Arbeitsgericht Göttingen
Urt. v. 30.05.1997, Az.: 3 Ca 517/96
Erfordernis der gesundheitlichen uneingeschränkten Eignung für die Tätigkeit eines Frachtzustellers ; Notwendigkeit eine Nachuntersuchung als ein Fall der Nichteignung; Nichteignung als auflösende Bedingung eines Arbeitsvertrages
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Göttingen
- Datum
- 30.05.1997
- Aktenzeichen
- 3 Ca 517/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 10832
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGGOE:1997:0530.3CA517.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 Eignungsreichtlinien
- § 620 BGB
Tenor:
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch das Schreiben der Beklagten vom 13. Juni 1996 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Frachtzusteller bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 13.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des zwischen ihnen gegründeten Arbeitsverhältnisses und um Weiterbeschäftigung.
Der Kläger trat im Juni 1995 als Frachtzusteller in die Dienste der Beklagten. Er wurde zunächst aufgrund mehrerer befristeter Verträge (Bl. 27-33 d. A.) bis 30. März 1996 beschäftigt. Die Parteien haben mit Vertrag vom 10. April 1996 (Bl. 26 d. A.) die unbefristete Beschäftigung ab 31. März 1996 vereinbart. In diesem Vertrag heißt es - soweit hier interessierend -:
Für das Arbeitsverhältnis gelten der "Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb)" und die sonstigen Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost/Deutschen Post AG in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.
Die Zuordnung zum Geltungsbereich des TV Arb ergibt sich in Anwendung des § 1 TV Arb aus der jeweils ausgeübten Tätigkeit.
Das Arbeitsverhältnis steht unter dem Vorbehalt der noch festzustellenden Eignung im Sinne des § 4 Abs. 1 Eignungsrichtlinien. Im Falle der Nichteignung endet das Arbeitsverhältnis - ohne daß es einer Kündigung bedarf - mit Ablauf des Tages, an dem dem Arbeitnehmer die Mitteilung über das Ergebnis der Einstellungsuntersuchung zugeht.
Die betriebsärztliche Untersuchung vom 9. Mai 1996 stellt - neben weiterem - fest:
Nach der hier durchgeführten betriebsärztlichen Untersuchung bestehen prognostische Unsicherheiten, die es notwendig machen, einen längeren Beobachtungszeitraum zu haben. Ich schlage deshalb eine Nachuntersuchung in einem Jahr vor.
Die Beklagte, der der Einjahreszeitraum zu lang erschien, intervenierte beim Betriebsarzt, der ihr sodann in der "Mitteilung über eine arbeitsmedizinische Beurteilung/Stellungnahme" vom 29. Mai 1996 schrieb:
Nach der hier durchgeführten Untersuchung bestehen erhebliche prognostische Unsicherheiten. Ich kann deshalb den Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrages nicht empfehlen. Es sollte ein Vorbehalt in den Arbeitsvertrag bzgl. des Ergebnisses einer in etwa einem Jahr durchzuführenden Nachuntersuchung aufgenommen werden. Die Wiedervorstellung erbitte ich dann unter Vorlage der Krankentage der gesamten Arbeitszeit. Die gesundheitliche Eignung zum Führen eines Kfz der Kl. 3 liegt mit der Auflage des Tragens einer geeigneten Sehhilfe vor.
Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 13. Juni 1996 (Bl. 3 d. A.) an den Kläger und teilt ihm darin mit, daß das Arbeitsverhältnis mit Zugang des Briefes ende, weil nach der durchgeführten betriebsärztlichen Untersuchung keine uneingeschränkte Eignung für die Tätigkeit eines Frachtzustellers habe festgestellt werden können.
Der Kläger setzt sich gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit seiner bei Gericht am 12. Juli 1996 eingegangenen Klagschrift zur Wehr.
Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsverhältnis bestehe unbefristet fort, weil die auflösende Bedingung - die Nichteignung - nicht vorliege.
Der Kläger beantragt,
- 1.
festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis durch das Schreiben vom 13. Juni 1996 nicht beendet ist.
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Frachtzusteller bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, die auflösende Bedingung sei eingetreten, weil der Kläger ausweislich der betriebsärztlichen Mitteilung für die Tätigkeit als Frachtzusteller nicht uneingeschränkt gesundheitlich geeignet sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Das mit Wirkung ab 31. März 1996 unbefristet eingegangene Arbeitsverhältnis besteht fort.
Die Eignungsrichtlinien von 1976 regeln in den §§ 1-32 detailliert, welches die Eignungskriterien sind und welches Verfahren zur Feststellung der Eignung im einzelnen einzuhalten ist. Sie sind aufgrund des Arbeitsvertrages Vertragsinhalt geworden mit der Folge, daß bei Erfüllung der in den Eignungsrichtlinien aufgestellten Tatbestandsmerkmale das tatsächlich schon in Gang gesetzte Arbeitsverhältnis erlischt, wenn die Nichteignung im Sinne der Eignungsrichtlinien festgestellt worden ist.
Die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung in einen Arbeitsvertrag bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines sich sachlich rechtfertigenden Grundes, wenn und soweit dem Arbeitnehmer durch sie der Schutz zwingender Kündigungsschutzvorschriften genommen wird (BAG AP Nr. 17 zu § 620 BGB Bedingung).
Die Vereinbarung auflösender Bedingungen in Arbeitsverträgen ist nur im Rahmen der Rechtsgrundsätze wirksam, die zur Vereinbarung der Befristung von Arbeitsverträgen entwickelt worden sind. Ebenso wie befristete Arbeitsverträge müssen auflösend bedingte Arbeitsverträge die sachliche Rechtfertigung für die auflösende Bedingung so in sich tragen, daß die Kündigungsschutzvorschriften hierdurch nicht beeinträchtigt werden. Bereits bei Abschluß des jeweiligen Arbeitsvertrages muß ersichtlich sein, daß die Vereinbarung der auflösenden Bedingung nach den konkreten, sich auf den jeweiligen Einzelfall auswirkenden Umständen sachlich gerechtfertigt ist (BAG a. a. O.).
Vereinbaren die Parteien den Abschluß eines Arbeitsvertrages unter dem Vorbehalt, daß der Arbeitnehmer für die vorgesehene Tätigkeit gesundheitlich geeignet ist, so bestehen gegen die Aufnahme einer solchen auflösenden Bedingung in den Vertrag auch für den Fall der bereits erfolgten Tätigkeitsaufnahme keine grundsätzlichen Bedenken (Hessisches LAG, Der Betrieb 1995, 1617).
Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an, weil - wie oben erwähnt - die Eignungsrichtlinien ein alle Einzelheiten regelndes Werk darstellen, das genau überprüfbare objektive Kriterien enthält und somit willkürliches - den Kündigungsschutz aushöhlendes - Arbeitgeberverhalten ausschließt.
Die Beklagte beruft sich vergeblich auf Nichteignung des Klägers. Es bleibt ihr selbst dann, wenn objektiv dessen Nichteignung für den Beruf des Frachtzustellers feststünde, verwehrt, ihm dieses entgegenzuhalten, da sie die zwingenden Vorschriften der Eignungsrichtlinien nicht beachtet hat.
§ 9 (Einstellungsuntersuchungen) der Eignungsrichtlinien bestimmt in Abs. 1:
Alle Bewerber, die ständig beschäftigt werden sollen, sind vor der Einstellung zu untersuchen. Die Untersuchung ist unverzüglich nachzuholen, wenn sie vor der Einstellung aus triftigen Gründen ausnahmsweise nicht möglich war.
Die Untersuchung des Kläger hat am 2. Mai 1996, mithin nach der Einstellung, die bereits am 31. März erfolgt war, stattgefunden. Die Beklagte hat triftige Gründe für dieses Vorgehen, das gemäß § 9 Abs. 1 der Eignungsrichtlinien nur ausnahmsweise gestattet ist, nicht vorgetragen. Dieser Verstoß gegen die Eignungsrichtlinien macht die getroffene Feststellung der Nichteignung des Klägers unwirksam.
Das Ergebnis wäre kein anderes, wenn man in § 9 Abs. 1 keine Wirksamkeitsvoraussetzung sähe. In diesem Falle scheitert die auflösende Bedingung (die vermeintliche Nichteignung des Klägers) an § 9 Abs. 9 der Eignungsrichtlinien. Diese Bestimmung sieht vor:
Kann die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers bei der Einstellungsuntersuchung nicht einwandfrei festgestellt werden, ist eine probeweise Beschäftigung (befristetes Arbeitsverhältnis) bis höchstens 4 Monate zu vereinbaren. In diesen Fällen ist die Eignung vor Ablauf der Beobachtungszeit durch eine Nachuntersuchung abschließend zu beurteilen.
Die Beklagte hat den Kläger, dessen uneingeschränkte Eignung vom Betriebsarzt nicht einwandfrei festgestellt werden konnte, die viermonatige Befristung nicht gewährt, sondern ihm die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt.
Die auflösende Bedingung der Nichteignung läßt sich nach den Eignungsrichtlinien rechtswirksam nur ermitteln, wenn die in den Richtlinien vorgesehenen Regularien eingehalten sind. Dies ist nicht der Fall, so daß im Ergebnis die Nichteignung des Klägers rechtswirksam nicht festgestellt worden ist. Das zieht als Konsequenz nach sich, daß das Beschäftigungsverhältnis als unbefristetes fortbesteht.
Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger als Prachtzusteller weiterzubeschäftigen.
Der gekündigte Arbeitnehmer hat einen Anspruch darauf, vertragsgemäß weiterbeschäftigt zu werden, wenn ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Instanzurteil vorliegt und der Arbeitgeber keine besonderen Umstände dargelegt hat, die ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers während des Kündigungsrechtsstreits begründen (BAG AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).
Die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gelten entsprechend auch dann, wenn um die Wirksamkeit einer Befristung oder auflösenden Bedingung des Arbeitsverhältnisses gestritten wird (BAG AP Nr. 11 zu § 620 BGB Bedingungen).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 12 Abs. 7 ArbGG, 3 f ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 13.000,00 DM festgesetzt.