Landgericht Stade
Urt. v. 16.03.2011, Az.: 2 O 341/10

Handelsvertreter bzw. Finanzberater ist weder Firmenvertreter noch sog. Einfirmenvertreter oder Arbeitnehmer und ist zur Rückerstattung von Provisionsvorschüssen verpflichtet; Maßstab für die Abgrenzung zwischen selbstständigen und angestellten Handelsvertreter ist das Gesamtbild der vertraglichen Verhältnisse; Zuständigkeit des Zivilgerichts bei gerichtlicher Geltendmachung von Provisionsansprüchen

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
16.03.2011
Aktenzeichen
2 O 341/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 16392
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGSTADE:2011:0316.2O341.10.0A

In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2011
durch
den Richter am Landgericht M. als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.482,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 19.900,13 EUR seit dem 20. Mai 2010 und auf weitere 2.582,26 EUR seit dem 27.10.2010 zu zahlen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des seitens der Klägerin zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Rückerstattung von Provisionsvorschüssen. Sie betreibt ein Finanz-Dienstleistungsunternehmen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedient sie sich der Mitarbeit von Handelsvertretern, die als Finanzberater (FB) Verträge vermitteln. Die Parteien schlössen am 27. März, 12. Mai 2009 einen Finanzberatervertrag. Danach sollte der Beklagte als selbstständiger Handelsvertreter im Sinne der §§ 84 ff., 92 HGB hauptberuflich auf dem Gebiet der Vermittlung von. Versicherungen, Bausparverträgen, Finanzierungen, Kapitalanlagen sowie von Maklerverträgen tätig sein. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag nebst Anlagen verwiesen (Anlage K1, Bl. 17 ff. d.A.).

2

Mit Datum vom 08. Mai 2009 bzw. 06. August 2009 ergänzten die Parteien den Finanzberatervertrag um einen sog. Sideletter (Anlage K 2, Bl. 41 ff. d.A.). Gemäß dem Sideletter sollte der Beklagte für die ersten 12 Monate nach Abschluss des Finanzberatervertrages und nach Aufnahme seiner Tätigkeit für die Klägerin eine monatliche Verrechnungsgarantiezahlung in Höhe von 4.000,00 EUR erhalten. Die Zahlungen sollten mit den laufenden Provisionseinnahmen des Beklagten aus dem Finanzberatervertrag verrechnet werden. Der Beklagte erhielt insgesamt folgende Vorschüsse:

am 03.06.20094.000,00 EUR
am 24.06.20093.000,00 EUR
am 22.07.20094.000,00 EUR
am 02.09.20091.120,00 EUR
am 08.09.20091.278,91 EUR
am 11.09.20091.600,00 EUR
am 05.10.20093.680,00 EUR
am 05.11.20092.519,00 EUR
also insgesamt21.197,91 EUR.
3

Darüber hinaus berechnet die Klägerin mit Abrechnung 07/2010 zusätzlich unverdiente Provisionsansprüche in Höhe von 2.566,55 EUR. Demgegenüber stehen Einnahmen, also verdiente Provisionsansprüche des Beklagten, in Höhe von 1.282,07 EUR. Am 27. November 2009 kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis. Unter dem 10. Dezember 2009, unterschrieben am 04. Januar 2010 bzw. am 22.12.2009, erkannte der Beklagte einen rückständigen Saldo in Höhe von 21.034,23 EUR an und verpflichtete sich, diesen in 14 gleichen Raten ä 500,00 EUR beginnend ab dem 15. Januar 2010 zurückzuführen. Entsprechende Zahlungen erfolgten nicht.

4

Die Klägerin ist der Meinung, die Zuständigkeit des Landgerichts sei gegeben. Sie beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 22.482,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 19.900,13 EUR seit Zustellung des Mahnbescheids und auf weitere 2.582,26 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

t

Er ist der Meinung, nicht das Landgericht sondern das Arbeitsgericht sei zuständig.

7

Der Mahnbescheid wurde dem Beklagten am 19. Mai 2010 zugestellt. Die Zustellung der Anspruchsbegründung erfolgte am 26. Oktober 2010.

8

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist zulässig und begründet.

10

Das Landgericht Stade ist gemäß § 13 GVG als ordentliches Gericht zuständig, denn das Verfahren betrifft eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit und nicht, wie der Beklagte meint, eine arbeitsrechtliche. Nach § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besonderer Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a Arbeitsgerichtsgesetz sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Für die Abgrenzung zwischen selbstständigem Angestelltenhandelsvertreter - und damit für die Abgrenzung der Zuständigkeit von ordentlichem Gericht und Arbeitsgericht - ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrages oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellte oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrages abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse und der Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages.

11

Die Klägerin hat die für die Begründung der Zuständigkeit des Zivilgerichts maßgeblichen Tatsachen zu beweisen, sofern der Beklagte diese bestreitet (BGH GWR 2009, 464 zitiert nach [...] Tz. 14). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Zuständigkeit des Landgerichts gegeben.

12

Aus den schriftlich fixierten vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich keine Bestimmungen, die zu einer abhängigen Beschäftigung führen würden.

13

Der Beklagte ist nicht als Firmenvertreter im Sinne des § 92 a Abs. 1 HGB anzusehen. Im Falle eines Einfirmenvertreters kraft Vertrages müsste der Handelsvertretervertrag eine gewerbliche Betätigung ausdrücklich untersagen oder von einer Genehmigung des Prinzipals abhängig machen. Entsprechende Regelungen finden sich nicht im Vertrag. 7.2 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen bedeuten in diesem Zusammenhang nicht, dass der Beklagte überhaupt keine anderen Produkte vermitteln darf. Das absolute Wettbewerbverbot in Ziffer 7.1 der Bedingungen bezieht sich nur auf Unternehmen, die Versicherungs- und Finanzdienstleistungen anbieten. Damit ist dem Beklagten eine gleichartige gewerbliche Tätigkeit untersagt. Diese Einschränkungen gehen allerdings über § 86 Abs. 1 HGB, wonach der Handelsvertreter die Interessen seines Unternehmens wahrzunehmen hat, nicht hinaus.

14

Der Beklagte ist auch nicht als Einfirmenvertreter kraft Weisung anzusehen. Zwar besitzt der Handelsvertreter einen arbeitnehmerähnlichen Status auch dann, wenn er zwar nicht vertraglich, wohl aber faktisch aufgrund ihm erteilter Vorgaben des Unternehmers an einer Tätigkeit für andere Unternehmen gehindert ist (§ 92 a Abs. 1 Satz 1,1. Alternative HGB). Der Beklagte konnte allerdings gemäß § 2 Abs. 1 und 2 des Vertrages seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeiten bestimmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Ziffer 3.10 der Bedingungen. Dass die Klägerin den Beklagten konkret Weisung erteilt hat, die einen Umfang angenommen haben, sodass ihm faktisch eine selbstständige Tätigkeit nicht mehr möglich war, behauptet auch der Beklagte nicht substantiiert. Die Möglichkeit, "fachliche Weisung" zu erteilen, spricht nicht für ein Arbeitsverhältnis. Auch Handelsvertreter haben Weisungen zu befolgen.

15

Der Beklagte ist auch nicht gemäß §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitsgerichtsgesetz, 84 Abs. 2 HGB als Arbeitnehmer anzusehen. Selbstständig im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB ist, wer seine Arbeitszeit frei bestimmen und seine Tätigkeit frei gestalten kann. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles in Betracht zu ziehen und zu würdigen. Wenn die Gesamtschau der tatsächlichen Handhabung nicht zu einer klaren statusrechtlichen Anordnung führt, ist von einem selbstständigen Arbeitsverhältnis auszugehen. Der Beklagte konnte seine Arbeitszeit bestimmen. Hinsichtlich des Beginns und des Endes der Arbeitszeit enthält der Vertrag keine konkreten Vorgaben. Es besteht auch keine Verpflichtung zu einer festgelegten Mindesttätigkeit. Die Pflicht, nach Ziffer 3.1.3 der Allgemeinen Vertragsbedingungen, an Schulungs- und Fortbildungsprogrammen der Klägerin teilzunehmen, spricht ebenfalls nicht gegen die Selbstständigkeit des Beklagten. Die Fortbildung ist Voraussetzung gerade im Versicherungs- und Kapitalmarktbereich, Verträge erfolgreich zu vermitteln. Dass die Schulungsveranstaltungen einen Umfang angenommen haben, der die selbstständige Tätigkeit des Beklagten erheblich einschränkt hat, behauptet auch der Beklagte nicht. Die Kammer ist mithin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zuständigkeit der Zivilkammer gegeben ist. Der Anspruch ist der Höhe nach unstreitig. Die geltend gemachten Zinsen ergeben sich aus § 291 BGB.

16

Die Kostenentscheidung wurde § 91 ZPO, die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit§ 709 ZPO entnommen.