Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.10.2016, Az.: 1 Ws 501/16 (StrVollz)

Zuständigkeitsstreit in Strafvollzugssachen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.10.2016
Aktenzeichen
1 Ws 501/16 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 27636
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:1019.1WS501.16STRVOLLZ.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 03.05.2016

Amtlicher Leitsatz

1. Ein Streit zwischen Strafvollstreckungskammern über die Zuständigkeit in einer Strafvollzugssache wird nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 14 StPO vom gemeinschaftlichen oberen Gericht entschieden. Dies ist, sofern es sich bei beiden streitenden Landgerichten um niedersächsische Gerichte handelt, stets das OLG Celle.

2. Bei örtlicher Unzuständigkeit der mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StPO befassten Strafvollstreckungskammer hat diese sich für örtlich unzuständig zu erklären und das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG von Amts wegen an die Strafvollstreckungskammer des nach § 110 StVollzG örtlich zuständigen Landgerichts zu verweisen.

3. Die Verweisung des Rechtsstreits wegen örtlicher Unzuständigkeit ist für die Strafvollstreckungskammer, an die verwiesen wurde, grundsätzlich bindend.

Tenor:

Für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. Mai 2016 ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zuständig.

Gründe

I.

Der Antragsteller befand sich ursprünglich in Strafhaft in der JVA R. Auf Ersuchen der JVA R. und mit Zustimmung der JVA W. wurde er am 14. Januar 2016 für einen Zeitraum von sechs Monaten in die JVA W. überstellt, um die JVA R. temporär zu entlasten. Dem Antragsteller wurde mitgeteilt, dass es sich bei dem Anstaltswechsel um eine von vornherein zeitlich befristete Überstellung aus wichtigem Grund (im Sinne des § 10 Abs. 2 NJVollzG) handele und er nach Ablauf von maximal sechs Monaten wieder der JVA R. zugeführt werde.

Während der Zeit seines Vollzuges in der JVA W. richtete der Antragsteller mehrfach den Wunsch an die JVA W., dort dauerhaft verbleiben zu können. Hierauf wurde ihm seitens der JVA W. mündlich mitgeteilt, dass er in die Zuständigkeit der JVA R. gehöre, er nur zeitweilig in die JVA W. aufgenommen worden sei und nach Ablauf des vereinbarten Überstellungszeitraumes in die JVA R. zurücküberstellt werde. Eine förmliche Entscheidung seitens der JVA W. über seinen Wunsch auf einen weiteren dortigen Verbleib ist nicht ergangen.

Mit Schreiben vom 3. Mai 2016 stellte der Antragsteller beim Landgericht Braunschweig einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG, mit dem er seinen Verbleib in der JVA W. erstrebte und sich gegen die geplante Rücküberstellung in die JVA R. wandte.

Am 24. Juni 2016 wurde der Antragsteller wieder in die JVA R. zurücküberstellt, in der er sich auch gegenwärtig noch in Strafhaft befindet.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig (Az.: 50 StVK 223/16) hat sich mit Beschluss vom 15. Juli 2016 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Göttingen verwiesen.

Das Landgericht Göttingen hat mit Beschluss vom 14. September 2016 eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache dem Oberlandesgericht Braunschweig zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Das Oberlandesgericht Braunschweig seinerseits hat die Sache dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Zur Entscheidung über den Streit zwischen der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen über die örtliche Zuständigkeit in dem Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG ist das OLG Celle berufen.

Für derartige Zuständigkeitsstreitigkeiten gilt über die allgemeine Verweisungsnorm des § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG die Vorschrift des § 14 StPO entsprechend (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1988 - 2 ARs 536/88, BGHSt 36, 33; BGH, Beschluss vom 7. September 2005 - 2 Ars 313/05; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 3 (s) Sbd. I-8/07, NStZ-RR 2008, 79; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 14 Rn. 1). Danach bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht.

Zwar gehören die beteiligten Landgerichte beide zum Bezirk des OLG Braunschweig. Indes ist gemeinschaftliches oberes Gericht vorliegend das OLG Celle. Denn das Land Niedersachsen hat von der Möglichkeit des § 121 Abs. 3 GVG Gebrauch gemacht, die Zuständigkeit für Rechtsbeschwerden nach § 116 StVollzG gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern über Anträge auf gerichtliche Entscheidungen nach § 109 StVollzG einem Oberlandesgericht für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte zuzuweisen. Die niedersächsische Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) vom 18. Dezember 2009 (Nds. GVBl. 2009, 506) weist in § 19 Abs. 4 die Entscheidungen über die in § 121 Abs. 1 Nr. 3 GVG bezeichnete Rechtsbeschwerde für die Bezirke aller Oberlandesgerichte des Landes Niedersachsen dem Oberlandesgericht Celle zu. Dieses ist deshalb in Strafvollzugssachen auch das gemeinschaftliche obere Gericht im Sinne des § 14 StPO für über ihre Zuständigkeit streitende Strafvollstreckungskammern verschiedener niedersächsischer Landgerichte und somit vorliegend für die Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zuständig (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2013 - 2 ARs 180/13; BGH, Beschluss vom 7. September 2005 - 2 ARs 313/05; OLG Celle, Beschluss vom 9. Juli 2013 - 1 Ws 230/13).

III.

Zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. Mai 2016 ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen.

1. Bei örtlicher Unzuständigkeit der mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StPO befassten Strafvollstreckungskammer hat diese den Antrag nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern sich für örtlich unzuständig zu erklären und das Verfahren im Interesse der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes an die Strafvollstreckungskammer des nach § 110 StVollzG örtlich zuständigen Landgerichts zu verweisen (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1988 - 2 ARs 536/88, BGHSt 36, 33; BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1989 - 2 ARs 543/89, NStZ 1990, 205; OLG Celle, Beschluss vom 7. April 2011 - 1 Ws 115/11; Bachmann, in: Laubenthal u.a., Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015, Teil P Rn. 42; Schmidt-Clarner, in: Burhoff/Kotz [Hrsg.], Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil C Rn. 359). Diese Verweisung ist von Amts wegen (also auch ohne einen entsprechenden Antrag des Antragstellers) vorzunehmen (OLG Celle, Beschluss vom 7. April 2011 - 1 Ws 115/11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20. Juli 2012 - 2 Ws 506/11; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juni 2015 - III-1 Vollz (Ws) 163/15; Bachmann, in: Laubenthal u.a., Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015, Teil P Rn. 42; Schmidt-Clarner, in: Burhoff/Kotz [Hrsg.], Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil C Rn. 360) und erfolgt in entsprechender Anwendung des § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1988 - 2 ARs 536/88, BGHSt 36, 33; OLG Celle, Beschluss vom 7. April 2011 - 1 Ws 115/11). Weil § 83 VwGO unter anderem auf § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG Bezug nimmt, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend (OLG Celle, Beschluss vom 9. Juli 2013 - 1 Ws 230/13; OLG Celle, Beschluss vom 22. Juni 2012 -1 Ws 205/12, Nds. RPfl. 2012, 378). Diese Bindungswirkung tritt nur dann nicht ein, wenn die Verweisung sich als willkürlich darstellt, namentlich, wenn eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, an die der Rechtsstreit verwiesen worden ist, unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt (OLG Thüringen, Beschluss vom 28. November 2005 - AR (S) 167/05; Bachmann, in: Laubenthal u.a., Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015, Teil P Rn. 42).

2. Vorliegend ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen nach § 110 StVollzG örtlich zuständig, so dass die Verweisung des Rechtsstreits an diese zu Recht erfolgte. Damit verbleibt es bei der bindenden Wirkung des Verweisungsbeschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig.

Denn der Antragsteller hat sich mit seinem an das Landgericht Braunschweig gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen seine Rücküberstellung in die JVA R. gewandt. Weil er lediglich zeitlich befristet in die JVA W. überstellt worden war, erstrebte er damit rechtlich von vornherein im Sinne eines Verpflichtungsantrages eine Verpflichtung der Justizverwaltung dahingehend, ihn nach § 10 Abs. 1 NJVollzG in die JVA W. zu verlegen. Anhaltspunkte dafür, dass er von diesem Begehren zwischenzeitlich Abstand genommen hat, sind nicht ersichtlich.

Bei einer zeitlich befristeten Überstellung in eine andere Justizvollzugsanstalt verbleibt die Zuständigkeit für eine dauerhafte Verlegung bei der Ausgangsanstalt, hier der JVA R. (vgl. Schmidt-Clarner, in: Burhoff/Kotz [Hrsg.], Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil C Rn. 357). Damit ist Antragsgegnerin nach § 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG die JVA R. und ist für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem der Antragsteller in der Sache eine Verpflichtung der JVA R. erstrebt, ihn in die JVA W. zu verlegen, die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zuständig, denn in deren Bezirk hat die JVA R. ihren Sitz.