Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 24.02.2021, Az.: 903 IN 366/20

Maßgeblichkeit des Betrags der Gläubigerforderung i.R.d. Streitwertfestsetzung

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
24.02.2021
Aktenzeichen
903 IN 366/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 58776
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Akten werden dem Landgericht Hannover zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt.

Gründe

Die Nichtabhilfeentscheidung beruht auf 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 GKG. Die Beschwerdebegründung rechtfertigt eine andere Streitwertfestsetzung nicht.

I. Die als "sofortige Beschwerde" bezeichnete anwaltliche Eingabe des Beschwerdeführers vom 11.01.2021 ist als Beschwerde gegen die im Beschluss vom 23.12.2020 enthaltene Entscheidung zur Streitwertfestsetzung zu behandeln. Zwar hat der Beschwerdeführer seine "sofortige Beschwerde" in der Beschwerdeschrift ausdrücklich "gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss vom 23.12.2020" gerichtet. Da in der Beschwerdebegründung indes allein die Streitwertfestsetzung angegriffen wird, hat das Gericht diesbezüglich Nachfrage gehalten und der Beschwerdeführer mit weiterem anwaltlichen Schriftsatz vom 15.02.2021 klargestellt, dass Gegenstand seines Rechtsmittels allein die Festsetzung des Streitwertes sein soll, nicht die ihm gegenüber erfolgte Auferlegung der Kosten des erledigten Insolvenzantragsverfahrens.

II. Die Streitwertbeschwerde ist gem. § 68 GKG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und die Mindestbeschwer des § 68 Abs. 1 S. 1 GKG erreicht. Das Beschwerdevorbringen, das Gericht habe den Streitwert in falscher Höhe festgesetzt, stellt auch eine statthafte Einwendung dar (vgl. nur Laube in: BeckOK KostR, 32. Ed. 01.01.2021, GKG § 68 Rn. 91).

III. In der Sache ist der Beschwerde indes nicht zu folgen. Der Gebührenstreitwert ist nicht nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens festzusetzen, sondern - wie durch den teilangefochtenen Beschluss geschehen - nach dem Betrag der Forderung, die der Antragsteller seinem (beiderseits für erledigt erklärten) Fremdantrag gem. §§ 13, 14 InsO zugrunde gelegt hatte.

1. Die Gebühren für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 GKG nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens erhoben. Ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens - wie vorliegend - von einem Gläubiger gestellt, sieht § 58 Abs. 2 GKG eine Sonderregelung vor: Hiernach wird die Gebühr für das Verfahren über den Antrag im Grundsatz nach dem Betrag seiner Forderung, wenn jedoch der Wert der Insolvenzmasse geringer ist, nach diesem Wert erhoben. Letztere Rückausnahme erfordert einen Wertvergleich zwischen dem Betrag der Gläubigerforderung einerseits und dem Betrag der nach § 58 Abs. 1 GKG errechneten Insolvenzmasse andererseits (vgl. Hefermehl in: Münchener Kommentar z. InsO, 4. Aufl. 2019, § 54 Rn. 10).

2. Von diesen kostenrechtlichen Grundsätzen geht auch der Beschwerdeführer zutreffend aus. Entgegen seiner Ansicht vermag die Rückausnahme in § 58 Abs. 2 GKG vorliegend aber nicht zu greifen mit der (von ihm erwünschten) Folge, dass mangels Feststellungen zur potentiellen Insolvenzmasse der Streitwert lediglich nach dem Mindestbetrag von € 500,- festzusetzen wäre (vgl. Anlage 2 zu § 34 Abs. 1 S. 3 GKG), was zum Ansatz allein der Mindestgebühr der Nr. 2311 KV GKG führte.

a) Fehlt es an gerichtlichen Erkenntnissen zu einem geringeren Wert der aktiven Insolvenzmasse, der in die gem. § 58 Abs. 2 GKG erforderliche Vergleichsbetrachtung einzubeziehen ist, hat dies nicht zur Konsequenz, dass diese Vorschrift insgesamt unanwendbar würde. Vielmehr verbleibt es dann bei der Maßgeblichkeit des Betrags der antragsgegenständlichen Gläubigerforderung und dem Vorrang des § 58 Abs. 2 gegenüber Abs. 1 (vgl. Sengl in: BeckOK KostenR, 32 Ed. 01.01.2021, GKG § 58 Rn. 12; Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 4. Aufl. 2019, GKG § 58 Rn. 2 f.; im Grundsatz ebenso LG Mainz, Beschl. v. 27.11.1985, 8 T 201/85; LG Krefeld, Beschl. v. 04.05.1983, 6a T 14/83; aA Volpert/Janssen in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, GKG § 58 Rn. 9). An einem Wert der Insolvenzmasse im Sinne von § 58 Abs. 1 GKG kann es fehlen, wenn der Insolvenzantrag zurückgenommen oder für erledigt erklärt wird und dem Gericht keine Erkenntnisse zum Vermögen des Antragsgegners vorliegen. Das Gericht ist nicht gemäß § 5 InsO verpflichtet, nach Rücknahme oder Erledigung des Insolvenzantrags amtswegige Ermittlungen zum Umfang der "Ist-Masse" anzustellen, um den "richtigen" Streitwert festzusetzen (vgl. zu § 1 Abs. 1 S. 2 InsVVBGH, Beschl. v. 09.06.2005, IX ZB 284/03, Rn. 7 - juris).

Entsprechende Erkenntnisse des hiesigen Gerichts zur potentiellen Insolvenzmasse bestehen nicht. Der Antragssteller hat diesbezüglich keine Informationen in seiner Insolvenzantragsschrift mitgeteilt. Das Gericht hat ihm Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungstätigkeit gem. § 5 InsO ebenso wenig Erkenntnisse gewinnen können. Dies hat seinen Grund im obstruktiven Verhalten des Beschwerdeführers. Er ist während der ca. dreimonatigen Dauer des Insolvenzantragsverfahrens zu keiner Zeit seinen verfahrensrechtlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten aus den §§ 20, 97 InsO nachgekommen. Im Gegenteil hat er durch seine Angabe, erkrankt zu sein, um mehrwöchige Fristverlängerungen zur schriftlichen Reaktion gebeten und das Verfahren zu verschleppen versucht. Ein aussagekräftiges ärztliches Attest hat er nicht eingereicht. Im vorgelegten Attest vom 19.10.2020 heißt es lediglich, hausärztlich sei zu bestätigen, dass der Beschwerdeführer "schwer erkrankt und zur Zeit deswegen nicht verhandlungsfähig" sei. Auf Hinweis und Aufforderung des Gerichts sind ergänzende Angaben zu Anamnese, Diagnose und Therapie nicht vorgebracht worden. Auch mit dem vom Gericht zu Ermittlungszwecken zunächst bestellten Sachverständigen hat der Beschwerdeführer nicht kooperiert und hierfür als Begründung abermals seine angebliche Erkrankung genannt. Nach Bestellung des gerichtlichen Sachverständigen (auch) zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter hat der Beschwerdeführer zwar weiterhin weder mit diesem noch dem Gericht, dafür aber mit der Antragstellerin Kontakt aufgenommen und letztlich über eine angebliche Drittmittelzahlung in Höhe von € 370.000,- die Erledigung des Insolvenzeröffnungsantrags herbeigeführt. Die Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers sind dem Gericht vor diesem Hintergrund bis zuletzt verschlossen geblieben.

Nichts anderes zur Insolvenzmasse im Sinne von § 58 Abs. 2 GKG ergibt sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers daraus, dass das Gericht im angefochtenen Beschluss vom 23.12.2020 hinsichtlich der Kostengrundentscheidung ausgeführt hat, der zulässig erscheinende Insolvenzeröffnungsantrag hätte ohne die beiderseitige Erledigungserklärung voraussichtlich Erfolg gehabt, weil der Beschwerdeführer der antragsgegenständlichen Forderung nicht entgegengetreten ist und seiner eigenen Angabe nach vermögenslos sei, mithin der Insolvenzeröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit anzunehmen und der Antrag folglich begründet gewesen wäre. Damit hat das Gericht weder die Vermögenslosigkeit des Beschwerdeführers festgestellt noch sich die Angabe sonst bindend zu eigen gemacht, sondern sein ihm selbst nachteiliges Vorbringen im Rahmen der nach § 4 InsO iVm § 91a Abs. 1 ZPO zu treffenden Kostenentscheidung verwertet.

b) Der Mangel an gerichtlichen Erkenntnissen zum Wert der potentiellen Insolvenzmasse kann nach den Umständen dieses Falles nicht über eine gerichtliche Schätzung behoben werden.

Allerdings hat das Gericht auf Grundlage der ihm bis zur Verfahrensbeendigung vorliegenden Erkenntnisse eine Schätzung des Wertes der (potentiellen) Insolvenzmasse vorzunehmen (vgl. AG Osnabrück, Beschl. v. 05.08.2013, 60 IN 17/12 Rn. 7 - juris; AG Göttingen, Beschl. v. 03.03.1992, 71 N 48/90; Sengl in: BeckOK KostenR, 32. Ed. 01.01.2021, GKG § 58 Rn. 5; zu § 1 Abs. 1 S. 2 InsVV BGH, aaO, Rn. 8 - juris; ebenso, aber (zu) streng hinsichtlich des Schätzungsmaßstabs LG Mainz, Beschl. v. 27.11.1985, 8 T 201/85; LG Krefeld, Beschl. v. 04.05.1983, 6a T 14/83). Der Schätzwert kann in den Wertvergleich nach § 58 Abs. 2 GKG eingestellt werden. Ob die Schätzung ihre Grundlage in §§ 4 InsO, 287 ZPO oder §§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3 ZPO analog findet, kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Vorliegend fehlt es an einer ausreichenden Schätzgrundlage als Voraussetzung für eine schätzweise Ermittlung der potentiellen Insolvenzmasse. Dem Gericht ist zu den Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers - wie oben ausgeführt - nichts bekannt.

c) Eine dem Beschwerdeführer günstige Festsetzung ist schließlich nicht aus anderen, insbesondere Billigkeitsgründen angezeigt.

In der Instanzrechtsprechung wird zwar vertreten, dass (zugunsten des Gläubigers) nur die Mindestgebühr gem. Nr. 2311 KV GKG zu erheben und kein höherer Streitwert festzusetzen sei, wenn die Beendigung des Insolvenzantragsverfahrens noch vor Zulassung des Insolvenzeröffnungsantrags durch das Insolvenzgericht erfolgt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem einerseits mangels Anhörung des Schuldners keinerlei Angaben zur potentiellen Insolvenzmasse vorliegen und keine Grundlage für eine Schätzung vorhanden ist, andererseits das Gericht aber auch keinen nennenswerten Aufwand gehabt hat (vgl. LG Frankenthal, Beschl. v. 09.03.2009, 1 T 54/09, Rn. 9 - juris). Diese Rechtsprechung ist, so denn man ihr überhaupt folgen wollte, auf den hiesigen, völlig anders gelagerten Sachverhalt nicht zu übertragen. Dies schon deswegen nicht, weil die Verfahrensbeendigung hier nicht in dem frühest denkbaren Zeitpunkt noch vor Antragszulassung erfolgte, sondern nach mehrmonatigen Ermittlungsversuchen des Gerichts.

Im Gegenteil: Der Gedanke der Billigkeit spricht dagegen, es einem Insolvenzantragsgegner im Rahmen der Streitwertfestsetzung nach § 58 GKG zu seinem Vorteil gereichen zu lassen, dass er durch sein obstruktives und nach §§ 20, 97 InsO rechtswidriges Verhalten Feststellungen des Gerichts zur potentiellen Insolvenzmasse erfolgreich vereitelt hat (ähnlich AG Osnabrück, Beschl. v. 05.08.2013, 60 IN 17/12 Rn. 7 - juris). Keinesfalls ist es in einer solchen Lage gerechtfertigt, sich von den beiden gesetzlichen Anknüpfungspunkten für die Wertbemessung (Insolvenzmasse / Forderungsbetrag) zu lösen und stattdessen einfach nur die gesetzliche Mindestgebühr zu erheben. Allein diese Sichtweise wird der Aufgabe der Wertvorschrift des § 58 GKG gerecht, das durch das jeweilige gerichtliche Verfahren betroffene und für die Gebührenberechnung maßgebende wirtschaftliche Interesse festzulegen (vgl. dazu OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.08.2020, 5 W 421/20, Rn. 20 - juris).

IV. Es verbleibt auch bei der konkreten Höhe der Festsetzung, nämlich den € 537.452,57. Grundlage zur Höhe der Festsetzung nach § 58 Abs. 2 GKG ist der Betrag der vom Gläubiger angemeldeten, nicht zwingend ihm auch zustehenden Forderung, wobei Nebenforderungen nicht berücksichtigt werden, wie aus § 43 GKG folgt (vgl. Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 4. Aufl. 2019, GKG § 58 Rn. 3). Der Antragsteller hat vorliegend Steuerforderungen in Höhe von € 302.637,07 und Säumniszuschläge in Höhe von € 234.815,50 seinem Insolvenzeröffnungsantrag zugrunde gelegt; daraus ergibt sich die oben genannte und anzusetzende Summe.

Säumniszuschläge gem. § 240 AO stellen kostenrechtlich keine unberücksichtigt zu lassenden Nebenforderungen im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG dar. Für Säumniszuschläge für Beiträge in der gesetzlichen Unfallversicherung gem. § 24 SGB IV ist höchstrichterlich anerkannt, dass sie weder "Früchte", "Nutzungen", "Zinsen" noch "Kosten" im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG darstellen und diese Vorschrift auch nicht analog auf derartige Säumniszuschläge anzuwenden ist (vgl. BSG, Beschl. v. 10.06.2010, B 2 U 4/10 B, Rn. 16 ff. - juris); dies folgt nach besagter Rechtsprechung daraus, dass Säumniszuschläge dazu dienen, den Trägern der Sozialversicherung einen gesetzlich standardisierten Mindestschadensausgleich zu gewähren und auf den Schuldner Druck auszuüben, damit er die Beiträge bezahlt. Säumniszuschläge gem. § 240 AO, die steuerliche Nebenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 4 Nr. 5 AO darstellen und damit zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gem. § 37 Abs. 1 AO zählen, ist derselbe Normzweck beigelegt (vgl. nur BFH, Urt. v. 29.08.1991, V R 78/86, Rn. 25 - juris; Rüsken in: Klein, AO, 15. Aufl. 2020, AO § 240 Rn. 1). Für sie kann kostenrechtlich folglich nichts anderes gelten (vgl. auch BFH, Beschl. v. 07.03.2016, VII E 1/16, Rn. 8 - juris).

Dr. Kramer Richter am Amtsgericht