Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.01.2014, Az.: 3 B 7136/13
aufschiebende Wirkung; Dublin III VO; Dublin II VO; Überstellungsfrist
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 21.01.2014
- Aktenzeichen
- 3 B 7136/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 42667
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 34a Abs 2 AsylVfG
- § 80 Abs 5 VwGO
- Art 20 EGV 343/2003
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Überstellungsfrist in Dublin-Verfahren beginnt allein aufgrund der Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ohne eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung nicht neu zu laufen. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG bewirkt für sich genommen keine aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 e) Dublin II VO (Art. 29 Abs. 1 Dublin III VO), da es sich bei dieser Regelung nicht um eine Aussetzungsentscheidung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 e) Dublin II VO handelt. Die aufschiebende Wirkung tritt erst dann ein, wenn das Gericht einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage stattgibt. In diesem Fall beginnt die Sechsmonatsfrist erst nach rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens zu laufen.
Gründe
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von dem Antragsteller erhobenen Klage (3 A 7135/13) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 17. Dezember 2013 ist nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) zulässig. Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind nach § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu stellen. Diese Frist ist hier eingehalten worden.
Der Antrag ist auch begründet.
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist in materieller Hinsicht begründet, wenn das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Bescheides das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung des Verwaltungsaktes überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Erweist sich der angegriffene Verwaltungsakt bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtswidrig, so überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt geht die Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus, wenn die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier zu Gunsten des Antragstellers aus, weil der angegriffene Bescheid vom 17. Dezember 2013 nach der sich dem Gericht derzeit darbietenden Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtswidrig ist, weil inzwischen nicht mehr die Niederlande, sondern die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers, der bislang nicht in die Niederlande abgeschoben worden ist, zuständig ist. Die Überstellungfrist ist am 9. Januar 2014 abgelaufen.
Maßgeblich für die Frage der Zuständigkeit ist hier noch allein die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, vom 18. Februar 2003 (ABl. L 15/1) - Dublin II-VO. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 - Dublin III-VO - auf Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, weiterhin Anwendung. Die unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ab dem 1. Januar 2014 vorgesehene Anwendbarkeit der Dublin III-VO für Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuche bezieht sich jedenfalls nicht auf - wie hier - bereits vor diesem Stichtag gestellte und beantwortete Gesuche. In diesem Fall ist die nach erfolgter Übernahmezusage erlassene Abschiebungsanordnung noch an den Vorschriften der Dublin II-VO zu messen (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 9. Januar 2014 - 1 B 7895/13 - juris).
Nach Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO muss ein Mitgliedstaat, der die Wiederaufnahme akzeptiert, den Asylbewerber in seinem Hoheitsgebiet wieder aufnehmen. Die Überstellung erfolgt gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.
Nach Art. 20 Abs. 1 e) Dublin II-VO teilt der ersuchende Mitgliedstaat dem Asylbewerber die Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats über seine Wiederaufnahme mit. Diese Entscheidung ist zu begründen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung ist anzugeben und gegebenenfalls der Ort und der Zeitpunkt zu nennen, an dem bzw. zu dem sich der Asylbewerber zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Gegen die Entscheidung kann ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Ein gegen diese Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist.
Hier haben die Niederlande dem Wiederaufnahmegesuch am 9. Juli 2013 zugestimmt, so dass die Überstellungsfrist am 9. Januar 2014 abgelaufen ist. Die Verwaltungsvorgänge und die Antragserwiderung der Antragsgegnerin sind dem Gericht erst am 13. Januar 2014 zugegangen.
Der Fristablauf für die Überstellung des Antragstellers in die Niederlande ist auch nicht durch die Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und Erhebung der Klage am 27. Dezember 2013 verschoben oder gehemmt worden.
In dem Fall, in welchem ein nationales Gericht einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO, der gemäß § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zulässig ist, stattgibt, beginnt die Sechsmonatsfrist erst nach rechtskräftigem Abschluss des zugehörigen Klageverfahrens zu laufen (so bereits VG Oldenburg, Urteil vom 13. Dezember 2013 - 3 A 5875/13 - V.n.b.). Diese Einschätzung wird gestützt durch das Urteil des EuGH vom 29. Januar 2009 (C-19/08), aus welchem sich ergibt, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der endgültigen gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann.
Eine Entscheidung über den eingelegten Rechtsbehelf, die aufschiebende Wirkung hat, ist vor Ablauf der Überstellungsfrist hier nicht ergangen.
Das Gericht teilt die in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass allein durch einen Antrag nach §§ 80 Abs. 5 VwGO, 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG - unabhängig davon, ob diesem stattgegeben oder dieser abgelehnt wird - der Lauf einer neuen sechsmonatigen Überstellungsfrist ausgelöst werde, ausdrücklich nicht (so aber VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 - juris; sich zumindest teilweise anschließend VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - RO 9 S 13.30618 - juris). So ergibt sich auch aus dem - vor der Änderung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG erlassenen - Beschluss des Nds. OVG vom 2. August 2012 (4 MC 133/12 - juris) vielmehr, dass ein Rechtsbehelf erst dann aufschiebende Wirkung entfaltet, wenn dieser zu einer Aussetzung des Vollzugs dadurch führt, dass einem gestellten Eilantrag stattgegeben wird, und nicht zugleich, dass allein die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu einer aufschiebenden Wirkung führt:
„Die für die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erforderliche Aussetzung des Vollzugs der Überstellung durch den vom Antragsteller eingelegten Rechtsbehelf ist hier eingetreten. Denn das Verwaltungsgericht Osnabrück hat auf den vom Antragsteller gestellten Antrag vom 10. Mai 2011 zunächst mit Beschluss vom 28. Juni 2011 - 5 B 49/11 - der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig bis zu einer Entscheidung über den am 10. Mai 2011 gestellten Antrag, längstens jedoch für die Dauer von drei Monaten, untersagt, die dem Antragsteller im Bescheid vom 1. September 2010 bekannt gegebene Abschiebungsanordnung zu vollziehen.“
Die bloße Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG führt daher nach hier vertretener Auffassung nicht dazu, eine aufschiebende Wirkung der Klage sofort, also bereits vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidung allein durch die Antragstellung, annehmen zu müssen. Dies folgt auch ganz ausdrücklich aus dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO, wonach die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten entweder nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen hat. Abgestellt wird also auf die Entscheidung über den Rechtsbehelf - gemeint sein kann hier ausschließlich die gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache, also im Klageverfahren - und nicht auf die bloße Einlegung des Rechtsbehelfs.
Für diese Auslegung spricht auch der künftig die Überstellung in Dublin-Verfahren regelnde Art. 29 Abs. 1 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass die Überstellung erfolgt, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Nach Art. 27 Abs. 3 c) Dublin III-VO, welcher dem Regelungsgehalt nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG entspricht, hat die betreffende Person die Möglichkeit, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Dem entspricht § 34 a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist.
Aus Art. 20 Abs. 1 Dublin II-VO folgt daher, dass die Sechsmonatsfrist im Falle eines eingelegten Rechtsbehelfs - hier einer Klage mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG - nur dann neu zu laufen beginnt, wenn der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, was ausschließlich dann der Fall ist, wenn eine für den Antragsteller positive gerichtliche Aussetzungsentscheidung ergangen ist (vgl. Nds. OVG, a.a.O.). Dann verbleibt es bei dem bereits festgestellten Ergebnis, dass die Frist erst nach rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens zu laufen beginnt. Diese Rechtslage wird auch durch die Dublin III-VO fortgeführt, wie aus der Formulierung in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO hervorgeht, der - in Ergänzung des Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO - nochmals klarstellend auf den Fristbeginn nach der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, der aufschiebende Wirkung hat, verweist.
Die Frist wird daher weder unter Zugrundelegung von Art. 20 Dublin II-VO noch - worauf lediglich der Vollständigkeit halber hingewiesen werden soll - künftig nach Art. 29 Dublin III-VO allein aufgrund des Antrags auf Aussetzung der Überstellung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 AsylVfG unterbrochen. Die Regelung in § 34 a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, dass die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung gemäß § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist, führt nicht dazu, eine Aussetzungsentscheidung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 e) Dublin II-VO annehmen zu müssen (so aber im Ergebnis VG Göttingen, a.a.O.). Diese Vorschrift, die sich nicht an das Bundesamt, sondern an die die Überstellung vollziehende Ausländerbehörde richtet, bewirkt keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 20 Abs. 1 e) Dublin II-VO, da eine solche nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht kraft Gesetzes, sondern ausschließlich durch eine Entscheidung der Gerichte oder zuständigen Stellen angeordnet werden kann. Hierfür spricht auch der Wortlaut des Art. 27 Abs. 3 c) Dublin III-VO, wonach die Entscheidung, dass die Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht ausgesetzt wird, zu begründen ist, woraus im Umkehrschluss folgt, dass die bloße Antragstellung eine Aussetzung gerade nicht bewirkt.
Die Bundesrepublik hat es versäumt, den Antragsteller binnen der Sechsmonatsfrist, die ungeachtet der Klageerhebung und des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weitergelaufen ist, bis zum 9. Januar 2014 in die Niederlande zu überstellen, so dass die Zuständigkeit mittlerweile übergegangen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).