Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.05.1989, Az.: 2 W 137/88
Auskunftsanspruch des Nachlassgerichtes über Angehörige der Verstorbenen und deren Anschriften gegenüber dem Standesamt, um das Testament eröffnen zu können
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 08.05.1989
- Aktenzeichen
- 2 W 137/88
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1989, 14385
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1989:0508.2W137.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - 15.08.1988 - AZ: 8 T 424/88
- AG ... - AZ: 30 III 16/88
Fundstelle
- NJW-RR 1990, 268-269 (Volltext mit red. LS)
In der Personenstandssache
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am ...
am 8. Mai 1989 beschlossen:
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluß des Landgerichts ... vom 15. August 1986 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Auslagen sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Das Nachlaßgericht ... hat das Testament der am ... in ... verstorbenen... geborene ... zu eröffnen. Es will in diesem Zusammenhang unter anderen die Beteiligten von dem sie betreffenden Inhalt des Testaments in Kenntnis setzen (§ 2262 BGB), zieht sich hieran zur Zeit jedoch gehindert, weil ihm die Beteiligten nicht bekannt sind. Es hat deshalb das Standesamt ... um Auskunft über Angehörige der Verstorbenen und deren Anschriften gebeten. Der Standesbeamte hat dem Amtsgericht daraufhin lediglich eine beglaubigte Abschrift des die Angaben nach § 37 PStG umfassenden Sterbeeintrags übersandt und mitgeteilt, daß er weitergehende Auskünfte mit Rücksicht auf § 48 der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum PStG (Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden -DA-) nicht erteilen dürfe. Das Nachlaßgericht hat daraufhin bei dem Amtsgericht ... gemäß § 45 PStG beantragt, den Standesbeamten einzuhalten, die erbetene Auskunft zu erteilen. Diesem Antrag hat das Amtsgericht ... durch Beschluß vom 15. Juni 1988 stattgegeben. Gegen diesen Beschluß, auf den verwiesen wird, hat die Stadt ... als Untere Aufsichtsbehörde des Standesamts ... sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel ist durch Beschluß des Landgerichts ... vom 15. August 1988, auf den Bezug genommen wird, zurückgewiesen worden. Gegen diesen Zurückweisungsbeschluß richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Stadt, zu der die Bezirksregierung ... unterstützend Stellung genommen hat. Auf die Beschwerdeschrift vom 9. September 1988 und die Stellungnahme der Bezirksregierung vom 28. September 1988 wird verwiesen. Der ... Datenschutzbeauftragte, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, hat sich mit Schreiben vom 26. April 1989 geäußert, auf das Bezug genommen wird.
II.
Das Rechtsmittel der Stadt ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden, §§ 48 Abs. 1, 49 PStG, §§ 27, 29, 22 FGG. Es hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, das die fraglichen weiteren Angaben betreffende Auskunftsrecht des Nachlaßgerichts folge aus § 61 PStG. Es werde durch § 48 DA nicht eingeschränkt. Die Neufassung des § 48 DA beruhe nämlich vor allem auf datenschutzrechtlichen Erwägungen. Der Datenschutz sei indes im vorliegenden Fall nicht gefährdet, weil für das Nachlaßgericht die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bestehe und zum anderen die Angehörigen der Verstorbenen nicht schutzbedürftig seien, weil ihre Ermittlung in ihrem eigenen Interesse liege. Dem tritt der Senat jedenfalls im Ergebnis bei.
1.
Ein Auskunftsrecht des Nachlaßgerichts, das sich auf etwaige in den Sammelakten des Standesamts aufgeführte Angehörige der Verstorbenen und deren Anschriften bezieht, ergibt sich nicht aus § 61 PStG oder § 61 PStG in entsprechender Anwendung, sondern kann im vorliegenden Fall lediglich aus den §§ 2262 BGB, 12 FGG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 GG folgen.
§ 61 PStG regelt lediglich die Benutzung der Personenstandsbücher selbst (Heirats-, Geburten-, Sterbe- und Familienbuch). Hieran ist dem Nachlaßgericht indes nicht gelegen, weil sich die von ihm benötigten Angaben nicht in den Personenstandsbüchern (Registern), sondern möglicherweise in den Sammelakten befinden, auf die sich § 61 PStG jedoch nicht bezieht. Die Einrichtung, Führung und Benutzung der Sammelakten beruht vielmehr auf den §§ 44 Abs. 2, 45, 46, und 48 der DA, die nach § 70 PStG von dem Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz mit Zustimmung des Bundesrates als Allgemeine Verwaltungsvorschrift erlassen und unter anderen in dem hier maßgeblichen Punkt am 30. Juli 1987 neu gefaßt worden ist (BanZ Nr. 146 A vom 11. August 1987; vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf StAZ 1989, 10/11; Massfeller-Hoffmann, PStG, § 61 Rdn. 8). Die sich im Hinblick darauf an sich stellende Frage nach einer entsprechenden Anwendung des § 61 PStG auf die Sammelakten bedarf im vorliegenden Fall keiner Beantwortung, weil anders als im Verhältnis zwischen Standesamt und Privatperson im Verkehr zwischen dem Nachlaßgericht und dem Standesamt keine rechtliche Regelungslücke vorhanden ist, die durch eine entsprechende Anwendung von § 61 PStG gegebenenfalls geschlossen worden mußte. Denn die Rechte und Pflichten der Beteiligten ergeben sich unmittelbar aus Art. 35 Abs. 1 GG, der -über seinen Wortlaut hinaus- alle Behörden im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu wechselseitiger Amts- und Rechtshilfe verpflichtet und im Verhältnis der Behörden zueinander unmittelbar geltendes Recht darstellt (vgl. Maung-Dörig, GG, Art. 35 Rdnrn. 2 und 9; von Mangoldt-Klein, GG, Art. 35 Anm. II 3 und III 2; von Münch-Gubelt, GG, Art. 35 Rdnrn. 1 und 3).
2.
Die Voraussetzungen der in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage für das Auskunftsverlangen des Nachlaßgerichts sind gegeben.
a)
Das Auskunftsverlangen des Nachlaßgerichts beruht auf zwingenden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften (§§ 2260, 2262 BGB, 12 FGG). Entgegen den in dem Erlaß des ... Ministers des Innern -52.22-120.204/18a- vom 8. März 1988 geäußerten Vorstellungen (der Erlaß wird in den Stellungnahme der Bezirksregierung vom 28. September 1988 wörtlich zitiert) geht es bei Anfragen der hier in Rede stehenden oder ähnlicher Art. den Nachlassgerichten nicht um die etwa in ihrem Belleben oder Ermessen stehende Ermittlung von Erbschaftsbesitzern oder Nachlaßschuldern, sondern vornehmlich darum, solche Verwandte eines Erblassers festzustellen, die als gesetzliche Erben in Betracht kommen. Das spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn keine als gesetzliche Erben in Erwägung zu ziehende Verwandte bekannt sind, aber Nachlaß vorhanden ist, oder Personen Rechte als Erben geltend machen, zum Beispiel bei Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, von denen nicht sicher ist, ob die gesetzlichen oder die alleinigen gesetzlichen Erben sind. Das Nachlaßgericht ist in diesen Fällen kraft Gesetzes verpflichtet, von Amts wegen Verwandte des Erblassers zu ermitteln, die als gesetzliche Erben in Betracht kommen.
b)
Bei der zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe des Nachlaßgerichts erfolgten Anfrage bei dem Standesamt handelt es sich auch um eine sach- und zweckdienliche Maßnahme, die geeignet ist, die abschließende Bearbeitung der Nachlaßangelegenheit zu fördern. Denn wie auch in dem bereits oben erwähnten Erlaß des... Ministers des Innern ausgeführt wird, finden sich in den Sammelakten zum Sterbebuch erfahrungsgemäß häufig auch Angaben über nahe Angehörige des Verstorbenen. Es besteht dementsprechend auch im vorliegenden Fall zumindest die konkrete Möglichkeit, daß bei dem Standesamt die von dem Nachlaßgericht benötigten Informationen an sich abrufbar vorhanden sind.
c)
Unter diesen Umständen gibt Art. 35 Abs. 1 GG dem Nachlaßgericht das Recht, von dem Standesamt die gewünschten Angaben aus dem Sammelakten zu verlangen. Bei Art. 35 Abs. 1 GG handelt es sich allerdings lediglich um eine Rahmenvorschrift; Umfang und Grenzen der Rechts- und Amtshilfe sind den speziellen gesetzlichen Vorschriften zu entnehmen. Dastehen solche Bestimmungen -wie hier (§ 61 PStG regelt nicht die Benutzung der Sammelakten der Standesämter)- nicht, ist davon auszugehen, daß Rechts- und Amtshilfe grundsätzlich zu leisten ist. Anderes kann sich aber allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen und allgemeinen Verfahrensvorschriften ergeben, die für die ersuchende und die ersuchte Behörde gelten (vgl. zum Vorstehenden von Münch-Gubelt, a.a.O., Art. 35 Rdn. 8). Insoweit gilt, daß die ersuchte Behörde zur Leistung von Amts- und Rechtshilfe nicht verpflichtet ist, wenn die Ausführung der ersuchten Behörden rechtlich unmöglich ist und/oder wenn die ersuchte Behörde mit der Leistung von Amts- und Rechtshilfe gegen ausdrückliche oder sich aus der Natur der Sache ergebende Geheimhaltungspflichten verstoßen würde (vgl. von Münch-Gubelt, a.a.O., Art. 35 Rdn. 9). Diese Voraussetzungen sind hier indes nicht gegeben.
aa)
Mit der Erteilung der erwünschten Auskunft würde das Standesamt in der Tat gegen § 48 DA a.F. verstoßen. Denn daß die von dem Nachlaßgericht erbetenen zusätzlichen Angaben über Angehörige und deren Anschriften allenfalls bei Gelegenheit der Beurkundung des Sterbefalles ... dem Standesbeamten zur Kenntnis gekommen sein können und damit nicht zu den Umständen gehören, die ausschließlich für Zwecke der Beurkundung des Sterbefalles erhoben worden sind, kann nicht zweifelhaft sein. Gleichwohl kann § 48 DA n.F. dem Verlangen des Nachlaßgerichts um Auskunft nicht entgegengehalten werden. Denn bei der Dienstanweisung für die Standesbeamten handelt es sich lediglich um eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift, die nur behördenintern wirkt, sich nicht wie Gesetze und Verordnungen an den Bürger richtet und grundsätzlich auch nicht die das formelle Recht anwendenden Gerichte bindet (vgl. Gaaz, Die Bedeutung der Dienstanweisung für den Standesbeamten, StAz. 1988, 217 f). Da sie mithin die rechtlichen Befugnisse der Standesämter ohne Außenwirkung lediglich interpretiert, stellt sie keine Schranke für das durch die §§ 2260, 2262 BGB, 12 FGG und Art. 35 Abs. 1 GG getragene und gedeckte Vorgehen des Nachlaßgerichts dar.
bb)
Das ... Datenschutzgesetz steht der Erteilung der gewünschten Auskunft durch das Standesamt nicht entgegen. Es enthält im Gegenteil die Bestimmung, daß die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen Behörden zulässig ist, "wenn sie zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung erforderlich ist" ([xxxxx]9 10 ... DatenschutzG).
cc)
Da es ausdrückliche, den §§ 2260, 2262 BGB, 12 FGG, Art. 35 Abs. 1 GG gleichrangige Geheimhaltungsvorschriften nicht gibt, ist abschliessend zu erörtern, ob das Standesamt im vorliegenden Fall aus anderen Gründen an der Weitergabe der bei ihm eventuell vorhandenen Informationen gehindert ist. Ein solcher Hintergrund kann in dem aus Art. 1 und 2 GG herzuleitenden "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" liegen, nach dem jeder prinzipiell selbst darüber bestimmt, war was wann und bei welcher Gelegenheit über ihm erfährt und weiß. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 65, 1) bedürfen Eingriffe in dieses Grundrecht, das generell vor der Erhebung und Verarbeitung (u. a. auch der Übermittlung) personenbezogener Daten schützt, einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Dies ist hier indes der Fall. Denn das materielle Recht (§§ 2260, 2262 BGB) bestimmt, was in Fällen der vorliegenden Art. zu veranlassen ist. § 12 FGG regelt, wie das Nachlaßgericht zu verfahren hat, von die Verwirklichung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Danach sind vom Amts wegen die zur Feststellung des Tatsachen erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben, wozu auch die Einholung amtlicher Auskünfte (vgl. z.D. § 273 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) gehört. Deren Erteilung wird im Behördenverkehr untereinander durch Art. 35 Abs. 1 GG abgesichert. Darüber hinaus ist gewährleistet, daß der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung so schonend wie möglich erfolgt und jedenfalls im vorliegenden Fall anerkennenswerte Belange der von einer etwaigen Auskunft betroffenen Angehörigen der Verstorbenen nicht beeinträchtigen kann. Denn das Nachlaßgericht unterliegt seinerseits der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und will gerade im Interesse der erfragten Angehörigen tätig werden. Hinzu kommt schließlich, daß auch das Zweckbindungsprinzip (vgl. hierzu AK-GG-Bull, Art. 35 Rdn. 29) eine andere Beurteilung nicht rechtfertigt. Denn der Grundsatz der Zweckbindung, der unter anderen besagt, daß die weitere Nutzung personenbezogener Daten mit dem ursprünglichen Erhebungszweck nicht unvereinbar sein darf, wird nicht durchbrochen, wenn zur gesetzlich vorgeschriebenen Ermittlung der Rechtsfolgen eines Sterbefalles die aus Anlaß eben dieses Sterbefalles bei einer anderen öffentlichen Stelle entstandenen Unterlagen ausgewertet werden. Da das Standesamt dem Auskunftsersuchen des Nachlaßgerichts nach allem zu entsprechen hat, unterliegt die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten der Zurückweisung.
III.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 11 KOstO), da außergerichtliche Kosten nicht entstanden sind, konnte deren Erstattung nicht angeordnet werden (vgl.§ 13 a Abs. 1 S. 2 FGG).