Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 25.11.1986, Az.: 17 UF 224/85

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in Scheidungssachen; Maßgeblichkeit der effektiven Staatsangehörigkeit bei Doppelstaatlern; Gemeinsames Heimatrecht der Ehegatten; Maßgeblichkeit des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts; Einfluß eines zur Versöhnung dienendes kurzes Zusammenleben auf den Lauf des Trennungsjahres

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.11.1986
Aktenzeichen
17 UF 224/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 17831
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1986:1125.17UF224.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 04.11.1985 - AZ: 29 F 10/85

Fundstelle

  • IPRspr 1986, 71

Verfahrensgegenstand

Ehescheidung

Der 17. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Oktober 1986
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Lüneburg vom 4. November 1985 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden dem Antragsgegner auferlegt.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung des Antragsgegners, mit der er sich gegen den Scheidungsausspruch des angefochtenen Urteils wendet, hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Ehe der Parteien zu Recht geschieden.

2

Über den Scheidungsantrag der Antragstellerin ist von deutschen Gerichten nach deutschem Recht zu entscheiden. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte besteht, wenn wenigstens einer der Ehegatten die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Das ergibt sich aus der Regelung des § 606 a Abs. 1 Nr. 1 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25.7.1986 - BGBl I S. 1.142-, das nach seinem Artikel 7 § 2 am 1.9.1986 in Kraft getreten ist. Die Antragstellerin besitzt die deutsche Staatsangehörigekit. Das hat der Antragsgegner in erster Instanz zwar zunächst bestritten, dann aber in der mündlichen Verhandlung vom 4.11.1985 eingeräumt. Bei seiner Anhörung in der Berufungsverhandlung hat er dies ausdrücklich bestätigt. Soweit er darauf hinweist, daß sie (infolge der Heirat mit ihm) auch die italienische Staatsangehörigkeit besitze, ändert das an der Zuständigkeit nichts, denn sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren.

3

Die Scheidung der Parteien unterliegt deutschem Recht. Das folgt aus Art. 17 Abs. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes vom 25.7.1986, der nach Art. 220 Abs. 2 EGBGB n.F. für dieses nicht vor dem 1.9.1986 abgeschlossene Scheidungsverfahren gilt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift richtet sich das Scheidungsrecht nach dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Die Rechtshängigkeit ist am 20.9.1985 dadurch eingetreten, daß an diesem Tage dem Antragsgegner der Scheidungsantrag auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Lüneburg zum Zwecke der Zustellung ausgehändigt wurde (§§ 261 Abs. 1, 212 b ZPO). Infolgedessen richten sich die Wirkungen der Ehe der Parteien in erster Linie nach dem Haager Ehewirkungsabkommen vom 17.7.1905 (RGBl 1912, 453 und 475), das (nur noch) im Verhältnis zu Italien weitergilt (Bekanntmachung vom 14.2.1955, BGBl II Seite 188). Nach Art. 1 Abe, 1 dieses Abkommens ist das Gesetz des Heimatstaates maßgebend, dem beide Ehegatten angehören. Daraus folgt im vorliegenden Fall aber nicht die Anwendbarkeit italienischen Rechts. Zwar hat die Antragstellerin mit Wirkung vom Tage nach ihrer am 8.7.1982 erfolgten Eheschließung mit dem Antragsgegner die italienische Staatsangehörigkeit erworben (Art. 10 Abs. 2, 13 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 555 vom 13.6.1912). Sie hat aber ihre bisherige deutsche Staatsangehörigkeit behalten und ist damit Doppelstaaterin geworden, so daß es auf ihre effektive Staatsangehörigkeit ankommt (Soergel-Kegel, 11. Auflage, Anhang nach Art. 16 EGBGB Rdnr. 20; Staudinger - v. Bar, 12. Auflage, Vorbemerkungen zu Art. 13 EGBGB Rdnr. 121). Welche der beiden Staatsangehörigkeiten der Antragstellerin als die effektivere anzusehen ist (vgl. dazu BGH FamRZ 1979, 696, 698;  1980, 673und nunmehr Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB n.F.), kann dahinstehen. Ist es - wofür viel spricht - die deutsche Staatsangehörigkeit, so fehlt es an einem gemeinsamen Heimatrecht der Parteien und damit an dem Anknüpfungspunkt des Haager Ehewirkungsabkommens, weshalb nunmehr Art. 14 EGBGB a.F. eingreift. Nach den aus dieser Vorschrift abgeleiteten Grundsätzen kommt es sodann auf den (letzten) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt an (BGH FamRZ 1984, 465), der entweder in Deutschland oder in Italien besteht oder bestand. Findet hiernach nicht ohnehin deutsches Recht Anwendung, sondern - ebenso wie in dem Fall, daß die italienische Staatsangehörigkeit der Antragstellerin als die effektivere anzusehen ist - das italienische Recht wird es hier gleichwohl durch das deutsche Recht verdrängt. Nach italienischem Recht wäre nämlich zunächst die Durchführung des gerichtlichen Ehetrennungsverfahrens und danach ein fünfjähriges Getrenntleben erforderlich, bevor das Scheidungsbegehren der Antragstellerin Erfolg haben könnte (Art. 3 Nr. 2 b des Gesetzes Nr. 898 vom 1.12.1970). Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen, die Ehe der Parteien nach italienischem Recht also noch längere Zeit nicht geschieden werden kann, und die Antragstellerin die deutsche Staatsangehörigkeit (auch) bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages besaß, greift zu ihren Gunsten Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EGBGB n.F. ein, der bestimmt, daß in einem solchen Fall die Scheidung dem deutschen Recht unterliegt (vgl. Jayme IPRax 1986, 265, 267; Henrich FamRZ 1986, 841, 850; Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Auflage, § 8 Rdnr. 149, 2).

4

Die Voraussetzungen der Ehescheidung ergeben sich aus § 1565 BGB. Hiernach kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Dies ist der Fall, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, ist zusätzlich ein Härtefall im Sinne des § 1565 Abs. 2 BGB für den Antragsteller erforderlich. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Ehe der Parteien ist gescheitert. Eine Lebensgemeinschaft besteht zwischen ihnen zumindest seit dem 5.1.1986 nicht mehr. An diesem Tag ist der Antragsgegner den Ausführungen zufolge, die er bei seiner Anhörung in der Berufungsverhandlung gemacht hat, aus der Wohnung der Antragstellerin ausgezogen, weil sie einen Freund habe und ihm gedroht habe, ihn und die Kinder zu ermorden, wenn er nicht in die Scheidung einwillige. Auf die Glaubwürdigkeit dieser Darstellung und die rechtlichen Folgerungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Fest steht unabhängig hiervon, daß eine Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht. Seither hat es selbst nach den Angaben des Antragsgegners kein Zusammenleben mehr gegeben. Eine dahinführende Entwicklung ist auch nicht zu erwarten. Die Antragstellerin hat wie schon vor dem Amtsgericht überzeugend erklärt, daß sie es mit dem Antragsgegner nicht mehr aushalte und unbedingt geschieden werden wolle. Sie hat auf ausdrückliches Befragen hinzugefügt, an dieser Einstellung habe sich durch ihren letzten Aufenthalt in Italien (7. bis 12.8.1986) nichts geändert.

5

Unter diesen Umständen ist die Ehe der Parteien ohne weiteres zu scheiden, wenn sie seit mindestens einem Jahr getrennt leben. Das ist der Fall. Am 2.9.1985 hat sich die Antragstellerin vom Antragsgegner getrennt und ist unter Mitnahme der Kinder von Italien nach Deutschland gefahren. Er ist ihr alsbald nachgefahren. Ob die Parteien vom 22.10. bis 4.11.1985 wieder wie Mann und Frau zusammengelebt haben, wie der Antragsgegner behauptet, kann dahinstehen. Wenn dies zutrifft, handelte es sich um ein kurzes Zusammenleben, das der Versöhnung dienen sollte. Auf den Lauf des Trennungsjahres ist dies ohne Einfluß (§ 1567 Abs. 2 BGB). Ein erneutes Zusammenleben der Parteien vom 6.11.1985 bis 5.1.1986, wie es der Antragsgegner ebenfalls behauptet, vermag der Senat nicht anzunehmen. Zu viele Umstände sprechen dagegen. Die Antragstellerin bestreitet es. Sie gibt an, sie habe den Sohn ... in ... im Krankenhaus besucht und sei die Woche über dort geblieben. An den Wochenenden sei sie zwar in ihrer Wohnung in L. gewesen, der Antragsgegner aber nicht. Es ist auch unwahrscheinlich, daß sie ihn am 6.11.1985 wieder bei sich aufgenommen hat, nachdem sie ihn - wie er selbst vorträgt - zwei Tage zuvor aus ihrer Wohnung geworfen hatte. Außerdem war am 4.11.1985 der Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht gewesen und die Scheidung ausgesprochen, das Urteil aber noch nicht rechtskräftig geworden. Die Antragstellerin wußte, daß der Antragsgegner an der Ehe festhalten wollte. Sie mußte mit erheblichen Schwierigkeiten für den Nachweis des Trennungsjahres in dem zu erwartenden Berufungsverfahren rechnen, wenn sie ihn wieder aufnahm. Er hatte im Hause ... 15 in L. eine eigene Wohnung und hielt sich häufig bei Frau ... auf. Die Antragstellerin hatte einen Freund. Am 5.1.1986 benutzte der Antragsgegner das Umgangsrecht mit seinen beiden Kindern, um mit ihnen nach Dänemark und von dort nach Italien zu fahren. Wenn die Parteien am 4. oder 5.1.1986 noch zusammengelebt haben, ist ein Umgangsrecht am selben oder nächsten Tage kaum vorstellbar. All das spricht nach Auffassung des Senats gegen ein Zusammenleben der Parteien in dieser Zeit. Sollte es hierzu aber doch gekommen sein, ist insoweit ebenfalls auf § 1567 Abs. 2 BGB zu verweisen mit der Folge, daß das Trennungsjahr am 2.9.1986 abgelaufen ist. Auf die Frage, ob die Entführung der Kinder durch den Antragsgegner am 5.1.1986 den Fortbestand der Ehe für die Antragstellerin unzumutbar im Sinne des § 1565 Abs. 2 BGB macht, kommt es daher nicht mehr an.

6

Nach alledem liegen die Scheidungsvoraussetzungen vor. Die Ehe der Parteien ist durch gerichtliches Urteil (§ 1564 BGB) zu scheiden. Die Berufung des Antragsgegners gegen den Scheidungsausspruch des amtsgerichtlichen Urteils vom 4.11.1985 ist somit zurückzuweisen.

7

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.