Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.01.2022, Az.: 2 A 82/21

Bedürftigkeit; Befreiung; Bescheid; Bescheinigung; Rundfunkbeitrag; Rundfunkbeitragspflicht; Transferleistungen; Wohngeld

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.01.2022
Aktenzeichen
2 A 82/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59477
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Nachweispflichten von Wohngeldempfängern gegenüber der Rundfunkanstalt, die eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen eines Härtefalls begehren (hier: nicht erfüllt).

Tatbestand:

Mit der Klage begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zu seiner Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis 31.08.2019.

Der Kläger wurde im Zeitraum von Mai 2015 bis einschließlich Dezember 2019 von dem Beklagten mit seiner jeweiligen Wohnung als Beitragsschuldner geführt. Zum Ende des Jahres 2019 meldete der Beklagte das Beitragskonto des Klägers ab.

Von der Anmeldung bis Ende September 2016 sowie von September bis einschließlich Dezember 2019 war der Kläger wegen nachgewiesenen Bezugs von Sozialleistungen von der Rundfunkbeitragspflicht befreit. Einen am 23.04.2018 gestellten Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV und sowie einen am 20.08.2018 gestellten Antrag auf Befreiung nach § 4 Abs. 6 RBStV wies der für den Beklagten handelnde ARD-ZDF-Deutschlandradio-Beitragsservice durch bestandskräftige Bescheide vom 23.05.2018 und 09.10.2018 ab.

Mit Schreiben vom 13.02.2019, eingegangen am 21.05.2019, beantragte der Kläger erneut die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls nach § 4 Abs. 6 RBStV, da sein aktuelles Einkommen niedriger sei als im Fall des Leistungsbezugs nach dem SGB II. Als Nachweise legte er Wohngeldbescheide der Stadt A-Stadt vor, wonach er im Streitzeitraum Wohngeld in Höhe von monatlich 293 bzw. 254 Euro bezog.

Er absolvierte im hier interessierenden Zeitraum ein duales Studium (Bachelor of Arts Health Care Management). Dazu besuchte er zum einen die Berufsakademie A-Stadt, die von einer juristischen Person des privaten Rechts, der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie A-Stadt e.V., betrieben wird. Zum anderen war er Auszubildender bei der P... GmbH, wo er eine Ausbildungsvergütung erhielt, die sich im Mai 2017 auf 410 Euro brutto belief. Eine Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III versagte ihm die Bundesagentur für Arbeit durch offenbar bestandskräftigen Bescheid vom 04.08.2016, da das duale Studium insoweit nicht förderungsfähig sei. Einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem BAföG stellte der Kläger nicht.

Der für den Beklagten handelnde Beitragsservice lehnte den Befreiungsantrag vom 13.02.2019 mit Bescheid vom 24.10.2019 ab. Den dagegen vom Kläger mit Schreiben vom 04.11.2019 erhobenen Widerspruch wies der Beitragsservice durch Widerspruchsbescheid vom 17.07.2020 als unbegründet zurück. Der Kläger gehöre weder zu dem in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Personenkreis noch liege ein Härtefall vor. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV beantragt und von der zuständigen Behörde aus dem Grund abgelehnt worden seien, dass die Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschritten sei. Anders als in der vom Bundesverwaltungsgericht am 30.10.2019 (6 C 10.18) entschiedenen Konstellation sei der Bezug von Sozialleistungen vorliegend nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger nicht zugestellt. Kenntnis erhielt er davon erstmals durch eine ihm am 22.03.2021 mit einfachem Brief übersandte „Zweitschrift“ des Widerspruchsbescheids.

Am 22.04.2021 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, er habe zwar keinen Befreiungsanspruch wegen nachgewiesenen Leistungsbezugs nach § 4 Abs. 1 RBStV, jedoch lägen die Voraussetzungen der Härtefallregelung nach § 4 Abs. 6 RBStV vor. Der Beklagte habe vorliegend ausnahmsweise eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen. Die Wohngeldstelle der Stadt A-Stadt habe eine Prüfung der Bedürftigkeit des Klägers vorgenommen, da sie verpflichtet sei, vorrangige Leistungen, insbesondere nach dem SGB II oder dem SGB XII, zu prüfen. Die Bewilligung von Wohngeld bedeute, dass nach Auffassung der Stadt kein Anspruch auf vorrangige Transferleistungen bestehe. Die erforderlichen Berechnungen und Nachweise der Bedürftigkeit ergäben sich aus den vorgelegten Wohngeldbescheiden. Er habe im Streitzeitraum neben dem Wohngeld von seiner Ausbildungsvergütung, die weniger als 500 Euro monatlich betragen habe, und monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 200 Euro gelebt. Hierzu legt er eine Gehaltsabrechnung für den Monat Mai 2017 und eine Zahlungsbestätigung seines Vaters vom 23.08.2016 über Unterhaltszahlungen für Zeiträume bis Dezember 2017 vor. Einen BAföG-Antrag habe er wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit - ein Studium an der Berufsakademie A-Stadt sei nicht förderfähig gewesen - nicht stellen müssen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 24.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.07.2020 zu verpflichten, ihn für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis 31.08.2019 von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf seinen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, es sei ihm nicht bekannt, inwieweit der Kläger von Sozialleistungen ausgeschlossen sei. Die im Rahmen des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV in besonderen Ausnahmefällen vorzunehmende Bedürftigkeitsprüfung sei nicht möglich, weil der Kläger nicht die erforderlichen Nachweise über Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorgelegt habe.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Nach § 74 Abs.1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO muss die Verpflichtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Der Widerspruchsbescheid vom 17.07.2020 wurde dem Kläger nicht zugestellt. Da er unstreitig erstmals durch die ihm am 22.03.2021 mit einfachem Brief übersandte „Zweitschrift“ des Widerspruchsbescheids Kenntnis von ihm erhielt, war die Klagefrist zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 22.04.2021 nicht abgelaufen.

Die Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 24.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.07.2020 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis 31.08.2019 (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Rundfunkbeitrag begegnet keinen verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken (vgl. Urteil der Kammer vom 27.03.2020 - 2 A 7/15 -, juris Rn. 25 ff. m.w.N.; vom 25.01.2019 - 2 A 266/18 -, n. v.; Nds. OVG, Beschluss vom 23.07.2015 - 4 LA 231/15 - zur verfassungsrechtlichen und EuGH, Urteil vom 13.12.2018 - C-492/17 - zur europarechtlichen Beurteilung sowie BVerfG, Urteil vom 18.07.2018 - 1 BvR 1675/16 u. a., BVerwG, Urteil vom 18.03.2016 - 6 C 6.15 - und Beschluss vom 25.01.2018 - 6 B 38.18 - und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.03.2018 - 7 A 11938/17 - zu beiden Aspekten; Fundstellen jeweils bei juris). Das Bundesverfassungsgericht ist inzwischen dazu übergegangen, weiterhin erhobene Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung anzunehmen und eine Missbrauchsgebühr anzudrohen (vgl. Beschluss vom 10.02.2020 - 1 BvR 168/20 -, juris). Es ist in der Rechtsprechung zudem geklärt, dass die Rundfunkanstalten den Rundfunkbeitrag selbst festsetzen und vollstrecken dürfen (BGH, Beschlüsse vom 11.06.2015 - I ZB 64/14 - und vom 21.10.2015 - I ZB 6/15 -, die anderslautenden Ausgangsentscheidungen des LG Tübingen, Beschlüsse vom 19.05.2014 - 5 T 81/14 - und vom 08.01.2015 - 5 T 296/14 - aufhebend; Fundstellen jeweils bei juris). Eine Landesrundfunkanstalt handelt im Rahmen der Festsetzung von Rundfunkbeiträgen als Verwaltungsbehörde (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.05.2017 - 4 PA 157/17 -, V.n.b.).

1. Der Kläger hat - sollte dies überhaupt zum Streitgegenstand gehören - keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV.

Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 RBStV werden von der Beitragspflicht nach § 2 Abs. 1 RBStV auf Antrag natürliche Personen befreit, die den unter Nr. 1 bis 10 im Einzelnen aufgeführten Personengruppen angehören. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Empfänger staatlicher sozialer Leistungen, beispielsweise Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII (Nr. 1), von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II nach dem SGB II (Nr. 3). Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger ebenso wenig wie zu demjenigen nach § 4 Abs. 2 RBStV, für den eine Ermäßigung des Beitrags vorgesehen ist.

Der Katalog gemäß § 4 Abs. 1 RBStV entspricht im Wesentlichen demjenigen des bis zum 31.12.2012 geltenden § 6 Abs. 1 S. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV), sodass mit der zu jener Vorschrift ergangenen Rechtsprechung von einer abschließenden Regelung der Befreiungstatbestände auszugehen ist (VG Hannover, Urteil vom 26.03.2014 - 7 A 6287/13 -, juris; vgl. zu § 6 Abs. 1 S. 1 RGebStV: BVerwG, Urteil vom 12.10.2011 - 6 C 34/10 -, NVwZ-RR 2012, 29, Nds. OVG, Beschluss vom 14.05.2009 - 4 LC 610/07 -, NdsVBl 2009, 322 m.w.N. und OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.04.2013 - 16 A 2375/11 -, juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O., Rn. 15 und Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 -, juris, Rn. 19) sind die § 4 Abs. 1 RBStV aufgeführten Tatbestände eng auszulegen und nicht durch eine Analogie aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke erweiterbar.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls nach § 4 Abs. 6 RBStV.

Nach § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 RBStV hat die Landesrundfunkanstalt unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 der Norm in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV sind die Voraussetzungen für die Befreiung durch die entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers oder durch den entsprechenden Bescheid nachzuweisen.

a) Zu der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 21.01.2020 - 4 LA 286/19 -, juris Rn. 5 f.) unter Verweis auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 -, juris), ausgeführt:

„Bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV handelt es sich nach seinem Normzweck um eine Härtefallregelung, mit der grobe Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstehen (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -). Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lässt (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -). Dies ist bei Beitragsschuldnern der Fall, die ein den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 27 ff. SGB XII entsprechendes oder geringeres Einkommen haben und nicht auf verwertbares Vermögen i.S.d. § 90 SGB XII zurückgreifen können, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegens der Voraussetzungen ausgeschlossen sind (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -). Denn während die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV von der Rundfunkbeitragspflicht befreiten Personen nicht auf das monatlich ihnen zur Verfügung stehende Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Erfüllung der Beitragspflicht zurückgreifen müssen, weil dieses Einkommen zur Deckung ihres Lebensbedarfs einzusetzen ist, muss die erstgenannte Gruppe von Beitragsschuldnern auf ihr der Höhe nach den Regelleistungen entsprechendes oder diese Höhe sogar unterschreitendes Einkommen zurückgreifen, weil sie aus dem System der Befreiung nach § 4 Abs. 1 RBStV herausfällt. Eine solche Ungleichbehandlung trotz gleicher Einkommensverhältnisse beruht am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf einem sachlichen Grund, da die Verwaltungsvereinfachung, der das System der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 RBStV dient, eine Schlechterstellung der Bedürftigkeitsfälle, die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV nicht erfasst werden, diesen aber vergleichbar sind, nicht rechtfertigt (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -).

Hingegen bietet die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV keine Handhabe, das Regelungskonzept des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags zu korrigieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -; BVerwG, Urt. v. 28.2.2018 - 6 C 48.16 -, BVerwGE 161, 224). Da dieses Regelungskonzept für die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV erfassten Bedürftigkeitsfälle eine bescheidgebundene Befreiungsmöglichkeit vorsieht, um schwierige Berechnungen zur Feststellung der Bedürftigkeit durch die Rundfunkanstalten zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -), sind einkommensschwache Personen, die Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV in Anspruch nehmen könnten, dies aber nicht tun, nicht der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV zuzuordnen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.8. 2017 - 4 PA 356/17 -, u. v. 19.4.2016 - 4 ME 30/16 -). Eine Beitragsbefreiung nach der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 RBStV für Beitragsschuldner, die nur geringe Einkünfte haben, trotz des Vorliegens der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen aber keine Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV beziehen, liefe nämlich auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Umgehung des Regelungskonzepts der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit für die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV erfassten Bedürftigkeitsfälle hinaus (vgl. Senatsbeschl. v. 13.7.2015 - 4 PA 219/15 -, v. 9.10.2014 - 4 PA 236/14 - u. v. 20.8.2013 - 4 PA 188/13 -; ebenso zu § 6 Abs. 3 RGebStV BVerwG, Urt. v. 12.10.2011 - 6 C 34.10 -, Senatsbeschl. v. 11.6.2012 - 4 PA 153/12 -). Eine solche Umgehung wäre deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, weil für die o. a. Personengruppe durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit keine groben Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten entstehen, denen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV begegnet werden soll. Denn diese Personengruppe hat es selbst in der Hand, in den Genuss einer Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV zu gelangen.“

Anderes gilt nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nur dann, wenn der Rundfunkbeitragsschuldner, der eine der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen nicht bezieht, durch Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Sozialleistungsbehörde nachweist, dass er die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug dieser Sozialleistung erfüllt, und sich aus der Bescheinigung ergibt, dass die zuständige Sozialleistungsbehörde die Anspruchsvoraussetzungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend geprüft hat (Nds. OVG, Beschluss vom 21.02.2020 - 4 PA 222/19 -, juris, Rn. 8; Beschluss vom 29.11.2017 - 4 PA 356/17 -, juris Rn. 3 f.).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen die Kammer folgt, ist der Kläger nicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Nach dem System der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit hätte es dem Kläger gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV oblegen, zur Begründung seines Befreiungsantrags die Voraussetzungen für eine Befreiung entweder durch einen behördlichen Leistungsbescheid oder durch eine entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers nachzuweisen.

Es wäre mindestens erforderlich gewesen, dass der Kläger einen Bescheid oder eine Bestätigung des zuständigen Jobcenters und des zuständigen Sozialamts vorlegt vorlegt, wonach er keine Leistungen nach dem SGB II (hier: Arbeitslosengeld II) bzw. SGB XII erhält (s. dazu auch Urteil der Kammer vom 02.10.2020 - 2 A 276/18 -, juris Rn. 24 ff.; s.a. VG Cottbus, Urteil vom 30.01.2020 - 6 K 1565/18 -, juris Rn. 52; VG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2021 - 15 A 3506/20 -, V.n.b). Denn - anders als in dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.10.2019 (- 6 C 10.18 -, juris) zugrunde lag - war der Kläger nicht kraft Gesetzes von dem Bezug dieser in § 4 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. Nr. 1 Alt. 1 RBStV genannten Leistungen ausgeschlossen.

aa) Mit Recht geht der Kläger allerdings davon aus, dass er von dem Bezug der in § 4 Abs. 1 Nr. 5 genannten Leistungen ausgeschlossen war.

Der Kläger konnte bis zum 31.08.2019 keine Ausbildungsförderung nach dem BAföG erhalten. Die von ihm besuchte Berufsakademie A-Stadt gehörte nicht zu den Ausbildungsstätten, für deren Besuch BAföG gewährt wird. Bei der Berufsakademie handelt es sich nicht um eine öffentliche Einrichtung oder genehmigte Ersatzschule i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 BAföG (vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 09.04.2002 - 5 A 419/01 -, juris). Eine Förderfähigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 und 2 BAföG schied aus den in dem Urteil genannten Gründen ebenfalls aus. Eine Anerkennung der Berufsakademie A-Stadt als nichtstaatliche Akademie (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 BAföG in der aktuellen Fassung) ist nach den unbestrittenen Angaben des Klägers nicht vor dem Wintersemester 2019/2020 erfolgt und damit nicht für den hier streitigen Zeitraum. Bei der Berufsakademie A-Stadt handelte es sich auch nicht um eine Ausbildungsstätte i.S.v. § 2 Abs. 3 BAföG, weil sie von keiner der auf dieser Rechtsgrundlage erlassenen Verordnungen erfasst ist.

Berufsausbildungsbeihilfe nach §§ 56 ff. SGB III wurde dem Kläger laut Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 04.08.2016 mit der Begründung versagt, dass seine Berufsausbildung als duales Studium nach § 57 Abs. 1 SGB III nicht förderungsfähig sei. Berufsausbildungsbeihilfe nach §§ 114, 115 Nr. 2 SGB III und Ausbildungsgeld nach §§ 122 ff. SGB III betreffen Menschen mit Behinderungen, wozu der Kläger nach Kenntnisstand des Gerichts nicht gehört.

bb) Von dem Bezug von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 SGB II (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 RBStV) war der Kläger nicht ausgeschlossen.

Da Arbeitslosengeld II eine Leistung ist, die erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten und Sozialgeld eine Leistung, die nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten (vgl. § 19 Abs. 1 SGB II), kommt für den erwerbsfähigen Kläger nur Arbeitslosengeld II in Betracht.

Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II). „Dem Grunde nach förderungsfähig“ bedeutet, dass die Ausbildung an sich förderungsfähig sein muss, unabhängig davon, ob aus in der Person des Betroffenen liegenden Gründen ihm eine Förderung seiner Ausbildung konkret nicht zusteht, sie etwa aus Gründen des Ausbildungs- oder Fachrichtungswechsels versagt wird (BeckOK SozR/Mushoff, Stand: 01.12.2021, SGB II, § 7 Rn. 127). Die Ausbildung des Klägers war dem Grunde nach nicht förderungsfähig, weil sie an einer nicht förderungsfähigen Ausbildungsstätte stattfand.

Der SGB II-Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nr. 2 sowie § 124 Nr. 2 SGB III bemisst (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II). Letzteres ist hier nicht der Fall (s.o. zu § 4 Abs. 1 Nr. 5b) und c) RBStV). Daher war der Kläger im Streitzeitraum nicht gem. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II grundsätzlich von den Leistungen des SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen.

Die Rückausnahmen des § 7 Abs. 6 SGB II vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II sind vorliegend nicht einschlägig.

cc) Der Kläger war von dem Empfang von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Sozialhilfe; vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 RBStV) ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 51, 57 und 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII; ihnen können nur in besonderen Härtefällen Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden (§ 22 Abs. 1 SGB XII). Die Ausbildung des Klägers an der privaten Berufsakademie war jedoch nicht „dem Grunde nach förderfähig“, so dass der Ausschlusstatbestand des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht einschlägig ist.

dd) Anders als der Kläger meint, folgt aus den von ihm vorgelegten Wohngeldbescheiden nicht, dass er kraft Gesetzes und ohne eigenes Zutun von den in § 4 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 1 Alt. 1 RBStV Leistungen des SGB II und XII ausgeschlossen war. Eine diesbezügliche ausdrückliche Aussage enthalten die Wohngeldbescheide nicht. Sie lässt auch nicht aus der Wohngeldgewährung ableiten. Denn das Verhältnis zwischen Wohngeld einerseits und SGB II bzw. SGB XII-Leistungen andererseits ist komplex.

Gemäß § 3 Abs. 3 SGB II dürfen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann.

Nach § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend davon sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde (§ 12a Satz 2 SGB II).

Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II schließt Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches aus (§ 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Nach § 7 WoGG sind vom Wohngeld ausgeschlossen Empfänger und Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sowie von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, wenn bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 6 WoGG). Der Ausschluss besteht nicht, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - durch Wohngeld die Hilfebedürftigkeit i.S.d. SGB II oder XII vermieden oder beseitigt werden kann (§ 7 Abs. 1 Satz 3 WoGG).

Wohngeld stellt damit grundsätzlich eine nach § 12a Satz 1 SGB II vorrangige Leistung dar. Ist der Wohngeldberechtigte in der Lage, seinen Lebensunterhalt mit eigenem Einkommen und zusätzlichem Wohngeld zu bestreiten, besteht daher aufgrund der Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II auf diese kein Anspruch. Ist dagegen kein ausreichendes Einkommen vorhanden, um - gegebenenfalls in Verbindung mit Wohngeld - den Lebensunterhalt zu bestreiten, besteht Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Auch wenn Wohngeld nicht der Sicherung des Lebensunterhalts dient, sondern der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens (vgl. § 1 Abs. 1 WoGG), kann auf die Leistungen nach dem SGB II und XII verzichtet werden, um Wohngeld zu beantragen (vgl. § 8 Abs. 2 WoGG). Insoweit besteht ein Wahlrecht des Berechtigten (Stadler u.a., WoGG, Stand: Januar 2022, § 8 Rn. 25 ff. und § 7 Rn. 16; Kühl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, Stand: 21.09.2021, § 12a Rn. 35; VG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2021 - 15 A 3506/20 - Urteilsabdruck S. 7, V.n.b.).

Dass der Bedarf des Klägers durch Einkommen und die Inanspruchnahme von Wohngeld gedeckt war und aus diesem Grund kein Anspruch auf eine Transferleistung nach dem SGB II oder XII bestand, lassen die vorgelegten Wohngeldbescheide weder ausdrücklich noch mittelbar erkennen. Im Gegenteil: Dem Kläger verblieb im Streitzeitraum unter Berücksichtigung des in den Wohngeldbescheiden genannten monatlichen Gesamteinkommens und des Wohngelds nach Abzug der berücksichtigungsfähigen Miete nur ein Betrag, der unterhalb des Regelbedarfs der Bedarfsstufe I gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII lag (für den ersten Teil des Streitzeitraums vom 01.04. bis 31.07.2018 laut Wohngeldbescheid Nr. 4: 445,33 Euro + 293 Euro - 416,96 Euro = 321,37 Euro; für den zweiten Teil des Streitzeitraums 01.08.2018 bis 31.08.2019 laut Wohngeldbescheid Nr. 5: 522,30 Euro + 254 Euro - 416,96 Euro = 359,34 Euro; demgegenüber lag der Regelbedarf Stufe I in 2018 bei 416 Euro und in 2019 bei 424 Euro). Es ist naheliegend, dass der Kläger bewusst auf die Inanspruchnahme von (möglichen) Leistungen nach dem SGB II oder XII verzichtet hat - mit der Folge, dass das Vorliegen eines Härtefalls grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Der Kläger hat nicht dargelegt und nachgewiesen, dass er - ohne eigenverantwortliche Verzichtsentscheidung - von dem Bezug der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Leistungen ausgeschlossen war. Er hat auch keine Bescheinigung einer Sozialbehörde über eine umfassende Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des SGB II und XII vorgelegt.

ee) Abgesehen davon, dass der Kläger den Ausschluss von dem Bezug der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Leistungen nicht dargelegt und nachgewiesen hat, sind Wohngeldbescheide allein kein taugliches Mittel, um eine mit den Fällen des § 4 Abs. 1 RBStV vergleichbare Bedürftigkeit nachzuweisen (ebenso: VG Würzburg, Urteil vom 03.02.2020 - W 3 K 17.767 -, juris Rn. 30). Dies folgt bereits daraus, dass die Vermögensprüfung im Wohngeldrecht nach anderen Maßstäben (§ 21 Nr. 3 WoGG: Missbräuchlichkeit wegen erheblichen Vermögens) als den für § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV anzulegenden (kein verwertbares Vermögen im Sinne von § 90 SGB XII) erfolgt. Auch die Einkommensberechnung nach dem WoGG muss nicht zwangsläufig mit derjenigen nach §§ 27 ff. SGB XII identisch sein. Nur letztere ist für die Bedürftigkeitsprüfung i.R.d. § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV maßgeblich (s.o., BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 -, BVerwGE 167, 20 = juris Rn. 29).

ff) Daher hätte erst die Vorlage eines Bescheids oder einer Bestätigung über das Fehlen der Voraussetzungen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII für den Beklagten überhaupt die Möglichkeit zur Prüfung einer mit derjenigen des Personenkreises nach § 4 Abs. 1 RBStV vergleichbaren Bedürftigkeit eröffnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 -, juris, Rn. 30). Der Kläger hatte es somit selbst in der Hand, die Befreiungsvoraussetzungen nachzuweisen. Weil er die entsprechenden Unterlagen nicht vorgelegt hat, kann er keine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht beanspruchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.