Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 07.12.1994, Az.: 13 U 78/94
Wirksamkeit eines Ausschlusses von Schadensersatzansprüchen wegen verschuldeter Verstöße gegen die Verkehrssicherungspflicht bei der Durchführung von Konzerten durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.12.1994
- Aktenzeichen
- 13 U 78/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 23231
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1994:1207.13U78.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 12.04.1994 - AZ: 14 O 35/94
Rechtsgrundlage
- § 325 BGB
In dem Rechtsstreit
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 1994
unter Mitwirkung
der Richter E., Dr. L. und U.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 12. April 1994 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover - 14 O 35/94 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Sicherheit darf auch die Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse, Volksbank oder Spar- und Darlehenskasse sein.
Beschwer: 500.000 DM.
Tatbestand
Die Beklagte veranstaltet u.a. Konzerte, bestehend aus Hauptprogramm und Vorprogramm, vor großen Menschenmengen. Die Eintrittskarten, auf deren Rückseite Geschäftsbedingungen gedruckt sind (vgl. S. 13/14 d.A., Anl. z. Klagschrift), läßt sie über Vorverkaufsstellen verkaufen, die dafür von den Konzertbesuchern Entgelt erheben. Gelegentlich bietet die Beklagte Garderobenverwahrung an.
Auf das Begehren des Klägers hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil die Verwendung der dort genannten Klauseln des AGBG zu 1. bis 5. der Beklagten verboten.
Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die Klageabweisung erstrebt.
Das Landgericht habe die Eigenart der Verträge über Musikdarbietungen verkannt. Die Beklagte sei den Launen der Stars ausgeliefert, ihr Massengeschäft mache es unmöglich, dieses so zu organisieren, daß jedes Risiko ausgeschlossen werde. Deshalb sei ihre Klausel zu 1. (Nummerierung entsprechend dem Tenor des angefochtenen Urteils) angemessen.
Die Klausel zu 2. sei nur die Einschränkung ihrer Schadensersatzpflicht und als solche im Einklang mit § 11 Nr. 8 b AGBG.
Die Klausel zu 3. sei erforderlich, um auf Launen der Stars reagieren zu können, ohne durch Rückzahlungsansprüche der Konzertbesucher ruiniert zu werden. Die Beschränkung der Ansprüche der Höhe nach sei ebenso wie bei der Klausel zu 2. zumutbar.
Die Klausel zu 4. betreffe keinen geschuldeten Leistungsgegenstand. Das Vorprogramm sei nur eine Zugabe, die Gestaltung des Vorprogramms allein Sache der Beklagten.
Die Klausel zu 5. schließlich betreffe nicht die Fälle, in denen ein Garderobenservice Angeboten wird. Ansonsten sei der Ausschluß jeder Verantwortlichkeit im Lichte der Klausel zu 1. zu sehen und gelte deshalb natürlich nur bei vom Veranstalter nicht zu vertretenden oder lediglich leichte fahrlässig verursachtem Verlust oder Diebstahl von Sachen der Konzertbesucher.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
Das angefochtene Urteil sei richtig. Wer solche Veranstaltungen stattfinden lasse und als Sachkenner Vertrauen der Besucher in Anspruch nehme, daß diese vor vermeidbaren Gefahren geschützt würden, kann sich nicht davon freizeichnen. Die Verkehrssicherungspflicht sei gerade Kardinalpflicht der Beklagten. Deshalb meine diese irrig, Klauseln wie zu 1. stellen zu können. Die Regelungen der übrigen Klauseln seien unzumutbar, die Ankündigung spezieller Vorprogramme mache eben diese zum Vertragsinhalt, so daß sie nicht einseitig und willkürlich geändert werden könnten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen und auf das angefochtene Urteil nebst seinen Verweisungen und insbesondere auf die dort und im vorliegenden Tatbestand zitierten Urkunden Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt erfolglos.
I.
Der Kläger ist gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 AGBG befugt, von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung von Bestimmungen, die nach den §§ 9-11 des AGBG unwirksam sind, im allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verlangen. Um solche Bestimmungen handelt es sich bei den zu Ziffer 1. bis 5. im angefochtenen Urteil verbotenen Bestimmungen der Geschäftsbedingungen auf der Eintrittskarte der Beklagte. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, daß diese vorgedruckten Klauseln auf der Eintrittskarte allgemeine Geschäftsbedingungen sind.
II.
Die von der Beklagten verwendeten Bestimmungen, die der Tenor des angefochtenen Urteils darstellt, sind nach den §§ 9-11 des AGBGB unwirksam. Sie halten der gebotenen abstrakten Inhaltskontrolle nicht stand. Ernsthaft in Betracht kommende Auslegungen der Klausel sind mit dem AGBG nicht zu vereinbaren. Dabei kommt es nicht weiter darauf an, ob die Auslegung der Klauseln nach dem objektiven Wortlaut allein zu erfolgen hat oder ob auch hier die für Individualprozesse geltende subjektive Einfärbung der Auslegung, nach der es auf das Verständnis der normalerweise beteiligten Kreise auch ankommt, ebenfalls zu beachten ist. Denn die Beklagte wendet sich mit ihrem Angebot an jedermann; zumindest ein Teil des Angebotes (vgl. Bl. 15 d.A.) ist auch für die Mitglieder des Senates attraktiv, wenngleich der Besuch anderer Veranstaltungen eher unattraktiv sein dürfte. Daß die Beklagte als Schwerpunkt jugendtümliche Musik verbreitet, ist nicht zu erkennen und nicht vorgetragen. Vielmehr spricht das aus Bl. 15 d.A. ersichtliche Programm dagegen. Deshalb ist der Senat, selbst wenn es auf das Verständnis der normalerweise beteiligten Kreise bei der Auslegung im Rahmen der Überprüfung, ob die bloße Existenz einer Klausel ein Störfaktor ist, ankäme, in der Lage, diese Auslegung selbst vorzunehmen.
III.
Wegen der einzelnen Klauseln gilt:
1.
Wegen der Klausel zu 1. teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, daß mit dieser Klausel auch Schadensersatzansprüche wegen verschuldeter Verstöße gegen die Verkehrssicherungspflicht bei der Durchführung der Konzerte ausgeschlossen werden sollen. Eben diese Verkehrssicherungspflicht ist jedoch für den Veranstalter von Publikumsveranstaltungen eine "Kardinalpflicht". Denn die Beklagte nimmt das Vertrauen der Konzertbesucher in Anspruch, die ihr deshalb vertrauen, weil sie sachkundig für die Durchführung solcher an sich gefährlicher Versammlungen großer Menschenmassen ist. Der Besucher erwartet eine hinreichende Organisation im Rahmen des Zumutbaren. Die Berufungsbegründung übersieht, daß auch der Verkehrssicherungspflichtige nur im Rahmen des zumutbaren Verkehrssicherungsmaßnahmen treffen muß. Nur wenn er solche zumutbaren Verkehrssicherungsmaßnahmen unterläßt, trifft ihn ein Verschulden im Sinne der §§ 823, 276 BGB. Wenn schon nach dem Gesetz nur das Unterlassen einer zumutbaren Sicherungsmaßnahme Schadensersatzpflichten auslöst, so ist die Klausel zu 1. nicht nötig, um eben diese Beschränkung der Pflichten der Beklagten auf das Zumutbare zu erreichen. Vielmehr enthält die Klausel zu 1. eine noch weitergehende Einschränkung von Schadensersatzpflichten der Beklagten bei Unterlassung einer ansich zumutbaren Verkehrssicherungsmaßnahme. Genau dies ist aber eine nach § 11 Nr. 7 AGBG unzulässige Freizeichnung für einfache Fahrlässigkeit bei Verletzung vertragswesentlicher Pflichten.
2.
Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, daß die Klausel zu 2. gegen § 11 Nr. 8 AGBG verstößt. Diese Klausel ist die Beschränkung von Schadensersatzansprüchen auch im Falle der verschuldeten Unmöglichkeit als Ursache einer Absage einer Veranstaltung. Diese Auslegung der Klausel ist nicht fernliegend, sie bezieht sich nicht auf einen seltenen Ausnahmetatbestand. Vielmehr ergibt sich objektiv, daß in jedem Falle der Absage einer Veranstaltung die Vorverkaufsgebühr auch nicht als Schadensersatz gemäß § 325 BGB von der Beklagten verlangt werden kann. Ein solcher Ausschluß, der nach dem Wortlaut selbst den Fall grob fahrlässig verschuldeter oder vorsätzlich herbeigeführter Notwendigkeit der Absage der Veranstaltung umfaßt, ist, wollte man selbst in der Klausel nur eine Einschränkung von Schadensersatzansprüchen sehen, zumindest nach § 11 Nr. 7 in Verbindung mit § 11 Nr. 8 b AGBG unwirksam. Das erfaßt die gesamte Klausel 2, deren beide Sätze den Fall der Absage der Veranstaltung regeln.
3.
Auch die Klausel zu 3. ist insgesamt unwirksam.
a)
Die Regelung in der Klausel zu 3. Satz 1 verstößt gegen § 10 Nr. 4 ABGB und gegen § 11 Nr. 8 a AGBG. Zum einen beschränkt diese Bestimmung auch für den Fall der vom Verwender zu vertretenen Unmöglichkeit das Recht des anderen Vertragsteils, sich vom Vertrag zu lösen, zum anderen ist die willkürliche Berechtigung des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, auch unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil nicht zumutbar. Die Beklagte kann die Verwendung dieser Klausel nicht damit rechtfertigen, daß sie den Launen der Stars ausgeliefert ist. So, wie diese Klausel abgefaßt ist, umfaßt sie willkürliche Verlegungen auch aus Gründen, die alleine im Bereich der Beklagten liegen. Diese Auslegung ist naheliegend und durch den Wortlaut gedeckt. Wenn die Beklagte mit dieser Klausel anderes zum Ausdruck bringen wollte, so ist ihr dies mißlungen. Das Risiko dafür hat die Beklagte zu tragen. Die Klausel verstößt so, wie sie verwendet wird, gegen das AGBG.
b)
Die Beschränkung der Rückerstattungsansprüche wiederum auf den Nennwert der Eintrittskarte ist aus den bereits zur Klausel zu 2. genannten Gründen unzulässig. Ob hier 2 Klauseln textlich zu einer zusammengefaßt sind oder beide Regelungen nur einen Regelungsgegenstand haben, mithin nur eine Klausel sind, ist, weil auch isoliert betrachtet beide Regelungen unwirksam wären und sich aus ihrer Zusammenfassung kein neuer Regelungshalt ergibt, unbeachtlich.
4.
Die Klausel zu 4. verstößt gegen die §§ 10 Nr. 4 und 11 Nr. 9 und § 9 AGBG. Diese Klausel spricht dem Verwender ein willkürliches Änderungsrecht zu und nimmt den Besuchern für diesen Fall jegliche Rechte. Selbst wenn die Beklagte durch die besonderen Verhältnisse in ihrem Geschäftsbereich für den Bestand des Vorprogrammes nicht zu wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen garantieren kann, so kann sie dennoch nicht, wie diese Klausel ihr bei vernünftiger Auslegung vorbehält, willkürlich über das Vorprogramm verfügen. Jedenfalls kann sie dies dann nicht, wenn sie ein bestimmtes Vorprogramm angekündigt hat. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Klausel auch für diesen Fall gelten soll. Die Zulassung willkürlicher Änderungen vertraglich angebotener Leistungen durch den Anbieter muß sich an der gesetzlichen Regelung des § 315 BGB messen lassen. Danach darf eine solche Bestimmung nur nach billigem Ermessen erfolgen. Eine solche Einschränkung willkürlicher Änderung enthält die Klausel nicht. Sie ist deshalb unwirksam.
5.
Auch die Klausel zu 5. ist unwirksam. Des Senat erscheint zwar die Auslegung des Landgerichtes, daß diese Klausel auch in dem Fall, daß Garderobe zur Verwahrung gegeben wird, gelten solle, eher fernliegend. Das dürfte nicht dem durchschnittlichen Verständnis entsprechen. Wer seine Garderobe abgibt, erwartet, daß für diese besondere Leistung über die Aufführung hinaus auch besondere Bedingungen gelten. Vernünftigerweise wird ein Konzertbesucher nicht erwarten, daß die auf der Eintrittskarte abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Konzertveranstaltung selbst auch Verwendung für den Verwahrungsvertrag über die Garderobe finden sollen. Dessen ungeachtet ist aber diese Klausel aus den Gründen, die schon zu 1. dargelegt worden sind, unwirksam. Denn diese Klausel gilt jedenfalls für den Fall, daß die Gefahr, daß Sachen verloren gehen (Menschen werden in ihrer Bewegungsfreiheit und Bewegungsrichtung beeinträchtigt, es kommt zu Gedränge) durch das schuldhafte Unterlassen zumutbarer Verkehrssicherungsmaßnahmen erhöht wurde. Selbst wenn, wie die Beklagte meint, die Klausel zu 5. im Lichte der Klausel zu 1. zu sehen ist, so wäre auch aus den bereits dargestellten Gründe der Ausschluß der Haftung für Folgen schuldhaften Verstoßes gegen Verkehrssicherungspflichten unwirksam.
B.
Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte gemäß § 97 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Die Höhe der Sicherheit deckt die Kosten des Berufungsverfahrens ab. Daß für die nunmehr sinnvolle Änderung der AGB der Beklagten gesonderte Kosten anfallen werden, ist nicht ersichtlich und war daher auch nicht zu berücksichtigen.
Streitwertbeschluss:
Beschwer: 500.000 DM.