Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 15.10.2014, Az.: 5 U 77/14

Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Folgen des Nichterkennens einer Schulterdystokie; Umfang des Schadens; Ersatzfähigkeit der Kosten einer Operation; Berücksichtigung der Kostentragung durch die Krankenkasse

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
15.10.2014
Aktenzeichen
5 U 77/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 26995
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2014:1015.5U77.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 11.03.2014

Fundstelle

  • NJW-RR 2015, 863-865

Amtlicher Leitsatz

1. Erkennt der Behandler bei einem Verdacht auf Makrosomie unter der Geburt eine Schulterdystokie nicht bzw. trifft er trotz Erkennens der Dystokie nicht die notwendigen Maßnahmen (McRoberts-Manöver etc.) begeht er einen groben Diagnose- bzw. groben Behandlungsfehler.

2. Zur Abrechnung einer Plexusoperation mit Nervtransplantation nach § 9 KHEntG.

3. Die schadensersatzrechtliche Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten richtet sich nicht notwendigerweise danach, inwieweit die Kosten von der Krankenkasse getragen werden.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 11. März 2014 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.503,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07. Februar 2013 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden aus der Behandlung des Versicherten Leon Schlüter am 08. April 2010 zu ersetzen, soweit dieser gemäß § 116 SGB X auf sie übergegangen ist oder auf sie übergehen wird.

3. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 564,66 € freizustellen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10 % und der Beklagte zu 90 %.

6. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Erstattung von Behandlungskosten des am 08. April 2010 geborenen und bei ihr krankenversicherten Kindes L S in Anspruch.

Dessen Mutter, M S, wurde am frühen Morgen des 08. April 2010, drei Tage nach dem errechneten Geburtstermin, mit einem Blasensprung und Wehen im M-hospital aufgenommen. Der Beklagte ist dort als Gynäkologe tätig und begleitete die Geburt. Um 14.15 Uhr vermerkte er im Geburtsbericht "Makrosomie". Um 17.00 Uhr rief ihn die Hebamme zur Geburt. Es musste ein Dammschnitt vorgenommen werden. Um 17.37 Uhr wurde L S mit einem Gewicht von 4430 g geboren. Im Geburtsbericht findet sich der Eintrag "Clavicula re Distalbruch". Der Kinderarzt Dr. M notierte am 09. April 2010 in seinen Behandlungsunterlagen: "A Schlaffe Lähmung rechter Arm. B Klassische Erb'sche Lähmung rechts. D Erb-Lähmung durch Geburtstrauma". Am 12. April 2010 nahm er die U2-Untersuchung des Kindes vor und bestätigte die von ihm am 09. April 2010 gestellte Diagnose. Weiterbehandelt wurde L S im St. F Krankenhaus in A. Dort erfolgte am 21. September 2010 eine operative Revision des Plexus brachialis rechts.

Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, die Mutter des bei ihr versicherten Kindes trotz des im Geburtsbericht dokumentierten Verdachts der Makrosomie nicht auf die Risiken einer vaginalen Geburt hingewiesen und über die Alternative einer Sectio aufgeklärt zu haben; diese hätte sich für einen solchen Eingriff entschieden. Es hätte zumindest eine sonografische Untersuchung zur Schätzung des Gewichts des Kindes durchgeführt werden müssen. Dabei wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Verdacht der Makrosomie bestätigt worden. Ein weiterer (grober) Behandlungsfehler des Beklagten liege darin, dass er in der Schlussphase der Geburt die sog. Kristeller-Hilfe angewandt und eine Schulterdystokie übersehen bzw. nicht ordnungsgemäß auf diese reagiert habe. Infolge der Schulterdystokie sei es bei L S zu einer erweiterten Erb'schen Lähmung gekommen und deswegen die am 21. September 2010 im St. Franziskus Krankenhaus durchgeführte Operation erforderlich geworden. Dadurch seien Kosten in Höhe von 7.867,44 € entstanden. Für krankengymnastische Behandlungen habe man darüber hinaus 5.209,35 € aufwenden müssen.

Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung von 13.076,79 € und Feststellung der Ersatzpflicht künftiger Schäden in Anspruch genommen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, das zu erwartende Geburtsgewicht habe für sich genommen keine ernstzunehmende Gefahr für das Kind dargestellt. Das CTG sei unauffällig gewesen und es habe nicht der Verdacht auf ein cephalopelvines Missverhältnis vorgelegen. Eine Schnittentbindung sei deswegen nicht indiziert gewesen. Die Kindesmutter hätte sich auch nicht für einen solchen Eingriff entschieden. Der Beklagte hat bestritten, ein Kristeller-Manöver durchgeführt zu haben. Es habe auch keine Schulterdystokie vorgelegen. Die bei Leon Schlüter aufgetretene Erb'sche Lähmung sei nicht auf die Geburt zurückzuführen.

Das Landgericht hat die Eltern des Kindes und die Hebamme als Zeugen vernommen, ein gynäkologisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N eingeholt und der Klage sodann stattgegeben. (...)

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und insbesondere an seinem Standpunkt festhält, dass keine Indikation für eine Schnittentbindung vorgelegen habe. (...)

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 11.03.2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Osnabrück, Az. 3 O 193/13, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend zur Höhe der Behandlungskosten des bei ihr versicherten Kindes vor.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache nur zum Teil Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß den §§ 280 Abs. 1, 611, 823 Abs. 1, 249 BGB i.V.m. § 166 Abs. 1 SGB X aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Ersatz des dem Kind L S durch die Geburt am 08. April 2010 entstandenen Schadens in Höhe von 11.503,30 €. Weitergehende Ansprüche stehen ihr nicht zu.

1.) Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass dem Beklagten bei der Geburt des Kindes ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Dabei kann dahinstehen, ob, wie vom Landgericht angenommen, zu Beginn der Geburt eine Ultraschalluntersuchung hätte vorgenommen und die Mutter des Kindes auf die Möglichkeit einer Schnittentbindung hätte hingewiesen werden müssen. Ein grober Behandlungsfehler ist dem Beklagten zumindest deswegen vorzuwerfen, weil er in der Schlussphase der Geburt eine Schulterdystokie entweder nicht erkannt oder nicht ordnungsgemäß auf diese reagiert hat.

Der Sachverständige Prof. Dr. N hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass sich die bei dem Kind eingetretene Verletzung des Plexus brachialis nur durch eine Schulterdystokie erklären lasse. Durch die intrauterine Lage könne es zwar zu einer Dehnung des Plexus kommen, nicht jedoch, wie bei L S, zu einer Schädigung aller Wurzeln im Bereich C5-C8 und damit einem Abriss des Plexus. Dafür seien enorme Kräfte erforderlich, die intrauterin nicht wirkten. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Ausführungen. Es leuchtet ein, dass intrauterin Gewebe nicht zerreißen kann.

Eine Schulterdystokie sei, so der Sachverständige Prof. Dr. N weiter, ohne Weiteres zu erkennen und stelle einen absoluten klinischen Notfall dar. Im Normalfall gehe eine Geburt so vonstatten, dass zunächst der Kopf des Kindes geboren werde und sich mit der nächste Wehe die Schultern entwickelten. Die Hebamme unterstütze die Entwicklung der Schultern, indem sie den Kopf des Kindes senke. Sollten sich die Schultern nicht mit der zweiten oder dritten Wehe nach Geburt des Kopfes entwickeln, komme als Ursache dafür nur eine Schulterdystokie, ein Festhängen der Schultern hinter der Symphyse, in Betracht. Bei Vorliegen einer Schulterdystokie seien umgehend folgende dokumentationspflichtige Maßnahmen zu ergreifen:

1. Mc Roberts-Manöver

2. Abstellen eines evtl. laufenden Wehentropfes

3. Ggf. Wehenhemmung

4. Großzügige Erweiterung der Episiotomie

5. Ggf. suprasymphysärer Druck

6. Innere Rotation der vorderen Schulter (Rubin-Manöver)

7. Lösen der hinteren Schulter (Woods-Manöver).

Solche Maßnahmen seien hier nicht dokumentiert, weswegen man davon ausgehen müsse, dass sie nicht ergriffen worden seien. Der Beklagte habe die Schulterdystokie also entweder nicht erkannt oder nicht ordnungsgemäß auf diese reagiert. Beides stelle einen groben Diagnose- bzw. Behandlungsfehler dar, das Nichterkennen deswegen, weil der Verdacht der Makrosomie, eine der wesentlichen Risikofaktoren der Schulterdystokie, im Raum gestanden habe und deswegen besondere Aufmerksamkeit geboten gewesen sei, und die nicht ordnungsgemäße Reaktion, weil es sich bei der Schulterdystokie um einen absoluten klinischen Notfall mit erheblichen Gefahren für Mutter und Kind handele.

Der Senat hält auch diese Ausführungen für nachvollziehbar und überzeugend und schließt sich der Einschätzung des Sachverständigen an, dass der Beklagte einen groben Behandlungsfehler begangen hat. Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt des entsprechenden Fachs schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Juni 2009 zu VI ZR 157/08, bei juris Rn. 8. 15 m.w.N.). Das Verhalten des Beklagten erfüllt diese Vorrausetzungen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist es unverständlich und hätte schlichtweg nicht passieren dürfen, dass er die Schulterdystokie entweder nicht erkannt oder nicht ordnungsgemäß auf diese reagiert hat.

Bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers wird der Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler des Arztes und dem beim Patienten eingetretenen Gesundheitsschaden vermutet, wenn der Behandlungsfehler generell geeignet ist, den eingetretenen Primärschaden zu verursachen, und ein Kausalzusammenhang nicht gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. dazu vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. November 2004 zu VI ZR 328/03, bei juris Rn. 11 f. m.w.N.). Der Behandlungsfehler des Beklagten - Nichterkennen der Schulterdystokie oder nicht ordnungsgemäße Reaktion auf diese - ist den Ausführungen des Sachverständigen zufolge generell geeignet, eine Plexusläsion, wie sie L S erlitten hat, zu verursachen. Ein Kausalzusammenhang ist hier auch nicht gänzlich oder äußerst unwahrscheinlich. Der Sachverständige hat angegeben, dass sich eine Schulterdystokie bei Ergreifen der gebotenen Maßnahmen in vielen Fällen beheben lasse. Hätte der Beklagte die Schulterdystokie behoben, wäre es, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu der Plexuslähmung des Kindes gekommen. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler des Beklagten und dem bei Leon Schlüter eingetretenen Gesundheitsschaden ist danach eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Dem Beklagten ist es nicht gelungen, dies zu widerlegen.

2.) Er ist der Klägerin daher zum Ersatz des dem Kind L S durch die Verletzung des Plexus brachialis entstanden Schadens verpflichtet. Dieser beläuft sich auf 11.503,30 €.

a.) Zu ersetzen hat der Beklagte zunächst einen Teil der Kosten der stationären Behandlung des Kindes im St. F Krankenhaus in Höhe von 6.293,95 €. Dort wurde am 21. September 2010 eine operative Revision des Plexus brachialis rechts durchgeführt.

aa.) Die Abrechnung von Krankenhausleistungen erfolgt nach Fallpauschalen. Gemäß § 9 KHEntgG vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung jährlich mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf Bundesebene einen Fallpauschalenkatalog mit Bewertungsrelationen. Daneben vereinbaren die jeweilige Landeskrankenhausgesellschaft, die Landesverbände der Krankenkassen, die Ersatzkassen und der Landesausschuss des Verbandes der privaten Krankenversicherung jährlich einen Basisfallwert, § 10 KHEntgG. Dem jährlich auf Bundesebene vereinbarten Fallpauschalenkatalog (download über www.g-drg.de möglich) liegt das sog. DRG-System (Diagnosis Related Groups, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen) zugrunde. Jeder DRG-Ziffer ist dabei eine Bewertungsrelation zugeordnet, in der sich die unterschiedlichen Behandlungskosten widerspiegeln. Diese Bewertungsrelation wird zur Berechnung der Krankenhausleistung mit dem jährlich auf Landesebene vereinbarten Basisfallwert multipliziert. Der Basisfallwert in Nordrhein-Westfalen betrug im Jahr 2010 2.895,- €.

bb.) Mit Schriftsatz vom 16. September 2014 hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, wie sich der von ihr für die stationäre Behandlung des Kindes geltend gemachte Betrag in Höhe von 7.867,44 € zusammensetzt, insbesondere die vom St. F Krankenhaus angewandte DRG-Ziffer B07Z genannt.

cc.) Die Anwendung dieser Ziffer war gerechtfertigt. Erfasst sind von ihr "Eingriffe an peripheren Nerven, Hirnnerven und anderen Teilen des Nervensystems mit äußerst schweren CC oder komplizierender Diagnose". Darunter fallen nach dem vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK GmbH) herausgegebenen Definitionshandbuch (Version 2010, Band 1, Seite 328, download über www.g-drg.de möglich) Verletzungen des Plexus brachialis (S14.3), die bestimmte, dort im Einzelnen aufgeführte Maßnahmen erfordern, zum Beispiel die Neurolyse und Dekompression des Plexus brachialis (5-056.1, S. 330 des Definitionshandbuches). Nach dem Operationsbericht des St. F Krankenhauses vom 21. September 2010 (Anlage K6) erfolgte bei dem Kind L S u.a. eine Neurolyse des Plexus brachialis und eine Transplantation von Nerven. Den nachvollziehbaren und überzeugenden Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. N zufolge stellt die Neurolyse des Plexus brachialis und eine Transplantation von Nerven einen (noch) schwerwiegenderen Eingriff als die Neurolyse und Dekompression des Plexus brachialis dar. Die Anwendung der DRG-Ziffer B07Z ist daher nach Auffassung des Senats gerechtfertigt.

Soweit der Beklagte vorbringt, dass die DRG-Ziffer B17C einschlägig sei, weil eine "sonstige Geburtsverletzung des Plexus brachialis" (P14.3) vorliege, ist dem nicht beizupflichten. Die DRG-Ziffer B17C erfasst "Eingriffe an periph. Nerven, Hirnnerven und anderen Teilen des Nervensyst. ohne äußerst schw. CC, ohne kompliz. Diag. oder Eingr. bei zerbr. Lähmung, Muskeldystrophie od. Neuropathie ohne äußerst schw. oder schw. CC, Alter > 18 J., ohne komplexen Eingriff". Sie stellt im Verhältnis zur DRG-Ziffer B07Z ("Eingriffe an peripheren Nerven, Hirnnerven und anderen Teilen des Nervensystems mit äußerst schweren CC oder komplizierender Diagnose") erkennbar ein "Weniger" dar. Erfordert eine Verletzung des Plexus brachialis (S14.3) Maßnahmen, die unter die weitergehende DRG-Ziffer B07Z fallen, ist die DRG-Ziffer B17C also nicht einschlägig. Das gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Verletzung um eine Geburtsverletzung handelt oder nicht. Die Diagnose lautet in jedem Fall "Verletzung Plexus brachialis" (S14.3).

Ebenfalls ohne Erfolg beruft sich der Beklagte darauf, dass ein Teil der Maßnahmen nach DRG-Ziffer B07Z auch bei anderen DRGs genannt werde. Die Maßnahmen (Prozeduren) allein sind für die Abrechnung nicht maßgeblich. Hinzukommen muss eine bestimmte Diagnose.

dd.) Soweit der Beklagte die als Anlage K16 zur Akte gereichte Abrechnung der Klägerin als nicht nachvollziehbar beanstandet, ist das unerheblich. Die Abrechnung stellt eine Simulation für den Fall dar, dass der Schlüssel P14.3 zur Anwendung kommt. Das ist jedoch, wie ausgeführt, nicht der Fall.

ee.) Die Klägerin kann die vom St. F Krankenhaus abgerechneten Kosten nicht in voller Höhe, sondern nur in Höhe von 80 %, erstattet verlangen.

Gemäß § 18 Abs. 3 KHEntgG rechnen Krankenhäuser mit Belegbetten für die von Belegärzten mit Honorarverträgen behandelten Belegpatientinnen- und -patienten die mit Bewertungsrelationen bewerteten Entgelte für Hauptabteilungen nur in Höhe von 80 % ab. Der Beklagte behauptet, die Operation des Kindes sei durch Herrn Dr. B als Belegarzt durchgeführt worden und die Klägerin bestreitet das nicht substantiiert. Sie trägt lediglich vor, die Versorgung des Kindes sei ihr vom St. F Krankenhaus als vollstationäre Leistung in einer Hauptabteilung gemeldet worden. Darauf kommt es jedoch nicht an, sondern darauf, wie sie tatsächlich erbracht worden ist. Dazu erklärt sich die Klägerin nicht. Für eine Belegarzttätigkeit des Herrn Dr. B spricht der als Anlage K6 zur Akte gereichte Arztbrief an die Dres. A/M vom 30. September 2010, in dem er über die Operation des Kindes vom 21. September 2010 berichtet. Dieser Arztbrief ist unter dem Briefkopf "Plastische Chirurgie im P.haus" verfasst und trägt eine andere Anschrift als die des St. F Krankenhauses. Das lässt sich im Grunde genommen nur so erklären, dass Herr Dr. B als Belegarzt tätig geworden ist. Ansonsten hätte er das Schreiben unter dem Briefkopf des St. F Krankenhauses verfasst.

Die Rechnung des St. F Krankenhauses in Höhe von 7.867,44 € ist daher um 20 % zu kürzen, so dass der Klägerin nur ein Betrag in Höhe von 6.293,95 € zusteht.

b.) Zu ersetzen hat der Beklagte darüber hinaus die Kosten der krankengymnastischen Behandlung des Kindes in Höhe von 5.209,35 €.

Nach Auffassung des Senats kommt es nicht darauf an, ob die Plexusläsion im Heilmittelkatalog nach § 92 Abs. 6 SGB V der Diagnosegruppe ZN1 (ZNS-Erkrankungen einschließlich des Rückenmarks) oder der Diagnosegruppe PN (periphere Nervenläsionen) zuzuordnen ist. Bei Personenschäden sind die Kosten solcher Heilbehandlungsmaßnahmen zu ersetzen, die aus medizinischer Sicht eine Heilung oder Linderung versprechen. Die erforderlichen Heilbehandlungsmaßnahmen müssen nicht zwingend mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung deckungsgleich sein, sondern können darüber hinausgehen (vgl. Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage, § 249 Rn. 336, 409 m.w.N.).

Das bei der Klägerin versicherte Kind erlitt infolge des Behandlungsfehlers des Beklagten eine erhebliche Verletzung des Plexus brachialis und musste sich deswegen einer aufwändigen Operation mit Transplantation von Nerven unterziehen. Es liegt auf der Hand, dass aufgrund der Art und Schwere dieser Verletzung eine krankengymnastische Behandlung erforderlich war. Das wird von dem Beklagten auch nicht (mehr) ernsthaft in Abrede gestellt. Zu Beginn der krankengymnastischen Behandlung war L S einen Monat alt. Allgemeine Krankengymnastik verspricht bei einem Kind in diesem Alter noch keinen Erfolg - es kann nicht "mitarbeiten" -, weswegen der Einsatz anderer Techniken, z.B. nach Bobath oder, wie hier verordnet, Vojta geboten erscheint. Unabhängig von der Erstattungsfähigkeit der Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung war die hier verordnete Krankengymnastik daher erforderlich. Deren Kosten stellen einen erstattungsfähigen Schaden im Sinne des § 249 BGB dar.

3.) Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag der Klägerin mit Recht stattgegeben. Geht es - wie hier - um die Verletzung eines absoluten Rechtsguts, ist ein Feststellungsinteresse bereits dann gegeben, wenn künftige Schadensfolgen möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (vgl. dazu Senat, Urteil vom 21. Mai 2014 zu 5 U 216/11, bei juris Rn. 140 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Es ist durchaus möglich, dass es bei L S infolge der erheblichen Verletzung des Plexus brachialis in Zukunft zu weiteren körperlichen Beeinträchtigungen kommt.

4.) Die mit dem Klageantrag zu 3.) geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten waren ausgehend von den der Klägerin nunmehr zuerkannten Ansprüchen (Wert 16.503,30 €, davon 5.000,- € Feststellungsantrag) neu zu berechnen.

5.) Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.