Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 04.04.1984, Az.: 1 Ss 125/84

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der strafrechtlichen Verurteilung eines Ausländers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten unter Gewährung von Strafaussetzung zur Bewährung wegen vorsätzlichen Vergehens gegen die Aufenthaltsbeschränkung in zwei selbständigen Fällen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.04.1984
Aktenzeichen
1 Ss 125/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 18753
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1984:0404.1SS125.84.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 29.11.1983
StA Verden - AZ: 5 Js 5969/83

Fundstelle

  • NJW 1984, 2775 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG)

In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 29. November 1983
in der Sitzung vom 4. April 1984,
an der teilgenommen haben:
Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Amtsgericht ... als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt ... als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt H. aus B. als Verteidiger, während der Verhandlung,
Justizangestellte ... während der Verhandlung und
Justizhauptsekretärin ... während der Verkündung des Urteils, als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe

1

Nach der Anklageschrift wird dem Angeklagten zur Last gelegt, durch zwei selbständige Handlungen vorsätzlich eine Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 20 Abs. 1 des Gesetzes über das Asylverfahren (AsylVfG) wiederholt zu haben, indem er ... als Asylbewerber, dessen Aufenthaltsrecht auf den Bezirk des Landkreises Verden beschränkt ist

  1. 1.

    am 17. Januar 1983 sich in Hamburg aufhielt, obwohl die befristete besondere Genehmigung der Ausländerbehörde für den Besuch in Hamburg am 16. Januar 1983 abgelaufen war, und

  2. 2.

    am 29. Januar 1983 sich ohne besondere Genehmigung der Ausländerbehörde in Traunstein aufhielt und nach Lindau weiterfuhr,

2

nachdem er sich bereits am 28. Oktober 1981 und am 8. März 1982 in Bremen sowie vom 16. bis 18. Oktober 1982 in Stade jeweils unerlaubt aufgehalten hatte.

3

Vergehen strafbar nach § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG.

4

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vergehens gegen die Aufenthaltsbeschränkung in zwei selbständigen Fällen gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten unter Gewährung von Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Mit der dagegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

5

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

6

Nach den getroffenen Feststellungen beantragte der Angeklagte am 28. August 1978 beim Landkreis in Stade die Anerkennung als Asylberechtigter. Er erhielt eine Duldungsbescheinigung (über die Aussetzung der Abschiebung), die mit Wirkung vom 19. Januar 1979 auf das Gebiet des Landkreises Verden geändert und beschränkt wurde. Seit dem 30. Januar 1979 wohnt der Angeklagte in Thedinghausen. Die Duldungsbescheinigung enthält einen deutlichen Hinweis darauf, daß der Asylant ohne Genehmigung den Landkreis nicht verlassen darf. Mit den zuletzt ausgestellten Bescheinigungen vom 24. April und 3. August 1981 wurde der Angeklagte nochmals darauf hingewiesen, daß er den Bereich des Landkreises Verden nur mit einer besonderen Genehmigung der Ausländerbehörde verlassen darf und daß Verstöße gegen Auflagen und räumliche Beschränkungen strafbar sind oder als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können.

7

Bei dem unerlaubten Aufenthalt in Stade vom 16. bis 18. Oktober 1982 war der Angeklagte von der Polizei angetroffen und überprüft worden. Das Verfahren nach § 43 OWiG ist wegen danach begangener Straftaten - der Angeklagte ist inzwischen auch am 11. Januar 1983 vom Amtsgericht Achim (5 Js 499/82 StA Verden) wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Vergehen gegen das Ausländergesetz und in Tateinheit (?) mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt worden - nicht weiter verfolgt worden.

8

Die Strafkammer hat die Frage der Wiederholung im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG bejaht, weil es nach ihrer Ansicht lediglich auf das Vorliegen einer vorherigen Zuwiderhandlung und nicht auf die Festsetzung einer Geldbuße oder Strafe wegen dieser Zuwiderhandlung ankommt. Das wird von der Revision in erster Linie angefochten.

9

I.

Vorweg ist auf Anregung der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht klarstellend auszuführen:

10

1.

Verstöße gegen § 34 Abs. 1 Nr. 3 bzw. 35 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 AsylVfG können auch durch Unterlassung begangen werden. Verspätete Rückkehr oder völliges Unterbleiben der Rückkehr nach einer erlaubten Ausreisegenehmigung gemäß § 25 Abs. 1, 3 AsylVfG werden von den Sanktionen in §§ 34 und 35 AsylVfG erfaßt. Es versteht sich von selbst, daß jemand, dem eine befristete Aufenthaltsveränderung erlaubt ist, sich unerlaubt außerhalb des vorgeschriebenen Aufenthaltsbezirkes aufhält, wenn diese Frist - wie im vorliegenden ersten Fall - abgelaufen ist. Ob geringfügige Fristüberschreitungen zu ahnden sind, hat der Senat nicht zu entscheiden. Nach den getroffenen Feststellungen wurde der Angeklagte am 17. Januar 1983 um 18 Uhr - also 18 Stunden nach Ablauf der Frist - in dem Spielkasino "Monte Carlo" in Hamburg angetroffen.

11

2.

Zur Prüfung der Frage, ob der Angeklagte ohne Rückkehr nach Verden nach der polizeilichen Überprüfung am 17. Januar 1983 nach Süddeutschland gefahren ist, war die Strafkammer mangels naheliegender Anhaltspunkte nicht gedrängt. Die Erörterung der Frage einer Dauerstraftat stellte sich daher nicht.

12

II.

Auch das Vorbringen der Revision greift nicht durch.

13

1.

Widersprüchlichkeiten im Urteil liegen nicht vor. Der Strafkammer ist im ersten Absatz der Urteilsgründe bei der Wiedergabe der erstinstanzlichen Urteilsformel ein offensichtlicher Schreibfehler - wie möglicherweise auch noch an anderen Stellen des Urteils - unterlaufen. Daß zwei rechtlich selbständige statt rechtlich zusammentreffende Fälle gemeint waren, geht bereits daraus hervor, daß anschließend von einer Gesamtfreiheitsstrafe gesprochen wird. Schließlich hat auch die Strafkammer selbst Feststellungen für zwei selbständige Handlungen getroffen.

14

2.

Zutreffend geht die Strafkammer auch davon aus, daß es sich bei den Verstößen des Angeklagten um Wiederholungstaten im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG gehandelt hat. Zu Unrecht vermißt die Revision, daß keine Feststellungen hinsichtlich des Vorsatzes oder der Schuldhaftigkeit bezüglich des Vorverstoßes festgestellt worden seien. Die Ausführungen UA S. 4 im letzten Absatz ("unerlaubt") sprechen dagegen. Daß eine nicht geahndete Vortat, begangen nach dem Inkrafttreten des AsylVfG, zur Annahme eines Wiederholungsfalles genügt, hat der Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 20. Februar 1984 - 1 Ss 28/84 - mit näherer Begründung ausgeführt. Trotz Überreichung dieses Urteils an den Verteidiger sei hier nochmals zusammenfassend folgendes wiedergegeben: Der Begriff der wiederholten Zuwiderhandlung ist dahin auszulegen, daß es einer vorangehenden Ahndung durch Bußgeldbescheid, Urteil oder Beschluß (§ 72 OWiG) nicht bedarf, um den Wiederholungsfall zum Vergehen werden zu lassen. Es genügt, daß ein gleichgearteter Verstoß vorangegangen ist, der als Ordnungswidrigkeit hätte geahndet werden können. Ob zu verlangen ist, daß der vorangegangene Verstoß und seine Bedeutung dem Täter im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens (behördlich oder gerichtlich) unmißverständlich vor Augen geführt worden ist, um eine besondere Warnfunktion zu entfalten, oder ob die bloße Feststellung der Begehung genügt, kann auch im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn nach den getroffenen Urteilsfeststellungen (UA S. 4) ist der Angeklagte im Oktober 1982 während seines unerlaubten Aufenthaltes in Stade von der Polizei angetroffen und überprüft worden. Diese Überprüfung war geeignet, ihm das Unrecht seines Verhaltens über die Belehrung bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hinaus eindringlich vor Augen zu führen. Deshalb ist Meyer (in Erbs-Kohlhaas, Anm. 3 c zu § 34 AsylVfG) zuzustimmen, daß es nicht darauf ankommt, ob die erste Zuwiderhandlung bereits nach § 35 AsylVfG als Ordnungswidrigkeit geahndet worden ist oder nicht. Der Tatrichter hat sich nur von der vorausgegangenen Begehung einer gleichgearteten Ordnungswidrigkeit im Rahmen seiner pflichtgemäßen Prüfung nach § 261 StPO zu überzeugen. Das Rechtsmittelgericht kann nur die Einhaltung der Grenzen der tatrichterlichen Überzeugungsbildung nachprüfen.

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Die nach Inkrafttreten des AsylVfG begangene Tat vom 16. bis 18. Oktober 1982 erfüllt, wie die Strafkammer objektiv und subjektiv festgestellt hat, den Tatbestand des § 35 AsylVfG.

16

III.

Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung noch stand. Der Senat vermißt allerdings eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Urteil vom 11. Januar 1983. Immerhin ist davon auszugehen, daß es sich bei der Urkundenfälschung, noch dazu weil sie tateinheitlich mit einem Verstoß gegen das Ausländergesetz zusammentrifft - ob hier nicht das AsylVfG hätte Anwendung finden müssen, ist eine vom Senat nicht zu erörternde Frage -, um einen schwergewichtigen Verstoß gehandelt hat. Unter diesen Umständen reichen die sehr knappen Zumessungsgründe für die Verhängung einer Freiheitsstrafe noch aus.

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IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.