Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.01.2024, Az.: 2 ORbs 348/23

Fehlende Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften; Fahrlässiges Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.01.2024
Aktenzeichen
2 ORbs 348/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10680
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Keine schuldmindernde Auswirkung der fehlenden Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften

In der Bußgeldsache
gegen S. S.,
geboren am ...,
wohnhaft ...,
- Verteidiger: Rechtsanwalt K., H. a. T. W. -
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Burgdorf vom 13. Oktober 2023 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Direktorin des Amtsgerichts XXX - zu Ziffer 1. durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX als Einzelrichterin - am 19. Januar 2024 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen und die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 80a Abs. 3 OWiG).

  2. 2.

    Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

  3. 3.

    Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Burgdorf setzte gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 18 km/h eine Geldbuße von 140,00 € fest.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 07.02.2023 um 09:07 Uhr mit einem Lkw die Bundesstraße B ... in der Gemarkung B. im Abschnitt ..., Station ..., in Fahrtrichtung H. und überschritt die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit für Lkws von 60 km/h unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt - nach Toleranzabzug von 3 km/h - um 18 km/h. In diesem Bereich ist die B ... nicht mehr als Kraftfahrstraße ausgewiesen. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte unter Beachtung der Vorgaben der Bedienungsanleitung mit der gültig geeichten Geschwindigkeitsmessanlage Poliscan FM1 durch den an dem Messgerät geschulten Mitarbeiter der Region H. Herrn B.

Gegen dieses Urteil richtet sich die mit dem Antrag auf Zulassung verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Es werde ein Verfahrensfehler in Form einer Aufklärungsrüge gerügt. Das Amtsgericht habe es unterlassen, den Messbeamten Herrn B. auch dahingehend zu befragen, ob dieser gemäß Ziffer 3.3 des Abschnitts 3 der Richtlinien für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden vom 25.11.1994 - Gem. RdErl. d. MI u. d. MW v. 25.11.1994 - (VORIS 21014 00 00 00 011) hinreichend geschult worden sei. Es habe sich gegebenenfalls Schulungsprotokolle des Messbeamten vorlegen lassen müssen. Neben der Schulung über das Messgerät sei nach den Richtlinien zwingend vorgeschrieben, dass das Messpersonal auch Kenntnisse über die mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften erhalte. Es handele sich nicht um eine Ermessensvorschrift. Auch eine Verwaltungsvorschrift müsse, auch wenn sie im Grundsatz keine Außenwirkung habe, im Sinne einer Gleichbehandlung berücksichtigt werden. Das Amtsgericht habe den Verstoß gegen die Richtlinien nicht zur Kenntnis genommen. Es sei davon auszugehen, dass der Messbeamte im Hinblick auf die Straßenverkehrsvorschriften nicht hinreichend geschult gewesen ist. Das Gericht habe deshalb prüfen müssen, ob von der Regelgeldbuße abgewichen werden kann. Dem Betroffenen sei vor folgendem Hintergrund nur geringstes Verschulden anzulasten:

"Die Straße im einspurigen Bereich ist als Kraftfahrstraße ausgewiesen worden, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen hierfür gar nicht gegeben waren. Bei Erweiterung dieser Straße zu zwei Spuren wurde die Kraftfahrstraße als solche aufgehoben, obwohl hier tatsächlich eine Kraftfahrstraße vorliegt. Die Folge war, dass im einspurigen Bereich die Geschwindigkeit von 80 km/h zulässig war, im zweispurigen Bereich lediglich eine solche von 60 km/h, da der Betroffene einen 7,5 Tonner Lkw fuhr."

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 13.10.2023 als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtmittel hat keinen Erfolg.

1.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die Frage, ob und ggf. wie es sich auswirkt, wenn ein Messbeamter die entsprechend einer Verwaltungsrichtlinie vorgesehene Qualifikation der Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften nicht nachweisen kann, wurde bislang - soweit ersichtlich - obergerichtlich nicht entschieden.

2.

Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG von der Einzelrichterin auf den Senat übertragen worden.

3.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

a)

Die Aufklärungsrüge geht zwar schon deshalb ins Leere, weil sie übersieht, dass im angefochten Urteil explizit festgestellt wird, dass der Messbeamte die in der Niedersächsischen Richtlinie für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden (Gem. RdErl. d. MI u. d. MW v. 25.11.1994, zuletzt geändert durch RdErl. vom 07.10.2010, VORIS 21014 00 00 00 011) unter 3.3 des Abschnitts 3 aufgeführte Qualifikation, die eine Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung) vorsieht, nicht nachweisen kann.

Es ergibt sich aber aus dem Inhalt der nach allgemeinen Grundsätzen auszulegenden Begründung der Rechtsbeschwerde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, § 344, Rn. 11), dass der Betroffene den Rechtfolgenausspruch des angefochtenen Urteils mit der Beanstandung angreift, dass der Umstand, dass der Messbeamte nicht im Sinne der Verwaltungsrichtlinie vollständig qualifiziert gewesen sei, bei der Bemessung der Geldbuße keine Berücksichtigung gefunden habe. Damit beanstandet der Betroffene insoweit auch die Verletzung sachlichen Rechts und hat damit eine - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Sachrüge zulässig erhoben.

b)

Der Rechtsfolgenausspruch lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht hat zutreffend die Regelgeldbuße nach BKat Nr.11.1.4. (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für Lkw außerhalb geschlossener Ortschaften um 16 - 20 km/h) in Höhe von 140,00 € festgesetzt und festgestellt, dass Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend nicht um einen Regelfall handelt, nicht ersichtlich sind.

Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich entgegen der Ansicht des Betroffenen auch nicht aus dem vom Amtsgericht festgestellten Umstand, dass der Messbeamte die in den Niedersächsischen Richtlinien für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden unter 3.3 des Abschnitts 3 aufgeführte Qualifikation, die eine Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung) vorsieht, nicht nachweisen konnte.

In Ziffer 3.3 "Personal" des Abschnitts 3 der Richtlinie heißt es:

"Das Messpersonal der Straßenverkehrsbehörden für den Umgang mit mobil-stationären Messgeräten muss qualifiziert sein, mit dem eingesetzten Messgerät beweissichere Geschwindigkeitsmessungen vorzunehmen.

Qualifikationsmerkmale sind insbesondere:

- Kenntnis der mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (Gesetze, Erlasse, Rechtsprechung),

- ...".

Als reine Verwaltungsvorschrift entfaltet diese Richtlinie keine Außenwirkung. Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer erwarten, dass sich die Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe hinwegsetzt. Insoweit können sich solche Richtlinien über Art. 3 GG für den Bürger rechtsbildend auswirken, so dass im Einzelfall der Schuldgehalt einer Tat geringer erscheint (vgl. hiesiger 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 25.07.2011 - 311 SsRs 114/11 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 04.09.1995 - 1 ObOWi 375/95 -, juris; OLG Dresden DAR 2010, 29).

Die gilt aber nicht für jede Art von Abweichung von der Richtlinie. Abweichungen von Verwaltungsvorschriften sind insoweit mit Abweichungen von der Bedienungsanleitung vergleichbar. Einzelne Abweichungen etwa im Hinblick auf die Protokollierung des Messvorgangs nehmen einer Messung nicht den Charakter eines standardisierten Messverfahrens, weil ihnen keine eigenständige Bedeutung für die Integrität der Messung zukommt (vgl. Senat, Beschluss vom 28.03.2023, 2 ORbs 68/23, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2023, 2 ORbs 35 Ss 4/23, juris; BayOblG, Beschluss vom 21.11.2022, 201 ObOwi 1291/22, juris). Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die Abweichung von Verwaltungsvorschriften in der Weise übertragen, dass sich eine Abweichung nur dann schuldmindernd auswirken kann, wenn ein Einfluss der Abweichung auf das Verhalten des Betroffenen oder das Messergebnis denkbar ist.

Anders als bei einer Unterschreitung des Regelabstandes zwischen geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen und Messstelle (Nr. 4 der Anlage 1 "Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten" der Richtlinie), die jeweils Gegenstand der oben zitierten Entscheidungen zum geringeren Schuldgehalt waren, ist es aber gerade nicht denkbar, dass allein die fehlende Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften das Verhalten des Betroffenen beeinflusst. Ebenfalls ist nicht erkennbar, dass sich die fehlende Schulung des Messbeamten zu Verkehrsvorschriften im vorliegenden Fall auf das Messergebnis ausgewirkt hätte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Betroffenen, die B ... sei bereits im Bereich ihrer einspurigen Zuführung als Kraftfahrstraße ausgewiesen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen hierfür noch gar nicht gegeben seien, nach Erweiterung der B ... zu zwei Spuren erfolge dann die Aufhebung der Kraftfahrstraße, obwohl hier doch de facto noch eine Kraftfahrstraße vorliege mit der Folge, dass für den Betroffenen im einspurigen Bereich eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zulässig gewesen sei, im Verlauf des zweispurigen Bereichs dann aber nur noch eine solche von 60 km/h, weil er einen 7,5 t-Lkw gefahren habe. Obwohl das in der Beschwerdeschrift nicht weiter dargelegt wird, scheint der Betroffene damit einen Zusammenhang ziehen zu wollen zwischen der fehlenden Rechtskenntnis des Messbeamten und der Durchführung der Messung an einer Stelle, an der ein Lkw-Fahrer damit rechne, sich noch auf einer Kraftfahrstraße zu befinden und deshalb statt nur 60 km/h bis zu 80 km/h fahren zu dürfen.

Es wäre dann aber nicht die fehlende Rechtskenntnis des Messbeamten, sondern letztlich der Standort der die Kraftfahrstraße aufhebenden Verkehrszeichen, der schuldmindernd zu würdigen wäre. Das Amtsgericht hat jedoch hinreichend überprüft und festgestellt, dass die Aufhebung der Kraftfahrstraße an dieser Stelle nicht willkürlich ist, sondern der nachfolgenden Zusammenführung mit dem aus A. kommenden Verkehr geschuldet ist. Soweit der Betroffene diesbezüglich einem Tatbestandsirrtum unterlegen sein sollte, ist dem bereits dadurch Rechnung getragen worden, dass ihm ohnehin nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Im Übrigen folgt die Einordnung einer Straße als Kraftfahrstraße nach § 18 Abs. 1 StVO allein aus ihrer Beschilderung durch die zuständigen Behörden und nicht aus ihrer Bauart. Weder den Kraftfahrern noch dem Messpersonal obliegt es, den verkehrsrechtlichen Charakter einer Straße unabhängig von ihrer Beschilderung zu interpretieren.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.