Amtsgericht Oldenburg (Oldenburg)
Beschl. v. 28.11.2001, Az.: 60 IK 21/99
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an einen Schuldenbereinigungsplan
Bibliographie
- Gericht
- AG Oldenburg (Oldenburg)
- Datum
- 28.11.2001
- Aktenzeichen
- 60 IK 21/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29370
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGOLDBG:2001:1128.60IK21.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
- § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO
- § 1 S. 2 InsO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Auskunftspflichten des Schuldners im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erschöpfen sich nicht in reinen Antwortpflichten auf Nachfragen des Gerichts, der Gläubiger oder des Treuhänders. Bei Umständen, die für den Schuldner erkennbar gar nicht Gegenstand von Nachfragen sein können, weil sie den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht bekannt sein können, sind diese Auskunftspflichten aktive Pflichten in der Weise, dass der Schuldner solche Umstände auch von sich aus ohne besondere Nachfragen zu offenbaren hat.
- 2.
Der Versagungstatbestand nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO setzt nicht voraus, dass die Verletzung kausal zu einem Schaden für die Gläubiger geführt hat.
Gründe
Der Schuldner beantragte am 11.03.2000 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. In seinem gem. § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Vermögensverzeichnis erklärte er, ein jährliches Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit aufgrund eines Dienstleistungsvertrags mit der Firma ... GmbH i.H.v. 31.560,00 DM zu erzielen.
Das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren scheiterte. Mit Beschl. v. ... wurde deshalb das Insolvenzverfahren in Form des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Zum Treuhänder wurde RA ... bestimmt. In seinem Bericht zum Prüfungstermin stellte der Treuhänder dar, dass der Schuldner seit Anfang 1998 als freiberuflicher Unternehmensberater für die Firma ... GmbH tätig sei und dort eine Vergütung von 4.500,00 DM erhalte. Weiter hat der Treuhänder den Schuldner ausweislich des Berichts "nachhaltig darauf hingewiesen, dass er jedweden Vermögenszuwachs gegenüber dem Treuhänder anzuzeigen habe, insbesondere erzielte Entgelte aus seiner beruflichen Tätigkeit".
Im Rahmen des Insolvenzverfahrens konnten verwertbare Vermögensgegenstände nicht festgestellt werden. Die zur Verfügung stehende freie Masse i.H.v. insgesamt 11.333,84 DM wurde aus der Abtretung des über der Pfändungsgrenze liegenden Arbeitseinkommens des Schuldners realisiert.
Seit Juli 2000 nahm der Schuldner eine weitere selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit auf. Gemeinsam mit Herrn ... betreibt er in Form einer GbR ein "Service-Center", mit dem er Dienstleistungsaufträge verschiedener Art betreibt. In dem Büro wird eine vom Arbeitsamt geförderte Teilzeitkraft beschäftigt. Die Aufnahme dieser Tätigkeit teilte der Schuldner dem Treuhänder nicht mit.
Der Insolvenzgläubiger ... hat im Schlusstermin unter Bezugnahme auf die durch eine entsprechende Zeitungsanzeige belegte und von dem Schuldner dann auch eingeräumte Tätigkeit mit dem "Service-Center" beantragt, dem Schuldner aus diesem Grund die Restschuldbefreiung zu versagen. I.Ü. ist er der Ansicht, der Schuldner habe im Verfahren keine hinreichend vollständigen Angaben über seine Vermögensverhältnisse gemacht.
Die Insolvenzgläubiger und der Treuhänder sind im Schlusstermin zu dem Versagungsantrag gehört worden. Der Schuldner hat ebenfalls Stellung genommen.
Der Versagungsantrag ist zulässig und in der Sache gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO begründet. Der Schuldner hat durch die Aufnahme einer weiteren selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens ohne den Treuhänder oder die Gläubiger zu unterrichten, seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt.
Restschuldbefreiung kann nach § 1 Satz 2 InsO nur der "redliche" Schuldner erlangen. Zu dieser Redlichkeit gehört die Mitwirkung des Schuldners in Form der Offenlegung seiner Vermögens- und allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, weil vor allem auf dieser Grundlage zu ermitteln und zu prüfen ist, ob und welche verteilbare Masse für die Gläubiger im Insolvenzverfahren zur Verfügung steht. Nur der Schuldner, der seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in dieser Weise offenbart und damit seinen Gläubigern vollständig offenlegt, welche Befriedigung sie trotz seiner schlechten wirtschaftlichen Situation noch oder nicht mehr erlangen können (§ 1 Satz 2 InsO), kann umgekehrt auch erwarten, von diesen seine letztlich trotz aller Anstrengungen nicht mehr zu befriedigenden Schulden durch gerichtliche Entscheidung erlassen zu bekommen. Aus diesem Grunde konkretisieren die Versagungsgründe für die Restschuldbefreiung nach § 290 InsO die in § 1 Satz 2 InsO festgelegten Redlichkeitsanforderungen und benennen in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO namentlich die Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten als eine solche Redlichkeitsvoraussetzung.
Die Auskunftspflichten erschöpfen sich dabei nicht nur in reinen Antwortpflichten auf Nachfragen des Gerichts, der Gläubiger oder des Treuhänders. Bei Umständen, die für den Schuldner erkennbar gar nicht Gegenstand von Nachfragen sein können, weil sie den übrigen Verfahrensbeteiligten gar nicht bekannt sein können, sind diese Auskunftspflichten aktive Pflichten in der Weise, dass der Schuldner solche Umstände auch von sich aus ohne besondere Nachfragen zu offenbaren hat.
Der Schuldner hätte deshalb vorliegend die Aufnahme einer zusätzlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in Form des "Service-Büros" von sich aus dem Treuhänder anzeigen müssen. Dies gilt um so mehr, als er in seinem Vermögensverzeichnis angegeben hatte, nur bei der Firma ... GmbH beschäftigt zu sein, und in seiner Versicherung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO versichert hat, dass diese Angaben vollständig und richtig sind. Von daher konnten die Gläubiger und der Treuhänder davon ausgehen, dass dies der aktuelle Stand bzgl. der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners war und während des Verfahrens blieb. Dass die Beteiligten tatsächlich hierauf vertraut haben, zeigt der Bericht des Treuhänders zur ersten Gläubigerversammlung. Von daher musste auch dem Schuldner erkennbar sein, dass alle Beteiligten nicht mit einer weiteren erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit seinerseits rechneten und er im Falle von Änderungen von sich aus hierauf hinzuweisen gehabt hätte. Der Bericht des Treuhänders weist auch nochmals ausdrücklich aus, dass der Schuldner "nachhaltig" darauf hingewiesen worden ist, dass er jedweden Vermögenszuwachs gegenüber dem Treuhänder anzuzeigen hat, insbesondere erzielte Entgelte aus seiner beruflichen Tätigkeit. Der Treuhänder hat hierbei ausdrücklich auf "Entgelte" und nicht auf "Gewinne" hingewiesen.
Es ist für die Versagung der Restschuldbefreiung ohne Belang, ob der Schuldner aus dieser zusätzlichen Tätigkeit derzeit schon Gewinn erwirtschaftet. Dies ist für die Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflicht als Versagungstatbestand nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO unerheblich, weil es hierbei nicht auf einen durch die Pflichtverletzung kausal entstandenen Schaden in Form einer Benachteiligung der Gläubiger ankommt. Anders als bei dem Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist die Gläubigerbenachteiligung bei Nr. 5 bereits nach dem Gesetzeswortlaut nicht Tatbestandsmerkmal. Es kann auch nicht im Wege der Auslegung zum ergänzenden Merkmal erhoben werden, weil dies einer Verschiebung der Versagungsgründe einseitig zu Lasten der Gläubiger gleichkäme. Die Versagungsgründe sind gesetzlich abschließend festgelegt, weil sie im Interesse der Rechtssicherheit für alle Beteiligten von Beginn an erkennbar und kalkulierbar sein müssen.
Durch den tatbestandlichen Verzicht auf konkrete Befriedigungsnachweise für die Gläubiger wird die Auskunftspflichtverletzung auch nicht zu einer reinen Formalpflicht ohne Bezug zum eigentlichen Insolvenzverfahren. Die Auskunft und Mitwirkung des Schuldners sind so wesentliche Bausteine für die Erreichung der Ziele des Insolvenzverfahrens, dass ihre Verletzung immer bereits die erhebliche Gefährdung der Gläubigeransprüche indiziert. Würde zusätzlich die tatsächliche konkrete Benachteiligung der Gläubiger verlangt, müsste im Rahmen der Entscheidungen nach §§ 289 ff. InsO die hypothetische Befriedigung der Gläubiger für den Fall der Erfüllung der Pflichten geprüft werden. Vorliegend müsste also die gesamte betriebswirtschaftliche Prüfung der zusätzlichen Tätigkeit des Schuldners einschließlich ihrer Gewinnstruktur und Überschusssituation im Hinblick auf eine eventuelle freie und noch zusätzlich verteilbare Masse beurteilt werden. Dies ist nicht Aufgabe im Rahmen der Zulassung zur Wohlverhaltensperiode, sondern im Rahmen des eigentlichen Insolvenzverfahrens, in dem der Treuhänder dies hätte prüfen können, wenn der Schuldner seinen Pflichten hinreichend nachgekommen wäre.
Der Antrag des Gläubigers auf Versagung der Restschuldbefreiung ist deshalb begründet.