Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.12.1983, Az.: 2 Ss (OWi) 310/83
Anwendbarkeit des Ladenschlußgesetztes (LadschlG) beim Ausfahren von Backwaren durch den Backwarenhändler; Abgrenzung der Anwendungsgebiete des Gesetzes über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien (BAZG)und des Ladenschlußgesetzes (LadschlG); Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen das Ladenschlußgesetztes (LadschlG)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 30.12.1983
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 310/83
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1983, 14020
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1983:1230.2SS.OWI310.83.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA ... - AZ: 4 OWi 32 Js 9216/83
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 1 LadschlG
- § 24 Abs. 1 Nr. 3 LadschlG
- § 1 Abs. 1 Nr. 3 a BAZG
- § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG
- § 300 StPO
- § 80 Abs. 1 OWiG
- § 46 Abs. 1 OWiG
Fundstelle
- MDR 1984, 606 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach dem Ladenschlußgesetz (LadschlG)
Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil des Amtsgerichts ...
vom 14. September 1983
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht und des Betroffenen
am 30. Dezember 1983
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts ... zurückverwiesen.
Gründe
Die Stadt ... hatte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 30. April 1983 wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 20 Abs. 1, 24 Abs. 1 Nr. 3 LadschlG ein Bußgeld in Höhe von 250 DM festgesetzt, weil der Betroffene am 19. Februar 1983 gegen 20.15 Uhr in ... im Bereich ... von seinem Verkaufswagen aus nicht vorbestellte Backwaren zum Verkauf an jedermann feilgehalten habe. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht ihn mit der Begründung freigesprochen, für den Verkauf von Backwaren aus einem Verkaufswagen, wobei es sich um einen Verkauf außerhalb einer Verkaufsstelle handele, sei ausschließlich § 5 Abs. 5 Satz 1 des Gesetzes über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien (BAZG) als Sondervorschrift anwendbar, so daß das Feilbieten von Backwaren durch den Betroffenen außerhalb der Nachtzeit von 22.00 bis 5.45 Uhr nicht bußgeldbewehrt sei.
Gegen das freisprechende Urteil hat die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde eingelegt, und zwar - wie das Rechtsmittel nach § 300 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG umzudeuten ist in Verbindung mit einem Zulassungsantrag. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts.
Die Rechtsbeschwerde war nach § 80 Abs. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, und zwar zur Klärung der Frage, ob § 20 Abs. 1 LadschlG auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BAZG vom 29.7.1969 (BGBl. I, 937) auf das Feilhalten von Backwaren außerhalb einer Verkaufsstelle - also von einem Verkaufswagen aus - anwendbar ist.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache.
Die getroffenen Feststellungen tragen den Freispruch nicht. Das Amtsgericht hat rechtsfehlerhaft die Anwendbarkeit der §§ 20, 24 Abs. 1 Nr. 3 LadschlG durch § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG für ausgeschlossen gehalten.
Zwar handelt es sich bei § 20 LadschlG insofern um die allgemeinere Vorschrift, als sie sich auf gewerbliches Feilhalten von Waren jeglicher Art bezieht, während § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG auf Backwaren beschränkt ist, und zwar enthält die Vorschrift das Verbot, in der Nachtzeit von 22.00 bis 5.45 Uhr Bäcker- und Konditorware an Verbraucher oder Verkaufsstellen abzugeben, auszutragen oder auszufahren. Die Bestimmung in § 5 Abs. 5 Satz 2 BAZG, daß die Vorschriften des Ladenschlußgesetzesüber die Abgabe in Verkaufsstellen unberührt bleiben, rechtfertigt aber nicht den Umkehrschluß, daß § 20 LadschlG unanwendbar ist, soweit es sich um Backwaren handelt.
Nach den Grundsätzen der Spezialität geht ein Gesetz zwar als Sondervorschrift vor, wenn es den von einem allgemeineren Gesetz erfaßten Sachverhalt durch Hinzutreten weiterer Merkmale besonders regelt (vgl. Dreher/Tröndle 41. Aufl. Vor § 52 StGB, Rz. 18; Lackner, 15. Aufl., Vor § 52 StGB, Anm. VI 1 a aa; Schönke/Schröder, 21. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff StGB, Rz. 110 und 135). Der in § 20 Ladenschlußgesetz allgemein für Waren jeder Art geregelte Sachverhalt des Feilhaltens zum Zwecke des Verkaufs an jedermann ist aber durch § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG für Backwaren nicht besonders geregelt. Vielmehr wird der Sachverhalt des Feilhaltens im Sinne von § 20 LadschlG von § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG überhaupt nicht erfaßt, wie sich vor allem aus der historischen Entwicklung des BAZG ergibt.
Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BAZG vom 29.7.1969 war das BAZG nach § 1 a.F. nur auf die dort angeführten Herstellungsbetriebe anwendbar, zu denen der Backwarenhändler nicht gehört. Nach § 5 Abs. 2 BAZG a.F. durften die Backwaren innerhalb der festgesetzten Nachtstunden den Herstellungsbetrieb nicht verlassen (Potrykus in Erbs-Kohlhaas, Anm. 8 zu § 5 BAZG). Die Backwaren durften weder ausgetragen oder ausgefahren werden, noch durfte die unmittelbare Abgabe in dem Herstellungsbetrieb an den abholenden Kunden erfolgen (Potrykus a.a.O., Anm. 8a; OLG Oldenburg MDR 1963, 867 [OLG Oldenburg 31.05.1963 - 1 Ws B 142/63]). Der Zweck der Vorschrift bestand allein darin, die Arbeitsruhe in den Bäckereien, also das Nachtbackverbot, dadurch zu unterstützen, daß ein Verlassen der Backwaren innerhalb der bestimmten Nachtstunden unterbunden wurde. Damit erfaßte die damalige Regelung nicht den Sachverhalt des Feilhaltens bereits ausgefahrener Backwaren. Auf diesen Sachverhalt war vielmehr § 20 LadschlG anwendbar (vgl. OLG Oldenburg MDR 1963, 867 [OLG Oldenburg 31.05.1963 - 1 Ws B 142/63]; so im Ergebnis auch Potrykus a.a.O. Anm. 9).
An dieser Rechtslage hat sich auch durch Einfügung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 a BAZG durch das Änderungsgesetz vom 29.7.1969 nichts geändert. Die Anwendbarkeit des BAZG ist zwar nicht mehr auf die in § 1 angeführten Herstellungsbetriebe beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf gewerbliche Betriebe, die Bäcker- oder Konditorwaren vertreiben, ohne sie herzustellen. Darunter fällt zwar auch der Backwarenhändler, der mit Hilfe eines Verkaufswagens die Ware von Haus zu Haus vertreibt. Die Einfügung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 a BAZG bezweckt aber lediglich die Klarstellung, daß das Ausfahrverbot nicht nur für Herstellungsbetriebe, sondern auch für solche Betriebe gilt, die Backwaren lediglich vertreiben (Potrykus a.a.O., Anm. 2 c zu § 1 BAZG und Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit - BT-Drucks. V/4493 -). Die Klarstellung war geboten, weil die bisherige Regelung es ermöglichte, Backwaren zwar innerhalb der gesetzlich zulässigen Zeiten in den Herstellungsbetrieben unmittelbar an Gewerbetreibende im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 a BAZG abzugeben, die diese Ware vom Herstellungsbetrieb abholten, wobei dann die selbständigen Backwarenhändler beim Ausfahren nicht an die zeitlichen Grenzen des § 5 Abs. 2 Satz 1 BAZG a.F. gebunden waren. Außerdem konnten sie die Ware ohne zeitliche Begrenzung an den Kunden ausliefern, soweit diese bereits bestellt war; denn es fehlte dann an einem Feilhalten im Sinne von § 20 LadschlG (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.; Ambs in Erbs-Kohlhaas, Anm. 3 zu § 20 LadschlG).
Um die insoweit unterschiedliche Rechtsstellung zu beenden, wurde das in § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG bestimmte Ausfahrverbot durch Einfügung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 a BAZG auf die dort genannten Gewerbebetriebe ausgedehnt.
Der Regelungsumfang des § 5 Abs. 5 Satz 1 ist gegenüber § 5 Abs. 2 Satz 1 a.F. trotz Neufassung der Formulierung unverändert geblieben. Während der bestimmten Nachtstunden darf die Ware weder ausgetragen noch ausgefahren werden, auch ist eine unmittelbare Abgabe in den in § 1 BAZG genannten Betrieben untersagt. Soweit für den selbständigen Backwarenhändler eine unmittelbare Abgabe in seinem Betrieb praktisch nicht in Betracht kommt, bedeutet das Verbot des § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG für ihn nur, daß er mit seinem Verkaufswagen während der gesetzlich bestimmten Nachtstunden mit dem Ausfahren nicht beginnen darf. Wann er nach erfolgtem Ausfahren, das ab 5.45 Uhr zulässig ist, mit dem Feilhalten beginnen darf, ist in § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG nicht geregelt, sondern bestimmt sich allein nach § 20 LadschlG.
Die Ausdehnung des Ausfahrverbots durch die Einfügung des § 1 Abs. 1 Nr. 3a BAZG auf den Backwarenhändler ändert nichts daran, daß er nach wie vor auch dem Verbot des Feilhaltens im Sinne von § 20 LadschlG unterliegt. Aufgrund der Einfügung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 a BAZG sollte der Backwarenhändler nicht - wie bisher nur dem Verbot des Feilhaltens unterliegen, sondern darüber hinaus auch dem Ausfahrverbot.
Da § 5 Abs. 5 Satz 1 BAZG das Feilhalten im Sinne von § 20 LadschlG gar nicht erfaßt, erübrigte es sich, in § 5 Abs. 5 Satz 2 BAZG zu bestimmen, daß auch § 20 LadschlG unberührt bleibt. Die Nichterwähnung rechtfertigt demzufolge nicht den Umkehrschluß, § 20 LadschlG sei auf das Feilhalten von Backwaren außerhalb einer Verkaufsstelle nicht anwendbar.