Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 18.04.2006, Az.: S 12 SF 5/06
Streit um die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren; Zugrundeliegende Klage gegen einen behördlichen Hinweis auf die Unangemessenheit der Kosten einer Unterkunft mit anschließendem Anerkenntnis; Berücksichtigung der Auskömmlichkeit der Gebühr; Anwendungsbereich der Terminsgebühr neben der Verfahrensgebühr
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 18.04.2006
- Aktenzeichen
- S 12 SF 5/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 47539
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2006:0418.S12SF5.06.0A
Rechtsgrundlage
- § 14 Abs. 1 S. 4 RVG
Tenor:
Unter Abweisung der Erinnerung im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts D. vom 27.12.2005 Az.: S 43 AS 354/05 wie folgt abgeändert und neugefasst: Die dem den Klägern im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird festgesetzt auf 388,20 Euro. Der Betrag berechnet sich wie folgt: Verfahrensgebühr §§ 3, 14 RVG i.V.m. Ziffer 3103, 1008 VV RVG (3 Auftraggeber) 181,33 EUR Terminsgebühr §§ 3, 14 RVG i. V. m Ziffer 3106 VV RVG 133,33 EUR Pauschale für Kommunikationsdienstleistungen 20,00 EUR Zwischensumme 334,66 EUR 16% Mehrwertsteuer gemäß Ziffer 7008 VV RVG 53,54 EUR Gesamtsumme 388,20 EUR
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren.
1.
Im zugrunde liegenden Klagverfahren wandten sich die Kläger gegen ein Hinweisschreiben, in welchem sie von der Beklagten auf die Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft hingewiesen wurden. Mit ihrer Klage wiesen sie darauf hin, dass die Angemessenheit zwischenzeitlich unstreitig sein dürfte, eine schriftliche Bestätigung des Beklagten allerdings noch nicht vorliege. Die Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 29.09.2005 die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft. Die Kläger nahmen dieses Anerkenntnis mit Schriftsatz vom 17.10.2005 an und erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Mit Beschluss vom 01.12.2005 gewährte das Sozialgericht Hildesheim den Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F ...
2.
Mit Schriftsatz vom 20.12.2005 beantragte der beigeordnete Rechtsanwalt die Festsetzung der folgenden Gebühren:
Verfahrensgebühr für Verfahren vor Sozialgericht, vorausgegangenes Verwaltungsverfahren § 49, Nr. 3103, 3102 VV RVG 272,00 EUR - Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG um 0,6 wegen 3 Auftraggebern - Terminsgebühr im Verfahren vor Sozialgericht § 49, Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme netto 492,00 EUR 16% Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 78,72 EUR zu zahlender Betrag 570,72 EUR
Zur Gebührenhöhe ging er von der jeweiligen Mittelgebühr aus.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.12.2005 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die folgenden Gebühren fest:
Verfahrensgebühr §§ 3, 14 RVG Nr. 3103 i.V.m. Nr. 1008 VV RVG (3 Auftraggeber) 136,00 EUR Terminsgebühr §§ 3, 14 RVG Nr. 3106 VV RVG 100,00 EUR Pauschale für Kommunikationsdienstleistungen 20,00 EUR 16 v. H. MwSt. Nr. 7008 VV RVG 40,96 EUR Summe 296,96 EUR
Der Urkundsbeamte ging von einer viertel Gebühr aus. Es hätten keine Hinweise auf tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten bei der Sachbearbeitung und Aufarbeitung des Prozessstoffes bestanden. Bereits in der Klagschrift sei Unstreitigkeit über den Klaggegenstand vermutet worden. Auch könne die Laufzeit des Rechtsstreites nicht zu einer Gebührenerhöhung führen, da parallel zum vorliegenden Verfahren ein weiteres Verfahren geführt wurde. Schließlich könnten auch betriebswirtschaftliche Überlegungen bei der Gebührenbemessung keine Berücksichtigung finden.
Hiergegen richtet sich die am 12.01.2006 beim Sozialgericht G. eingegangene Erinnerung, mit welcher der beigeordnete Rechtsanwalt das ursprüngliche Festsetzungsbegehren aus eigenem Recht weiterverfolgt. Es seien tatsächliche und rechtliche Probleme zu erörtern gewesen. Die Auslegung von § 23 Abs. 1 SGB II hätte umfangreiche Recherchen erforderlich gemacht. Die Abrechnung der Mittelgebühr sei vorliegend insgesamt angemessen. Auch seien betriebswirtschaftliche Überlegungen und Gründe bei der Gebührenbemessung zu berücksichtigen. Aus Artikel 12 GG leite sich für den beigeordneten Rechtsanwalt ein Anspruch auf eine auskömmliche Gebühr ab. Die Erinnerungsschrift wurde eingereicht von Rechtsanwältin Hein-Janke.
Der Erinnerungsgegner hält die Erinnerung für unzulässig und unbegründet. Die Zulässigkeit sei nicht gegeben, da die Erinnerung nicht durch den beigeordneten Rechtsanwalt erhoben wurde. Zur Höhe der festgesetzten Gebühr schließt sich der Erinnerungsgegner den Ausführungen des Urkundsbeamten aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss an. Selbst wenn eine höhere Gebühr anzusetzen sein sollte, so könne dies nur die Verfahrensgebühr betreffen, nicht jedoch die Terminsgebühr. Bei der Festlegung jedes Gebührentatbestandes seien die Kriterien des § 14 RVG erneut zu beachten. In seiner Ansicht stützt sich der Erinnerungsgegner unter anderem auf die Kostenrechtssprechung des Sozialgerichts Hannover.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die Erinnerung ist nach §§ 56, 55, 33 RVG zulässig. Die Erinnerung ist durch den zur Erinnerung berechtigten beigeordneten Rechtsanwalt erhoben worden. Denn das Vertretungsverhältnis, welches in der Erinnerungsschrift nicht offen gelegt wurde, ist mit Schriftsatz vom 17.03.2006 klargestellt worden.
Die Erinnerung ist auch zum Teil begründet. Der Erinnerungsführer hat einen Anspruch auf Festsetzung einer Verfahrens- und einer Terminsgebühr in Höhe der 1/3-Gebühr. Ein weitergehender Anspruch auf Festsetzung der Mittelgebühr ist jedoch nicht gegeben. Eine Differenzierung zwischen der Verfahrens- und der Terminsgebühr findet dabei nicht statt.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt betroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dies ist vorliegend der Fall, da die Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angelegenheit als durchschnittlich nicht zu rechtfertigen vermögen.
Zu Recht hat der Urkundsbeamte darauf hingewiesen, dass es sich vorliegend um eine deutlich unterdurchschnittliche Angelegenheit handelt. Bereits mit der Klagschrift ist die Unstreitigkeit des Klaggegenstandes in Aussicht gestellt wurden. Inhaltlich war der Rechtsstreit durch die Umstellung der Angemessenheitskriterien der Beklagten bereits abgeschlossen. Es fehlte nur noch - wie der Kläger zu Recht herausstellte - an einer Bestätigung der Beklagten. Das Verfahren stellt sich jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht als derart unterdurchschnittlich dar, dass hier nur eine Festsetzung Viertelgebühr gerechtfertigt ist. Angemessen erscheint vielmehr die Festsetzung der Drittelgebühr. Denn das Verfahren ist nicht gänzlich frei von rechtlichen Schwierigkeiten gewesen. Die Frage der Verwaltungsaktqualität von Hinweisschreiben ist im Zeitpunkt der Klagerhebung noch nicht abschließend geklärt gewesen, so dass eine moderate Heraufsetzung bis zur Drittelgebühr gerechtfertigt erscheint.
Eine Festsetzung der Mittelgebühr scheidet jedoch aus, da es sich in der Gesamtbetrachtung noch immer um ein deutlich unterdurchschnittliches Verfahren handelt. Die Anwendungen des Erinnerungsführers können dem nicht entgegenstehen. Insbesondere sind betriebswirtschaftliche Erwägungen keine gesetzlichen Bestimmungsmerkmale im Sinne des § 14 RVG.
Soweit die Antragstellerin auf das Erfordernis der auskömmlichen Bemessung der Gebühren hinweist, so handelt es sich hierbei um eine Vorgabe, der der Gesetzgeber bereits durch die Schaffung des RVG genüge getan hat. Im Kostenfestsetzungsverfahren sind nur die gesetzlich vorgegebenen Bemessungskriterien festzustellen. Eine doppelte Berücksichtigung der Auskömmlichkeit der Gebühr ist nicht vorgesehen.
Die anteilige Höhe der Terminsgebühr richtet sich in der Regel - wie hier - nach der anteiligen Höhe der Verfahrensgebühr (Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 16.09.2005, 12 SF 30/05). Diese Rechsprechung setzt die Kammer auch nach nochmaliger Überprüfung ausdrücklich fort.
Die Bestimmung der Höhe der Terminsgebühr wird durchaus unterschiedlich gehandhabt. So stellt das Sozialgericht Hannover auf den hypothetischen Aufwand ab, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahrensstadium voraussichtlich entstanden wäre. Es sei eine fiktive Vergleichsbetrachtung anzustellen, in welcher Höhe ein Gebührenanspruch voraussichtlich entstanden wäre, wenn ein Termin stattgefunden hätte (Beschluss vom 20.12.2005, 34 SF 119/05). Dieser AnSatz 1ässt sich jedoch - unabhängig von der praktischen Schwierigkeit der Bewertung eines hypothetischen Termins - nach Auffassung der Kammer nicht mit der Systematik des RVG vereinbaren. Er ließe sich nur überzeugend begründen, wenn der Anwendungsbereich der Terminsgebühr und der Verfahrensgebühr isoliert zu betrachten wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Terminsgebühr ist derart mit der Verfahrensgebühr verbunden, dass nur eine gemeinsame Betrachtung möglich ist.
Mit Nichten entsteht die Verfahrensgebühr nach Ziffer 3102 VV nur für die anwaltliche Tätigkeit im vorbereitenden Verfahren. Die Verfahrensgebühr entsteht vielmehr für die gesamte anwaltliche Verfahrensführung im sozialgerichtlichen Verfahren. Diese Tätigkeit erstreckt sich von der Klagerhebung bis zum Abschluss des Verfahrens. Sie schließt mithin auch die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins mit ein. Findet ein Termin tatsächlich statt, so entsteht die Terminsgebühr zusätzlich zur Verfahrensgebühr. Mithin hat die Terminsgebühr keinen eigenen Anwendungsbereich neben der Verfahrensgebühr, sondern vielmehr nur einen Anwendungsbereich bei gleichzeitiger Eröffnung der Verfahrensgebühr.
Aus diesem Grunde ist es nicht gerechtfertigt, anhand der Kriterien des § 14 RVG zwischen der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr zu differenzieren. Wenn die anwaltliche Tätigkeit in der Verfahrensführung nach Umfang und Schwierigkeit, Bedeutung der Angelegenheit und den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers/Antragstellers die Festsetzung der 1/3 Gebühr zur Folge hat, so gilt gleiches auch für die Terminsgebühr.
Dieses Ergebnis wird auch durch den gesetzgeberischen Hintergrund der Norm gestützt. Eine Differenzierung zwischen den Verfahrensbeendigungen mit Termin nach Ziffer 3106 VV und den Verfahrensbeendigungen ohne Termin nach Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV wird von der Gesetzeslage nicht gewollt. Der Gesetzgeber wollte die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit von der Durchführung von entbehrlichen Verhandlungsterminen entlasten. Durch den Wegfall einer an sich obligatorischen Verhandlung soll den beteiligten Rechtsanwälten kein gebührenrechtlicher Nachteil entstehen. Denn ansonsten wären die Sozialgerichte gehalten, Termine ausschließlich zur Aufnahme von Anträgen oder zur Abgabe von Prozesserklärungen anzusetzen. Eine solche Verfahrensweise ist jedoch durch die Regelungen der Ziffer 3106 Nr. 1 bis 3 VV entbehrlich (Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 22. Juni 2005, Az: S 12 SF 23/05). Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien geht hervor, dass es zur Höhe der Terminsgebühr nicht darauf ankommt, ob in dem Termin Anträge gestellt werden oder ob die Sache erörtert wird (Bundestagsdrucksache 15/1971 Seite 208 bis 219).
Hiernach hatte die Erinnerung in erkanntem Umfange Erfolg.