Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.01.2005, Az.: 3 B 9/05
Abschiebung; Abschiebungsschutz; Asylantrag; Asylbegehren; asylrechtliches Eilverfahren; entscheidungserheblicher Fehler; Ermessensspielraum; Rechtliches Gehör; Rechtsstaatsprinzip; Rüge; Verfahrensfehler; Verfahrensrüge; vorläufiges Asylrechtsschutzverfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 27.01.2005
- Aktenzeichen
- 3 B 9/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50511
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 152a VwGO
- § 30 AsylVfG
- § 36 Abs 3 AsylVfG
- Art 103 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Rechtliches Gehör kann unterbleiben, wenn das Verfahren besonders eilbedürftig ist. Dies ist bei einem asylrechtlichen Eilverfahren regelmäßig anzunehmen, das nach der Vorgabe des Gesetzes innerhalb einer Woche entschieden werden soll.
2. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, bezieht sich auf Tatsachen und Beweisergebnisse und nur ausnahmsweise auf Rechtsfragen. Die Frage, ob sich die Ablehnung eines Asylbegehrens als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 1 oder auf § 30 Abs. 3 AsylVfG stützt, ist eine Rechtsfrage und keine Tatsachenfrage.
3. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO fordert, dass das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör "in entscheidungserheblicher Weise" verletzt hat. Dies setzt voraus, dass mindestens die Möglichkeit besteht, dass das Gericht ohne den Gehörsverstoß zu einem dem Asylbewerber sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
Gründe
Ergeht eine unanfechtbare Entscheidung des Gerichtes, bei der das rechtliche Gehör erheblich verletzt worden ist, ist das Verfahren auf die Rüge des Beschwerten fortzusetzen (§ 152 a VwGO).
Die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschrift liegen nicht vor.
Rechtliches Gehör des Antragstellers ist nicht verletzt worden (1). Selbst wenn man dies unterstellen würde, wäre dieser Verfahrensfehler nicht entscheidungserheblich (2).
1. Der Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör ist nicht dadurch verletzt worden, dass der Einzelrichter den Asylantrag als offensichtlich unbegründet angesehen hat aufgrund der Vorschrift des § 30 Abs. 1 AsylVfG, das Bundesamt hingegen die offensichtliche Unbegründetheit (zumindest hinsichtlich des Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG) auf § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylVfG gestützt hat.
a) Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern zur Wahrung seiner Rechte Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Das Gebot rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass eine gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht. In einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen asylrechtlichen Rechtsschutzes gilt der Anspruch auf rechtliches Gehör nur eingeschränkt. Rechtliches Gehör kann unterbleiben, wenn der Zweck des Verfahrens insbesondere eine unabweisbare Eilbedürftigkeit dies erfordert (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 Rdnr. 124). Zudem bezieht sich das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, auf Tatsachen und Beweisergebnisse und nur ausnahmsweise auf Rechtsfragen. Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nicht dazu, dass es den Beteiligten vor der Entscheidung mitteilt, von welcher Rechtsauffassung es ausgeht, geschweige denn, wie das Gericht entscheiden will und aus welchen Gründen (Kopp/u. a., a. a. O., § 104 Rdnr. 4).
b) Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
aa) Die Frage, ob sich die Ablehnung des Asyl- und Abschiebungsschutzbegehrens als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 1 oder auf § 30 Abs. 4 AsylVfG stützt, ist eine Rechtsfrage und keine Tatsachenfrage, so dass es insoweit des rechtlichen Gehörs nicht bedurfte.
Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung in asylrechtlichen Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz ist die Abschiebungsandrohung, die an die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet anknüpft. Diese qualifizierte Asylablehnung ist deshalb mit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. Damit hat sich der Einzelrichter im vorliegenden Fall mit den Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 6. Januar 2005 beschäftigen müssen, worin das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigen als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen. - Erweist sich diese Feststellung, dieses Ergebnis, aus anderen Rechtsgründen, als sie das Bundesamt angegeben hat, für das Gericht als rechtmäßig, dann kann die Feststellung vom Gericht nicht als rechtswidrig angesehen werden. Die Heranziehung einer anderen als der im angefochtenen Bescheid genannten Rechtsgrundlage (§ 30 Abs. 1 anstelle Abs. 4 AsylVfG) ist dem Gericht nur verwehrt, wenn es um eine Ermessensentscheidung geht, wovon im vorliegenden Asylrechtsstreit nicht ausgegangen werden kann. Mithin erfolgt bei der Entscheidung des Gerichtes, ob die Offensichtlichkeitsentscheidung des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, eine selbständige Rechtsprüfung durch das Gericht, weil dem Bundesamt insoweit keinerlei Einschätzungsspielraum oder Ermessen zusteht. Wenn das Bundesamt seine Entscheidung auf § 30 Abs. 3 AsylVfG stützt, so bindet das das Gericht nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.8.1988 - 8 C 29.87 - DVBl. 1988 Seite 1161 zum Beitragsrecht; Heilbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 36 AsylVfG Rdnr. 89).
bb) Zu den Tatsachen, die nach der Auffassung des Einzelrichters die qualifizierte Asylablehnung nach § 30 Abs. 1 AsylVfG gestützt haben, hat sich der Antragsteller in vollem Umfange äußern können. Insbesondere sind im gerichtlichen Verfahren 3 B 7/05 von der Antragsgegnerin keinerlei Tatsachen vorgetragen worden, zu denen der Antragsteller sich nicht äußern konnte. Denn über den Antrag ist bereits einen Tag nach Eingang bei Gericht eine Entscheidung getroffen worden, bevor sich das Bundesamt geäußert hat.
cc) Da gem. § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylVfG die gerichtliche Entscheidung bei offensichtlicher Unbegründetheit des Asylantrages innerhalb von einer Woche ergehen soll, ist hier eine besondere gesetzliche Eilbedürftigkeit anzunehmen, die den Anspruch auf rechtliches Gehör erheblich einschränkt. Zur „Auswechslung der Ablehnungsgründe“ (§ 30 Abs. 1 anstelle Abs. 3 AsylVfG) bedurfte es deshalb keiner besonderen Anhörung.
2. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, auch im Verfahren auf vorläufigen asylrechtlichen Rechtsschutz hätte die Auswechslung der Rechtsgrundlage einen Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör begründet, so wäre dieser Anspruch im vorliegenden Fall doch nicht, wie es § 152 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO fordert, „in entscheidungserheblicher Weise“ verletzt. Das Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit setzt voraus, dass mindestens die Möglichkeit besteht, dass das Gericht ohne den Gehörsverstoß zu einem dem Asylbewerber sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl. Kopp/u. a., a. a. O., § 132 Rdnr. 23 zur Erheblichkeit eines Verfahrensmangels). Eine Kausalität zwischen dem gerügten Gehörsverstoß und dem Ergebnis der gerügten Entscheidung besteht nicht. Die Frage, ob ein Asylantrag offensichtlich unbegründet ist oder nicht, ist eine rechtliche gebundene Entscheidung. Bei dieser Entscheidung besteht weder ein Einschätzungsspielraum noch ein Ermessensspielraum. Der vom Antragsteller gerügte Verfahrensmangel ist deshalb kein „entscheidungserheblicher“ Fehler.
3. Die gerügte Entscheidung des Einzelrichters ist auch sonst nicht fehlerhaft. Im gerügten Beschluss ist im Einzelnen dargelegt worden, dass sich die offensichtliche Unbegründetheit des Asylbegehrens aus § 30 Abs. 1 AsylVfG ergibt. Ohne dies in Frage zu stellen und ohne dass eine neuere Prüfung in irgendeiner Weise erforderlich wäre, sieht der Einzelrichter den Asylantrag auch deshalb als offensichtlich unbegründet an, weil die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylVfG vorliegen. Denn der Antragsteller hat seinen Asylantrag gestellt, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen. Der Antragsteller hat seit Mitte 2004 keine Aufenthaltsgenehmigung mehr, und er ist untergetaucht. Er wurde am 19. November 2004 festgenommen, und seine Abschiebung war zunächst für den 21. Dezember 2004 geplant. Einen Tag vorher, nämlich am 20. Dezember 2004, hat er seinen Asylantrag gestellt, und diesen mit seinem Kriegsdienstverweigerungsbegehren begründet. Da er in seiner Anhörung gegenüber dem Bundesamt angegeben hat, seit dem 20. Lebensjahre gehe das immer hin und her wegen der Kriegsdienstverweigerung und dem türkischen Militär, ist ein sachlich nachvollziehbarer Grund für die verspätete Asylanerkennung erst einen Tag vor der absehbaren Abschiebung unter Berufung auf ein Kriegsdienstverweigerungsrecht nicht ansatzweise nachvollziehbar gegeben. Spätestens Mitte 2004, als der Antragsteller keine Aufenthaltsgenehmigung mehr hatte, hätte dringender Anlass bestanden, seine Rechte geltend zu machen, und ein Bedürfnis für ein Untertauchen war nicht gegeben. Angesichts des objektiven Geschehensablaufs ist nach Auffassung des Einzelrichters eindeutig von einer gezielten Absicht der Abwendung einer drohenden Aufenthaltsbeendigung auszugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 a Abs. 4 Satz 3 VwGO).