Arbeitsgericht Hannover
Urt. v. 26.11.2008, Az.: 8 Ca 185/08
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Hannover
- Datum
- 26.11.2008
- Aktenzeichen
- 8 Ca 185/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 46875
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGHAN:2008:1126.8CA185.08.0A
Rechtsgrundlagen
- BetrVG § 103
- KSchG § 15
- BGB § 626 Abs. 2
- KSchG § 9 Abs. 1
- BetrVG § 22
- BGB § 615
- BetrVG § 102
In dem Rechtsstreit
...
wegen Feststellung
hat die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2008 durch den Richter ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.04.2008 nicht aufgelöst worden ist.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 3.
Der Streitwert wird auf € 6 384,99 festgesetzt.
- 4.
Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung.
Der am 07.11.1968 geborene und verheiratete Kläger ist aufgrund Arbeitsvertrages vom 20.02./23.02.1998 bei der Beklagten seit dem 01.04.1998 als Krankenpfleger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28,88 Stunden und einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von € 2 128,33 beschäftigt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie des Arbeitsvertrages verwiesen (Bl. 29 ff. d.A.).
Die Beklagte beschäftigt ca. 730 Arbeitnehmer. Der Kläger ist bei der Betriebsratswahl am 08./09.12.2005 zum Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrates gewählt worden. Die Betriebsratswahl wurde angefochten, worauf hin diese durch Beschluss des Arbeitsgerichtes Hannover, Az. 2 BV 19/05, für unwirksam erklärt wurde. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Beschluss vom 27.03.2008, Az. 11 TaBV 128/06, zurück. Dieser Beschluss, nach dem eine Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen war, wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des beschwerdeführenden Betriebsrates am 15.05.2008 zugestellt. Am 17.04.2008 trat der Betriebsrat zurück und bestellte einen Wahlvorstand. Nach Rücktritt und vor Konstituierung des Wahlvorstandes wurde dem Kläger eine außerordentliche Kündigung mit Datum vom 17.04.2008 übergeben. Hinsichtlich der Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie verwiesen (Bl. 3 d.A.). Am 03./04.07.2008 erfolgte eine Neuwahl des Betriebsrates. Der Kläger wurde erneut gewählt. Im Hinblick auf die Neuwahl wurde die zwischenzeitlich vom Betriebsrat beim Bundesarbeitsgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde im August 2008 zurückgenommen und daraufhin mit Beschluss vom 14.08.2008 eingestellt.
Bereits mit Antrag vom 20.03.2006 hatte die Beklagte die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers beantragt. Mit Beschluss vom 28.09.2006 ersetzte das Arbeitsgericht Hannover (Az. 3 BV 6/06) die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Auf eine entsprechende Beschwerde wies des Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Az. 3 TaBV 123/06) den Antrag auf Zustimmungsersetzung zurück. Auf die Beschwerde der hiesigen Beklagten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ließ das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 ABR 24/08) mit Beschluss vom 11.03.2008 die Rechtsbeschwerde zu. Eine Entscheidung in der Sache steht noch aus.
Sowohl der beantragten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung im Jahr 2006 als auch der nunmehr streitgegenständlichen Kündigung liegt der Vorwurf des dringenden Tatverdachts des Missbrauchs Schutzbefohlener und der bewussten Falschaussage gegenüber dem Arbeitgeber zugrunde. Zu den Einzelheiten des Sachverhaltes, der zwischen den Parteien streitig ist, wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Mit der am 17.04.2008 bei dem Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klage setzt sich der Kläger gegen die Kündigung zur Wehr. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kündigung mangels Zustimmung bzw. Anhörung des Betriebsrates nichtig sei. Zudem fehle es an einem wichtigen Grund. Letztlich sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB verstrichen.
Die Beklagte hat in der Kammerverhandlung vom 05.11.2008 erklärt, dass sie aus der Kündigung vom 17.04.2008 keine Rechte mehr herleite.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.04.2008 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte erklärt, dass die Hauptsache nach ihrer Ansicht erledigt sei und eventuell angefallene Gerichtskosten bei Klagerücknahme von der Beklagten übernommen werden.
Im Übrigen beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die dem Verfahren Arbeitsgericht Hannover 3 BV 6/06 vorangegangene und in jenem Verfahren durchgeführte Anhörung des Betriebsrates die Anhörung nach § 102 BetrVG im hiesigen Fall ersetze (Bl. 20 d.A.). Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei durch dass genannte Verfahren gehemmt (Bl. 103 d.A.).
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 Abs. 2 ZPO auf die Schriftsätze der Parteien, die Protokollerklärungen und die zu den Gerichtsskten gereichten Unterlagen sowie die beigezogenen Verfahrensakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klage ist zulässig und weist insbesondere das erforderliche Rechtschutzbedürfnis auf. Eine Erledigung ist nicht eingetreten, eine einseitige Erledigungserklärung der Beklagten - sollte eine solche mit der Erklärung in der Kammerverhandlung vom 05.11.2008 gemeint sein - ist mangels Dispositionsbefugnis unbeachtlich.
Verfolgt der Arbeitnehmer nach einer vom Arbeitgeber erklärten Rücknahme der Kündigung allein den Kündigungsschutzantrag nach § 4 KSchG weiter, stellt er also keinen Auflösungsantrag, bleibt sein Rechtschutzinteresse jedenfalls in der ersten Instanz trotz dessen bestehen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass mit der Rücknahme der Kündigung das rechtliche Interesse des Arbeitnehmers an der gerichtlichen Feststellung, dass die "zurückgenommene" Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, entfallen ist. Das Bundesarbeitsgericht führt insofern ausdrücklich aus, dass gegen den Wegfall des Rechtschutzinteresses vor allem auch die den Parteien gemäß § 9 Abs. 1 KSchG eingeräumte Möglichkeit spricht, bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung einer Abfindung zu stellen (BAG, Urteil vom 19.08.1982, 2 AZR 230/08, AP Nr. 9 zu § 9 KSchG). Dieser Gestaltungsmöglichkeit darf durch eine einseitige Kündigungsrücknahme nicht die rechtliche Grundlage entzogen werden. Der Auflösungsantrag kann nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 1 S. 3 KSchG auch noch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Befindet sich das Verfahren allerdings noch in der ersten Instanz, kommt ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses nicht in Betracht (LAG Hamm, Urteil vom 29.09.1997, 19 Sa 598/97, LAGE § 615 BGB Nr. 54; Sächsisches LAG, Urteil vom 16.08.2006, 2 Sa 434/06, juris; Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Auflage 2008, § 620 BGB Rn. 75; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Auflage 2007, § 123 Rn. 55; Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 3. Auflage 2007, § 4 KSchG Rn. 131). Nichts anderes kann für die Möglichkeit eines Auflösungsantrages gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 KSchG gelten.
II.
Die außerordentliche Kündigung vom 17.04.2008 ist nichtig und beendete das Arbeitsverhältnis nicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob wichtige Gründe im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB vorliegen. Die außerordentliche Kündigung vom 07.11.2007 ist bereits gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 103 BetrVG nichtig. Es fehlt an der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrates, dessen Anhörung und Zustimmung auch nach seinem Rücktritt erforderlich war (dazu unter 1.). Daran ändert auch die zwischenzeitlich rechtskräftige Anfechtung der Betriebsratswahl vom 08./09.12.2005 nichts (dazu unter 2.).
1.
Beschließt der Betriebsrat seinen Rücktritt, führt er trotz dessen die Geschäfte weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist, §§ 22, 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG. Der nach § 22 BetrVG amtierende BR ist auch vor Kündigungen zu hören (vgl. auch BAG, Urteil vom 19.11.2003, 7 AZR 11/03, AP Nr. 19 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb). Seine Mitglieder genießen den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG und § 103 BetrVG (BAG, Urteil vom 27.09.1957, AP Nr. 7 zu § 13 KSchG; Fitting, BetrVG, 24. Auflage 2008, § 22 Rn. 8; Eismann in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Auflage 2007, § 22 BetrVG Rn. 2).
Vorliegend erfolgten vor der Kündigung vom 17.04.2008 weder eine Anhörung des Betriebsrates noch seine Zustimmung bzw. eine Zustimmungsersetzung. Der Betriebsrat ist allenfalls zur beabsichtigten Kündigung aus 2006 angehört worden und insoweit wurde auch eine Zustimmungsersetzung beantragt, nicht aber zu der nunmehr erfolgten Kündigung. Die damalige Anhörung und das damalige Zustimmungsersetzungsverfahren können aber nicht die Anhörung und Zustimmung hinsichtlich der streitgegenständlichen Kündigung ersetzen, da jenes Verfahren unstreitig noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist und der Betriebsrat zudem nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor jeder Kündigung anzuhören ist.
2.
Die mittlerweile rechtskräftige Anfechtung der Betriebsratswahl vom 08./09.12.2005 ändert an diesem Ergebnis nichts. Die Anfechtung einer Betriebsratswahl hat im Gegensatz zur Feststellung der Nichtigkeit keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Anfechtungsverfahrens wird Betriebsratsmitgliedern nicht der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG und des § 103 BetrVG genommen (Fitting, a.a.O., § 19 Rn. 49, 50, Kania in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Auflage 2007, § 103 BetrVG Rn. 5). Auch wenn die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wird, tritt die formelle Rechtskraft des Beschlusses des Landesarbeitsgerichtes erst mit Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ein, sofern nicht innerhalb der Frist Nichtzulassungsbeschwerde erhoben worden ist, die nach § 72a Abs. 4 S. 1 ArbGG aufschiebende Wirkung hat (Germelmann u.a., Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Auflage 2008, § 91 ArbGG Rn. 16). Die Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 92a S. 2 ArbGG i.V.m. § 72a Abs. 2 ArbGG ein Monat nach Zustellung. Vorliegend wurde der Beschluss des LAG Niedersachsen zum Aktenzeichen 11 TaBV 128/08 erst am 15.05.2008 und damit zeitlich nach dem Rücktritt des Betriebsrates am 17.04.2008 und der ausgesprochenen streitgegenständlichen Kündigung dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt war der besondere Schutz nach §§ 15 KSchG, 103 BetrVG daher noch nicht erloschen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495 Abs. 1, 91 ZPO.
IV.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 4 GKG i.V.m. § 495 Abs. 1, 3 ZPO und entspricht drei Bruttomonatseinkommen des Klägers.
V.
Gründe gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG, die Berufung gesondert zuzulassen, lagen nicht vor.