Landgericht Stade
Urt. v. 22.03.2011, Az.: 4 O 435/10

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
22.03.2011
Aktenzeichen
4 O 435/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45153
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 105.763,36 €.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die restliche Vergütung für Bauwerkleistungen.

Der Beklagte, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, beauftragte nach einem zuvor durchgeführten Vergabeverfahren die Klägerin mit Bauarbeiten für eine Druckleitung und Pumpstation für die Erschließung des Industriegebietes B mit einer Auftragssumme von 930.818,03 € brutto bzw. € 816.956,17 netto gemäß Vertrag vom 23.04.2009. Die Klägerin führte die Arbeiten vereinbarungsgemäß sowie sach- und fachgerecht aus und rechnete diese mit Schlussrechnung vom 09.07.2010 (Anlage K 2) ab, die von dem Beklagten als sachlich und rechnerisch richtig mit 105.763,30 €, mithin in Höhe der Klagforderung, festgestellt wurde.

Weiterer Vertragsbestandteil waren u. a. die zusätzlichen Vertragsbedingungen (215), einheitliche Fassung November 2005 (Anlage B 1, Bl. 22 d. Akte) ausweislich des Angebotes der Klägerin. Dort heißt es unter Ziffer 12 der zusätzlichen Vertragsbedingungen:

„Wettbewerbsbeschränkungen (§ 8 Nr. 4)

Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, hat er 15 v. H. der Auftragssumme an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird.

Dies gilt auch, wenn der Vertrag gekündigt wird oder bereits erfüllt ist.

Sonstige vertragliche oder gesetzliche Ansprüche des Auftraggebers, insbesondere solche aus § 8 Nr. 4, bleiben unberührt.“

Wegen des Verdachtes unzulässiger Wettbewerbsbeschränkungen ermittelte die Staatsanwaltschaft Verden u. a. gegen die Klägerin bzw. deren Geschäftsführer, durchsuchte am 22.04.2009 die Geschäftsräume der Klägerin und die Büros der beschuldigen Geschäftsführer der Klägerin, H. und D, und hörte mehrere Telefonate ab.

Der Beklagte zahlte weder den Teilbetrag von 45.000,00 € mit Zahlungsfrist bis zum 02.10.2009 noch den weiteren Differenzbetrag, dessen Zahlung der Beklagte insgesamt zuletzt am 25.11.10 verweigerte. Bezogen auf einen Gegenstandswert von 45.000,00 € seien nach Auffassung der Klägerin zudem wegen der nach dem 02.10.2009 erfolgten Mandatierung vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.110,11 € zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 105.763,36 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Teilbetrag von 45.000,00 € seit dem 03.10.2009 und hinsichtlich eines Teilbetrages von 60.000,00 € hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.10.2010 sowie 2.110,11 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen auf diese Rechtsanwaltskosten in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf die verauslagten Gerichtskosten von 1.281,00 € ab Rechtshängigkeit bis zum Tag der Verkündung der die erste Instanz abschließenden Entscheidung zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf die verauslagten Gerichtskosten von 1.281,00 € vom Tag nach dem Tag der Verkündung der die erste Instanz abschließenden Entscheidung bis zum Tag vor Antragstellung im Kostenfestsetzungsverfahren zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte erklärt die Aufrechnung in Höhe von 122.543,00 €. Er meint, der Klägerin falle unter Verweis auf die abgehörten und im einzelnen dargestellten Telefonate sowie die Anlage B 4 (Bl. 31 ff d.A.) ein Verstoß gegen Ziffer 12 der zusätzlichen Vertragsbedingungen wegen eines Wettbewerbsverstoßes zur Last. Bei einer Nettoauftragssumme von 816.956,17 € ergeben 15 % den vorstehenden Aufrechnungsbetrag.

Er behauptet zu den polizeilich abgehörten Telefonaten: In einem Telefonat vom 02.10.2008 zwischen dem weiteren Beschuldigten S der Firma H. und dem Geschäftsführer der Klägerin, Herrn H., habe sich der Beschuldigte S. diesem gegenüber bereit erklärt, hinter dessen Angebot betreffend das streitgegenständliche Bauvorhaben Neubau Druckleitung und Pumpstation zurückzutreten und ihm den Auftrag zu überlassen. Am 20.10.2008 habe der Beschuldigte S. von dem weiter beschuldigten Geschäftsführer der Klägerin, D., eine Summe verlangt, die er als Orientierung habe nehmen können, um über der Summe der Firma N. zu bleiben. Am 21.10.2008 habe der Beschuldigte S. dem Geschäftsführer der Klägerin, D., seine kalkulierte Angebotssumme in Höhe von 1.365.000,00 € mitgeteilt und mit diesem abgestimmt, diese noch um 3 % senken zu können, ohne das Angebot der Klägerin zu gefährden. Zuvor habe der Beschuldigte S. der Firma H. am 26. und 27.08.2008 mit seinem Mitarbeiter R. telefoniert und dabei geäußert „N. hinkriegen wäre kein Problem, wenn er mit P. spricht, sie haben es immer geregelt gekriegt“. Am 06.11.2008 habe der Beschuldigte S. mit dem Geschäftsführer der Klägerin, H., telefoniert und ihm berichtet, dass er wegen der (nicht streitgegenständlichen) Baumaßnahme „Erschließung Baugebiet S.“ durch den Beschuldigten H. von der Firma H. um Rücksichtnahme für die Baumaßnahme gebeten worden sei, diese gewährt und nach Absprache mit einem Mitarbeiter der Firma H. die Kalkulationssummen an den Beschuldigten H. durchgegeben habe, wobei der Beschuldigte H. angeben habe, dass diese Summen so abgegeben werden könnten. Der Geschäftsführer der Klägerin, H., habe sodann in dem Telefonat vom 06.11.2008 gegenüber dem Beschuldigten S. geäußert, dass er bereit sei, auf die Erlangung der Baumaßnahme zu verzichten und sich mit H. in Verbindung zu setzen. In einem weiteren Telefonat vom 21.10.2008 habe der Beschuldigte S. und der Geschäftsführer der Klägerin, D., ihre Angebotssummen im Zusammenhang mit der (nicht streitgegenständlichen) Baumaßnahme „R“ abgestimmt.

Die Klägerin entgegnet, keine Abrede getroffen zu haben, welche eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstelle. Das Ermittlungsverfahren sei vom zivilgerichtlichen Verfahren zu unterscheiden und der Beklagte habe sich auf den Sachvortrag in der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung zu beschränken. Insgesamt handele es sich um über 70 Verfahren, mit welchen weder die Klägerin noch deren vertretungsberechtigten Organe entsprechend etwas zu tun hätten. Die Klägerin habe die weiteren Bietenden nicht gekannt. Die Sicherstellung eines geheimen Wettbewerbs zwischen den Bietern habe es nicht gegeben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat den Geschäftsführer der Klägerin, H., unter Vorhalt der Anlage B 4 gemäß § 141 ZPO in der mündlichen Verhandlung angehört. Er hat erklärt, wegen des laufenden Strafverfahrens dazu keine Angaben machen zu wollen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der nach erfolgter Abnahme und unstreitig geprüfter Schlussrechnung bestehende Werklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 105.763,36 € ist durch Aufrechnung gemäß § 389 BGB erloschen.

Denn der Klägerin fällt gemäß Ziffer 12 der vereinbarten zusätzlichen Vertragsbedingung für die Ausführung von Bauleistungen ein Wettbewerbsverstoß der für sie handelnden Geschäftsführer zur Last. Danach steht dem Beklagten in Höhe von 122.543,42 € ein pauschalierter Schadensersatzanspruch in Höhe von 15 % der Auftragssumme (816.956,17 € netto) zu.

Dieser Wettbewerbsverstoß steht aufgrund der ausführlich von dem Beklagten dargelegten Telefonate fest. Diesem Vortrag ist die Klägerseite nicht ansatzweise entgegengetreten, so dass dieser als unstreitig zu berücksichtigen war.

Bereits das Gespräch vom 02.10.2008 zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin H. und dem beschuldigten S. der Firma H., ist eindeutig im Sinne einer wettbewerbsverzehrenden Preisabsprache zu verstehen und nicht anderweitig auslegbar. Dabei erklärte sich der beschuldigte S. gegenüber dem Geschäftsführer der Klägerin bereit, hinter das Angebot der Klägerin betreffend das streitgegenständliche Bauvorhaben zurückzutreten und ihm, dass heißt dem Geschäftsführer der Klägerin, den Auftrag zu überlassen. In einem weiteren Telefonat vom 20.10.2008 erfragte der beschuldigte S. bei dem weiteren Geschäftsführer der Klägerin, D., welche Auftragssumme er zur Orientierung betreffend das streitgegenständliche Bauvorhaben nehmen könne, um (offenbar zum Schein) über der Summe der Klägerin zu bleiben. Am Folgetag, dem 21.10.2008, teilte der beschuldigte S. dem Geschäftsführer der Klägerin D. seine kalkulierte Angebotssumme in Höhe von 1.365.000,00 € mit und stimmte mit diesem ab, dass diese noch um 3 % gesenkt werden könne, ohne das Angebot der Klägerin zu gefährden. Tatsächlich hat die Klägerin auch den Zuschlag durch den Beklagten bei einer Angebotssumme von 930.818,03 € erhalten, wobei eine abgesprochene Reduzierung des Angebotes der Firma H. um 3 % das abgesprochene Angebot der Klägerin damit nicht unterschritten hätte. Die Kammer hat keine Zweifel, dass bereits aufgrund dieser Telefonate vom 2.10 und 20./21.10.2008 kein freier und geheimer Wettbewerb zwischen den beteiligten Bietern mehr bestand. Insoweit kommt es auf die weiteren, ebenfalls nicht mit Substanz bestrittenen Telefonate an sich nicht an, jedoch bekräftigen diese den Wettbewerbsverstoß. Dahinstehen kann, dass auch nach Auffassung der Kammer ein solcher Wettbewerbsverstoß bereits dann verwirklicht ist, wenn ein Angebot in Kenntnis der Bedingungen des Konkurrenzangebotes erstellt wird. Denn vorliegend hat damit sogar eine ausdrückliche Verständigung zwischen mindestens zwei Unternehmen stattgefunden, wer welche Leistung zu welchem Preis anbietet soll, damit der eine für dieses bzw. der andere für ein anderes Bauvorhaben den Zuschlag erhält.

Die Kammer folgt insoweit nicht der Klägerin, dass damit kein Wettbewerbsverstoß nach Ziffer 12 der Vereinbarung gegeben sei und hatte wie ausgeführt den Vortrag als unstreitig zu berücksichtigen. Soweit die Klägerin vorträgt, dass das Zivil- vom Strafverfahren zu unterscheiden sei, es eine Sicherstellung eines geheimen Wettbewerbs nicht gegeben habe, die Klägerin die weiteren Bietenden nicht gekannt habe und die Beklagte nicht berechtigt sei, pauschalierten Schadensersatz in Höhe von 15 % der Auftragssumme zurück zu behalten, greift dieses gegenüber dem substantiellen Vortrag der Beklagtenseite nicht durch. Bei einem derart konkreten Vortrag, bei denen mehrere Telefonate nach Datum, Teilnehmer und Inhalt und sogar dabei getroffene konkrete Betragsabreden nebst Scheinreduzierungen von 3 % im Einzelnen dargestellt werden, ist ein substantieller Gegenvortrag (etwa dass diese Telefonate inhaltlich falsch wiedergegeben seien, die Geschäftsführer etwa wegen Urlaubes oder anderer Abwesenheit zu den fraglichen Zeiten gar nicht tätig gewesen seien, etc.) zu verlangen. Letztlich kann dies dahinstehen. Denn spätestens im Termin zur mündlichen Verhandlung hatte der persönlich zur Sachaufklärung geladene und erschienene Geschäftsführer der Klägerin H. angesichts der Anhörung gemäß § 141 ZPO Gelegenheit, sich zu diesem Vortrag der im Einzelnen dargestellten und ihm vorgehaltenen, teilweise sogar von ihm selbst geführten Telefonate zu erklären, hat jedoch wegen des laufenden Strafverfahrens dazu keine Angaben machen wollen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Geschäftsführer der Klägerin in dem Spannungsverhältnis stehen, in einem vom Beibringungsgrundsatz beherrschten Zivilverfahren unwahr und damit im Sinne eines Prozessbetruges vorzutragen, während in dem von Amtsermittlung beherrschten Strafverfahren nach der Unschuldsvermutung und dem Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten müsse, Schweigen bzw. sogar unwahre, bestreitende Behauptungen als zulässiges Verteidigungsvorbringen möglich sind. Dies kann allerdings nicht dazu führen, dass in dem Zivilverfahren nunmehr andere Grundsätze der ggf. wechselnden Darlegungs- und Beweislast bestehen. Vielmehr hatte der nicht ansatzweise substantiell bestrittene Vortrag der insoweit zunächst darlegungsbelasteten Beklagtenseite als unstreitig Berücksichtigung finden müssen. Auf eine etwaige Beweisaufnahme durch Zeugen und/oder Einsicht in die Strafakte und Verwertung dortiger Urkunden oder Augenscheinsobjekt kommt es folglich nicht an. Diese Unabhängigkeit zwischen Zivil- und Strafverfahren mit den jeweiligen Prozessgrundsätzen gilt im Übrigen auch dann, wenn die Klägerin sich in der Beklagtenposition hinsichtlich der zur Aufrechnung gestellten Forderung befunden hätte. Sie gilt aber erst Recht, wenn die Klägerin selbst den Zeitpunkt ihrer Klage parallel zu dem laufenden Strafverfahren wählt.

Nach allem ist die Klagforderung erloschen. Folglich waren auch die weiteren Klaganträge unbegründet. Ergänzend sei lediglich angeführt, dass die Anträge zu 2.) und 3.) auch bei einem etwaigen Erfolg des Hauptsacheantrages unbegründet wären, weil es auch dann hinsichtlich der Verzinsung mangels Fälligkeit eines Anspruches gegenüber dem Beklagten auf Zahlung der von der Klägerin verauslagten Gerichtskosten an den Voraussetzungen eines Verzuges fehlt und im Hinblick auf die Regelung des § 104 Abs. 1 ZPO auch keine planwidrigen Regelungslücke besteht, die es rechtfertigen würde, auf die verauslagten Gerichtskosten Zinsen vor Antragsstellung im Kostenfestsetzungsverfahren zuzusprechen bzw. dieses festzustellen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 Abs. 1 ZPO.

Soweit der Schriftsatz der Klägerin vom 08.04.2011 neues Vorbringen enthält, war dieses gemäß § 296 a ZPO nicht zu berücksichtigen und hat auch unter Berücksichtigung der §§ 139 Abs. 5, 156, 283 ZPO keinen Anlass zur Wiedereröffnung gegeben. Abgesehen davon, dass auch in diesem nicht nachgelassenen Schriftsatz keine Auseinandersetzung mit dem dezidiert genannten Gespräch vom 02.10.2008 (Anm: Die Kammer geht davon aus, dass in dem Schriftsatz nicht 02.08.2008, sondern 02.10.2008 gemeint ist) erfolgt, sondern dazu lediglich die Wertung mitgeteilt wird, dass daraus keine Preisabsprache folge und auch die nach Angebotsbetrag und Personen konkreten Gesprächsinhalte vom 20.10.08 bzw. vom 21.10.2008 nicht ansatzweise mit Substanz oder betreffend den 21.10.2008 sogar gar nicht bestritten werden, bedurfte es auch keines Hinweises, dass es auf die Aufrechnungserklärung des Beklagten wegen des Wettbewerbsverstoßes in diesem Verfahren ankommt. Denn dies ist offenkundig, zumal der Geschäftsführer dazu ausdrücklich gemäß § 141 ZPO angehört wurde. Dabei mag dieses zivilprozessuale Verhalten und auch das Schweigen im Termin im Hinblick auf das schwebende Strafverfahren sogar sinnvoll sein. Jedenfalls ist es keiner Wertung oder einseitigen Beratung einer Partei durch die Kammer zugänglich.