Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 24.02.2015, Az.: 6 B 341/15
Subjektives Recht; Zuständigkeitswechsel; Überstellungsfrist
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 24.02.2015
- Aktenzeichen
- 6 B 341/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 44943
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27a AsylVfG
- § 34a AsylVfG
- Art 29 Abs 1 EUV 604/2013
- § 113 Abs 1 S 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Bestimmung der Überstellungsfrist in Art. 29 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III VO) vermittelt dem einzelnen Asylbewerber eine subjektive Rechtsposition.
2. Der nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO eingetretene Zuständigkeitswechsel führt zur Rechtswidrigkeit des auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützten Bescheids des Bundesamtes und verletzt den betroffenen Antragsteller in eigenen Rechten.
Gründe
I.
Der am xx.xx.xx in Sheikhan geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 28.04.2014 eigenen Angaben zufolge mit einem Lkw in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 08.05.2014 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - einen Asylantrag. Er erklärte dazu bei seiner Befragung am 08.05.2014, dass er vor seiner Ausreise zuletzt in Sheikhan, Stadtteil D., gelebt habe. Seine Eltern lebten noch in Sheikhan. Im Irak lebten auch noch eine Schwester und weitere Verwandte. In Deutschland lebten zwei Brüder, eine Schwester und seine Schwägerin mit ihren Kindern. Er habe in Sheikhan die Grundschule bis zur 6. Klasse besucht. Dann habe er sich selbständig gemacht und in einem kleinen Geschäft Baumaterialien verkauft.
Das Bundesamt erhielt am 08.05.2014 durch Anfrage beim Ausländerzentralregister Kenntnis davon, dass das Königreich Spanien dem Antragsteller am 12.03.2014 ein vom 20.03 - 19.04.2014 gültiges Schengen - Visum erteilt hatte. Das Bundesamt richtete daraufhin am 11.06.2014 ein Aufnahmegesuch an das Königreich Spanien. Das Königreich Spanien erklärte sich am 10.07.2014 unter Hinweis auf das erteilte Visum bereit, den Antragsteller zur Durchführung eines Asylverfahrens aufzunehmen.
Das Bundesamt lehnte daraufhin mit Bescheid vom 05.08.2014 - zugestellt am 07.08. 2014 - den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Spanien an. Dazu heißt es im Wesentlichen, der Asylantrag sei unzulässig, weil Spanien aufgrund des ausgestellten Visums für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Der Antragsteller hat am 11.08.2014 Klage (6 A 11065/14) erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die Kammer hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 27.08.2014 (6 B 11066/14) abgelehnt und dazu u.a. ausgeführt, das Asylverfahren in Spanien leide nicht an systemischen Mängeln, die eine Ausübung des Selbsteintrittsrecht durch die Antragsgegnerin erforderlich machten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss vom 27.08.2014 verwiesen.
Der Antragsteller hat am 21.01.2015 beim Verwaltungsgericht beantragt, den Beschluss der Kammer vom 27.08.2014 zu ändern und ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes vom 05.08.2014 zu gewähren. Er trägt vor: Die entscheidungserheblichen Umstände hätten sich seit dem Erlass des Beschlusses der Kammer vom 27.08.2014 geändert. Die Abschiebungsanordnung dürfe nicht mehr vollzogen werden, weil die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 der hier anwendbaren Dublin III - Verordnung mittlerweile abgelaufen sei. Spanien habe seine Zuständigkeit am 10.07.2014 erklärt, die Überstellungsfrist sei deshalb am 10.01.2015 abgelaufen. Der im Verfahren 6 B 11066/14 gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sei abgelehnt worden und habe deshalb nicht zu einer Hemmung oder einem Neubeginn der Überstellungsfrist geführt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Kammer vom 27.08.2014 zu ändern und die aufschiebende Wirkung seiner Klage 6 A 11065/14 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin, die Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat, hat keine Stellungnahme zum Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 27.08.2014 abgegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des vorgelegten Verwaltungsvorganges der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Die Entscheidung ergeht durch die Kammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, weil der Einzelrichter den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18.02.2015 auf die Kammer übertragen hat (§ 76 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG).
Der zulässige Antrag ist begründet.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Die veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstände müssen eine entscheidungserhebliche Grundlage der früheren Entscheidung betreffen und deshalb geeignet sein, eine Änderung dieser Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2008 - 2 VR 1/08 - juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.06.2009, AuAS 2009, 186; Beschl. der Kammer v. 25.09. 2014 - 6 B 11732/14 - und vom 20.06.2010 - 6 B 6127/09 -). Davon ist hier auszugehen.
Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 der hier anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06. 2013 (ABl. Nr. L 180 S. 31) - Dublin III-VO - war zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses der Kammer vom 27.08.2014 (6 B 11066/14) noch nicht abgelaufen.
Die Dublin III-VO ist nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 im vorliegenden Fall anwendbar, weil sowohl der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz als auch das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach dem 01.01.2014 gestellt worden sind. Nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO erfolgt die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedsstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat. Das Königreich Spanien hat dem Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin am 10.07.2014 entsprochen, so dass die Überstellungsfrist von 6 Monaten nach Annahme des Aufnahmegesuchs frühestens am 10.01.2015 abgelaufen ist. Davon ist auch die Antragsgegnerin ausweislich des Aktenvermerks vom 05.08.2014 (Bl. 65 BA A) ausgegangen.
Mittlerweile und damit auch zum maßgebenden Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO abgelaufen. Der am 11.08.2014 gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Beschluss der Kammer vom 27.08.2014 abgelehnt worden und hat deshalb den Ablauf der durch die Annahme des Aufnahmegesuchs ausgelösten Überstellungsfrist nicht unterbrochen oder gehemmt. Dies hat die Kammer bereits im Beschluss vom 13.05.2014 (6 B 9277/14, juris Rn. 18 - 23) ausführlich zu der Vorgängervorschrift des Art. 19 Abs. 3 Dublin II - VO dargelegt und auch bereits für die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO angenommen (vgl. z.B. Beschl. v. 18.11.2014 - 6 B 12978/14 -). Die Auffassung, dass ein erfolgloser Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO nicht hemmt, wird auch ansonsten ganz überwiegend in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vertreten (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 08.09.2014 - 13 A 1347/14.A -; Urt. v. 07.03.2014 - 1 A 21/12.A - juris, noch zu Dublin II - VO; VG Münster, Urt. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Hannover, Beschl. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14, VG Köln, Urt. v. 27.08.2014 - 3 K 411/14.A -; VG Cottbus, Beschl. v. 24.07.2014 - 1 L 174/14.A -; VG Göttingen, Beschl. v. 30.06.2014 - 2 B 86/14 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 02.06.2014 - 9 B 207/14 -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 15.04.2014 - A 1 K 25/14 - alle zit. nach juris). Die davon abweichende Entscheidung des VG Karlsruhe (Beschl. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris Rn. 25 - 32), wonach die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO frühestens mit der - auch negativen - Entscheidung über den Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beginnt, steht mit der gefestigten Rechtsprechung der Kammer nicht in Einklang und wird auch nach erneuter Prüfung von der zur Entscheidung berufenen Kammer nicht geteilt. Es trifft insbesondere nicht zu, dass die technischen und organisatorischen Einzelheiten der Überstellung nicht bereits während der Dauer des Eilverfahrens vorbereitet werden könnten. Darauf haben das OVG Münster im Beschluss vom 08.09. 2014 (13 A 1347/14.A, juris), das VG Münster im Urteil vom 19.11.2014 (1 K 1136/ 14.A, juris), die Kammer in ihrem Beschluss vom 13.05.2014 (6 B 9277/14, juris) und das VG Cottbus im Beschluss vom 24.07 .2014 (1 L 174/14.A, juris) hingewiesen.
Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO wäre im Übrigen auch dann abgelaufen, wenn man mit dem VGH Mannheim (Urt. v. 27.08.2014 - A 11 S 1285/14 - juris Rn. 36 und 58) davon ausgeht, dass der Ablauf der Überstellungsfrist während der Dauer des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gehemmt ist. Das Verfahren nach § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO hat im vorliegenden Fall vom 11.08.2014 bis zum 27.08.2014 und damit allenfalls 17 Tage gedauert. Die Überstellungsfrist wäre danach nicht am 10.01.2015, sondern am 27.01.2015 abgelaufen. Anhaltspunkte für eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III - VO sind weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
Der Umstand, dass die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO mittlerweile abgelaufen ist, hat die Sachlage gegenüber dem Beschluss der Kammer vom 27.08. 2014 (6 B 11066/14) entscheidungserheblich geändert. Das private Interesse der Antragsteller an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt nunmehr das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der im Bescheid des Bundesamtes vom 05.08.2014 enthaltenen Abschiebungsanordnung. Der Bescheid des Bundesamtes vom 05.08.2014 ist durch den Ablauf der Überstellungsfrist nicht nur rechtswidrig geworden, sondern verletzt den Antragsteller auch in seinen Rechten.
Die Kammer hat in ihrer bisherigen Rechtsprechung (z. B. Beschl. v. 18.11.2014 - 6 B 12978/14 -; Beschl. v. 07.10.2014 - 6 B 11768/14 -; Beschl. v. 06.10.2014 - 6 B 11879/ 14 - ebenso Beschl. der 3. Kammer v. 21.07.2014 - 3 B 10472/14 -) angenommen, dass mit Ablauf der in der Dublin II - VO bzw. Dublin III - VO bestimmten Überstellungsfristen die Abschiebungsanordnung rechtswidrig geworden ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Diese Auffassung wird auch ansonsten in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Fristbestimmung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO und der Vorgängervorschrift des Art. 19 Abs. 3 Dublin II - VO vertreten (VGH Mannheim, Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 -; VG Sigmaringen, Urt. v. 28.01. 2015 - A 1 K 500/14 -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 -; VG Münster, Urt. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Regensburg, GB. v. 03.11.2014 - RO 9 K 14.30260 -; Urt. v. 23.10.2014 - RN 3 K 14.50097 -, VG Köln, Urt. v. 27.08. 2014 - 3 K 411/14.A -; VG Cottbus, Beschl. v. 24.07.2014 - 1 L 174/14.A -; VG Göttingen, Beschl. v. 30.06.2014 - 2 B 86/14 - VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2014 - 1 A 413/13 -; alle zit. nach juris).
In der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Dublin II - VO ist andererseits wiederholt ausgesprochen worden, dass die Fristvorschriften der Dublin II - VO ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates dienen und keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers begründen (VGH Kassel, Beschl. v. 25.08.2014 - 2 A 976/14.A -; VGH Mannheim, Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - beide zit. nach juris). Das Nds. OVG (Beschl. v. 06.11.2014 - 13 LA 66/14 - juris) hat dazu ausgeführt, es sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die Fristbestimmungen der Dublin II - VO keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers begründen. Zugleich hat das Nds. OVG in diesem Beschluss angedeutet, dass auch die Dublin III - VO dem Asylbewerber keine weitergehende Rechtsposition und insbesondere nicht das Recht eingeräumt hat, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Staat prüfen zu lassen. Dass die Fristbestimmungen der Dublin III - VO und insbesondere auch die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO zumindest in aller Regel keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers begründen, ist auch ansonsten wiederholt in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ausgesprochen worden (VG Oldenburg, Beschl. v. 20.01.2015 - 11 B 454/15 -; VG Düsseldorf, Urt. v. 09.12.2014 - 13 K 399/14.A-; VG Dresden, Beschl. v. 13.11.2014 - A 2 L 1278/14 -, VG Hannover, Beschl. v. 10.11.2014 - 1 B 12764/14 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144 -; alle zit. nach juris).
Die Kammer hält auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und nach erneuter Prüfung an ihrer Auffassung fest, dass die Fristbestimmung des Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO dem einzelnen Asylbewerber eine subjektive Rechtsposition vermittelt. Dafür spricht bereits Art. 29 Abs. 2 Dublin III - VO, der als Rechtsfolge des Fristablaufes einen Zuständigkeitswechsel für die Prüfung des Asylantrages vorsieht. Nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III - VO ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist kann nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III - VO höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Die Vorschriften des Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III - VO dienen nicht allein dem öffentlichen Interesse an einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedsstaates, sondern auch dem schutzwürdigen Interesse des Asylbewerbers daran, dass sein Asylantrag innerhalb einer angemessenen Frist sachlich geprüft wird (VGH Mannheim, Beschl. v. 06.08. 2013 - 12 S 675/13 -; VG Sigmaringen, Urt. v. 28.01.2015 - A 1 K 500/14 -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 -; VG Münster, Urt. v. 19.11.2014 - 1 K 1136/14.A -; VG Regensburg, GB. v. 03.11.2014 - RO 9 K 14.30260 -; Urt. v. 23.10. 2014 - RN 3 K 14.50097 -, VG Köln, Urt. v. 27.08.2014 - 3 K 411/14.A -; VG Cottbus, Beschl. v. 24.07.2014 - 1 L 174/14.A -; VG Göttingen, Beschl. v. 30.06.2014 - 2 B 86/ 14 -; VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2014 - 1 A 413/13 -; alle zit. nach juris). Dass die Fristbestimmung des Art. 19 Abs. 4 Dublin II - VO, die inhaltlich der hier anwendbaren Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Dublin III - VO entspricht, subjektive Rechte vermittelt, hat auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 11.07.2013 zur Rechtssache C-394/12 (Abdullahi gegen Bundesasylamt) angenommen. So heißt es in Rn. 44 des Schlussantrages:
„Meines Erachtens kann dieser Rechtsbehelf (Anm. des Gerichts: der in Art. 19 Abs. 2 Dublin II - VO erwähnte Rechtsbehelf) nur die Einhaltung der Verordnung im Hinblick auf zwei Aspekte zum Gegenstand haben: (A) das Vorliegen von Umständen, die die Vermutung der Wahrung der Grundrechte widerlegen können, auf der das System der Union beruht, und (B) die Anerkennung bestimmter spezieller Rechte durch die Verordnung Nr. 343/2003, die mit dem eigentlichen Asylrecht einhergehen, und ihre entsprechende Gewährleistung.
In Rn. 46 des Schlussantrages heißt es dazu weiter:
„Der zweite Aspekt besteht meines Erachtens in den Rechten, die die Verordnung Nr. 343/2003 dem Asylbewerber speziell im Verlauf des Verfahrens zur Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedsstaats gewährt. So verhält es sich mit den Rechten im Hinblick auf die Familienzusammenführung (Art. 7, 8, 14, 15), den Rechten bei Minderjährigkeit (Art. 6) oder den Rechten im Zusammenhang mit einem zügigen Verfahren (Einhaltung von Fristen und Umsetzung der in jedem einzelnen Fall vorgesehenen Rechtsfolgen, wie z.B. Art. 19 Abs. 4). Alles dieses sind Rechte, die letztlich über die Rechtsstellung der Mitgliedsstaaten im Bereich der durch die Verordnung Nr. 343/2003 geregelten Beziehungen hinausgehen und die dem Asylbewerber ein spezifisches und eigenes subjektives Recht verleihen, das sich zudem stets auf einen durch eine Grundrechtsgarantie geschützten Bereich bezieht: das Recht auf Schutz des Familienlebens (Art. 7 und 33 der Charta der Grundrechte), das Recht auf Schutz von Kindern (Art. 24 der Charta der Grundrechte) und das Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41 der Charta der Grundrechte). Es handelt sich bei diesen Rechten letzten Endes nicht um einen bloßen Anspruch auf ordnungsgemäße Abwicklung eines Verfahrens, in dem hauptsächlich die Mitgliedsstaaten betreffende Fragen gelöst werden, sondern um den Anspruch darauf, dass bei der Lösung dieser Fragen bestimmte Rechte und Interessen beachtet werden, die Schutzgegenstand bestimmter Grundrechte sind.“
Diese Überlegungen gelten erst Recht für die Dublin III - VO, in deren Erwägungsgrund 19 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass ein wirksamer Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen sowohl die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung als auch die Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem Mitgliedsstaat umfassen sollte, in den der Antragsteller überstellt wird (vgl. dazu auch VG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11. 2014 - A 5 K 2016/14 -; VG Köln, Urt. v. 27.08.2014 - 3 K 411/14. A - juris).
Die Kammer berücksichtigt in diesem Zusammenhang auch, dass nach der gefestigten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Österreich (Verwaltungsgerichtshof, Erk. v. 09.09.2010 - Az.: 2007/20/1040 -, Erk. v. 19.06.2008 - Az.: 2007/21/0509 -; Bundesverwaltungsgericht, Beschl. v. 21.01.2015 - W 153 201 6312 - 1, Beschl. v. 10.11.2014 - W 205 201 3365 -, alle zit. nach Rechtsinformationssystem (RIS)) und der Schweiz (Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 31.05.2010 - Abt. IV - D - 2100/2010 -, Urt. v. 10. 03.2010 - Abt. IV - D - 252/2010 - abgedruckt in der Rechtsprechungsdatenbank des Bundesverwaltungsgerichts) der Ablauf der Überstellungsfristen nach der Dublin II - VO oder nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III - VO zu einem gesetzlich angeordneten Wechsel der Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrages führt, auf den sich der Antragsteller berufen kann. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat dazu in seinem Erkenntnis vom 19.06.2008 ausgeführt, durch die Regelungen zur Überstellungsfrist solle vermieden werden, dass ein Asylantrag monate- oder gar jahrelang in keinem Mitgliedsstaat geprüft wird. Darauf hat sich das österreichische Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 10.11.2014 für die auch hier anwendbare Nachfolgeregelung des Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III - VO ausdrücklich bezogen.
Die Rechtsprechung des EuGH steht der Annahme nicht entgegen, dass sich der Asylbewerber auf den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III - VO berufen kann. Dies gilt insbesondere auch für das Urteil vom 10.12.2013 in der Sache Abdullahi gegen Bundesasylamt (C-394/12, NVwZ 2014, 208 = juris). Der EuGH hat in diesem Urteil auf die ihm gestellte Vorlagefrage lediglich entschieden, Art. 19 Abs. 2 Dublin II - VO sei dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedsstaat der Aufnahme des Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II - VO niedergelegten Kriterium zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedsstaat geltend macht (juris Rn. 62). Diese Entscheidung betrifft damit nicht die hier maßgebende Frage, welcher Bedeutung der Ablauf der Überstellungsfrist nach der Ermittlung des zuständigen Mitgliedsstaates zukommt. Dass der Asylbewerber einen Anspruch auf eine inhaltliche Prüfung seines Asylantrages in angemessener Frist hat, hat der EuGH bereits wiederholt entschieden (Urt. v. 14.11.2013 - C-4/11 - NVwZ 2014, 129 = juris Rn. 35, Urt. v. 06.06.2013 - C-648/11 - NVwZ-RR 2013, 735 = juris Rn. 55 und 61; Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 - NVwZ 2012, 108 = juris Rn. 98 und 108). Auch ansonsten lässt die Rechtsprechung des EuGH nicht den Schluss zu, dass sich ein Asylbewerber bei erfolgter Zustimmung durch einen anderen Mitgliedsstaat nur auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Zielstaat berufen kann. Hinsichtlich der Rechte eines Minderjährigen (Art. 8 Dublin III - VO, Art. 6 Dublin II - VO) hat der EuGH im Urteil vom 06.06.2013 (C-648/11 - juris Rn. 55) deutlich erkennen lassen, dass sich der Minderjährige auf die diesbezüglichen Zuständigkeitsvorschriften berufen kann. Auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist bereits wiederholt angenommen worden, dass zumindest einzelne Zuständigkeitsregelungen der Dublin III - VO drittschützend sind und deshalb der Überstellungsentscheidung entgegen gehalten werden können (vgl. z.B. VG Hannover, Beschl. v. 16.02.2015 - 10 B 403/15 - Beschl. v. 22.10. 2014 - 13 B 12064/14 - juris, zu Zuständigkeitsregelungen mit familiären Bezug). Verfassungsrechtlich geprägte zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse können zudem dem Asylbewerber einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III - VO vermitteln (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 04.07. 2012 - 2 LB 163/10 - juris Rn. 42 - 48; Urt. der Kammer v. 26.06.2014 - 6 A 879/14). Die Kammer entnimmt dieser Rechtsprechung, dass einzelfallbezogen zu prüfen ist, ob die Vorschriften der Dublin III - VO dem Asylbewerber subjektive Rechte vermitteln. Für Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III - VO bejaht sie dies aus den bereits dargelegten Gründen. Dieser Annahme steht auch nicht die Rechtsprechung des BVerwG entgegen.
Das BVerwG hat bislang nicht ausdrücklich entschieden, dass sich ein Asylbewerber nicht auf den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III - VO berufen kann. Die bisherigen Entscheidungen sind zur Dublin II - VO ergangen und befassen sich im Wesentlichen nur mit der vom EuGH im Urteil vom 10.12.2013 behandelten Frage, wann systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Zielstaat angenommen werden können (Beschl. v. 14.07.2014 - 1 B 9/14 -; Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 -. Beschl. v. 21.05.2014 - 10 B 31/14 -, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6/14 - alle zit. nach juris).
Der Bescheid des Bundesamtes vom 05.08.2014 verletzt mithin den Antragsteller wegen des Ablaufes der Überstellungsfrist in seinen Rechten, sodass auf seinen Antrag vom 21.01.2015 der Beschluss der Kammer vom 27.08.2014 (6 B 11066/14) zu ändern und die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen diesen Bescheid anzuordnen ist.