrücklich auf das BFH-Urteil vom 21. September 2006 (a.a.O..) Bezug.

10

Die Rechtslage ist (jedenfalls) für das Streitjahr 1999 nicht durch das Jahressteuergesetz 2007 wirksam geändert worden. Zwar hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG inzwischen dahingehend geändert, dass nur weitere positive Einkünfte von mehr als 410 EUR zu einer Amtsveranlagung führen, diese Änderung des Einkommensteuergesetzes wirkt jedoch nicht auf das Streitjahr 1999 zurück.

11

Nach § 52 Abs. 55j EStG, der ebenfalls durch das Jahressteuergesetz 2007 eingefügt worden ist, ist zwar § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 "auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden". Diese Regelung erstreckt sich bei verfassungskonformer Auslegung aber nicht auf das Streitjahr 1999. Erfasst werden nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Anwendungsvorschrift nur Veranlagungsjahre, bei denen durch die Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht nachträglich die Möglichkeit zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung entfällt. Der Gesetzgeber hat nur eine "Klarstellung" der Vorschrift in den Mittelpunkt seiner Gesetzgebungsinitiative gerückt. Eine Absicht, darüber hinaus den Steuerpflichtigen auch bereits bestehende Ansprüche auf Veranlagung entziehen zu wollen, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Gesetzgebungsverfahren ableiten. Im Streitfall besteht daher weiterhin die Verpflichtung des FA, den Kläger zur Einkommensteuer zu veranlagen.

12

Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, auch bereits rechtlich verfestigte Ansprüche auf Amtsveranlagung rückwirkend entziehen zu wollen, hätte der Gesetzgeber - soweit dies überhaupt rechtlich zulässig gewesen wäre - dies wenigstens eindeutig im Jahressteuergesetz regeln müssen. Dazu hätte der Gesetzgeber in § 52 Abs. 55j EStG etwa anordnen müssen, dass § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden ist, "auch wenn die Frist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bereits abgelaufen ist". Daran fehlt es aber, denn aus dem Wortlaut des § 52 Abs. 55j EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 ergibt sich nicht, ab welchem konkreten Veranlagungsjahr die Neufassung der Vorschrift Anwendung finden sollte. Eine dem Wortlaut nach insoweit unpräzise gesetzliche Regelung ist jedenfalls nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen auszulegen.

13

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesetzgebungsverfahren. Die Änderung des § 46 EStG und die neue Anwendungsvorschrift (§ 52 Abs. 55j EStG) sind auf der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrats vom 29. September 2006 in das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf eine sich nach der mündlichen Verhandlung abzeichnende Entscheidung des BFH eingeführt worden. In der Sache sollte die Neufassung den Regelungsinhalt der Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG lediglich "klarstellen". Nach der Begründung des Finanzausschuss sollte daneben der § 52 Abs. 55j EStG den zeitlichen Anwendungsbereich der Neufassung pauschal regeln (BRat-Drs. 622/1/06, S. 21f.). Die Bundesregierung hat dem Vorschlag und der indifferenten Begründung zur Anwendungsvorschrift zugestimmt (BT-Drs. 16/3036, S. 22 "Zu Nummer 17").

14

Vor allem die verfassungsrechtlichen Bedenken der steuerlichen Rechtsprechung gegenüber der Zwei-Jahres-Frist, wie sie in den Vorlagenbeschlüssen des BFH (Beschlüsse vom 22. Mai 2006, VI R 49/04 und 46/05) ihren Ausdruck gefunden haben, erfordern insoweit eine restriktive Auslegung der die Antragsveranlagung betreffenden Vorschriften.

15

Schließlich käme eine weite Auslegung des Wortlauts des § 52 Abs. 55j EStG aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. In allen Fällen mit negativen Einkünften des Steuerpflichtigen von mehr als 800 DM (410 EUR) neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit handelte es sich nach der Gesetzesfassung bis zur Änderung durch das Jahressteuergesetz 2007 um Fälle der so genannten Amtsveranlagung. Abweichend von § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG mussten diese Steuerpflichtigen nach der zitierten Rechtsprechung des BFH nicht bereits bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres einen Antrag auf Veranlagung stellen. Es galten vielmehr auch bei dem Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die allgemeinen Fristen über die Festsetzungsverjährung nach der AO. Wollte man den Wortlaut dahingehend weit auslegen, dass die Anwendungsvorschrift auch diese Fälle erfassen sollte, wäre durch das Jahressteuergesetz 2007 rückwirkend die zuvor bestehende Möglichkeit zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für Veranlagungsjahre, die die Zwei-Jahres-Frist überschritten, entfallen. Es läge ein Fall der echten Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor. Bei verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten ist der mit dem Rückwirkungsverbot vereinbaren Auslegung der Vorzug zu geben.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

17

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

18

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen, denn es ist klärungsbedürftig wie weit die durch das Jahressteuergesetz 2007 erfolgte Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nach der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 55j EStG rückwirkend Wirkung entfaltet.