Landgericht Stade
Urt. v. 04.07.2001, Az.: 4 O 288/01

Ankaufsangebot; Annahmepflicht; Fahrzeugrest; Gegenangebot; Internet; Kaufpreisvereinbarung; Kfz-Haftpflichtversicherung; Kfz-Unfall; Kraftfahrzeugsachverständiger; Kraftfahrzeugveräußerung; Restwertangebot; Restwertbörse; Restwerthöhe; Sachverständigengutachten; Schadensersatzanspruch; Schadensgeringhaltungspflicht; Schadensminderungspflicht; Scheinangebot; Unseriosität; Verkehrsunfall; Wiederbeschaffungswert; wirtschaftlicher Totalschaden

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
04.07.2001
Aktenzeichen
4 O 288/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40422
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Am Unfalltag befuhr der Kläger mit seinem Pkw die Hauptstraße in ... in Richtung ... Der Kläger musste auf Grund eines Abbiegevorganges des vorausfahrenden Fahrzeuges sein Fahrzeug anhalten. Als der Kläger mit seinem Fahrzeug wieder anfuhr, fuhr die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit dem von ihr gelenkten und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug auf das Fahrzeug des Klägers auf und beschädigte dieses in erheblichem Maße. Die Unfallverursachung durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten und damit die Haftpflicht der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

2

Der Kläger verbrachte sein Fahrzeug in beschädigtem Zustand zu einer Reparaturwerkstatt, wo er Stammkunde ist. Zur Feststellung des Schadensumfanges veranlasste der Kläger eine Begutachtung seines Fahrzeuges. Mit Gutachten vom 29.8.2001 ermittelte der Gutachter Reparaturkosten in Höhe von 26.708,81 DM brutto und einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 26.900,00 DM bei Berücksichtigung eines Restwertes in Höhe von 4.500,00 DM. Nach Erstellung de Gutachtens kam es zu einer Kontaktaufnahme zwischen dem Kläger und einem Sachbearbeiter der Beklagten. Im Rahmen des zwischen dem Kläger und dem Sachbearbeiter der Beklagten geführten Telefonats teilte der Kläger dem Sachbearbeiter mit, er habe bereits mit einer Firma ... in Bremerhaven wegen eines Ankaufes des Fahrzeuges zur Restwerthöhe verhandelt, da er auch dort ein neues Fahrzeug kaufen wolle. Der Mitarbeiter der Beklagten teilte dem Kläger im Rahmen dieses Telefonats mit, es liege ein Ankaufangebot der Fa. ... in Berlin vor, wonach diese für das beschädigte Fahrzeug des Klägers zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 21.210,00 DM bereit sei. Der Kläger, der die Fa. ... aus Berlin nicht kannte, akzeptierte das ihm vom Mitarbeiter der Beklagten mitgeteilte Angebot nicht und verkaufte das von der Versicherungsnehmerin der Beklagen beschädigte Fahrzeug zu einem Restwertbetrag in Höhe von 5.500,00 DM an die Fa. ... in Bremerhaven. Die Fa. ... war über ein Angebot im Internet im Rahmen einer sog. Restwertbörse auf das klägerische Fahrzeug aufmerksam geworden.

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Die Beklagte nahm daraufhin eine Abrechnung des Versicherungsschadens vor und hat dabei einen Restwert in Höhe von 21.210,00 DM berücksichtigt, was zu einer Auszahlung lediglich eines Betrages in Höhe von 5.690,00 DM an den Kläger führte.

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Der Kläger ist der Ansicht, er habe sich auf das von dem Mitarbeiter der Beklagten mitgeteilte und unseriöse Angebot der Fa. ... in Berlin nicht einlassen müssen, zumal der Angebotsbetrag über 500 % über dem vom Gutachter ermittelten Restwert liege. Der Kläger behauptet hierzu, die Fa. ... in Berlin sei tatsächlich nicht bereit gewesen, diesen Betrag an den Kläger zu zahlen, da ein derartiger Kaufvertrag wirtschaftlich völlig sinnlos sei. Der Kläger behauptet weiter, ihm sei von dem Mitarbeiter der Beklagten mitgeteilt worden, die Fa. ... in Berlin werde per Scheck bezahlen. Der Kläger meint, er habe sich auf dieses Angebot bereits deshalb nicht einlassen müssen, weil ihm das Risiko der Kaufpreisrealisierung bei einer Scheckzahlung nicht zugemutet werden könne. Er habe sich auf die Feststellungen des Gutachters verlassen dürfen und sei seinen Obliegenheitsverpflichtungen bereits deshalb überobligatorisch nachgekommen, weil er über den festgesetzten Restwert hinaus weitere 1.000,00 DM bei dem Weiterverkauf des beschädigten Fahrzeugs an die Fa. ... in Bremerhaven habe erzielen können.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.122,89 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2001 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte behauptet, bei dem Angebot der Fa. ... in Berlin über 21.210,00 DM habe es sich um ein reelles Restwertangebot gehandelt. Am 3.9.2001 gegen 10.40 Uhr habe der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten den Kläger angerufen und diesem mitgeteilt, dass für das beschädigte Fahrzeug etliche Kaufinteressenten vorhanden seien, die zur Zahlung eines fünfstelligen Betrages bereit seien. Dem Kläger sei weiter mitgeteilt worden, dass das Fahrzeug von der Fa. ... in Berlin kostenlos abgeholt und der Preis in Höhe von 21.210,00 DM sofort in bar bezahlt werde. Die Beklagte behauptet weiter, der Kläger sei im Rahmen dieses Telefongespräches ebenso darauf hingewiesen worden, dass er für den Fall der Nichtannahme des Restwertangebotes sich diesen Restwert bei der Schadensregulierung anrechnen lassen müsse. Der Kläger habe lediglich erklärt, er wolle auf das Angebot nicht eingehen und das Fahrzeug eigenhändig an eine von ihm zu bestimmende Person veräußern. Die Beklagte behauptet, die Fa. ... in Berlin hätte für den Fall der Annahme des Angebots durch den Kläger den im Internet angebotenen Betrag tatsächlich auch bezahlt. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, da er das Restwertangebot der Fa. ... in Berlin ohne nachvollziehbaren Grund ausgeschlagen habe.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen.

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Ausweislich des Beweisbeschlusses vom 14.2.2002 hat das Gericht Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die FA. ... in Berlin sei bereit gewesen, dem Kläger für dessen beschädigtes Fahrzeug der Marke Audi A 4 einen Betrag in Höhe von 21.210,00 DM tatsächlich zu zahlen. Die Beweiserhebung erfolgte durch Vernehmung des Zeugen ... Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Niederschrift des Sitzungsprotokolls vom 13. Juni 2002.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte weitere Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 3.9.2001 vorgenommene Abrechnung berücksichtigt zu Recht einen Restwert in Höhe von 21.210,00 DM. Der Kläger muss sich diesen Betrag anrechnen lassen, da er insoweit seiner Pflicht zur Schadensminderung nicht nachgekommen ist.

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Den Halter eines unfallbeschädigten Pkw trifft ein Mitverschuldensvorwurf, wenn er ein reelles Restwertangebot des Versicherers ohne nachvollziehbaren Grund unberücksichtigt lässt und auf diese Weise eine für den Versicherer günstigere Verwertung des beschädigten Fahrzeuges verhindert. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Mitarbeiter ... der Beklagten den Kläger im Rahmen eines Telefonates darauf hingewiesen hat, die Fa. ... aus Berlin biete für das beschädigte Fahrzeug des Klägers einen Betrag in Höhe von über 21.000,00 DM. Ebenso unstreitig ist, dass der Kläger auf dieses Angebot nicht näher eingegangen ist, sich vielmehr darauf berufen hat, das Angebot sei unsolide und vor diesem Hintergrund für ihn auch deshalb nicht akzeptabel, weil er die Fa. ... in Berlin nicht kenne. Die zunächst maßgebliche Frage war daher, ob das von der Fa. ... in Berlin abgegebene Angebot derart jenseits jeglicher Realität liegt, dass es vom Kläger sanktionslos und ohne Weiteres zurückgewiesen werden durfte. Voraussetzung für die Annahme eines Mitverschuldensvorwurfes ist zumindest ein noch als „reell“ zu bezeichnendes und ernst gemeintes Angebot des Restverwerters. Auch wenn das Angebot den vom Gutachter ermittelten Restwert um ein Vielfaches übersteigt, war dem Kläger zuzumuten, zunächst weitere Maßnahmen zur näheren Aufklärung des Restwertangebotes oder zur Sicherung seines Kaufpreisanspruches zu ergreifen. Es hätte dem Kläger ohne Weiteres freigestanden, zunächst weitere Bestätigungen durch die Fa. ... in Berlin selbst zu verlangen oder gegebenenfalls eine Zusicherung der Beklagten einzuholen, sie stehe für dieses Ankaufsangebot ein. Dem Kläger wäre weiter zumutbar gewesen, darauf zu bestehen, das Auto lediglich bei Barzahlung nebst Kraftfahrzeugpapieren auszuliefern oder den Eingang eines Scheckbetrages im Falle der Scheckzahlung abzuwarten.

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Lediglich dann, wenn der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen hätte, mit der Eingehung auf das Restwertangebotes der Fa. ... gehe eine konkrete Unterstützungshandlung strafbaren oder sittenwidrigen Verhaltens einher, hätte dem Kläger eine folgenlose sofortige Ablehnung des von der Beklagten mitgeteilten Angebotes der Fa. ... zugestanden. Derartige konkrete Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen.

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Im Ergebnis ist ein Mitverschuldensvorwurf zu Lasten des Klägers sodann nur dann ausgeschlossen, wenn das von der Beklagten mitgeteilte Angebot der Fa. ... in Berlin von vornherein nur als Scheinangebot zu verstehen war und die Fa. ... tatsächlich diesen Betrag niemals zu zahlen bereit gewesen wäre. In einem derartigen Falle bliebe kein Raum für die Annahme eines Mitverschuldens, auch wenn sich dem Kläger der Umstand, ob es sich um ein Scheinangebot gehandelt hat oder nicht, zu dem Zeitpunkt der Ablehnung des Angebotes verschlossen hat. In diesem Falle fehlt es an einer Ursächlichkeit zwischen dem schuldhaften Verhalten des Geschädigten und dem eingetretenen Schaden. Die Beklagte könnte sich in diesem Falle nicht darauf berufen, der Kläger habe durch sein schuldhaftes Verhalten eine höhere Restverwertung des Kraftfahrzeuges verhindert, denn diese höhere Restverwertung wäre auch bei Annahme des Angebotes durch den Kläger dann tatsächlich nicht zu erzielen gewesen.

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Über die zwischen den Parteien streitige Behauptung, die Fa. ... in Berlin hätte den angebotenen Betrag ohnehin nie bezahlt, verhält sich die im Rahmen der öffentlichen Sitzung vom 13. Juni 2002 durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen F.

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Der Zeuge F. ist Inhaber der Fa. ... in Berlin. Der Zeuge F. hat bekundet, es sei richtig, dass er ein Angebot für das Fahrzeug über 21.210,00 DM abgegeben habe. Ihm sei bekannt gewesen, dass das Auto beschädigt war. Bevor er ein Angebot abgebe, sehe er sich mindestens die Fotos an, regelmäßig auch das Gutachten und den dort festgelegten Wiederbeschaffungswert.

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Auf den konkreten Vorgang angesprochen bekundete der Zeuge F., er könne nicht mehr sagen, ob es sich bei dem Angebot um einen Fehler gehandelt habe. Wäre das Angebot angenommen, wäre - so die Bekundung des Zeuge F. - der Angebotsbetrag auch bezahlt worden. Der Zeuge F. hat hierzu weiter ausgesagt, ihm sei das Risiko, in Einzelfällen hierdurch auch einen Verlust zu erleiden, bekannt. Für den konkreten Fall könne er froh sein, dass das Angebot nicht angenommen worden sei.

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Der Zeuge hat weiter erklärt, er gebe täglich rund 50 Angebote ab und könne nicht ausschließen, dass ihm im konkreten Fall ein Kalkulationsfehler unterlaufen sei. Der Zeuge erklärt die erhebliche Abweichung zwischen Angebot und durch Gutachten ermittelten Restwert damit, dass er die Fahrzeuge in das Ausland weiter veräußere, wo die Kalkulation offenbar eine andere sei. Er wisse nicht, wie die dortigen Käufer kalkulieren, womöglich seien die Reparaturkosten dort niedriger. Mit der Beklagten arbeite er nicht in besonderem Maße zusammen, vielmehr so, wie er dieses im Rahmen des Ankaufs von Kraftfahrzeugen aus der Restwertbörse auch mit anderen Versicherungsunternehmen tue.

20

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Zeuge F. entweder bei der Formulierung seines Angebotes einen Kalkulationsfehler begangen oder tatsächlich den weit überhöhten Betrag für das klägerische Fahrzeug geboten. Eine endgültige Klärung dessen ergibt sich auch nicht aus den Bekundungen des Zeugen F. Aus diesen Bekundungen ergibt sich jedoch, dass der Angebotsbetrag im Falle der Annahme durch den Kläger bezahlt worden wäre unabhängig davon, ob sich der dadurch geschlossene Kaufvertrag für die Fa. ... in Berlin als wirtschaftlich sinnvoll oder nicht darstellt. Der Zeuge F. hat eindeutig bekundet, im Falle der Annahme des Angebotes wäre es zur Zahlung des Angebotsbetrages ohne weiteres gekommen, auch wenn hiermit ein Verlust einhergegangen wäre.

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Die Aussage des Zeugen F. bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser wahrheitswidrig ausgesagt hat. Der Zeuge F. hat seine Erinnerungen in sich widerspruchsfrei geschildert. Er hat nicht den Eindruck hinterlassen, als wolle er der einen oder anderen Partei zu einem positiven Ausgang des Rechtsstreits verhelfen. Auch hat der Zeuge nicht den Eindruck hinterlassen, seine eigene Geschäftspraxis gebiete ihm eine Aussage bestimmten Inhaltes. Vielmehr hat der Zeuge nachvollziehbar geschildert, bei Unfallfahrzeugverkäufen ins Ausland sei die Kalkulationsgrundlage eine grundlegend andere, womit er im Wesentlichen ausgesagt hat, der tatsächliche Restwert des Kraftfahrzeuges spiele für diesen Weiterverkauf nur eine völlig untergeordnete Rolle.

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Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht keinen Anhaltspunkt dafür zu erkennen, der den Kläger vom Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung oder vom Vorwurf eines Mitverschuldens befreit, zumal der Kläger jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, eine Auslieferung des Fahrzeugs von einer Barzahlung bei ihm zu Hause abhängig zu machen und keine Umstände vorgetragen wurden, die es aus anderen Gründen für den Kläger als unzumutbar erscheinen lassen, bei einer derartigen Geschäftspraxis der Fa. ... in Berlin mitzuwirken.

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Die Klage war danach abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO n. F.