Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.06.2003, Az.: 9 U 2/03

Erörterung eines unbeschränkten Zugriffs auf das Privatvermögen der hinter einer GmbH & Co KG stehenden natürlichen Personen; Erörterung einer entsprechenden Anwendbarkeit der Kapitalerhaltungsvorschriften auf die GmbH & Co KG

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.06.2003
Aktenzeichen
9 U 2/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33981
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:0618.9U2.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 20.11.2002 - AZ: 2 O 136/02

Fundstellen

  • DStZ 2003, 672
  • GmbH-StB 2003, 223 (Volltext mit amtl. LS)
  • GmbHR 2003, 900-902 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 2005, 440
  • NJW-RR 2004, 1040-1042 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZG 2004, 183-184 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2003, 330-332
  • StuB 2003, 863

In dem Rechtsstreit
...
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ..... und .....
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2003
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. November 2002 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aus dem Urteil v o l l s t r e c k b a r e n Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit- in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 323.581,44 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird zunächst auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen, § 540 ZPO.

2

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr auf Klagabweisung gerichtetes Begehren weiter.

3

Hierzu vertritt sie die Auffassung, dass die Entscheidung des Landgerichts eine. Überraschungsentscheidung gewesen sei. Das Landgericht hätte die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass es ihren - der Beklagten - Vortrag zur Überschuldung und Kreditunwürdigkeit für unzureichend erachte; der Vortrag wäre dann ergänzt worden. Daher sei neuer Tatsachenvortrag zu diesen Punkten in der Berufungsinstanz gem. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen.

4

Die Beklagte beschränkt sich dann aber auf neuen Vortrag zu der von ihr behaupteten Kreditunwürdigkeit, wobei sie unter Vorlage entsprechender Korrespondenz im wesentlichen darauf verweist, dass sie zu Beginn des Jahres 2003 vergeblich um Einräumung einer Kreditlinie bemüht gewesen sei. Zur behaupteten Überschuldung verweist die Beklagte lediglich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

5

Schließlich meint sie, dass die Klägerin mit ihrem Zahlungsverlangen gegen ihre gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten verstoße, denen in dem Jahrhunderte alten Familienunternehmen besondere Bedeutung zukomme.

6

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie hält den Vortrag der Beklagten weiterhin für unzureichend und verweist darauf, dass die Beklagte wegen der bei ihr vorhandenen Liquidität überhaupt nicht auf Kredit von dritter Seite angewiesen sei.

7

II.

Die Berufung ist unbegründet. Die Beklagte kann der - dem Grunde und der Höhe den Parteien unstreitigen - Forderung der Klägerin weder entgegenhalten, dass die Auszahlung des geforderten Betrages gegen § 30 GmbHG verstoße noch dass die Klägerin mit ihrem Zahlungsbegehren ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht nicht genüge.

8

1.

§ 30 GmbHG steht der Auszahlung der Beträge, die der Klägerin aufgrund ihrer Schreiben vom 27. September 2001 und vom 22. Dezember 2001 i.V.m. den satzungsmäßigen Regelungen zustehen, nicht entgegen.

9

Dabei hat das Landgericht zunächst zutreffend festgestellt, dass § 30 GmbHG im vorliegenden Fall entsprechend anwendbar ist. Zwar gelten zunächst grundsätzlich die gesetzlichen Vorschriften über Kapitalrückzahlungen bei der GmbH & Co. KG für beide Gesellschaftsformen gesondert, je nachdem aus welchen Bereich eine Zahlung erfolgt ist. Doch können Leistungen der KG an Kommanditisten (auch) gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoßen. Maßgeblich hierfür sind die unterschiedlichen Haftungsverfassungen einer GmbH & Co. KG und einer KG, die dem gesetzlichen Leitbild des HGB entspricht (BGHZ 60, 324, 327 ff [BGH 29.03.1973 - II ZR 25/70], OLG Celle OLGR Celle 1998, 258 ff).

10

Das Recht der Kommanditgesellschaft garantiert deren Gläubigem kein bestimmtes Gesellschaftsvermögen; dies kann vielmehr von den Gesellschaftern, falls sie sich einig sind; jederzeit entnommen werden. Wird dem Kommanditisten Gesellschaftsvermögen ausgezahlt, so lebt zwar nach § 172 Abs. 4. HGB seine Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wieder auf, sodass diese im Umfang der Entnahme unmittelbar auf das Privatvermögen des Kommanditisten zugreifen können. Diese Haftung ist aber durch die Höhe der eingetragenen Haftsumme begrenzt. Soweit den Gläubigern Forderungen bei der Gesellschaft und den Kommanditisten ausfallen, können sie sich an den Komplementär halten, der ihnen unbeschränkt haftet. Diese Haftung soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eine wirtschaftlich vernünftige Unternehmensführung gewährleisten und die KG davor schützen, dass ihr Vermögen zugunsten der Kommanditisten ausgehöhlt wird (BGHZ 110, 342/356). In der GmbH & Co. KG fehlt dieses Gegengewicht. Zwar haftet auch hier die Komplementär-GmbH unbeschränkt, jedoch nur mit dem Vermögen, das sie im Zeitpunkt ihrer Liquidation hat. Der unbeschränkte Zugriff auf das Privatvermögen der hinter den Gesellschaften stehenden natürlichen Personen ist den Gläubigern regelmäßig verwehrt. In deren Interesse sind deshalb die Vorschriften zur Kapitalerhaltung im GmbH-Recht für die GmbH & Co. KG entsprechend heranzuziehen, wenn zulasten des Garantiekapitals Vermögen der Kommanditgesellschaft an die Kommanditisten ausgeschüttet wird. Kommt es bei der KG zu einer Überschuldung, so muss die GmbH wegen ihrer unbeschränkten Haftung (§ 128 HGB) Rückstellungen oder Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftsgläubigern passivieren, ohne einen gleichwertigen Rückgriffsanspruch gegen die KG aktivieren zu können. Diese mittelbare Minderung des Gesellschaftsvermögens der GmbH wird durch eine entsprechende Anwendung des Auszahlungsverbots des § 30 Abs. 1 GmbHG für den Bereich der GmbH.& Co. KG vermieden. Dabei kommt die entsprechende Anwendung des § 30 Abs. 1 GmbHG nicht nur dann in Betracht, wenn der Kommanditist zugleich Gesellschafter der GmbH ist (OLG Celle a.a.O.), sondern auch dann, wenn der Kommanditist - wie hier die Klägerin - nicht Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist und damit keinen Einfluss auf die Geschäftsführung besitzt (BGHZ 110, 342/357 f). Maßgeblich hierfür ist, dass die Kommanditgesellschaft wegen der gesellschaftsrechtlichen Verknüpfung der Interessen dafür verantwortlich ist, dass ihr Zuwendungen erstattet werden, die nach GmbH-Recht unzulässig sind. Diese Verantwortung, die dem Kommanditisten der herkömmlichen Kommanditgesellschaft der Komplementär abnimmt, wenn dieser eine natürliche Person ist, trifft ähnlich wie den Gesellschafter der GmbH auch den Kommanditisten, wenn der unbeschränkt haftende Komplementär die ihm normalerweise zugedachte Bremsfunktion nicht übernehmen kann, weil die Gesellschafter diese Stelle mit einer Kapitalsgesellschaft besetzt haben, die nur über einen begrenzten Haftungsfonds verfügt (BGH a.a.O.). Wenigstens dieser Fonds muss der Gesellschaft im Interesse der Gläubiger erhalten bleiben. Da Ausschüttungen an den Kommanditisten ihn ebenso angreifen, wie die an den GmbH-Gesellschafter, trifft auch den Kommanditisten mit seinem Beitritt zu einer GmbH & Co. KG entsprechend § 30 GmbHG ein Auszahlungsverbot. Dies gilt auch dann, wenn beim Kommanditisten nur ein Anlegerinteresse besteht und ihm ein bestimmender Einfluss auf die Geschäftsführung fehlt. Dieser Kommanditist kann wie jeder andere ungeachtet seiner Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB seine Pflichteinlage entnehmen, falls der Gesellschaftsvertrag und die Mitgesellschafter ihm das erlauben und das Stammkapital der Komplementär-GmbH nicht angetastet wird. Will er aber zulasten des Gesellschaftsanteils der Komplementär-GmbH mehr entnehmen als er eingelegt hat oder deckt infolge seiner Entnahme das Aktivvermögen der Kommanditgesellschaft deren Schulden nicht mehr, so greifen im Interesse des Gläubigerschutzes auch bei ihm die gesetzlichen Entnahmebeschränkungen ein, wenn die GmbH über ihr Stammkapital hinaus Vermögen nicht besitzt.

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2.

Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der persönlich haftenden Gesellschafterin angegriffen wird. Denn hierzu wäre zunächst erforderlich, dass die Auszahlung der Beträge das Vermögen der GmbH & Co. KG derart negativ beeinträchtigte, dass die GmbH gezwungen wäre, zur Deckung der bei der KG durch die Auszahlung aufgetretenen Fehlbeträge Rückstellungen zu bilden. Angesichts der Vermögenssituation der GmbH & Co. KG im maßgeblichen Zeitraum (die Zahlungen waren im September und Dezember 2001 von der Klägerin angefordert) kann hiervon aber keine Rede sein. Die Bilanzen der KG zum 31. März 2001 und zum 31. März 2002 sind - ungeachtet des Umstandes, dass mit ihnen die von der Beklagten behauptete Überschuldung ohnehin nicht festgestellt werden könnte, weil es hierzu grundsätzlich der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz bedarf, in welcher die Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Verkehrs- oder Liquidationswerten auszuweisen sind (BGHZ 125, 141 [BGH 21.02.1994 - II ZR 60/93]/146) - nicht geeignet, Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der KG oder an ihrer Kreditwürdigkeit zu begründen. Dafür dass die KG rechnerisch oder bilanziell überschuldet wäre, oder durch die Auszahlung eine Unterdeckung bei ihr - und damit letztlich auch bei Komplementär-GmbH - eintreten würde, sind gleichfalls nicht ersichtlich. Die BiIanzen weisen nicht nur keinerlei Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten aus, sondern im Gegenteil ein Bankguthaben, welches die Forderung der Klägerin um ein vielfaches übersteigt. So ist in der Bilanz zum 31. März 2001 ein Guthaben bei Kreditinstituten in Höhe 3.574.688,05 DM ausgewiesen, welches sich in nahezu unveränderter Höhe (1.744.091,91 EUR) in der Bilanz zum.31 März. 2002 wiederfindet. Dieses liquide Kapital stand der Gesellschaft auch in dem Zeitpunkt zur Verfügung, in dem die Klägerin Zahlung der ihr zustehenden Beträge verlangte. Die Beklagte hat hierzu - auch im Rahmen der mündlichen Erörterung vor dem Senat - mitgeteilt, dass dieses Geld im Wesentlichen dazu benutzt werde, um in der Monatsmitte jeweils die anfallenden Lohn- und Lohnnebenkosten zu begleichen und offene Forderungen zu bedienen; zugleich werde der Kapitalbestand - im Wesentlichen in unveränderter Höhe - durch Zuflüsse aus Forderungen wieder aufgestockt. Warum in dieser Situation eine Überschuldung der KG anzunehmen sein sollte, die ihrerseits zu einer Unterdeckung bei der Komplementär-GmbH geführt hat, vermag der Senat ebenso wenig wie das Landgericht zu erkennen. Vielmehr können die eingeklagten Forderungen in bilanzneutraler Weise aus dem liquiden Barvermögen bedient werden.'

12

3.

Das Landgericht hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch keine Überraschungsentscheidung getroffen oder gegen ihm obliegende Hinweispflichten verstoßen. Denn dass es für die Entscheidung maßgeblich auf die Frage der Überschuldung ankommen würde, war der Beklagten, die gerade hierauf ihre Verteidigung gestützt hatte, bekannt. Sie wusste also, dass es auf eine vollständige und realistische Darstellung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft - ankam. Ebenso musste ihr - weil sie sich insoweit im Ansatz zutreffend auf die maßgebliche Rechtsprechung des BGH berufen und diese auch zitiert hatte - die ihr obliegende Darlegungs- und Beweislast bekannt sein. Zudem ist auch nicht ersichtlich, welchen weiteren Vortrag die Beklagte zu der von ihr behaupteten Überschuldung hätte halten können oder wollen, weil ein entsprechender Vortag - trotz der diesbezüglich von ihr erhobenen Rüge - auch im Berufungsverfahren nicht erfolgt ist, sondern die Beklagte sich mit einem pauschalen Verweis auf ihren erstinstanzlichen - vom Landgericht zu Recht als unzureichend erachteten - Vortrag begnügt hat.

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4.

Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie kreditunwürdig sei. Ihr im Berufungsverfahren hierzu gehaltener Vortrag ist - soweit er gegenüber dem Vortrag in erster Instanz neue Tatsachen enthält - bereits gern. § 531 Abs. 2. Nr. 3 ZPO unbeachtlich. Die vorgelegte Korrespondenz stammt aus den Monaten Dezember 2002 und Januar 2003 und ist daher auch deshalb unbeachtlich, weil es nicht auf eine Kreditunwürdigkeit im Dezember 2002 oder Januar 2003, sondern auf eine solche im September und Dezember 2001 ankäme, weil zu diesem Zeitpunkt die Klägerin die Auszahlung verlangt hat und die Beklagte sich nicht einem zunächst berechtigten Auszahlungsbegehren dadurch entziehen könnte, sie auf eine später eingetretene Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation verweist. Schließlich aber spielt die von der Beklagten behauptete Kreditunwürdigkeit schon deshalb keine Rolle, weil die Beklagte ausweislich der festgestellten wirtschaftlichen Situation für die Zahlungen überhaupt nicht auf Kredit angewiesen ist und einen solchen auch nicht nach Auszahlung der Beträge aufnehmen müsste. Vielmehr ist die Beklagte - wie bereits ausgeführt - ohne Weiteres in der Lage, aus ihrem bei Kreditinstituten vorhandenen liquiden Vermögen die Forderung der Klägerin auszugleichen.

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5.

Ein Verstoß gegen eine der Klägerin obliegende gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist nicht erkennbar. Auch in einem Familienunternehmen ist es einem Gesellschafter unbenommen, berechtigte Forderungen gegen die Gesellschaft, an der er beteiligt ist, durchzusetzen, wenn hierdurch - wie hier - der wirtschaftliche Bestand der Gesellschaft nicht beeinträchtigt wird.

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6.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache gem. § 543 ZPO weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

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7.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen §§ 97 Abs. 1; 708 Nr. 10, 711, 108, Abs. 1 S. 2 ZPO.