Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 06.05.2008, Az.: 5 Ca 30/08
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Oldenburg
- Datum
- 06.05.2008
- Aktenzeichen
- 5 Ca 30/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 46910
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0506.5CA30.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LAG Niedersachsen - 12.12.2008 - AZ: 16 Sa 901/08 E
- BAG - 29.06.2011 - AZ: 5 AZR 135/09
Fundstelle
- MedR 2008, 622-623 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
In dem Rechtsstreit
...
hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2008 durch
die Richterin am Arbeitsgericht Schunke als Vorsitzende,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Linck,
die ehrenamtliche Richterin Frau Wöhler als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 01.08.2006 eine Vergütung entsprechend Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA zu zahlen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
- 3.
Der Streitwert wird auf 27 000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, nach Anwendung welchen Tarifvertrages die Vergütung des Klägers zu bemessen ist ...
Der Kläger ist seit dem 01.08.1990 als Chefarzt der Medizinischen Klinik der Beklagten tätig. Im Dienstvertrag des Klägers vom 16 122.06.1990 ist in § 8 aufgeführt:
Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabereich folgende Vergütung:
Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe 1 BAT der Anlage 1 a zum BAT (VKA), d.h. Grundvergütung nach § 27 BAT, Ortszuschlag nach Maßgabe des § 29 BAT sowie eine Zuwendung und ein Urlaubsgeld entsprechend der tariflichen Regelung zum BAT in der jeweils gültigen Fassung.
Wird der BAT oder der maßgebende Vergütungstarif im Bereich der VKA durch einen anderen Tarifvertrag ersetzt, so tritt an die Stelle der vereinbarten BAT-Vergütungsgruppe die entsprechende Vergütungsgruppe des neuen Tarifvertrages unter Berücksichtigung etwaiger Überieitungsbestimmungen;
Dem Kläger war zunächst die Vergütung entsprechend dem BAT gezahlt worden. Die Regelungen des BAT waren durch die Neuregelungen des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVÖD) vom 13.09.2005 ersetzt worden. Nach Ablösung des BAT durch den TVÖD hatte die Beklagte eine Überleitung der Dienstvergütung in den TVÖD vorgenommen.
Der Kläger machte nach dem Inkrafttreten des zwischen dem Marburger Bund und dem VKA mit Wirkung ab 01.08.2006 vereinbarten TV-Ärzte/VKA eine Überleitung in dessen Entgeltgruppe IV unter dem 10.07.2007 geltend, was die Beklagte ablehnte. Der Kläger behauptet, dass im Krankenhaus der Beklagten zwei Tarifverträge angewendet würden. Für die nachgeordneten Ärzte gelte der TV-Ärzte/VKA und für das nichtärztliche Personal sowie die Chefärzte der TVÖD.
Der Kläger ist der Ansicht, dass unter dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung davon auszugehen sei, dass die Parteien bei Kenntnis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses davon, dass eines Tages im Bereich der VKA mehrere Tarifverträge abgeschlossen seien, die Parteien eine Gehaltsregelung in Anlehnung an den spezielleren, arztspezifischen TV-Ärzte/VKA vereinbart hätten. Zudem sei regelmäßig der speziellere Tarifvertrag anzuwenden, wenn eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel zwei Tarifverträge umfasse.
Weiterhin finde die Ersetzungsklausel in § 8 des Dienstvertrages nicht nur einmal Anwendung, sondern immer dann, wenn ein Tarifvertrag durch einen neuen Tarifvertrag ersetzt würde. Dies sei aufgrund § 2 Abs. 1 TVÜ-Ärzte/VKA der Fall, da der TV-Ärzte/VKA sowohl den TVÖD als auch den BAT ersetze.
Der Kläger beantragt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.08.2006 eine Dienstvergütung entsprechend der Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie nicht verpflichtet sei, eine Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA zu zahlen. Eine nach § 8 des Dienstvertrages vorgesehene Ersetzung des BAT wurde durch die Überleitung der Dienstvergütung von BAT zum TVÖD vorgenommen. Dass zwischenzeitlich ein weiterer Tarifvertrag existiere, müsse ohne Bedeutung bleiben. Die vertraglich geschuldete Überleitung sei von der Beklagten erfüllt worden, so dass es einer ergänzenden Vertragsäuslegung nicht bedürfe. Zudem bestehe wegen des klaren Wortlautes des § 8 keine Regelungslücke. Im Übrigen finde nach § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA dieser Tarifvertrag für Chefärztinnen und Chefärzte keine Anwendung, so dass eine etwaig bestehende Regelungslücke durch Heranziehung des dispositiven Rechts geschlossen werden könne.
Schließlich würde selbst wenn der TV-Ärzte/VKA doch zur Anwendung kommen würde, der Kläger wegen § 4 Abs. 2 des Überleitungstarifvertrages TVÜ-Ärzte/VKA nur nach der Entgeltgruppe II des TV-Ärzte/VKA vergütet werden können. Eine andere Eingruppierung komme nicht Betracht, da es an der Übereinstimmung mit den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen der begehrten Tarifgruppe fehle.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auch begründet
Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger ab dem 01.08.2006 eine Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA zu zahlen.
An die Stelle der vereinbarten BAT-Vergütungsgruppe ist nunmehr die Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA getreten. Dies ergibt sich zum einen aus dem hypothetischen Willen der Vertragsparteinen durch Auslegung des Vertrages, zum anderen aus der vertraglich vorgesehenen Berücksichtigung der Überleitungsbestimmungen.
Nach den §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, wobei aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind vielmehr auch außerhalb der Vereinbarung liegende Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
Gemäß § 8 Abs. 1 lit. a des Dienstvertrages erhält der Kläger eine Grundvergütung "entsprechend der Vergütungsgruppe 1 BAT der Anlage 1 a zum BAT (VKA)". Nach Satz 2 des § 8 tritt dann, wenn der BAT oder der maßgebende Vergütungstarifvertrag im Bereich der VKA durch einen anderen Tarifvertrag "ersetzt" wird, anstelle dieser Vergütungsgruppe die entsprechende Vergütungsgruppe des neuen Tarifvertrages unter Berücksichtigung etwaiger Überleitungsbestimmungen.
Die Arbeitsvertragsparteien haben indes nicht geregelt, wie zu verfahren ist, wenn die ehemaligen Tarifvertragsparteien des BAT nach dessen Beendigung zwei inhaltlich voneinander abweichende Tarifverträge abschließen.
Maßgeblich ist hierbei, dass der Abschluss des streitgegenständlichen TV-Ärzte/VKA erst im Jahre 2006 stattfand. Von den Arbeitsvertragsparteien konnte im Jahre des Abschlusses des Chefarztvertrages (1990) noch nicht vorausgesehen werden, dass die Tarifvertragsparteien des BAT auf Arbeitnehmerseite auseinander fallen würden, was dazu führte, dass zwei voneinander abweichende Tarifverträge mit der VKA zustande gekommen sind. Die sich daraus ergebende Regelungslücke ist durch Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung zu schließen. Nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung ergibt sich, dass die Parteien im Dienstvertrag den spezielleren TV-Ärzte/VKA zur Anwendung hätten kommen lassen wollen.
Berücksichtigung finden muss insoweit, dass der Kläger der Berufsgruppe der Ärzte angehört. In diesem Zusammenhang weisen die Regelungen des TV-Ärzte/VKA die fachspezifischeren Vorschriften auf; wohingegen der TVÖD nur allgemeine Angaben zu Arbeitsfeldern macht.
Die Beklagte wendet den TV-Ärzte/VKA als solchen auch für ärztliches Personal in ihrem Hause an. Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang dies geschieht. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte unstreitig für einige ärztliche Mitarbeiter die spezielleren Vorschriften des TV-Ärzte/VKA gelten lassen will. Damit gibt es im Hause der Beklagten die Anwendung des fachspezifischen TV-Ärzte/VKA. Im Hinblick auf diese Anwendung entspricht es dem mutmaßlichen Willen der Parteien, dass eine Orientierung und Bezugnahme auf den bereits im Haus angewandten TV-Ärzte auch für den Kläger stattfinden sollte. Durch dessen Anwendung ist eine einheitliche Regelung bezüglich der Berufsgruppe der Ärzte zu erreichen, die eine Rechtssicherheit auf beiden Seiten der Parteien herbeiführen kann.
Bei etwaiger Regelungsbedürftigkeit der Bestandteile des Chefarztvertrages ist davon auszugehen, dass die Parteien die Inbezugnahme eines fachspezifischen Tarifvertrages gewählt hätten im Unterschied zu dem allgemein gehaltenen TVöD. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der TV-Ärzte/VKA von einem Verband (Marburger Bund) abgeschlossen wurde, der einen höheren Organisationsgrad bezüglich ärzterechtlicher Arbeitnehmerfragen aufweist.
Es kann auch keinen Unterschied machen, dass der TVöD zeitlich vor dem TV-Ärzte/VKA abgeschlossen wurde, da zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses des TVöD bereits die Verhandlungsvollnacht durch den Marburger Bund aufgekündigt war, so dass mit dem Abschluss eines eigenen Tarifvertrages durch diese Arbeitnehmervereinigung zu rechnen gewesen ist. Zudem ist davon auszugeben, dass bei zeitgleichem Vorliegen der beiden Tarifverträge (TV-Ärzte/VKA sowie TVöD) zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens des BAT, die Parteien den sachnäheren TV-Ärzte/VKA gewählt hätten.
Zu berücksichtigen sind ferner die von der Rechtssprechung entwickelten Grundsätze, wonach davon auszugehen ist, dass die Vertragsparteien mit einer Verweisung demjenigen Tarifvertrag den Vorrang einräumen wollten, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und personlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung trägt. Der TV-Ärzte/VKA ist dasjenige Regelwerk, welches den konkreten ärztlichen Berufsverhältnissen des Klägers am nächsten steht. In diesem sind spezielle Belange der Ärzteschaft geregelt. Bei bestehenden Auslegungsfragen kann unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Arztberufes mit seinen Eigenheiten durch die Anwendung des TV-Ärzte/VKA eine für den Kläger als Berufsträger sowie für die Beklagte als Arbeitgeber eines Berufsträgers, der einer bestimmten Fachrichtung angehört, eine angemessene Lösung getroffen werden.
Der Anwendung des TV-Ärzte/VKA steht nicht entgegen, dass der TV-Ärzte/VKA nicht für Chefärzte gilt, wenn deren Arbeitsbedingungen einzelvertraglich vereinbart worden sind. Zwar werden diese nicht automatisch in den TV-Ärzte/VKA übergeleitet und es gilt nicht automatisch die höchste Entgeltgruppe als Vergütungsgruppe.
Jedoch ist nach dem Willen der Vertragsparteien davon auszugehen, dass der TV-Ärzte/VKA als Bezugsgröße zur Berechnung der Vergütung des Klägers herangezogen werden soll. Mit der Verweisung in § 8 des Dienstvertrages auf die Vergütung nach dem BAT sollte eine feste Bemessungsgröße für die Dienstvergütung des Klägers geschaffen werden. Mit der enthaltenen Dynamisierungsklausel sollte weiter bezweckt werden, dass die Vergütung an etwaigen Tariflohnerhöhungen partizipiert und somit ein angemessenes, zeitgemäßes Salaire Vertragsbestandteil ist.
Im Übrigen galten auch die Regelungen des BAT nicht für Chefärzte. Demnach verfängt die Rechtsansicht der Beklagten nicht, dass der TV-Ärzte/VKA nicht unmittelbar für den Kläger gelte.
Unter Zugrundelegung dieses Gesichtspunkts kann der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht nur eine Vergütung nach Entgeltstufe II verlangen. Der insoweit von der Beklagten ins Feld geführte § 4 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/VKA findet keine Anwendung. Es findet zwar kein Automatismus statt, nach dem ein Chefarzt immer nach der höchsten Vergütungsgruppe bezahlt wird. Nach dem Parteiwillen war indes bei Abschluss des Arbeitsvertrages eine Orientierung an der höchsten Verdienstgruppe des Tarifvertrages (BAT) vorgesehen. Bei einer Ersetzung des BAT sollte eine Vergütung nach der dem BAT "entsprechenden" Vergütungsgruppe gezahlt werden. Eine entsprechende Vergütungsgruppe kann hierbei nur die Entgeltstufe IV des TV-Ärzte/VKA sein, die insoweit die höchste ist. Eine beabsichtigte Vergütung des Klägers als Chefarzt auf dem von § 4 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/VKA vorgesehenen niedrigeren Niveau eines Facharztes steht dem Parteiwillen entgegen. Die Vergütung nach der höchsten Gruppe trägt insbesondere der verantwortungsvollen Arbeit des Klägers Rechnung. Im Übrigen ist auch hier zu beachten, dass ein Tarifvertrag über die Verdienstregelungen hinaus gerade nicht gelten sollte. Daher ist auch für die Berücksichtigung von § 4 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/VKA kein Raum.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist sie nicht durch die vorgenommene Überleitung der Dienstvergütung in den TVöD von der Überleitungsverpflichtung befreit. Der Wortlaut der Ersetzungsklausel des § 8 Satz 2 des Dienstvertrages zwingt nicht zu der Annahme, dass es nur eine einmalige Überleitung der Dienstvergütung in einen neuen Tarifvertrag geben soll. Vielmehr soll mit dieser Ersetzungsklausel erreicht werden, dass die Chefarztdienstvergütung sich an dem jeweils aktuellen Tarifvertrag orientiert. In diesem Zusammenhang sind § 2 Abs. 1 TVÜ-Ärzte/VKA und die Vorbemerkungen zum TVÜ-Ärzte/VKA zu berücksichtigen. Auch wenn der TVÜ-Ärzte/VKA wiederum keine unmittelbare Anwendung auf Chefärzte findet, können die Grundsätze der Überleitung dennoch vorliegend herangezogen werden. Nach § 2 Abs. 1 TVÜ-Ärzte/VKA soll der TV-Ärzte/VKA in Verbindung mit dem TVÜ-Ärzte/VKA bei tarifgebundenen Arbeitgebern, die Mitglied eines Mitgliedsverbandes der VKA sind, den TVöD ersetzen. Die Beklagte ist als ein solches Mitglied tarifgebunden und hat die Überleitung des ärztlichen Personals in den sachnäheren Tarifvertrag des TV-Ärzte/VKA vorzunehmen. Nach den Vorbemerkungen des TVÜ-Ärzte/VKA ist vorgesehen, dass der TVÜ-Ärzte/VKA die Überleitung der Ärzte aus dem bisher geltenden Tarif recht (TVöD und BT-K) in den neuen Tarifvertrag regelt. In der Vorbemerkung wird dabei eindeutig davon ausgegangen, dass es bereits eine Überleitung in den TVöD gegeben hat. Unter Zugrundelegung dieses Gedankens kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte durch die einmalige Überleitung der Dienstvergütung in den TVöD von ihrer Verpflichtung befreit ist. Vielmehr bestand nach der Ratio des TVÜ-Ärzte/VKA eine Pflicht zur Überleitung vom TVöD in den TV-Ärzte/VKA.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO, § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 4 Satz 2 GKG.