Arbeitsgericht Göttingen
Urt. v. 28.11.2001, Az.: 3 Ca 477/01
Klage einer Arbeitnehmerin (Arbeiterin) gegen den Arbeitgeber auf Reduzierung der Arbeitszeit bei vorgetragenem Entgegenstehen betrieblicher Gründe
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Göttingen
- Datum
- 28.11.2001
- Aktenzeichen
- 3 Ca 477/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 10017
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGGOE:2001:1128.3CA477.01.0A
Rechtsgrundlage
- § 8 TzBfG
Fundstelle
- AiB 2002, 768 (Volltext mit amtl. LS)
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Antrag der Klägerin zur Reduzierung ihrer vertraglichen Arbeitszeit auf 25 Wochenstunden zuzustimmen.
- 2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 3.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
- 4.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.800,00 DM festgesetzt.
- 5.
Die Berufung wird nicht besonders zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung.
Die Klägerin ist seit Februar 1985 bei der Beklagten als Arbeiterin tätig. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zwischen den Parteien nicht geschlossen. Die Klägerin erzielte zuletzt ein durchschnittliches monatliches Bruttogehalt von ca. 4.600,00 DM. Bei der Beklagten, welche regelmäßig mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Betriebsrat gebildet.
Im Anschluss an die Geburt ihres Kindes nahm die Klägerin ab dem 27.09.1998 Erziehungsurlaub, welcher am 26.09.2001 endete. Der Ehemann der Klägerin ist ebenfalls bei der Beklagten, dort im 3-Schicht-Betrieb beschäftigt. Die Klägerin, die während der Dauer ihrer Beschäftigung bei der Beklagten verschiedene Arbeitsplätze inne hatte, wurde von der Beklagten nach Ende des Erziehungsurlaubs im Zweigwerk Hedemünden im Bereich der Endbearbeitung eingesetzt. Sie arbeitet dort mit 7 weiteren Mitarbeitern im 2-Schicht-System. Ihre bisherigen Arbeitszeiten liegen wie folgt:
Die Frühschicht von Montag bis Donnerstag 6.00 Uhr bis 14.25 Uhr
sowie Freitag von 6.00 Uhr bis 12.20 Uhr, die Spätschicht dauert von Montag bis Donnerstag
jeweils 14.30 Uhr bis 22.55 Uhr sowie
Freitag von 12.20 Uhr bis 18.40 Uhr. Darin ist jeweils eine 30minütige unbezahlte Pause enthalten.
Bereits im Rahmen eines Telefonates mit dem Personalleiter der Beklagten ... kündigte die Klägerin Mitte Juni 2000 an, die Arbeitszeit reduzieren zu wollen. Zwischen den Parteien ist streitig, inwieweit die Klägerin bei diesem Telefonat schon konkrete Daten zu Umfang und Beginn der Arbeitszeitreduzierung geäußert hat. Die Klägerin hat sodann mit Schreiben vom 05.07.2001 schriftlich die Arbeitszeitreduzierung nach Ende ihres Erziehungsurlaubs auf 25 Stunden pro Woche beantragt. Mit Schreiben vom 17.07. und 22.08.2001 machte die Beklagte "entgegenstehende betriebliche Gründe." geltend. Die Klägerin ihrerseits bekräftigte mit Schreiben vom 24.08.2001 noch einmal ihren Wunsch nach einer Teilzeitbeschäftigung und informierte den Betriebsrat (Bl. 6 d.A.). Mit der am 05.09.2001 beim Arbeitsgericht Göttingen eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter.
Sie ist der Ansicht, dass ihrem Teilzeit-Wunsch keine nennenswerten betrieblichen Gründe bei der Beklagten entgegenstehen. Auch im Bereich der Produktion sei bei der Beklagten eine nicht vollschichtige Tätigkeit denkbar. Der Beklagten seien dazu auch konkrete Vorschläge unterbreitet worden. Die Klägerin behauptet, dass sie aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen bei der Beklagten im Bereich des Labors, des oberen Schlauchsaals, der Qualitätssicherung, bei den Stempelmaschinen, in der Nacharbeit, bei der Verpackung, in der Qualitätssicherung oder sogar bei den sogenannten Horizontalpressen einsetzbar sei. Auch im Rahmen der bestehenden Arbeitszeitmodelle müsse es der Beklagten möglich sein, ihren Teilzeitwunsch zu berücksichtigen. Dieser werde von ihren persönlichen Verhältnissen her dadurch bestimmt, das 3 sie bei der Betreuung ihres kleinen Kindes auf die Öffnungszeiten des Kindergartens angewiesen sei.
Die Klägerin hat im Kammertermin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Antrag der Klägerin zur Reduzierung ihrer vertraglichen Arbeitszeit auf 25 Wochenstunden zu zustimmen und die Verteilung der Arbeitszeit arbeitstäglich auf 8.00 Uhr bis 13.30 Uhr festzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass schon die regelmäßige 2-Schicht-Arbeit bzw. 3-Schicht-Arbeit in der Produktion einer Teilzeitbeschäftigung entgegenstehe. Am derzeitigen Arbeitsplatz in der Endbearbeitung komme ... eine Teilzeitbeschäftigung der Klägerin nicht in Betracht, da sie zum Schichtende gewisse Kontrollzahlen vorweisen müsse, welche sie nur bei vollschichtigem Einsatz erbringen könne. Durch eine Teilzeitbeschäftigung würde ein kontinuierlicher - bereits hinterlegter - logistischer Ablauf nachhaltig gestört werden. Ferner seien Liefertreue, Qualität sowie das flexiblere Reagieren auf Kundenanforderungen nicht mehr sichergestellt. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin vor Antritt ihres Erziehungsurlaubes an einer Horizontalpresse eingesetzt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Gründe
Die Klage ist hinsichtlich der begehrten Arbeitszeitreduzierung begründet, hinsichtlich der konkret begehrten Verteilung der reduzierten Arbeitszeit unbegründet.
1.
Die Beklagte erfüllt die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 TzBfG, da sie - ohne Berücksichtigung der Personen in der Berufsbildung - in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat länger als 6 Monate - nämlich seit dem 07.02.1985 - bestanden, so dass die Klägerin eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit nach § 8 Abs. 1 TzBfG verlangen kann.
2.
Die Klägerin hat ihr Reduzierungsverlangen schriftlich erstmals am 05.07.2000 mit gewünschter Wirkung zum 26.09.2000 formuliert. Die 3-Monats-Frist des § 8 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ist dabei nicht eingehalten worden. Es mag jedoch dahinstehen, ob die Klägerin das grundsätzlich nicht formgebundene Verlangen schon in einem Telefonat Mitte Juni 2001 gegenüber dem Personalleiter der Beklagten ... hinreichend bestimmt formuliert hat. Die Nichteinhaltung der Antragsfrist führt nämlich nicht zur vollständigen Unwirksamkeit des Teilzeitbegehrens, sondern - im Wege der geltungserhaltenen Reduktion - nur dazu, dass ein Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit erst mit Ablauf der 3-Monats-Frist entsteht (vgl. Zwanziger, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, 5. Aufl. 2001, § 8 TzBfG Randnr. 35; so auch Hanau in: NZA 2001, 1168, 1170 ff., der sich dafür ausspricht, vom Gesetz nicht gedeckte Teilzeitbegehren durch Auslegung auf den gesetzmäßigen Kern des Begehrens zu reduzieren). Zum Zeitpunkt der dieser Entscheidung vorausgehenden mündlichen Verhandlung am 28.11.2001 war auch die erst durch das Schreiben der Klägerin vom 05.07.2001 in Gang gesetzte 3-Monats-Frist bereits abgelaufen, so dass jetzt all 5 formalen Voraussetzungen für das Teilzeitbegehren der Klägerin erfüllt sind.
3.
Die Beklagte hat mit ihren ablehnenden schriftlichen Stellungnahmen vom 17.07.2001 und 22.08.2001 ihrerseits die Monats-Frist des § 8 Abs. 5 Satz 1 TzBfG gewahrt. Die Beklagte konnte jedoch bislang die der Arbeitszeitreduzierung angeblich entgegenstehenden "betrieblichen Gründe" im Sinne des § 8 Abs. 4 TzBfG nicht hinreichend darlegen.
Die Beklagte weist zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass sie im Rahmen der Ablehnung eines Teilzeitbegehrens keine Gründe vorbringen muss, die das Gewicht von "dringenden betrieblichen Erfordernissen" im Sinne von § 1 Abs. 1 KSchG haben. Genau wie im Kündigungsschutzverfahren obliegt ihr aber die Darlegungs- und Beweislast für die im Rahmen von § 8 TzBfG erheblichen "betrieblichen Gründe". Der Arbeitgeber hat diese Gründe substantiiert darzulegen und die gesetzlichen Beispiele mit Tatsachenvortrag auszufüllen. Die wesentlichen Beeinträchtigungen der Organisation, des Arbeitsablaufs oder der Sicherheit im Betrieb, mit der Arbeitszeitreduzierung verbundene unverhältnismäßige Kosten oder die Unteilbarkeit des Arbeitsplatzes dürfen nicht nur schlagwortartig und pauschal behauptet werden (so auch: Gobys/Bram NZA 2001, 1175, 1180). Nach der gesetzgeberischen Zielsetzung soll das TzBfG dem einzelnen Arbeitnehmer einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung auch in den Fällen gewähren, in denen der Arbeitgeber Teilzeitarbeit grundsätzlich ablehnt. Der einem Teilzeitbegehren entgegenstehende Wille des Arbeitgebers kann mithin für sich allein nicht als "betrieblicher Grund" akzeptiert werden. Nach Überzeugung des erkennenden Gerichts kommen auch diejenigen Umstände nicht als "betriebliche Gründe" im Sinne von § 8 TzBfG in Betracht, die stets und unvermeidlich mit jeder Art. der Teilzeitbeschäftigung verbunden sind (die Erforderlichkeit von Neueinstellungen oder aber Arbeitszeitverlängerungen bei der übrigen Belegschaft, notwendige Integration der Teilzeitkräfte in den Betriebsablauf, Erfassung der geänderten Arbeitszeiten für die Lohnabrechnung etc.). Derartige Gründe können nur dann als entgegenstehende betriebliche Gründe gewertet werden, wenn ihnen aufgrund der Eigenart des Betriebes, ein Gewicht zukommt, welches den stets mit der Einführung von Teilzeit einhergehenden Aufwand übersteigt.
Diesen Anforderungen werden die bisherigen Darlegungen der Beklagten zu den angeblich entgegenstehenden "betrieblichen Gründen" nicht gerecht. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 04.10.2001 geltend macht, die Klägerin müsse an ihrem Arbeitsplatz am Ende der Schicht eine bestimmte "Sollzahl" von kontrollierten Artikeln vorweisen so ist dem entgegenzuhalten, dass diese Sollzahl für Teilzeitbeschäftigte abgesenkt werden könnte und der Rest des Kontingents von einem anderen Arbeitnehmer übernommen werden könnte. Alternativ dazu könnte die Beklagte die Klägerin im Rahmen der reduzierten Arbeitszeit so einplanen, dass die Klägerin jeweils volle Schichten arbeitet, um sodann an bestimmten Tagen Freischichten zu erhalten. Die Beklagte hat im Kammertermin eingeräumt, dass bei ihr eine Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Arbeitszeit existiert, welche die Gewährung von Freischichten vorsieht. Ferner legt die Beklagte selbst Wert auf die Feststellung, dass bei ihr eine gewisse. Flexibilität im Personaleinsatz für Krankheits- und andere Vertretungsfälle gegeben ist.
Die ferner im Schriftsatz vom 26.11.2001 aufgestellte Behauptung, der Einsatz von Teilzeitkräften gefährde "Liefertreue, Qualität sowie das flexible Reagieren auf Kundenanforderungen", ist nicht mit konkreten Tatsachen untermauert. Es ist insbesondere bislang nicht hinreichend dargelegt, warum eine Integration von Teilzeitbeschäftigten in das Zwei- bzw. Drei-Schicht-System bei der Beklagten nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem. Aufwand möglich sein soll. Gerade mit Rücksicht auf ihre im Schriftsatz vom 23.10.2001 noch einmal dargelegte vielseitige fachliche Verwendbarkeit der Klägerin konnte die Beklagte nicht plausibel darlegen, welche betrieblichen Gründe einer Teilzeitbeschäftigung der Klägerin tatsächlich entgegenstehen sollen.
4.
Unbegründet ist die Klage jedoch hinsichtlich der von der Klägerin konkret verlangten Festlegung der Arbeitszeit auf die Zeiten von jeweils 8.00 Uhr bis 13.30 Uhr. Die Klägerin kann für diesen Wunsch zwar vernünftige persönliche Gründe (Orientierung an den Öffnungszeiten des Kindergartens) anführen. Angesichts des Umstandes, dass der gesamte Produktionsbereich der Beklagten zur Zeit entweder im Zwei- oder im Drei-Schicht-Betrieb organisiert ist, läge in der gerichtlichen Festlegung der reduzierten Arbeitszeit auf die von der Klägerin gewünschten Vormittagsstunden ein unverhältnismäßig starken Eingriff in die betriebliche Organisation der Beklagten. Die Klägerin war zunächst auch nicht in der Lag 5, einen für sie geeigneten freien oder freizumachenden Arbeitsplatz außerhalb des Schichtsystems konkret, zu benennen. Hinsichtlich der von der Klägerin gewünschten gänzlich anderen Verteilung der reduzierten Arbeitszeit sind daher entgegenstehende betriebliche Gründe anzunehmen.
Damit nimmt das Gericht jedoch nicht den Standpunkt ein, das 3 der Beklagten keinerlei Änderungen des dem Teilzeitbegehren entgegenstehenden Schichtsystems zumutbar sind. In Umsetzung des ausgeurteilten Teilzeitanspruchs soll der Beklagten zunächst die Chance gegeben werden, die reduzierte Arbeitszeit der Klägerin in das bestellende Arbeitszeitsystem einzufügen. Dabei hat die Beklagte auf die persönlichen Lebensumstände der Klägerin im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse Rücksicht zu nehmen und den unter 3) genannten mit der Einführung von Teilzeitarbeit notwendig einhergehenden Mehraufwand hinzunehmen.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach die Kosten des Rechtsstreits verhältnismäßig zu teilen sind. Das erfolgreichen Begehren einer Arbeitszeitreduzierung durch die Klägerin wurde dabei schwerer gewichtet als die Frage nach der konkreten Verteilung der Arbeitszeit. Der Wert des Streitgegenstandes (§ 61 Abs. 1 ArbGG) wurde in Anlehnung an die zur Änderungskündigung entwickelten Grundsätze nach § 12 Abs. 7 ArbGG wie folgt berechnet:
Die Reduzierung der Arbeitszeit um 1/3 entspricht einer Minderung des Bruttogehaltes von 4.600/00,00 DM um monatlich 1.533,33 DM. Das 36-fache dieser Differenz übersteigt mit 55.200,00 DM die Kappungsgrenze von drei Monatsgehältern, so dass der Wert von drei Bruttogehältern (zusammen: 13.800,00 DM) zugrunde zu legen war. Einer gesonderten Berufungszulassung bedurfte es nicht.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.800,00 DM festgesetzt.