Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.09.1984, Az.: 1 Ss 461/84
Anklage wegen Vortäuschens einer Straftat
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.09.1984
- Aktenzeichen
- 1 Ss 461/84
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1984, 18797
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1984:0919.1SS461.84.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 24.04.1984
- StA Hildesheim - AZ: 31 Js 25671/83
Rechtsgrundlagen
- § 142 StGB
- § 145d Abs. 1 StGB
- § 24 StVG
- § 260 Abs. 3 StPO
- § 264 StPO
- § 266 StPO
- § 1 StVO
- § 2 StVO
- § 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO
Fundstellen
- JZ 1985, 147-148
- NJW 1985, 393 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Angeklagten
gegen das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim vom 24. April 1984
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 19. September 1984
unter Mitwirkung
der Richter am Oberlandesgericht ... und ... sowie
des Richters am Landgericht ...
gemäß §§ 349 Abs. 4 i.V.m. 354 Abs. 1 StPO
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Das Verfahren wird auf Kosten der Landeskasse eingestellt, der auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten zur Last fallen.
Gründe
Das Amtsgericht hatte die Angeklagte wegen Vortäuschens einer Straftat gemäß § 145 d Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30 DM verurteilt. Die Strafkammer hat die Berufung der Angeklagten verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses (§ 260 Abs. 3 StPO). Die abgeurteilte Tat war nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage; eine diese Tat einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ist nicht erhoben worden.
Die zugelassene Anklage hatte der Angeklagten eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO in Tatmehrheit mit einem Vergehen nach § 142 StGB zur Last gelegt. Danach sollte die Angeklagte am 3. Oktober 1983 gegen 22.05 Uhr in Meinersen Ortsteil Dalldorf auf der Okerstraße mit dem Pkw ihres Ehemannes einen Hund im Werte von 200 DM durch Überfahren getötet haben, wobei die Hundebesitzerin, die ihr winkend entgegengelaufen sei, habe zur Seite springen müssen; sie habe ihre Fahrt fortgesetzt, obwohl sie den Unfall infolge des Aufprallgeräusches bemerkt habe.
Demgegenüber haben die Tatrichter die Angeklagte in beiden Instanzen des Vortäuschens einer Straftat für schuldig befunden und entsprechend verurteilt. Die Strafkammer hat dazu folgende Feststellungen getroffen: Nicht die Angeklagte, sondern deren Ehemann habe die ihr zur Last gelegten Taten begangen. Er habe später in seinem Wochenendhaus nach seiner Feststellung als Halter des Tatfahrzeuges dem Zeugen Polizeihauptmeister D. auf dessen Vorhalt hin anläßlich eines Alkoholtests angegeben, nicht er, sondern seine Ehefrau habe den Pkw gefahren. Die hinzugeholte Angeklagte habe diese Angaben ihres Ehemannes wider besseres Wissen bestätigt, um ihn in Schutz zu nehmen, und auch bewußt wahrheitswidrig behauptet, ihr Ehemann sei schon mehrere Stunden früher nach Hause gekommen. Daraufhin habe der Polizeibeamte von der Wiederholung des von dem Ehemann der Angeklagten nicht ordnungsgemäß durchgeführten Alkoholtests und von der Anordnung einer Blutentnahme abgesehen.
Anklage und Verurteilung beziehen sich hiernach nicht auf dieselbe Tat (§ 264 StPO); vielmehr ist die Angeklagte wegen einer anderen als der angeklagten Taten verurteilt worden. Der verfahrensrechtliche Tatbegriff umfaßt den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (BGHSt 10, 396 f; 22, 307 f; 25, 388 f; 27 f 170, 172; 29, 341 f). Den Rahmen der Untersuchung bildet also zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt (BGHSt 32, 215 = NJW 1984, 808 = JZ 1984, 533). Hier schildert der Anklagesatz nicht den Vorgang, in dem die Tatrichter das strafbare Tun der Angeklagten gefunden haben, sondern das davorliegende Verkehrsgeschehen. Zwar gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auf das Reichsgericht zurückgeht, zur Tat als Prozeßgegenstand nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten zur Last gelegte Geschehensablauf, sondern das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet (RGSt 62, 112; BGHSt 13, 320 f; 23, 141, 145). Die Einbeziehung weiterer, von der Anklage nicht beschriebener Vorgänge kommt aber nur in Betracht, falls auch der in der Anklage nicht erwähnte, mit dem geschilderten Geschehen eine Einheit ergebende Vorgang das Verhalten desselben Angeklagten betrifft (BGHSt 32, 215 = NJW 1984, 808 = JZ 1984, 533). Dies ist hier nicht der Fall. Das in der Anklage nicht erwähnte Verhalten der Angeklagten bezog sich zwar auf den in der Anklage beschriebenen Vorgang, nicht aber auf das Verhalten der Angeklagten, sondern auf das ihres Ehemannes. Es kommt hinzu, daß der in der Anklage dargestellte Vorgang vollständig abgeschlossen war, als die Angeklagte mit dem nicht angeklagten Verhalten begann, und zwar zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, also zeitlich und räumlich von dem angeklagten Vorgang deutlich abgesetzt, sowie unter anderen Umständen als denen, die zur Tatzeit am Tatort herrschten, und mit anderer Zielrichtung des Verhaltens, das sich gegen ein anderes Rechtsgut richtete. Es ist zwar unter dem Gesichtspunkt der unwesentlichen Abweichung vom Tatbild möglich, dieselbe Tat auch dort anzunehmen, wo sich - in örtlicher, zeitlicher oder auch das Täterverhalten betreffender Hinsicht - das Tatbild des in der Anklage geschriebenen Geschehens im Laufe des weiteren Verfahrens verändert hat. Das setzt aber voraus, daß die Richtung des Täterverhaltens - auf ein bestimmtes Tatobjekt oder einen bestimmten Taterfolg - dieselbe geblieben war (BGHSt 13, 320, 322). Hier fehlt es an einem solchen gleichgerichteten Verhalten. Die Schädigung von Verkehrsteilnehmern gemäß § 1 Abs. 2 StVO und § 142 StGB ist nicht mit dem Bemühen vergleichbar, zum Schütze des Schädigers die Strafverfolgungsorgane gemäß § 145 d StGB in eine falsche Richtung zu lenken.
Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.