Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.09.2014, Az.: 6 C 10/14
Beweismittel; Neu; Wiederaufnahme; Wiederaufnahmeverfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 19.09.2014
- Aktenzeichen
- 6 C 10/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 42537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 Nr 2 VwVfG
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie zum Studiengang „Bachelor Lehramt Haupt- und Realschule, Teilstudiengang Deutsch“, zum 1. Semester 2014/2015 zuzulassen.
Die Antragstellerin hatte sich bereits zum Wintersemester 2013/2014 beworben.
Im Zulassungsverfahren erreichte sie 16 Punkte. Mit Bescheid vom 9. September 2013 teilte die Antragsgegnerin ihr mit, dass sie nicht zum Studium zugelassen werde.
Dagegen hat die Klägerin am 2. Oktober 2013 Klage erhoben ( 6 A 198/13), die sie nach Einsicht in die Unterlagen zur Kapazitätsberechnung zurück nahm.
Mit Schreiben vom 27. Juni 2014 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Aufhebung des Bescheides vom 9. September 2013 und ihre Zulassung zum Studium nunmehr zum Wintersemester 2014/15. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens lägen vor, denn sie habe nunmehr durch eine Mail der Universität Kenntnis davon erlangt, dass sie in dem gestuften Verfahren mit 16 Punkten zum Studienfähigkeitstest und Auswahlgespräch hätte eingeladen werden müssen. Aus den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen sei dies nicht ersichtlich gewesen. Bei einer Zulassung zum Test hätte sie voraussichtlich einen Studienplatz erhalten, da sie im diesjährigen Auswahltest allein 9 Punkte erhalten habe.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2014 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Wiederaufnahme ab und erklärte, es lägen keine neuen Beweismittel vor. Sie habe keineswegs alle Bewerber, die 16 Punkte erreicht hätten, zum Studierfähigkeitstest eingeladen, sondern nur eine Auswahl, zu der die Antragstellerin aber nicht gehört habe. Die Hochschule habe die Vorgabe zur Einladung einer bestimmten Anzahl von Bewerbern eingehalten.
Am 25. Juli 2014 hat sich die Antragstellerin mit einer Klage (6 A 330/14), über die noch nicht entschieden ist, und am 29. August 2014 mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das Gericht gewandt.
Die Antragstellerin hat sich für den gleichen Studiengang für das Wintersemester 2014/2015 erneut innerhalb und außerhalb der Kapazität beworben, wurde zum Studierfähigkeitstest und dem Auswahlgespräch eingeladen, erhielt aber – vorbehaltlich des Nachrückverfahrens – keinen Studienplatz.
Die Antragstellerin trägt vor: Es sei ein Wiederaufnahmegrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG gegeben, da ein neues Beweismittel vorliege. Sie habe ohne Verschulden erst am 19. Juni 2014 davon Kenntnis erlangt, dass noch Bewerber mit 16 Punkten zu den Tests eingeladen worden seien. Angesichts ihres diesjährigen Abschneidens sei davon auszugehen, dass sie in den Tests weitere Punkte erlangt hätten, die zu ihrer Zulassung geführt hätten. Sie hätte nach § 11 Abs. 4 Nds. Hochschul-Vergabeordnung eingeladen werden müssen, denn diese Regelung sehe vor, dass bei Ranggleichheit sämtliche Bewerber, die der letzten Rangfolge angehörten, zur Teilnahme zuzulassen seien.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie zum Studium im Studiengang „Bachelor Lehramt Haupt- und Realschule, Teilstudiengang Deutsch, zum 1. Semester 2014/2015, hilfsweise zum 3. Semester in diesem Studiengang, zuzulassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor: Eine Wiederaufnahme des abgeschlossenen Vergabeverfahrens für das Wintersemester 2013/14 sei nicht möglich. Die Antragstellerin habe zudem ihre Unkenntnis zu vertreten, da sie im damaligen Verfahren versäumt habe, Einsicht in die Auswahllisten zu nehmen. Zudem sei der Antrag auch nicht begründet, denn sie habe – abweichend von der Regelung des § 5 Abs. 4 Satz 1 Nds. Hochschulzulassungsgesetz – viermal so viele Bewerber eingeladen, wie Plätze zur Verfügung gestanden hätten. Der konkrete Rangplatz werde bei gleichen Punkten durch das EDV-System ausgelost. Auch bei einer Einladung an die Antragstellerin wäre ihr ein Studienplatz nicht sichergewesen, da sie sich von Rangplatz 443 auf Rangplatz 294 hätte verbessern müssen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen notwendig erscheint. Voraussetzung dafür ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn ihr steht aus dem allein geltend gemachten Anspruch auf Wiederaufnahme des Bewerbungsverfahrens zum Wintersemester 2013/14 kein Anspruch auf Zulassung zum begehrten Studiengang zu. Nicht Streitgegenstand ist hingegen das aktuelle Zulassungsverfahren, das die Antragsgegnerin noch nicht abschließend entschieden hat.
Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.
Die Aufzählung der Wiederaufnahmegründe in § 51 Abs. 1 VwVfG ist abschließend. Die Behörde und ebenso ein später zur Nachprüfung der Behördenentscheidung angerufenes Gericht haben den Wiederaufnahmeantrag nur auf die geltend gemachten Gründe hin zu überprüfen und dürfen andere als die geltend gemachten Gründe nicht berücksichtigen (vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 51 Rn. 24 m.w.N.).
Die Antragstellerin beruft sich ausschließlich darauf, dass ein neues Beweismittel vorliege, weil sie ohne Verschulden im ersten Verfahren davon keine Kenntnis gehabt habe, dass mit ihr gleichrangige Bewerber mit 16 Punkten zum Studierfähigkeitstest eingeladen worden seien.
Neu sind Beweismittel, wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht existent waren oder wenn sie vor Erlass des Verwaltungsakts bereits vorhanden waren, von dem Betroffenen ohne grobes Verschulden nicht oder nicht rechtzeitig in das Verwaltungsverfahren eingebracht werden konnten (vgl. BVerwG; Urteil vom 21. April 1982 - BVerwG 8 C 75.80 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11).
Es liegen keine neuen Beweismittel i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor. Zwar ist ein Beweismittel im Sinne der Vorschrift nicht nur dann neu, wenn es erst nach Erlass des Erstbescheids entstanden ist, denn neue Beweismittel sind gerade keine neuen Tatsachen, die im Fall des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegen müssen. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG knüpft vielmehr regelmäßig auch an alte Tatsachen an, die im Zeitpunkt des Erstbescheids vorlagen, aber nicht verwertet worden sind (VG Berlin, Urteil vom 1. Juli 1999 – 29 A 159.95 –, ZOV 2000, 126 = juris Rdnr. 29; bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2000 – 8 B 352.99 –, Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 42 = juris, und BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2000 – 1 BvR 1080/00 –, n.v.). Das ist hier aber gerade nicht der Fall, denn selbst wenn die Tatsachen der Antragstellerin nicht bekannt waren, waren sie es jedenfalls der Behörde, die bereits im Verfahren 6 A 198/13 beklagt war. Dass die Einladung auch von Bewerbern mit 16 Punkten nicht angesprochen wurde, heißt nicht, dass die Tatsachen nicht verwertet wurden, sondern nur, dass ihnen von der Behörde nicht die nunmehr von der Antragstellerin angenommene Bedeutung zugemessen wurde.
Ausdrücklich verlangt § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, dass die neuen Beweismittel „eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden“. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Prüfung, ob neue Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorliegen, von den für den bestandskräftig gewordenen Bescheid maßgeblichen Rechtsgründen auszugehen und nicht unabhängig davon zu entscheiden, ob das neue Vorbringen den geltend gemachten Anspruch begründen kann; denn "neu" im Sinne der genannten Vorschrift sind nur solche Beweismittel, die im Rahmen der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung zu einer günstigeren Entscheidung geführt hätten, sich also nicht darin erschöpfen, der rechtlichen Bewertung des ursprünglichen Bescheids zu widersprechen. Es ist davon auszugehen, dass derjenige, der einen Verwaltungsakt bestandskräftig werden lässt, sich mit der zugrunde liegenden Rechtsansicht abfindet. Andernfalls muss er die von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe einlegen. Unterlässt er das, kann er nicht nachträglich eine Änderung der Entscheidung unter Hinweis auf neue Beweismittel beanspruchen, die nur im Lichte einer geänderten Rechtsansicht entscheidungserheblich sind (Beschlüsse vom 3. Mai 2000 - BVerwG 8 B 352.99 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 42 und vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 7 B 336.97 - Buchholz 428.5 § 6 GVO Nr. 1 = VIZ 1998, 86 f.; Urteile vom 28. Juli 1989 - BVerwG 7 C 78.88 - BVerwGE 82, 272 <277 f.> = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 22 und vom 27. Januar 1994 - BVerwG 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 31; BVerwG, Beschluss vom 4. Januar 2011 – 8 B 75.10 –, ZOV 2011, 87 = juris Rdnr. 9).
Bei Tatsachen, die der Behörde bereits bekannt waren, ist es aber demnach ausgeschlossen, dass sie „eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden“ (vgl. VG Berlin, Urteil v.18.4.2012 – 25 K 526.10 - in juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.