Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 02.11.2022, Az.: S 4 BA 32/19

Verfahren nach § 7a SGB IV sowie Betriebsprüfungen nach §§ 28p und q SGB IV

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
02.11.2022
Aktenzeichen
S 4 BA 32/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 62405
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2022:1102.4BA32.19.00

In dem Rechtsstreit
B.
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
C.
gegen
Deutsche Rentenversicherung D.
- Beklagte -
hat die 4. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 02.11.2022 durch den Richter am Sozialgericht E. sowie die ehrenamtlichen Richterinnen F. für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2019 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, das seit 01.08.2018 keine Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI besteht.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) als selbständig tätiger Versicherungsmakler für die Zeit ab 01.08.2018.

Der am 11.02.1990 geborene Kläger war aufgrund schriftlichen Vertrages vom 13./21.09.2016 seit 01.10.2016 als selbständiger Versicherungsvertreter ständig damit betraut, Versicherungsverträge an seinen Auftraggeber zu vermitteln. Für diese Tätigkeit stellte die Beklagte mit Bescheid vom 30.01.2017 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung fest; zugleich wurde er für die Zeit 01.10.2016 bis 30.09.2018 von der Versicherungspflicht befreit.

Auf einem Fragebogen gab der Kläger am 28.06.2018 an, die Versicherungsagentur zum 01.08.2018 aufzugeben und kein Ausschließlichkeitsvertreter mehr zu sein. Er werde zukünftig als freier Versicherungsmakler tätig werden.

Mit Bescheid vom 09.11.2018 stellte die Beklagte fest, dass die grundsätzliche Versicherungspflicht des Klägers über den 31.07.2018 hinaus fortbesteht und er für die Zeit 01.09.2018 bis 30.09.2019 von der Versicherungspflicht befreit ist. Versicherungspflichtig seien selbständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten sowie auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig seien. Eine Tätigkeit für einen Auftraggeber läge auch vor, wenn er innerhalb des Vertrages mit einem Auftraggeber zulässigerweise auch Produkte von Kooperationspartnern /Produktpartnern vermittele, zu denen er keine vertraglichen Beziehungen unterhalte. In diesen Fällen sei er nicht direkt für den Kooperationspartner/Produktpartner, sondern für seinen Auftraggeber tätig. Gleiches gelte für Versicherungsmakler, die über die Anbindung an einen sog. Maklerpool die Produkte der dort aufgelisteten Produktpartner vermittelten. Der Befreiungszeitraum sei aufgrund seines Antrages noch um ein Jahr zu verlängern.

Einen hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2019 zurück. Ein Selbständiger sei im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig, wenn er mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Betriebseinnahmen aus den Tätigkeiten allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber erziele. Der Kläger habe sich als Makler einem Maklerpool angeschlossen und nutze die geschäftlichen Verbindungen des Maklerpools zu den einzelnen Gesellschaften, die Vertriebsunterstützung durch den Maklerpool, dessen Marktmacht und die ihm dadurch zukommenden Wettbewerbsvorteile. Es sei fraglich, ob ohne diese Anbindung er überhaupt Einkünfte in nennenswertem Umfang erzielen könne.

Hiergegen richtet sich die am 01.07.2019 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobene Klage. Zur Begründung trägt er vor, anders als während seiner Tätigkeit als Handelsvertreter könne er seinen Kunden Produkte verschiedener Produktgeber vermitteln und sei an keinen Produktgeber gebunden. Seine Rechtstellung als Makler werde durch die mit schriftlicher Vereinbarung vom 05.09.2017 begründete Anbindung an den Maklerpool "Fonds Finanz Maklerservice GmbH" (nachfolgend: Fond Finanz) nicht berührt, da keinerlei Bindung und insbesondere keine Ausschließlichkeit bestehe. Fonds Finanz biete keine eigenen Produkte an, sondern leite Anträge der Kunden lediglich an die jeweiligen Produktgeber weiter; als weitere Serviceleistung übernehme Fonds Finanz die Korrespondenz mit dem Produktgeber und die Abrechnung der Provision für die vermittelten Verträge. Anders als bei einem Handelsvertreter bestünden aber weder Tätigkeitspflicht noch Vorgaben oder ein Weisungsrecht bezogen auf die Vermittlungstätigkeiten. Auch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Fonds Finanz ändere nichts an den zwischen ihm und seinen Kunden bestehenden Vertragsbeziehungen, er könne aufgrund der vertraglichen Regelung jederzeit die Übertragung der Kunden in seinen Bestand verlangen. Auftraggeber sei daher nicht Fonds Finanz, sondern seien seine Kunden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 09.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2019 festzustellen, das seit 01.08.2018 keine Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Mit Bescheid vom 21.10.2020 stellte die Beklagte fest, dass ab 01.07.2020 Versicherungsfreiheit besteht, weil der Kläger seine Tätigkeit seit diesem Zeitpunkt in geringfügigem Umfang ausübe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der Feststellung besteht ab 01.08.2018 keine Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung. Aufgrund der fehlerhaften Feststellungen in dem angefochtenen Bescheid besteht auch ein berechtigtes Interesse an der (deklaratorischen) Feststellung durch das SG, dass für den Streitzeitraum keine Versicherungspflicht besteht.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die

a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und

b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.

Der Kläger übt über den 31.07.2018 hinaus eine selbständige Tätigkeit aus und er beschäftigt auch keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Er ist jedoch nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig.

Der Begriff des "Auftraggebers" iSv § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI ist gesetzlich nicht definiert und mangels eines bestimmten juristischen und allgemeinen Sprachgebrauchs in seiner Bedeutung offen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist davon erfasst jede natürliche oder juristische Person oder Personenmehrheit, die im Wege eines Auftrags oder in sonstiger Weise eine andere Person mit einer Tätigkeit betraut, sie ihr vermittelt oder ihr Vermarktung oder Verkauf von Produkten nach einem bestimmten Organisations- und Marketingkonzept überlässt (BSG, Urteil vom 23.04.2015, Az.: B 5 RE 21/14 R - juris Rn. 25 m.w.N.).

Diese Voraussetzung liegt bezogen auf die Tätigkeit des Klägers für die Fonds Finanz nicht vor. Eine Bindung in dem Sinne, dass er als Versicherungsvermittler nur oder weitgehend ausschließlich Produkte vertreiben kann, die ihm von der Fonds Finanz zur Verfügung gestellt werden, besteht nicht, und zwar weder rechtlich noch faktisch. Nach § 59 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist Versicherungsmakler, wer gewerbsmäßig für den Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen übernimmt, ohne von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit betraut zu sein. Dies trifft auf die Person des Klägers zu, der zwar durch die Vereinbarung vom 05.09.2016 mit der Fonds Finanz verbunden ist, von dieser aber weder ständig noch ausschließlich mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betraut ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus Zif. 3.1. dieser Vereinbarung, wonach der Vermittler im Verhältnis zu Fonds Finanz weder ständig damit betraut noch generell verpflichtet ist, an diese Produktverträge zu vermitteln. Nach Zif. 2.2 der Vertriebsvereinbarung ist der Vermittler bei seiner Vermittlungstätigkeit weder auf die ihm über die Fonds Finanz zur Verfügung gestellten Produkte beschränkt noch ist er dazu verpflichtet, von ihm vermittelte Verträge bei den "Produktpartnern" (also Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften, Bausparkassen, Banken etc.) über die Fonds Finanz einzureichen, selbst wenn zwischen diesen und der Fonds Finanz Vertragsbeziehungen bestehen. Der Kläger als Versicherungsmakler vermittelt damit Verträge zwischen Kunden und Produktgebern, also Versicherungsunternehmen, Investmentgesellschaften, Bausparkassen, Banken etc. Ein Auftragsverhältnis im juristischen Sinne oder auch nur vom Sprachgebrauch besteht zwischen ihm und der Fonds Finanz damit nicht; erst recht ist nach den Regelungen eine Ausschließlichkeit der Tätigkeit für die Fonds Finanz gerade nicht vorgesehen.

Anders als bei einem Versicherungsvertreter ist der Kläger als Versicherungsmakler damit an kein bestimmtes Unternehmen gebunden. Ebensowenig wird von der Fonds Finanz ein Organisations-, Vertriebs- oder Marketingkonzept zur Verfügung gestellt, auf dessen Grundlage die Tätigkeit des Vermittlers erfolgt oder gar zu erfolgen hat. Vielmehr bietet die Zusammenarbeit mit der Fonds Finanz dem Vermittler Vorteile, da diese aufgrund der Vielzahl über sie eingereichter Verträge teilweise bessere Vermittlungsprovisionen mit den Produktgebern aushandeln und an die Vermittler weiterreichen kann; zudem übernimmt sie bei den Verträgen, die bei ihr eingereicht werden, die erforderliche Korrespondenz und die Abrechnung der Vermittlungsprovision für den Vermittler unter Abzug einer eigenen, in der Vereinbarung geregelten Serviceprovision. Dies gereicht dem Vermittler insoweit zum Vorteil, dass er bessere Konditionen erzielen und/oder einen Teil der ihm als Makler obliegenden Aufgaben auslagern kann. Ein Vertriebssystem, welches ihn zu einem bestimmten Tätigwerden nach den Vorgaben der Fonds Finanz verpflichtet, ist damit aber ebenso wenig verbunden wie eine Verpflichtung, in bestimmten Umfang für dieses Unternehmen tätig zu werden. Vielmehr ist der Vermittler im Rahmen der Vereinbarung mit Fonds Finanz frei, einen von ihm vermittelten Vertrag über diesen Vertriebspartner, einen anderen Maklerpool oder auch direkt bei der Produktgesellschaft einzureichen, und besteht auch kein Weisungs- oder Direktionsrecht der Fonds Finanz bei der Vermittlungstätigkeit. Zudem ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht behauptet, dass bestimmte Betriebsmittel oder Vertriebswege, die auf ein Organisations-, Vertriebs- oder Marketingkonzept schließen lassen, für ihn vorgehalten oder ihm vorgegeben werden.

Gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit spricht zudem, dass der Kläger die Übertragung der vermittelten Kundenverträge auf seine Direktanbindungen oder auf einen anderen Maklerpool verlangen kann. Etwas anderes würde sich auch nicht daraus ergeben, wenn er einen erheblichen Teil seiner Verträge über die Fonds Finanz abwickelt. Denn im Gegensatz zum Versicherungsvertreter, der gegenüber dem Versicherer bzw. einer Poolgesellschaft zum Abschluss von Verträgen des Versicherers bzw. aus dem Pool verpflichtet ist, kann der Versicherungsmakler jederzeit entscheiden, einzelne, eine Vielzahl oder alle Verträge über einen anderen Pool oder anderweitig selbst einzureichen. Allein die tatsächliche Inanspruchnahme des Maklerpools der Fonds Finanz in einem frei bestimmten Umfang macht diese weder zur (alleinigen) Auftraggeberin des Klägers noch begründet dies eine wirtschaftliche, zur Versicherungspflicht führende Abhängigkeit des Vermittlers.

Das SG verkennt nicht, dass der Begriff Auftraggeber aufgrund des Schutzzwecks der Norm § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI weit auszulegen ist; die Eigenschaft als Auftraggeber ist demnach auch nicht davon abhängig, dass vertragliche Verpflichtungen zwischen der das Handeln veranlassenden Person und dem Handelnden bestehen. Ausreichend ist nach der Gesetzesbegründung, dass der selbständig Tätige tatsächlich (wirtschaftlich) im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist (BT-Drucks 14/45 S. 46; s.a. Segebrecht in Kreikebohm/Roßbach SGB VI, 6. Aufl. 2021, SGB VI § 2 Rn. 43). Eine solche wirtschaftliche Abhängigkeit des Vermittlers wird aber nicht dadurch begründet, dass die Vermittlungsprovision (Courtage) über die bei ihr eingereichten Verträge zwar über die Fonds Finanz abgerechnet und von ihr ausgezahlt wird. Sie wird nämlich nicht von der Fonds Finanz, sondern aufgrund des Maklervertrages unmittelbar vom Versicherer geschuldet, sodass eine Bindung an (nur) diesen Auftraggeber dadurch nicht entsteht. Der Provisionsanspruch liegt im Maklervertrag mit dem Kunden begründet und dementsprechend erhält der Makler auch nach Abschluss des Vertrages Anspruch auf die Bestandsprovision vom Kunden. Dementsprechend ist nicht der Maklerpool, sondern sind die einzelnen, vom Makler aufgrund seiner Vermittlungstätigkeit geworbenen Kunden als Auftraggeber anzusehen (a.A.: Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 03.06.201, Az.: L 1 R 679/14 - juris). Anders als bei einem Franchisegeber, der dem Franchisenehmer ein Konzept zur Verfügung stellt und ihm damit erst den Marktzugang sichert, ist dies bei einem Makler, dem verschiedene Produkte sowie unterschiedliche Wege für die Produktvermittlung offenstehen und der an kein bestimmtes Konzept gebunden ist, nicht der Fall. Im Übrigen kommt es auch nicht darauf an, ob bzw. in welchem Umfang der Kläger seine Umsätze über die Fonds Finanz erzielt. Kennzeichnend für den Personenkreis der Selbständigen iSv § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI ist nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern sind ausschlaggebend vielmehr typische Tätigkeitsmerkmale (BSG a.a.O.). Dementsprechend ist nicht die konkrete Schutzbedürftigkeit des Selbständigen maßgebend und kommt es nicht darauf an, ob der Kläger ohne die Anbindung an die Fonds Finanz Einkünfte erzielen in nennenswertem Umfang erzielt; vielmehr ist wesentlich die typisierende soziale Schutzbedürftigkeit einer Tätigkeit für einen Auftraggeber, die hier aber gerade nicht vorliegt.

Liegt demnach keine Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber vor, besteht keine Versicherungspflicht und ist die entgegenstehende Feststellung in dem angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.