Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 14.12.1994, Az.: 21 UF 112/94

Anspruch auf Scheidungsunterhalt; Übergang einer Unterhaltspflicht des Erblassers gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau als Nachlassverbindlichkeit ; Erteilung einer Vollstreckungsklausel

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.12.1994
Aktenzeichen
21 UF 112/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 17985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1994:1214.21UF112.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Neustadt am Rübenberg - 04.05.1994 - AZ: 8 F 621/93

Verfahrensgegenstand

Ehegattenunterhalt

In der Familiensache
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .... und
die Richter am Oberlandesgericht .... und ...
auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 1994
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Neustadt a. Rbge. vom 4. Mai 1994 geändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Rechtsstreits wird für beide Instanzen (hinsichtlich der ersten Instanz in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 6. Mai 1994) auf (14,5 Monate Rückstand + 12 Monate lfd. Unterhalt) × 911,66 DM = 24.158,99 DM festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist abzuweisen. Denn dem Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte als Erbin des verstorbenen geschiedenen Ehemannes der Klägerin steht nach § 1990 Abs. 1 BGB entgegen, daß - worauf sich die Beklagte beruft - unstreitig der Nachlaß des geschiedenen Ehemannes der Klägerin bereits durch Leistungen der Beklagten auf andere vorrangige Nachlaßverbindlichkeiten bzw. Beerdigungskosten erschöpft ist.

2

Der Klage steht zunächst nicht entgegen, daß der Anspruch der Klägerin gegen den Erblasser in Höhe von monatlich 911,66 DM Scheidungsunterhalt bereits durch Urteil des Amtsgerichts Neustadt a. Rbge. vom 4. August 1987 tituliert ist. Denn dieser Titel kann nicht einfach nach § 727 ZPO gegen die Beklagte als Erbin umgeschrieben werden. Wegen der Begrenzung der Haftung des Erben nach § 1586 b Abs. 1 BGB müßte vielmehr die Klägerin ohnehin nach § 731 ZPO auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gegen die Beklagte klagen. Dieses Verfahren stellt aber keinen einfacheren und billigeren Rechtsweg dar, so daß der erhobenen neuen allgemeinen Leistungsklage gegen die Beklagte das Rechtsschutzbedürfnis nicht fehlt. Allerdings sind die Parteien grundsätzlich durch die Rechtskraft des Urteils im Vorprozeß gebunden. Hier kommt hinzu, daß die Klägerin zusätzlich nach § 1585 Abs. 2 BGB in erster Linie anstelle der titulierten Monatsbeträge auch eine Abfindung in Kapital verlangt und auch insoweit über den vorliegenden Titel hinausgreift.

3

Die Klägerin kann auch von der Beklagten als Erbin des am 30. Juli 1992 verstorbenen geschiedenen Ehemannes der Klägerin gemäß § 1586 b Abs. 1 BGB grundsätzlich Scheidungsunterhalt in der Höhe verlangen, in welcher ihr geschiedener Ehemann (ohne die Beschränkungen nach § 1581 BGB) ihr verpflichtet gewesen wäre, wenn auch nach § 1586 b Abs. 1 Satz 3 BGB nur bis zu dem Betrag, der dem Pflichtteil entspricht, weicher dem Berechtigten zustände, wenn die Ehe nicht geschieden worden wäre. Denn nach § 1586 b Abs. 1 BGB geht grundsätzlich auch die Unterhaltspflicht des Erblassers gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau als Nachlaßverbindlichkeit gemäß § 1967 BGB auf den Erben über. Aufgrund der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Neustadt vom 4. August 1987 (Bl. 11 - 16 d. A.) steht auch zwischen den Parteien fest, daß der Klägerin (wenn auch unter der genannten Begrenzung auf höchstens den Pflichtteil) ein solcher Anspruch in Höhe von monatlich 911,66 DM Scheidungsunterhalt nach den §§ 1569, 1573 Abs. 2, 1578 BGB zusteht. Weiter käme grundsätzlich auch in Betracht, daß die Klägerin von der nun verpflichteten Beklagten gemäß § 1585 Abs. 2 BGB ausnahmsweise wegen ihres Unterhaltsanspruches eine Abfindung in Kapital verlangen könnte.

4

Dennoch entfällt hier nach § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB jegliche Haftung der Beklagten für einen solchen Anspruch der Klägerin. Nach dieser Vorschrift kann nämlich der Erbe die Befriedigung eines Nachlaßgläubigers insoweit verweigern, als der Nachlaß nicht zur Befriedigung ausreicht. So aber liegt hier der Fall.

5

Zum Zeitpunkt der Geltendmachung ihrer Nachlaßverbindlichkeit durch die Klägerin hatte die Beklagte bereits mehr als den gesamten ursprünglich vorhandenen Nachlaß von insgesamt (7.192,88 DM Zahlung der Krankenkasse + 12.000 DM Zahlung der Firma Pirelli für die Monate Juli bis September 1992 + 2.000 DM Sterbegeld der Firma Pirelli =) 21.112,88 DM zur Befriedigung, von Nachlaßverbindlichkeiten im Sinne der §§ 1967 Abs. 2, 1968 BGB, nämlich der rund 22.000 DM Bankschulden des Erblassers (insoweit hat die Bank wohl aufgerechnet) und der unstreitig jedenfalls (12.024,31 DM Bestattungskosten - 225,72 DM Kosten der Traueranzeige der Kinder der Beklagten =) 11.798,59 DM Beerdigungskosten (vgl. § 1968 BGB) ausgegeben. Dazu war die Beklagte, auch wenn ihr die Nachlaß Verpflichtung gegenüber der Klägerin bekannt gewesen sein sollte, nach § 1979 BGB berechtigt. Denn die von der Beklagten erfüllten Nachlaßverbindlichkeiten wären auch im Nachlaßkonkurs vor der Forderung der Klägerin zu erfüllen gewesen. Das gilt hinsichtlich der Beerdigungskosten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 KO, wonach die Kosten der standesmäßigen Beerdigung des Erblassers sogar Masseschulden sind, also vor den sonstigen hier fraglichen Nachlaß Verbindlichkeiten zu erfüllen sind. Und was die Bankschulden des Erblassers angeht, geht dieser Nachlaßverbindlichkeit nach § 226 Abs. 2 Nr. 4 KO der Unterhaltsanspruch der Klägerin wie ein Pflichtteilsanspruch in der Weise im Range nach, daß er erst nach deren vollständiger Erfüllung hätte berichtigt werden können. Denn der Unterhaltsanspruch nach § 1586 b BGB gegen die Erbin greift nach Abs. 1 Satz 3 der Vorschrift nicht über einen Pflichtteilsanspruch der Klägerin hinaus.

6

Eine Erschöpfung des Nachlasses läge nur dann nicht vor, wenn als Teil des Nachlasses die der Beklagten als Bezugsberechtigter kraft der versicherungsrechtlichen Verfügung des Erblassers aus dessen Kapital-Lebensversicherung zugeflossene Versicherungssumme von 252.989,45 DM oder wenigstens die in diese Versicherung vom Erblasser bzw. seiner Arbeitgeberin für diesen seit 1965 eingezahlten 167.997 DM Prämien Teile des Nachlasses wären oder sonst in den Nachlaß fielen und dieser daher nicht dürftig im Sinne des § 1990 Abs. 1 BGB wäre. Das ist aber nicht der Fall.

7

Die von der Versicherung der Beklagten als Bezugsberechtigten gezahlten 252.989,45 DM Versicherungssumme bzw. der mit dem Tode des Erblassers der Beklagten zugefallene Anspruch nach §§ 328, 330 BGB auf Auszahlung dieser Summe sind nicht Teil des Nachlasses. Denn nach § 330 BGB ist, wenn wie hier in dem Lebensversicherungsvertrag des Erblassers die Zahlung der Versicherungssumme im Fall seines Todes an einen Dritten bzw. seine Ehefrau bedungen ist, im Zweifel anzunehmen, daß damit der Dritte unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern. Der Anspruch der Beklagten gegen die Versicherung auf Zahlung der Versicherungssumme ist daher ohne Durchgang durch das Vermögen des Erblassers als des Versicherungsnehmers unmittelbar in der Person des Bezugsberechtigten, hier der Beklagten entstanden und also nicht in den Nachlaß des Erblassers gefallen (st. Rspr., vgl. BGHZ 13, 232 [BGH 08.05.1954 - II ZR 20/53];  32, 47 [BGH 08.01.1960 - II ZR 136/58];  79, 295 [BGH 29.01.1981 - II ZR 92/80]; Palandt-Heinrichs, BGB, 53. Aufl. 1994, § 330 RdNr. 2, 3).

8

Allerdings meint die Klägerin, daß dem Nachlaß gemäß § 2325 Abs. 1 BGB die unstreitig seit 1965 vom Erblasser in seine Kapital-Lebensversicherung gezahlten 167.997 DM Prämien als Schenkung an die Beklagte hinzuzurechnen seien. Zwar ist auch dieser Betrag der Beklagten als der im eingetretenen Todesfall des Erblassers nach dessen versicherungsvertraglicher Verfügung Bezugberechtigten mit der Versicherungssumme von 252.989,45 DM zugeflossen. Das bedeutet jedoch nicht, daß der für die Nachlaßverbindlichkeiten haftende Nachlaß als solcher um den Wert der Schenkungen zu erhöhen ist. Vielmehr regelt § 2325 BGB nach seinem eindeutigen Wortlaut und Sinn nur die Höhe des Pflichtteilsanspruches, für den der Erbe mit dem vorhandenen Nachlaß haftet. Also auch wenn der Pflichtteilsberechtigte nach dieser Vorschrift eine Ergänzung seines Pflichtteiles verlangen kann, richtet sich die Durchsetzbarkeit seines erhöhten Anspruches gemäß § 1990 BGG nach dem wirklich vorhandenen Nachlaß. Für die hier maßgebliche Bestimmung des nach § 1990 BGB haftenden Nachlasses kommt es mithin nicht auf die Vorschrift des § 2325 BGB an (vgl. BGH LM Nr. 5 zu § 2325 BGB, NJW 1974, 1327 u. 1986, 1610; Palandt-Edenhofer, BGB, a.a.O., § 2325 RdNr. 3). Auch wenn also, wie die Klägerin meint, ihr Unterhaltsanspruch der Gesamthöhe nach nicht schon durch den einfachen fiktiven Pflichtteil (so die auf die frühere Rechtslage nach § 70 EheG a.F. und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 1586 b BGB gestützte einhelligen Ansicht, vgl. Dieckmann RamRZ 1977, 81, 161 ff., 168 - 171; Soergel-Dieckmann, BGB, 12. Aufl., § 2325 Rz. 58; Palandt-Diederichsen, a.a.O., § 1586 b RdNr. 7; Cuny in RGRK BGB, 12. Aufl. 1987, § 1586 b RdNr. 13; Richter in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl. 1993, § 1586 b RdNr. 7; AG Bottrop FamRZ 1989, 1009, die auch der Senat vertritt), sondern nur durch den fiktiven nach § 2325 BGB ergänzten Pflichtteil begrenzt wäre (weil es das Amtsgericht im angefochtenen Urteil angenommen hat), stünde mithin ihrem Anspruch § 1990 BGB entgegen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits spielt mithin diese Streitfrage ebenso keine Rolle wie die Entscheidung der Frage, ob der fiktive Pflichtteil im Sinne des § 1586 b BGB sich nach § 1931 Abs. 1 und 2 BGB (so unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfes die in der Literatur einhellige Ansicht, vgl. Dieckmann, a.a.O., S. 169; Cuny in RGRK BGB, a.a.O., § 1586 b RdNr. 13, die auch der Senat vertritt) oder unter Berücksichtigung des § 1371 Abs. 1 BGB (so das angefochtene Urteil) bestimmt.

9

Damit aber steht fest, daß der Nachlaß auch zur bloß teilweisen Erfüllung der Forderung der Klägerin unzulänglich ist und also die Beklagte die Erfüllung des Unterhaltsanspruches der Klägerin als Erbin des geschiedenen Ehemannes der Klägerin verweigern kann.

10

Schließlich kann die Klägerin zur Erfüllung ihres Unterhaltsanspruches von der Beklagten auch nicht nach den §§ 2329, 812 ff. BGB Zahlung aus ihrem sonstigen Vermögen verlangen. Nach § 2329 BGB kann (unter bestimmten weiteren Voraussetzungen) der Pflichtteilsberechtigte von demjenigen, den der Erblasser beschenkt hat, zum Zwecke der Befriedigung wegen seines Pflichtteilsanspruches die Herausgabe eines Geschenkes des Erblassers verlangen. Hier hat zwar die Beklagte als unentgeltliche Zuwendung des Erblassers im Sinne von § 516 Abs. 1 BGB mindestens die seit 1965 auf die ausgezahlte Lebensversicherung gezahlten 167.997 DM Prämien (vgl. BGH NJW 1976, 616, 617 [VerfGH Bayern 18.12.1975 - Vf VII 5/75] m.N.) oder sogar die gesamten 252.989,45 DM Versicherungssumme (so Palandt-Heinrichs, BGB, a.a.O., Einf. vor § 328 RdNr. 4, § 334 RdNrn. 3, 4) geschenkt erhalten. Dennoch kann die Klägerin nicht zur Befriedigung ihres Unterhaltsanspruches (teilweise) Herausgabe dieses Geschenkes des Erblassers an die Beklagte verlangen. Es fehlt nämlich bereits an der Voraussetzung des Anspruches nach § 2329 BGB, daß nämlich die, Klägerin Pflichtteilsberechtigte nach dem Erblasser ist. Daß nach Scheidung ihrer Ehe mit dem Erblasser die Klägerin nicht mehr nach §§ 2303, 1931, 1933 BGB pflichtteilsberechtigt ist, unterliegt keinem Zweifel. Auch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1586 b Abs. 1 BGB ist sie das nicht, sondern nur und gerade Unterhaltsgläubigerin, wobei der Erbe für diese Nachlaßverbindlichkeit höchstens bis zum Betrage des fiktiven Pflichtteils haftet. Der Verweis in § 1586 b Abs. 1 Satz 3 BGB auf den fiktiven Pflichtteil begründet daher keinen eignen Pflichtteilsanspruch, sondern begrenzt nur einen vorhandenen Unterhaltsanspruch gegen den Erben. Nach seiner Funktion kann der Verweis mithin nur zur Begrenzung der Verpflichtung des Erben, nicht aber als Erweiterung der Haftung über die Person des Erben hinaus verstanden werden (vgl. Dieckmann, a.a.O. S. 171).

11

Soweit der Unterhaltsgläubiger gegen schädigende Dispositionen des Erblassers im Hinblick auf seine Unterhaltsbedürftigkeit Schutz verdient, ist ihm dieser hinreichend nach den §§ 138, 826 BGB bzw. über das Recht der Gläubigeranfechtung gewährleistet. Daß hier aber die Voraussetzungen dieser Vorschriften zugunsten der Klägerin gegeben wären, behauptet auch die Klägerin nicht.

12

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

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Es besteht kein Anlaß, die Revision gemäß dem Hilfsantrag der Klägerin zuzulassen. Allenfalls könnte nach dem Stand von Literatur und Rechtsprechung zweifelhaft und daher von grundsätzlicher Bedeutung sein, ob die Begrenzung durch den Pflichtteil nach § 1586 b Abs. 1 Satz 3 BGB auch die Pflichtteilsergänzung nach § 2325 BGB einschließt. Auf diese Streitfrage komme es aber - wie oben dargelegt - für die Entscheidung nicht an.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Rechtsstreits wird für beide Instanzen (hinsichtlich der ersten Instanz in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 6. Mai 1994) auf (14,5 Monate Rückstand + 12 Monate lfd. Unterhalt) × 911,66 DM = 24.158,99 DM festgesetzt.