Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.02.2011, Az.: 1 Ss 13/11
Mögliche Unwirksamkeit von Anklage und Eröffnungsbeschluss bei Diskrepanz zwischen abstraktem und konkretem Anklagesatz
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.02.2011
- Aktenzeichen
- 1 Ss 13/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 11873
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2011:0210.1SS13.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 07.10.2010 - AZ: 12 Ns 95/10
Rechtsgrundlagen
- § 200 StPO
- § 203 StPO
- § 206a StPO
- § 207 StPO
Fundstellen
- NStZ-RR 2011, 250-251
- StRR 2011, 166
- StraFo 2011, 149-150
Amtlicher Leitsatz
Werden dem Angeschuldigten im abstrakten Anklagesatz 5 Straftaten zu Last gelegt, während im konkreten Anklagesatz 7 Taten geschildert werden, und kann wegen dieser - anhand der Anklageschrift nicht aufklärbaren und später nicht korrigierten - Diskrepanz nicht sicher festgestellt werden, welche Taten Gegenstand des Verfahrens sein sollen, so darf der Angeklagte nicht wegen 5 Taten verurteilt werden. vielmehr sind die Anklage und der darauf fußende Eröffnungsbeschluss unwirksam.
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Das Amtsgericht Leer hatte den Angeklagten mit Urteil vom 7. Mai 2010 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Aurich mit Urteil vom 7. Oktober 2010 das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch geändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Hiergegen richtet sich die form und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mir der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Einstellung des Verfahrens. Es fehlt an den Verfahrensvoraussetzungen einer wirksamen Anklageerhebung und eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses.
Die Anklageschrift vom 6. Januar 2010 legt dem Angeklagten zur Last, in der Zeit vom 25.03. bis zum 17.10.2009 in Leer durch fünf Straftaten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im genannten Tatzeitraum in vier Fällen vom gesondert Verfolgten und zwischenzeitlich abgeurteilten F... in R... am dortigen L...Einkaufsmarkt jeweils Marihuana von mindestens 300g gekauft zu haben. In einem weiteren Fall habe er wiederum mindestens 300g Marihuana in der Diskothek F... von dem gesondert Verfolgten F... gekauft. In mindestens zwei weiteren Fällen habe der Angeschuldigte vom gesondert Verfolgten und zwischenzeitlich Angeklagten O... jeweils ca. 200g gekauft und habe dafür 500 € bezahlen müssen.
Diese Anklage ist mit Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 22. März 2010 unverändert zugelassen worden. Sie ist indessen mit einem durchgreifenden Mangel behaftet.
Aus einer Anklageschrift muss sich zwingend ergeben, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft des daraufhin ergehenden Urteils hat. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Ist dies nicht der Fall, so ist die Anklagerhebung und die darauf fußende Eröffnung des Hauptverfahrens unwirksam, vgl. BGHSt 10, 137. BGH StraFo 2007, 290 [BGH 14.02.2007 - 3 StR 459/06]. NStZ 1984, 133. NStZ 2010,508 [BGH 22.09.2009 - 4 StR 382/09][BGH 22.09.2009 - 4 StR 382/09]. MeyerGoßner, StPO, 53. Auflage, § 200, Rdn. 26 m. w. Nachweisen.
So liegt es hier. Die Anklageschrift legt dem Angeklagten im abstrakten Anklagesatz fünf Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, begangen in der Zeit vom 25. März bis zum 17. Oktober 2009, zur Last. Im konkreten Anklagesatz werden jedoch sieben Straftaten aufgeführt, die der Angeklagte in eben diesem Zeitraum begangen habe.
Damit bleibt unklar, welche Straftaten angeklagt sind. Bei jeder einzelnen Tat der im konkreten Anklagesatz geschilderten sieben Taten ist es ungewiss, ob sie zu den angeklagten fünf Taten zählen soll oder nicht. Eine Klarstellung ist weder im Eröffnungsbeschluss noch später erfolgt. auch ist keine Nachtragsanklage erhoben worden.
Es ist auch nicht angängig, die im abstrakten Anklagesatz angegebene Tatanzahl kurzerhand durch die sich aus dem konkreten Anklagesatz rechnerisch ergebende Summe von Taten zu ersetzen. Ein offensichtlicher Schreibfehler kann insoweit nicht angenommen werden, zumal die Diskrepanz ins Auge fällt und weder von der Staatsanwaltschaft, noch von den Gerichten (auch nicht vom Amtsgericht, dass den Mangel bemerkte, s. u.) eine Korrektur vorgenommen wurde. Dem steht zudem entgegen, dass die Diskrepanz auch darauf beruhen kann, dass die Staatsanwaltschaft zunächst 7 Taten anklagen wollte, sich letztlich aber nur zur Anklage von 5 Taten entschlossen und es versäumt hat, einen anderslautenden ersten Entwurf dem anzupassen. Das lässt sich insbesondere deshalb nicht ausschließen, weil der Angeklagte in 5 Fällen von einem Zeugen und in 2 Fällen von einem anderen Zeugen Rauschgift erworben haben soll.
Da auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, auf dass zur Auslegung zurückgegriffen werden kann (vgl. BGHSt 46, 130 (134)), keinen weiteren Aufschluss über den Gegenstand der Anklage gibt, war das Verfahren wegen Fehlens zwingender Verfahrensvoraussetzungen nach § 206a StPO einzustellen.
Der aufgezeigte Mangel der Anklage ist im Übrigen vom Amtsgericht bemerkt worden. In den Gründen seines Urteils ist ausgeführt, die Anklage sei insoweit nicht eindeutig, als der abstrakte Anklagesatz 5 Straftaten benenne, wogegen sich aus der Zusammenrechnung der Straftaten aus dem konkreten Anklagesatz eine Zahl von 7 Straftaten ergäbe. für den Leser der Anklageschrift bleibe letztlich unklar, wie viele Straftaten angeklagt sein sollen. Daraus hat das Amtsgericht allerdings - rechtsirrig - nur den Schluss gezogen, der Angeklagte habe nicht wegen mehr als 5 Straftaten verurteilt werden dürfen. Das Landgericht hat sich zu der Frage in seinen Urteilsgründen nicht geäußert.
Für den Fall einer neuen Anklageerhebung weist der der Senat vorsorglich darauf hin, dass von den erstinstanzlich festgestellten und abgeurteilten 5 Straftaten mindestens 3 nicht in dem bislang angeklagten Zeitraum verübt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.