Landgericht Stade
Urt. v. 22.12.1998, Az.: 3 O 83/98 ER

Verdienstausfall und immaterieller Schaden bei Haft zur Vorbereitung der Abschiebung; Entschädigungsumfang nach Inhaftierungen

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
22.12.1998
Aktenzeichen
3 O 83/98 ER
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 29569
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGSTADE:1998:1222.3O83.98ER.0A

Fundstellen

  • NVwZ 1999, 39-40
  • NVwZ (Beilage) 1999, 39-40 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Forderung

In dem Rechtsstreit
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung vom 01. Dezember 1998
durch die Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.592,00 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 03. März 1998 zu zahlen. Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7.400,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Verdienstausfall und immateriellen Schaden eines Mandanten des Klägers nach einer Inhaftierung. Der srilankische Staatsangehörige ... saß vom 29. Juli bis 04. August 1997 in Haft. Der Beklagte hatte beim Amtsgericht ... die Verhängung von Vorbereitungshaft gemäß § 57 Abs. 1 AuslG beantragt und das Amtsgericht ... hat dem Antrag durch Beschlüsse vom 24. und 30. Juli 1997 stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde seitens des Klägers hin hat das Landgericht am 04. August 1997 durch Beschluss die Beschlüsse des Amtsgerichts aufgehoben, den ersten Beschluss wegen fehlender Anhörung des Inhaftierten, den zweiten Beschluss wegen Unmöglichkeit der nachträglichen Heilung dieses Verfahrensfehlers. Weiterhin hat das Landgericht den Antrag des Beklagten auf Vorbereitungshaft abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 AuslG nicht vorlagen.

2

Der Kläger ließ sich die Ansprüche seines Mandanten abtreten (Abtretungserklärungen vom 07. August 1997, Bl. 20 d.A., und vom 27. April 1998, Bl. 31 d.A.).

3

Der Kläger trägt vor, der Verdienstausfall seines Mandanten habe für die Haftzeit insgesamt 592,00 DM betragen. Er ist der Ansicht, der immaterielle Schaden betrage mindestens 6.000,00 DM. In der Beantragung und dem Vollzug der Haft liege eine Amtspflichtsverletzung des Beklagten.

4

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 6.000,00 DM, sowie weitere 592,00 DM nebst 5,97 % Zinsen auf 5.592,00 DM ab dem 03. März 1998 und 5,97 % Zinsen auf weitere mindestens 1.000,00 DM ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte ist der Ansicht, die Haft sei notwendig gewesen, da der klägerische Mandant nicht zur Ausreise bereit gewesen sei. Das ergebe sich auch aus seinem späteren Verhalten. Auch wenn der Haftantrag unbegründet gewesen sei, liege darin keine Amtspflichtsverletzung. Es seien keine Entschädigungsansprüche gegeben, da das Landgericht im Verfahren abschließenden Beschluss hierüber keine Entscheidung getroffen habe. Schuldner eines evtl. Anspruches könne nur das Land für eine möglicherweise falsche Entscheidung des Amtsgerichts sein. Eine Haftung sei schließlich gemäß § 7 Preußisches Staatshaftungsgesetz ausgeschlossen.

7

Das Gericht hat den prozessleitend geladenen Zeugen ... zur Höhe des Verdienstausfalles vernommen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 01. Dezember 1998 Bezug genommen.

Gründe

8

Die Klage ist zulässig und begründet.

9

Für Ansprüche aus Amtspflichtsverletzungen ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Die Zuständigkeit folgt aus § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG i.V.m. § 32 ZPO.

10

Dem Kläger steht aus abgetretenem Recht gemäß § 398 BGB i.V.m. Art. 5. Abs. 5 MRK ein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten in dem erkannten Umfang zu.

11

Der Kläger hat die Abtretung durch die Urkunden vom 07. August 1997 und 27. April 1998 nachgewiesen. Die Unterzeichnung der Urkunde ist nicht bestritten worden. Wenn der klägerische Mandant die unterzeichneten Erklärungen mangels Sprachkenntnisse nicht verstanden hat, steht dieser Umstand der Wirksamkeit nicht entgegen, da er dann mit Wissen und Wollen eine von ihm nicht nachgeprüfte Erklärung unterschrieben hätte (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 119 Rz. 9).

12

Der Haftantrag und die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts erfolgte entgegen den Voraussetzungen des § 57 AuslG. Hierauf hat bereits das Landgericht Stade im Beschwerdeverfahren 9 T 238/97 hingewiesen. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten war der klägerische Mandant vollziehbar ausreisepflichtig. Die Vorbereitungshaft nach § 57 Abs. 1 AuslG setzt jedoch voraus, dass die Ausweisung von der Ausländerbehörde noch nicht angeordnet, aber nach Lage der Dinge zu erwarten ist. Auch die Voraussetzungen für ein Antrag auf Sicherungshaft gemäß § 57 Abs. 2 AuslG waren zu diesem Zeitpunkt nach dem Vortrag des Beklagten noch nicht gegeben.

13

Unabhängig von einem Haftungsausschluss durch § 7 Preußisches Staatshaftungsgesetz bzgl. der geltend gemachten Ansprüche aus § 839 BGB greift dieser nicht gegen Art. 5 MRK durch, da das MRK als Bundesrecht einem Landesgesetzvorgreiflich ist. Nach dieser Vorschrift steht jedem Schadensersatz zu, der nicht rechtmäßig in Haft genommen oder gehalten wird. Diese Regelung gilt auch für Haft zur Vorbereitung der Abschiebung, denn jede Freiheitsentziehung, die gegen nationales Rechts verstößt, beinhaltet auch einen Verstoß gegen Art. 5 MRK (vgl. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg StPO, 24. Aufl., Art. 5 MRK Rz. 22, 130 f.). Diese Haftung setzt kein Verschulden voraus, sondern ist als Gefährdungshaftung begründet. Ein derartiger Anspruch richtet sich nicht nur gegen die rechtsprechende Gewalt infolge des die Haft anordnenden Beschlusses, sondern auch gegen die hoheitlich handelnden Organe, die ohne Rechtsgrund die Haftanordnung beantragen und nach der Beschlussfassung eigenverantwortlich die Haft veranlassen. Hier kann der fehlerhafte Antrag auch nicht - hinweggedacht werden, ohne dass auch der Schaden entfällt. Der Zusammenhang zum Schadenseintritt ist auch adäquat, denn die antragsgemäße Entscheidung vom Amtsgericht lag nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit.

14

Der Kläger hat weiter durch die glaubhaften Bekundungen des Zeugen ... den Nachweis geführt, dass seinem Mandanten durch die Haft ein Verdienstausfall in Höhe von 592,00 DM entstanden ist. Das Gericht hat keinen Zweifel, dass der Zedent ohne Haft in diesem Umfang gearbeitet hätte.

15

Dem klägerischen Mandanten ist auch ein immaterieller Schaden entstanden. Art. 5 MRK beschränkt sich nicht auf materielle Schäden (vgl. BGHZ 122, Seite 268). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine amtlich durchgeführte, überraschende Abschiebung im Verhältnis zur freiwilligen Ausreise eine erhebliche Verschlechterung für ihn darstellte und die Inhaftierung bei den unstreitigen Verständigungsschwierigkeiten eine erhebliche Belastung bewirkt hat. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Entschädigungsumfang nach Inhaftierungen hält das Gericht in Anbetracht der Dauer der Haft nunmehr vorliegend einen Betrag in Höhe von 5.000,00 DM für angemessen. Im Gegensatz zu einzelnen Fällen der heranzuziehenden Rechtsprechung enthielt die Inhaftierung als solche keine die persönliche Würde diskriminierenden Aspekte.

16

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, 286 ZPO. Einen höheren Verzugsschaden hat der Kläger nicht nachgewiesen.

17

Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.

LNRL 1998, 29569

Streitwertbeschluss:

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7.400,00 DM vorläufig vollstreckbar.