Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 15.11.1990, Az.: 2 U 158/90

Klausel über die Vertragsdauer in einem Versicherungsvertrag als allgemeine Geschäftsbedingung; Unerheblichkeit der Handschriftlichkeit einer Vertragsklausel für die Qualifizierung als allgemeine Geschäftsbedingung; Aushandeln einer Klausel bei realer Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen; Verstoß gegen das Gebor von Treu und Glauben und unangemessene Benachteiligung durch 10jährige Vertragslaufzeit einer Familienunfallversicherung; Abwägung der Vorteile und Nachteile der streitigen Klausel für den Vertragspartner des Verwenders

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
15.11.1990
Aktenzeichen
2 U 158/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 17200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1990:1115.2U158.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - 20.06.1990 - AZ: 5 O 47/90

Fundstellen

  • NJW-RR 1991, 1377-1378 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 1992, 45-46 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Herr ...,

Prozessgegner

... Versicherungs-AG,
vertreten durch den Vorstand,
dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden ... und das stellvertretende Vorstandsmitglied ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ist eine Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und von einem Verwender der anderen Partei gestellt worden liegt eine allgemeine Geschäftsbedingung vor. Dem steht nicht entgegen, dass diese Klausel handschriftlich in das Vertragsformular eingetragen und durch Nennung von Beginn und Ablauf des Vertragsverhältnisses auf den individuellen Vertrag abgestimmt ist. Die Schriftart ist ausdrücklich für unerheblich erklärt worden.

  2. 2.

    Von einem Aushandeln kann nur gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen "gesetzesfremden" Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen; er muß sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären.

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 1990
durch
den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts ... vom 20. Juni 1990 abgeändert.

Es wird festgestellt, daß der zwischen den Parteien abgeschlossene Versicherungsvertrag - Vers.-Nr. 3632853 L 40 - zum 1. Juni 1990 beendet ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Im Jahre 1976 schloß der Kläger bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und seine beiden Kinder eine Familienunfallversicherung mit einer 10jährigen Laufzeit ab. Da der Kläger das Versicherungsverhältnis nicht kündigte, verlängerte sich die Vertragszeit entsprechend einer Klausel im Versicherungsvertrag um jeweils 1 Jahr.

2

Am 6. Juni 1988 unterzeichnete der Kläger ein Antragsformular der Beklagten für eine "Dynamische Familien-Unfallversicherung mit Sofortschutz", in dem der Antrag nicht als "Neuabschluß", sondern als "Änderung" bezeichnet wird. Unter der vorgedruckten Klausel "Dauer/Verlängerung 10/5 Jahre" hatte der Versicherungsvertreter handschriftlich die Laufzeit 01.06.1988 bis 01.06.1998 eingetragen.

3

Nachdem die Beklagte den Antrag des Klägers mit Schreiben vom 4. Juli 1988 angenommen hatte, erklärte der Kläger mit Schreiben vom 8. Juli 1988 seinen Rücktritt vom Vertrag, den die Beklagte zurückwies. Der Kläger kündigte daraufhin das Versicherungsverhältnis mit Anwaltsschreiben vom 28. November 1989 zum 1. Juni 1990.

4

Er hat vorgetragen:

5

Er sei von den Versicherungsvertretern der Beklagten wegen einer Reisegepäckversicherung aufgesucht worden. Im Zuge dieser Besprechung habe er den Antrag für die Unfallversicherung unterzeichnet, ohne daß über die Laufzeit des Vertrages zuvor gesprochen worden sei.

6

Den Antrag des Klägers habe die Beklagte nicht rechtzeitig angenommen, weil das Annahmeschreiben der Beklagten erst am 7. Juli 1988 beim Kläger eingegangen sei. Ein Vertrag sei deshalb nicht wirksam zustandegekommen, weil der Kläger nach den Vertragsbedingungen nur einen Monat an seinen Antrag gebunden gewesen sei.

7

Bei der in dem Vertrag vom 6. Juni 1988 vereinbarten Vertragsdauer von 10 Jahren handele es sich im übrigen um eine allgemeine Geschäftsbedingung, die als unangemessene Klausel gem. § 9 AGB-Gesetz unwirksam sei. Die lange Dauer des Vertrages wirke sich für den Kläger nachteilig aus, wenn er in unvorhergesehene Notsituationen gerate, er infolge der Volljährigkeit seiner Kinder insoweit kein Interesse mehr an der Unfallversicherung habe oder ihm wegen der langen Vertragsdauer die Möglichkeit des Abschlusses einer günstigeren Versicherung verschlossen sei.

8

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß der zwischen den Parteien bestehende Versicherungsvertrag, Vers.-Nr. 3632853 L 40, spätestens durch die Kündigung des Klägers vom 28. November 1989 zum 1. Juni 1990 ausgelaufen ist.

9

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Sie hat vorgetragen:

11

Die Annahmeerklärung der Beklagten sei dem Kläger rechtzeitig, nämlich am 6. Juni 1988 zugegangen.

12

Die Bezeichnung als Veränderungsantrag beruhe auf einem bloßen, rechtlich aber nicht relevanten Versehen.

13

Die 10jährige Laufzeit sei individuell vereinbart worden. Die Versicherungsvertreter der Beklagten hätten den Kläger auf dessen eigenen Wunsch aufgesucht. Nach einem längeren und eingehenden Beratungsgespräch, in dem auch Alternativen zu einer 10jährigen Laufzeit des Vertrages angesprochen worden seien, sei die Vertragsdauer von 10 Jahren auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers in das Antragsformular eingetragen worden.

14

Aber auch als allgemeine Vertragsbedingung verstoße die 10jährige Laufzeit, die in der Unfallversicherung den Regelfall darstelle, nicht gegen § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz. Der Versicherunsnehmer, der einen Versicherungsvertrag mit einer Laufzeit von mindestens 5 Jahren abschließe, erhalte den Vorteil eines gegenüber den kürzeren Vertragslaufzeiten um 10 % niedrigeren Beitrages. Während der langen Laufzeit habe der Versicherungsnehmer darüber hinaus Prämienerhöhungen nicht zu befürchten, die ihm sonst wegen gestiegener Betriebskosten oder einer Erhöhung des Wagnisses drohten. Auch sei zu berücksichtigen, daß der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz zu den vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen entwickelten Musterbedingungen erhalte, die eine insgesamt ausgewogene Regelung darstellten. Aus all dem ergebe sich, daß der Versicherungsnehmer mit der 10jährigen Laufzeit des Versicherungsvertrages nicht benachteiligt werde. Vorliegend sei im übrigen zu berücksichtigen, daß nach dem Formular eine 5jährige Laufzeit als Alternative ausdrücklich vorgesehen gewesen sei.

15

Das Landgericht hat mit Urteil vom 20. Juni 1990 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

16

Der Antrag des Klägers sei von der Beklagten rechtzeitig angenommen worden, denn der Kläger habe die Annahmeerklärung der Beklagten, wie sich aus einem eigenen Schreiben ergebe, nicht am 7. Juli 1988, wie er fälschlich vortrage, sondern bereits am 6. Juli 1988 erhalten. Somit sei der Vertrag, der als Neuabschluß zu werten sei, wirksam zustande gekommen.

17

Es könne dahingestellt bleiben, ob die 10jährige Laufzeit als Individualvereinbarung oder als allgemeine Geschäftsbedingung einzuordnen sei. Auch im letzteren Fall sei die Klausel nämlich nicht wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz unwirksam. Es sei nämlich zu berücksichtigen, daß der Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Vertrages die Versicherungsleistung zu unveränderten Konditionen erhalte und gegenüber kurzfristigen Verträgenauch Prämienvorteile habe. Da auch das Interesse des Versicherers an einer langfristigen Kalkulation anzuerkennen sei, sei von einem Ungleichgewicht zu Lasten des Versicherungsnehmers nicht auszugehen, zumal die sich für ihn ergebende Nachteile einer langfristigen Vertragsbindung im wesentlichen auf nicht alltägliche Lebenssituationen beschränkten.

18

Wegen der Einzelheiten der Begründung und zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes 1. Instanz wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

19

Gegen diese ihm am 3. Juli 1990 (Bl. 71 d.A.) zugestellte Entscheidung des Landgerichts hat der Kläger am 3. August 1990 (Bl. 77 d.A.) Berufung eingelegt und diese am 3. September 1990 (Bl. 82 d.A.) begründet.

20

Er wiederholt im wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag und erläutert näher seine Auffassung, daß die Vertragsdauer von 10 Jahren gegen § 9 AGB-Gesetz verstoße. Er meint, daß er angesichts der Konkurrenzsituation bei den Versicherungsunternehmen jederzeit eine auch preislich vergleichbare Versicherung abschließen könne, so daß ihm eine frühere Beendigung des Versicherungsverhältnisses keine Nachteile und die lange Laufzeit deshalb keine Vorteile bringe. Wenn die Vertragsdauer von 10 Jahren der Beklagten die Kalkulation erleichtere, ihr also betriebswirtschaftlich Vorteile bringe, könne dies nicht dazu führen, daß die entsprechenden Nachteile des Klägers geringer bewertet werden könnten.

21

Der Kläger beantragt,

auf die Berufung hin das Urteil des Landgerichts ... vom 20. Juni 1990 abzuändern und festzustellen, daß der zwischen den Parteien bestehende Versicherungsvertrag - Vers.-Nr. 3632853 L 40 - spätestens durch die Kündigung des Klägers vom 28. November 1989 zum 1. Juni 1990 ausgelaufen ist.

22

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

23

Sie trägt vor:

24

Es sei unklar, was der Kläger eigentlich aus der Qualifizierung des Vertrages als Änderungsvertrag herleiten wolle. Jedenfalls sei dem Landgericht zuzustimmen, das den Vertrag als Neuabschluß gewertet habe.

25

Die umstrittene Klausel sei als Individualvereinbarung anzusehen. Der Kläger habe sich nach einem ausführlichen Beratungsgespräch schon vor dem Ausfüllen des Vertrages für eine 10jährige Vertragsdauer entschieden gehabt. Die Beklagte habe somit diese Vertragsbedingung nicht gestellt.

26

Die Klausel halte auch einer Überprüfung nach § 9 AGB-Gesetz stand. Es sei zu berücksichtigen, daß die Beklagten während der langen Vertragsdauer die Versicherungsprämie nicht erhöhen könne. Solche Prämienerhöhungen seien auch nicht nur theoretischer Natur, wie Erhöhungen in anderen Versicherungssparten bewiesen.

27

Schließlich sei zu bedenken, daß der Kläger - wie unstreitig ist - mit Schreiben vom 15. Juni 1990 und 5. Juli 1990 gegen die Beklagte Ansprüche aus der Unfallversicherung angemeldet habe. Er verhalte sich treuwidrig, wenn er sich einerseits auf die Kündigung berufe, andererseits aber Leistungen verlange.

28

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

30

I.

Die Feststellungsklage ist zulässig (§ 256 ZPO). Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse daran, das Nichtbestehen des Versicherungsvertrages festzustellen, schon weil hiervon seine Verpflichtung zur Prämienzahlung und seine Berechtigung, von der Beklagten Versicherungsleistungen zu fordern, abhängt.

31

II.

Die Feststellungklage ist auch begründet, denn die 10jährige Vertragsdauer verstößt gegen § 9 Abs. 1 AGBG und ist unwirksam, so daß der Kläger berechtigt war, den Versicherungsvertrag zum 1. Juni 1990 zu kündigen.

32

Im einzelnen:

33

1.

Der Versicherungsvertrag ist wirksam geschlossen worden. Das Landgericht hat im einzelnen dargelegt, daß dem Kläger das Annahmeschreiben der Beklagten rechtzeitig zugegangen und der Versicherungsvertrag damit zustande gekommen ist. Der Kläger hat diese Ausführungen im Berufungsverfahren nicht angegriffen. Auf die Begründung des Landgerichts, der sich der Senat anschließt, kann deshalb insoweit verwiesen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO).

34

2.

Die im Vertragstext enthaltene Klausel über die Vertragsdauer ist indes nicht gültig.

35

a)

Bei ihr handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung, die der Inhaltskontrolle des § 9 Abs. 1 AGBG unterliegt (vgl. BVerfG NJW 1986, 243, 244) [BVerfG null 04.06.1985 - 1 BvL 12/84]. Die Klausel ist nämlich für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und von der Beklagten als Verwenderin dem Kläger gestellt worden (vgl. § 1 Abs. 1 AGBG).

36

aa)

Dem steht nicht entgegen, daß die Vertragsdauer handschriftlich in das Vertragsformular eingetragen und durch Nennung von Beginn und Ablauf des Vertragsverhältnisses auf den individuellen Vertrag abgestimmt ist. Die Schriftart ist in § 1 Abs. 1 S. 2 AGBG ausdrücklich für unerheblich erklärt worden (vgl. BGH NJW 1988, 410). Aber auch das Hinzufügen der Laufzeitdaten in das vorgedruckte Vertragsformular ändert nichts an dem Charakter der Klausel als allgemeine Vertragsbedingung. Über der ausgefüllten Zeile wird nämlich darauf hingewiesen, daß die Vertragsdauer entweder 5 oder 10 Jahre betragen könne. Wenn die Vertragsdauer eingetragen wird, wird so nur von der vorgegebenen Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht, ohne daß nach dem Vertragsmuster etwas Zusätzliches, Individuelles hinzugefügt würde. In der handschriftlichen Einfügung der Vertragsdauer wirkt sich vielmehr nur die Gestaltungsmacht der Beklagten als Verwenderin aus.

37

bb)

Die Vertragsklausel über die Vertragsdauer ist auch von der Beklagten gestellt und nicht etwa "ausgehandelt". Von einem Aushandeln kann nämlich nur gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen "gesetzesfremden" Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen; er muß sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären (BGH NJW 1988, 410).

38

Dazu genügt die Einräumung der Wahlmöglichkeit nicht (Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen AGBG 6. Aufl. § 1 Rdnr. 53). Auch sonst läßt der Vortrag der Beklagten nicht erkenne, daß sie sich gegenüber dem Kläger in dem oben genannten Sinnen verhandlungsbereit gezeigt hätte und in Verhandlungen eingetreten wäre. Sie trägt vor, ihre beiden Versicherungsvertreter hätten bei Abschluß des Vertrages "mit dem Kläger über die Laufzeit des Vertrages gesprochen und auch Alternativen zu der 10jährigen Laufzeit erörtert." Dieser Vortrag ist zu wenig konkret, als das ihm entnommen werden könnte, in dem Beratungsgespräch sei über kürzere Laufzeiten als 5 Jahre in einer Weise gesprochen worden, daß die Versicherungsvertreter zum Ausdruck gebracht hätten, die Beklagte sei auch zu solchen kurzen Laufzeiten ernsthaft bereit.

39

Ohne Bedeutung ist schließlich der Vortrag der Beklagten, der Kläger habe sich für die 10jährige Laufzeit entschieden, sie habe seinem Wunsch entsprochen. Die im Formular vorgesehene Wahl zwischen einer Vertragsdauer von 5 Jahren und einer Vertragsdauer von 10 Jahren macht eine Entscheidung des Versicherungsnehmers zwischen diesen Alternativen notwendig, so daß ein auf dem Hintergrund der Wahlmöglichkeit geäußerter Wunsch, die Vertragsdauer von 10 Jahren zu vereinbaren, nichts weiter als die Ausübung des Wahlrechts ist, die der Vertragsbedingung nicht den Charakter einer Individualvereinbarung gibt.

40

3.

Die somit als allgemeine Vertragsbedingung vereinbarte Vertragsdauer von 10 Jahren verstößt gegen § 9 Abs. 1 AGBG, weil sie den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, ist deshalb unwirksam (vgl. OLG Düsseldorf JZ 1990, 982 [OLG Düsseldorf 05.04.1990 - 6 U 167/89]; Bedenken auch bei Reich NJW 1987, 595; Horn in Wolf/Horn/Lindacher AGBG 2. Aufl. § 23 Rdnr. 342; von Hippel Verbraucherschutz Seite 231; a. A. LG Lübeck NJW 1987, 594, 595 [LG Lübeck 18.06.1986 - 14 S 311/85]; AG Hersbruck VersR 1984, 773; AG Karlsruhe VersR 1985, 881; Brentrup VersR 1984, 841; Prölss/Martin VVG 24. Aufl. § 7 Anm. 1).

41

Eine Klausel ist i. S. von § 9 AGBG unangemessen, wenn der Verwender mißbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Partners ... hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH WM 1990, 1164, 1166). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

42

a)

Die lange Vertragsdauer bringt für den Versicherungsnehmer schwerwiegende Nachteile mit sich.

43

aa)

Dabei fällt weniger ins Gewicht, daß sich die Familien-Unfallversicherung, die sich wie hier auch auf Kinder erstreckt, mit Wegfall der Unterhaltsverpflichtung als nicht notwendig erweisen kann. Denn der Wegfall der Unterhaltsverpflichtung kann bei Abschluß des Versicherungsvertrages vom Versicherungsnehmer in zumutbarer Weise mitbedacht werden, weil er sich in der Regel überschaubar abzeichnet.

44

Jedoch ist die allgemeine familiäre Situation des Versicherungsnehmers auf die lange Zeit von 10 Jahren nicht absehbar. So kann er sich für die Vertragsdauer von seiner Verpflichtung, Geldzahlungen zugunsten seiner Familienangehörigen zu leisten, auch dann nicht befreien, wenn er etwa wegen Streitigkeiten innerhalb der Familie dafür längst keine Grundlage mehr sieht.

45

bb)

Von besonderer Bedeutung ist jedoch, daß der Versicherungsnehmer mit Abschluß des Vertrages Verpflichtungen eingeht, die ihm wegen der regelmäßig zu zahlenden Versicherungsprämie über lange Zeit finanziellen Spielraum nehmen. Dies wirkt sich vor allem dann aus, wenn der Versicherungsnehmer in eine unvorhergesehene Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Situation gerät, in der die Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag eine schwerwiegende Belastung sein können.

46

cc)

Darüber hinaus wirkt sich die lange Laufzeit des Vertrages zu Lasten des Versicherungsnehmers dahingehend aus, daß ihm die Möglichkeit genommen wird, preisgünstigere Versicherungsangebote anzunehmen oder seine Geldmittel überhaupt anderweit einzusetzen.

47

b)

Diesen erheblichen Nachteilen für den Versicherungsnehmer stehen nennenswerte Vorteile nicht gegenüber.

48

aa)

Soweit die Beklagte darauf hinweist, daß bei kürzeren Vertragslaufzeiten höhere Prämien zu zahlen sind, gilt das jedenfalls nicht, soweit die im Formular vorgesehenen Vertragslaufzeiten betroffen sind. Die Versicherungsprämie ist gleich hoch, ob nun eine 5jährige oder 10jährige Vertragslaufzeit vereinbart wird. Prämiengesichtspunkte können deshalb jedenfalls nicht die 10jährige Vertragslaufzeit rechtfertigen.

49

bb)

Auch der Umstand, daß der Beklagten über 10 Jahre eine Erhöhung der Versicherungsprämie verwehrt ist, schafft zu den den Versicherungsnehmer treffenden Nachteilen kein entscheidendes Gegengewicht. Solche Preiserhöhungen sind allein aufgrund von Veränderungen beim Wagnis und bei den Betriebskosten oder schlicht aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung denkbar. Diese preisbestimmenden Faktoren lassen erhebliche Veränderungen aber kaum erwarten, so daß spürbare Preiserhöhungen deshalb eher fernliegen. Dem entspricht es auch, daß die Beklagte, auch in der mündlichen Verhandlung, Veränderungen bei der Prämienhöhe in der Vergangenheit, die mit den genannten Preisfaktoren in Zusammenhang gebracht werden können, nicht darlegen konnte.

50

Weitere Gesichtspunkte, die die Nachteile der langen Vertragslaufzeit für den Versicherungsnehmer aufwiegen könnten, sind aber nicht erkennbar. Da die Vertragsklausel deshalb die Interessen des Klägers als Versicherungsnehmer nicht hinreichend berücksichtigt, ist sie als unangemessen unwirksam.

51

Dies führt dazu, daß der Kläger nicht gehindert war, entsprechend der im Vertrag enthaltenen allgemeinen Kündigungsklausel den Versicherungsvertrag mit der Wirkung zu kündigen, daß dieser mit dem 1. Juni 1990 beendet ist.

52

4.

An der Durchsetzung seines Feststellungsanspruches ist der Kläger auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) deshalb gehindert, weil er bei der Beklagten erst während des Berufungsverfahrens einen Schadensfall angezeigt hat und so Rechte aus der - gekündigten - Unfallversicherung gegen die Beklagte verfolgt. Angesichts der Unklarheit der rechtlichen Lage und auch aufgrund der ihm nachteiligen Entscheidung des Landgerichts mußte der Kläger sich auf eine Abweisung seiner Feststellungsklage auch im Berufungsverfahren einstellen. Daß er für diesen Fall - und so kann die Ankündigung von Ansprüchen nur gemeint sein - die ihm zustehenden Rechte auch wahrgenommen hat, kann ihm nicht verwehrt sein und kann ihm hinsichtlich der Feststellungsklage nicht zum Nachteil gereichen.

53

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

54

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

55

Der Wert der Beschwer ist nach § 546 Abs. 2 S. 1 festgesetzt.

56

Die Revision war nach § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.