Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.07.2010, Az.: 1 B 3199/10

Rechtmäßigkeit der Zuweisung von Restabfallbehältern für die Dauer eines Festes; Konkretisierung und Auslegung des Begriffs des Abfallerzeugers; Richtiger Adressat und abfallrechtlich Verpflichteter eines Zuweisungsbescheides; Überlassungspflicht des Abfallbesitzers; Mindestmaß an tatsächlicher Sachherrschaft

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.07.2010
Aktenzeichen
1 B 3199/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 34741
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0723.1B3199.10.0A

Verfahrensgegenstand

Anschluss- und Benutzungszwang
Antrag nach §80 Abs. 5 VwGO

Redaktioneller Leitsatz

Der Organisator und Veranstalter eines Festes, welcher nicht zugleich Eigentümer der Veranstaltungsfläche ist, ist nicht Erzeuger bzw. Besitzer von Abfällen i.S.d. §3 Abs. 5 und 6 KrW-/AbfG. Er verfügt nicht über ein "Mindestmaß an tatsächlicher Sachherrschaft" hinsichtlich des anfallenden Abfalls. Für den Abfall durch den Betrieb von gastronomischen Ständen sind die Standbetreiber in Anspruch zu nehmen.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 1. Kammer -
am 23. Juli 2010
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 20.07.2010 gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 07.07.2010 erfolgte Zuweisung von 22 Abfallbehältern wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.406,20 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 07.07.2010 wiederherzustellen,

2

hat Erfolg.

3

Der Antrag ist zulässig und begründet.

4

Der Antrag auf Wiederherstellung nach §80 Abs. 5 VwGO ist im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung statthaft gemäß §80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO.

5

Einem zulässigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gemäß §80 Abs. 5 VwGO entspricht das Gericht, wenn eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung einerseits und des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides andererseits ergibt, dass dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, der Vorrang gebührt.

6

Es bestehen beträchtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 07.07.2010 erfolgten Zuweisung von 22 Restabfallbehältern mit einem Volumen von 1.100 Litern an den Antragsteller für die Dauer des D. festes, so dass - auch im Hinblick auf die dem Antragsteller bereits angekündigten gebührenrechtlichen Folgen - sein Interesse, von der Vollziehung der angefochtenen Verfügung bis zur Entscheidung in der Hauptsache, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug überwiegt.

7

Der Antragsgegner stützt seine Verfügung auf §7 Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV) und §10 Abs. 6 seiner Abfallsatzung. Nach §7 Satz 1 GewAbfV haben die Erzeuger und Besitzer von gewerblichen Siedlungsabfällen, die nicht verwertet werden, diese dem zuständigen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nach Maßgabe des §13 Abs. 1 Satz 2 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes zu überlassen. Satz 3 der Vorschrift bestimmt, dass Erzeuger und Besitzer Abfallbehälter des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers oder eines von ihm beauftragten Dritten in angemessenem Umfang nach den näheren Festlegungen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, mindestens aber einen Behälter, zu nutzen haben. Nähere Festlegungen hat der Antragsgegner in §10 Abs. 6 seiner Abfallsatzung getroffen, wonach bei Veranstaltungen (z.B. Messen, Freiluftkonzerten, Sportveranstaltungen etc.), Kultur- und Freizeiteinrichtungen (Theater, Kinos, Bäder, Sportstudios etc.) das Mindestbehältervolumen im Einzelfall durch den Zweckverband festgelegt wird.

8

Der Antragsteller gehört indes nicht zum Kreis der abfallrechtlich Verpflichteten und ist damit nicht richtiger Adressat des Zuweisungsbescheids. Abfallrechtlich verpflichtet sind nach den abfallrechtlichen Vorschriften der Erzeuger und der Besitzer von Abfällen. Dies gilt vorliegend ungeachtet der - nicht zu entscheidenden - Frage, ob es sich bei den im Rahmen des D. festes anfallenden Abfällen um gewerbliche Siedlungsabfälle im Sinne der GewAbfV - wovon wohl der Antragsgegner ausgeht - oder um Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen handelt, hinsichtlich derer eine gleichartige Überlassungspflicht des Abfallbesitzers- und -erzeugers nach §4 Abs. 3 Satz 2 der Abfallsatzung des Antragsgegners bzw. nach §13 Abs. 1 KrW-/AbfG in Betracht käme. Hinsichtlich der Begriffe des Abfallbesitzers - und -erzeugers stellt die Kammer auf die Begriffsbestimmungen in §3 Abs. 5 und 6 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) ab.

9

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der Antragsteller nicht Besitzer der Abfälle im Sinne von §3 Abs. 6 KrW-/AbfG, weil er nicht die tatsächliche Sachherrschaft über die auf dem D. fest entstehenden Abfälle innehat. Der Antragsgegner verfügt als Veranstalter des D. festes nicht über ein "Mindestmaß an tatsächlicher Sachherrschaft" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 22. Juli 2004 - 7 C 17.03 -, DVBl 2004, 1556; Urteil vom 8. Mai 2003 - 7 C 15.02 -, DVBl 2003, 1076; Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 82/87 -, DVBl 1989, 522). Soweit das Bundesverwaltungsgericht für die Annahme der tatsächlichen Sachherrschaft grundsätzlich das Eigentum an einem Grundstück auch für solche Abfälle genügen lässt, die ohne oder gegen den Willen des Eigentümers von Dritten auf dem Grundstück zurückgelassen werden, kann daraus für den hier zur Entscheidung stehenden Fall nichts abgeleitet werden. Eigentümer der für das D. fest zur Verfügung gestellten Flächen ist jedenfalls nicht der Antragsteller. Er hat durch die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis für diese Flächen auch keine mit dem Grundstückseigentum gleichzusetzende Rechtsposition erlangt. Die bloße Möglichkeit zur Nutzung und weiteren Überlassung der öffentlichen Flächen rund um den D. für einen begrenzten Zeitraum genügt nicht zur Annahme einer tatsächlichen Sachherrschaft an den während des D. festes anfallenden Abfällen.

10

Der Antragssteller ist - wovon auch der Antragsgegner ausgeht - auch nicht Erzeuger des Abfalls, der zur Beseitigung ansteht. Nach §3 Abs. 5 Alternative 1 KrW-/AbfG (die 2. Alternative scheidet ohnehin aus) ist Erzeuger von Abfällen jede Person, durch deren Tätigkeit Abfälle anfallen. Anknüpfungspunkt für die Verantwortlichkeit des Erzeugers im Sinne dieser Regelung ist damit eine den Anfall des Abfalls verursachende Tätigkeit. Abfall fällt an, wenn eine Sache erstmals die Abfallmerkmale nach §3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG erfüllt.

11

Anlässlich der Durchführung des D. festes entsteht Abfall vor allem im Zusammenhang mit dem Verkauf von Speisen und Getränken durch die Standbetreiber. Insbesondere bei dem Verkauf von Speisen ist davon auszugehen, dass diese in sogenanntem Einweggeschirr (z.B. Papptellern) dargereicht werden. Dieses wird zu Abfall, wenn es nach Verzehr der Speisen seinen Zweck erfüllt hat und der Erwerber der Speisen sich des Einweggeschirrs entledigen will (vgl. den Abfallbegriff in §3 Abs. 1 KrW-/AbfG). Zusätzlich kann Abfall in Form von Essensresten und von den Besuchern des Festes mitgebrachten Gegenständen, die vor Ort entsorgt werden, anfallen. Der Antragsteller hat als Veranstalter des D. festes zwar eine generelle Ursache für die Entstehung von zusätzlichem Abfall während der Veranstaltung gesetzt. Für die Annahme der Abfallerzeugereigenschaft genügt nach Auffassung der Kammer jedoch nicht jede Form von kausaler Verursachung. Vielmehr bedarf es einer Begrenzung des Zurechnungszusammenhangs.

12

Zur Konkretisierung des Begriffs des Abfallerzeugers haben sich in der Rechtsprechung - je nach Fallkonstellation - unterschiedliche Ansätze herausgebildet.

13

Nach einer Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg kommen zur Annahme der Abfallerzeugereigenschaft nur Tätigkeiten in Betracht, die unmittelbar zur Abfallentstehung führen (vgl. Urteil vom 23. November 2006 - 11 B 5.05 -, [...], Rn. 22).

14

Das OVG Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 18. Januar 2010, - 20 B 1313/09 -, [...], zu den Anforderungen des §3 Abs. 5 KrW-/AbfG Folgendes ausgeführt:

Durch §3 Abs. 5 KrW-/AbfG ist zusätzlich zu der überkommenen Verantwortlichkeit der Abfallbesitzer eine von deren Voraussetzungen unabhängige Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Umsetzung des Verursachungsprinzips in das Abfallrecht eingefügt worden.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2007 - 7 C 5.07 -, NVwZ 2007, 1185; Frenz, ZUR 2005, 57 (59); Kropp, UPR 2003, 284 (285).

Die Verursachung wird allgemein im Ordnungsrecht im Rahmen der reinen Ursachenzusammenhänge anhand wertender Kriterien bestimmt. Verursacher ist, wer einen Ursachenbeitrag für eine bestimmte Folge gesetzt hat und wem diese Folge wertend zuzurechnen ist. Entscheidend für die Zurechnung ist im Allgemeinen, ob das Verhalten oder Unterlassen des Betreffenden die Gefahr unmittelbar in dem Sinne herbeigeführt hat, dass es die ordnungsrechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 7 B 12.08 -, NVwZ 2008, 684.

Kennzeichnend auch für das Merkmal der Unmittelbarkeit sind vorstehende Kriterien des Ordnungsrechts. Anerkannt ist, dass auch ein "Hintermann" als Verursacher verantwortlich sein kann.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 12. April 2006 - 7 B 30.06 -, [...].

§3 Abs. 5 KrW-/AbfG lässt nicht erkennen, dass es abfallrechtlich in einem darüber hinausgehenden Maße auf die Ursächlichkeit der Tätigkeit ankommt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Pflichten zur Verwertung und/oder Beseitigung von Abfällen nicht zuletzt bedeutsam dafür sind, wer die hierfür entstehenden Kosten zu tragen hat. Ferner stimmt §3 Abs. 5 KrW-/AbfG inhaltlich überein mit Art. 1 Buchstabe b) der durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in nationales Recht umgesetzten Richtlinie 75/442/EWG - aktuell Richtlinie 2006/12/EG -. Art. 8 und 15 dieser Richtlinie enthalten Vorgaben für die Ausgestaltung der Verantwortlichkeit der Erzeuger sowie (sonstiger) Besitzer von Abfällen. Insofern ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass der Begriff des Erzeugers zumindest im Zusammenhang mit der Tragung der Kosten für die Beseitigung von Abfällen maßgeblich durch den Beitrag des Betreffenden zur Entstehung der Abfälle und ggfls. zu der hieraus resultierenden Verschmutzungsgefahr geprägt ist.

Vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2008 - C - 188/07 -, EuZW 2008, 433 (Tz. 72, 77, 82); Urteil vom 7. September 2004 - C - 1/03 -, NVwZ 2004, 1341 (Tz. 58, 60).

Entscheidend ist, ob der Betreffende die Entstehung der Abfälle dergestalt beeinflusst hat, dass dieser Vorgang seiner eigenen Tätigkeit zuzuordnen ist. Das beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.

15

Das erstinstanzlich mit demselben Fall befasste VG Arnsberg hat in der Hauptsacheentscheidung unter Berücksichtigung der Ausführungen des OVG Nordrhein-Westfalen betont, der Abfallerzeuger könne - auch bei Beachtung des Verursacherprinzips - nicht mit dem Abfallverursacher gleichgesetzt werden kann (ausführlich: Urteil vom 19. April 2010, - 14 K 2368/09 -, [...]).

16

Unter Zugrundelegung dieser unterschiedlichen, zur Konkretisierung des abfallrechtlichen Erzeugerbegriffs entwickelten Grundsätze sieht die Kammer den Antragsteller nach summarischer Prüfung unter keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt als Abfallerzeuger an. Seine Tätigkeit als Veranstalter und "Organisator" des D. festes führt zunächst nicht unmittelbar zur Entstehung von Abfall. Der Antragsteller hat als Veranstalter des D. festes lediglich die allgemeinen Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass während des Festes, insbesondere durch den Betrieb von gastronomischen Ständen, Abfall anfällt. Er ist damit zwar im weitesten Sinn Verursacher des Abfalls, es besteht jedoch kein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen seinem Handeln und dem Entstehen des Abfalls.

17

Für den Antragsgegner besteht, nachdem die Daten der Standbetreiber - über das Gericht - an den Antragsgegner übermittelt wurden, auch keine Notwendigkeit mehr, sich hinsichtlich der Abfallentsorgung statt an die Standbetreiber an den Antragsteller zu wenden. Etwaige mit der Zuweisung von Abfallbehältern an die Standbetreiber verbundene praktische Schwierigkeiten, auf die sich der Antragsgegner beruft, fallen nicht derart ins Gewicht, dass sie eine Entscheidung zugunsten des Antragsgegners rechtfertigen könnten. Vor allem aber helfen sie nicht über die fehlende abfallrechtliche Verpflichtung des Antragstellers hinweg. Auch aus der von dem Antragsgegner zitierten Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts folgt nichts anderes. Zwar mag die Interessenabwägung in diesem Einzelfall zugunsten der Behörde ausgefallen sein, dabei waren die im vorliegenden Verfahren streitigen Begriffe des Abfallbesitzers oder -erzeugers jedoch nicht ausschlaggebend.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 1 VwGO.

19

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des festgesetzten Streitwertes folgt aus §§52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.7.2004 (NVwZ 2004, 1327). Für die Bemessung des Streitwerts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes stellt das Gericht auf die Hälfte der für die Abfallentsorgung in Aussicht gestellten Gesamtgebühr ab.

20

Rechtsmittelbelehrung

Makus
Dr. Schlei
Bott