Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 25.03.2019, Az.: 4 Ca 97/18 E
Eingruppierung; selbstständige Leistungen; Vollstreckungsbeamte
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Oldenburg
- Datum
- 25.03.2019
- Aktenzeichen
- 4 Ca 97/18 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 69554
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LArbG - AZ: 1 Sa 394/19 E
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die gesamte Tätigkeit eines Angestellten im Aufgabenfeld eines Vollstreckungsbeamten stellt sich nicht notwendig als einheitlicher Arbeitsvorgang dar.
Das Vorliegen selbstständiger Leistungen hängt vom konkreten Einzelfall ab.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.200,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung des Klägers. Der Kläger ist seit dem 1. Oktober 2000 bei dem beklagten Landkreis als Vollstreckungsbeamter beschäftigt. Die Bestimmungen des TVöD-VKA gelten aufgrund beiderseitiger Tarifbindung. Aktuell erhält der Kläger Vergütung nach der Entgeltgruppe 6 Stufe 6. Hinsichtlich der Aufgaben des Klägers wird Bezug genommen auf die Arbeitsplatzbeschreibung vom 1. August 2013, Anlage K5 zur Klageschrift. Soweit dort Aufgaben für den Fachdienst 32 aufgeführt sind, werden diese allerdings in erheblich geringerem Umfang wahrgenommen, woraus sich höhere Arbeitszeitanteile für die übrigen Aufgaben ergeben. Hinsichtlich der aktuellen Zeitanteile der Tätigkeiten des Klägers wird auf die Anlage zum Schriftsatz des beklagten Landkreises vom 11. Januar 2019 sowie auf die Anlagen K 10 und K 11 zum Schriftsatz des Klägers vom 11. Januar 2019 Bezug genommen. Übereinstimmend kann festgehalten werden, dass der Kläger weitest überwiegend Aufgaben für den Fachdienst 20 (Produkt Vollstreckung) und darüber hinaus für den Fachdienst 36 wahrnimmt. Aufgaben für den Fachdienst 32 fallen nur in geringem Umfang an. Es existiert eine Dienstanweisung für Vollzugsbeamte der Kreiskasse sowie ein Ablaufplan Forderungsmanagement. Insoweit wird auf die Anlagen 1 und 2 zum Schriftsatz des beklagten Landkreises vom 2. Oktober 2018 Bezug genommen. Hinsichtlich der alltäglich auftretenden Fragen wird auf die Anlage K9 zum Schriftsatz des Klägers vom 7. November 2018 Bezug genommen. In dem Bewertungsbogen für die systematische Leistungsbewertung vom 12. Oktober 2018 hat der Kläger für die Bezugsgröße selbstständiges Arbeiten und vielseitige Verwendbarkeit 4 Punkte erhalten. Insoweit wird auf der Anlage K8 zum Schriftsatz vom 7. November 2018 des Klägers Bezug genommen. Mit Schreiben vom 21. Juni 2017 beantragte der Kläger die Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 9a rückwirkend zum 01.01.2017. Dieser Antrag wurde durch den beklagten Landkreis unter dem 21. November 2017 abgelehnt. Mit der am 8. Mai 2018 beim Arbeitsgericht Oldenburg eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel gerichtlich weiter.
Der Kläger behauptet, er habe zu mindestens 75 % der Gesamtarbeitszeit unter Einsatz seiner gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse selbstständige Leistungen zu erbringen, er sei die vor Ort allein agierende hoheitlich handelnde Amtsperson. Er müsse das sich ihm bietende Bild bewerten, richtig einordnen zu einem Gesamtbild verarbeiten. Er habe erforderliche Handlungsschritte abzuleiten und diese unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit umzusetzen. Er werde in der konkreten Vollstreckungssituation ständig mit von individuellen Umständen geprägten Abläufen konfrontiert. Der Ablaufplan sei nicht wie eine Checkliste abzuarbeiten, es verbleibe ein erheblicher Entscheidungsspielraum. Entgegen der Auffassung des Beklagten seien die in der Arbeitsplatzbeschreibung niedergelegten Arbeitsvorgänge zu 1 bis 3 als einheitlicher Arbeitsvorgang zu bewerten. Hinsichtlich der Tätigkeiten für den Fachdienst 36 sei nicht nach Innendienst und Außendienst hinsichtlich der Bewertung zu unterscheiden. Entscheidungen über Stundungen würden vor Ort beim Vollstreckungsschuldner vereinbart. Gleiches gelte hinsichtlich einer Niederschlagung.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass der Kläger seit 01.01.2018 in die Entgeltgruppe 9a Entgeltordnung TVöD-VKA eingruppiert ist,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit 01.01.2018 Vergütung nach Maßgabe der Entgeltgruppe 9a Entgeltordnung TVöD-VKA zu zahlen und die brutto Differenzbetrag zwischen tatsächlich gezahlter und beantragter Vergütung ab jeweiliger Fälligkeit mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszins beginnend mit dem 15. Mai 2018 zu verzinsen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die in der Arbeitsplatzbeschreibung genannten Arbeitsvorgänge zu den Positionen 1 bis 3 seien zu differenzieren. Der Vollstreckungsinnendienst bereite alle Aufgaben vor, der Kläger habe sodann lediglich die Aufgabe der Beitreibung. Hierfür habe er die Dienstanweisung vom 8. Dezember 2010 mit einem Umfang von 18 Seiten zu beachten, welche alle zu leistenden Arbeitsschritte genau vorschreibe und einen Ablaufplan enthalte. Soweit es Abweichungen im Vollstreckungsverfahren gebe, habe die Kläger bei seinen Vorgesetzten auf die Ausnahmen bezogene Entscheidungen einzuholen. Die interne Handlungsanweisung zu den Abläufen im Bereich des Forderungsmanagements konkretisiere die Aufgaben. Dementsprechend sei die Auswahl der Vollstreckungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Zudem gebe es klare Anweisungen hinsichtlich der Prioritäten. Höchste Priorität habe danach die Tätigkeit für den Fachdienst 36.Hinsichtlich der anzufertigenden Niederschrift sei schlichtweg der Vordruck auf der Rückseite des Vollstreckungsauftrages auszufüllen. Das dort vorgesehene Feld zwecks Vermerk besonderer Vorkommnisse werde in der Praxis selten genutzt.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere als sogenannte Eingruppierungsfeststellungsklage. Denn bei dem beklagten Landkreis als Bestandteil des öffentlichen Dienstes darf davon ausgegangen werden, dass im Falle einer obsiegenden Entscheidung es keiner weiteren Leistungsklage des Klägers bedarf.
Allerdings ist die Klage in vollem Umfang unbegründet. Der Kläger ist zutreffend in die Entgeltgruppe 6 der Entgeltordnung zum TVöD-VKA eingruppiert. Spezielle Tätigkeitsmerkmale für Vollstreckungsbeamte gibt es nicht. Dementsprechend sind die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale heranzuziehen, und zwar für die Entgeltgruppe 2 bis 12 jene für den Büro-, Buchhalterei-, sonstiger Innendienst und Außendienst.
Die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9a bauen auf jenen der Entgeltgruppe 6 auf. Soweit nach der Entgeltgruppe 6 gründliche und vielseitige Fachkenntnisse gefordert werden unter Berücksichtigung der jeweils einschlägigen Fallgruppe der Entgeltgruppe 5, kann hier eine Prüfung unterbleiben, da auch der Beklagte davon ausgeht, dass der Kläger diese Tätigkeitsmerkmale erfüllt.
Im Streit steht dementsprechend zwischen den Parteien, ob die Tätigkeit des Klägers selbstständige Leistungen erfordert. Nach der tariflichen Definition erfordern selbstständige Leistungen eine den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbstständiges erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen.
Die Darlegungslast für die Erfüllung des streitigen Tätigkeitsmerkmals insbesondere auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeitanteile liegt bei dem Kläger. Denn es handelt sich hierbei um anspruchsbegründende Tatsachen. Dementsprechend kann auf die Rechtsprechung zur Substantiierung im Eingruppierungsprozess verwiesen werden.
Wie bereits ausgeführt steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass die Tätigkeit des Klägers gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert. Allerdings muss der Kläger im Einzelnen vortragen, anhand welcher konkreter tatsächlich ausgeübter Tätigkeiten der Schluss gezogen werden muss, dass ein selbstständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative im Sinne selbständiger Leistungen einschlägig ist.
Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass die durch den Kläger in Anspruch genommenen selbstständigen Leistungen mit gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen bei den einzelnen Tätigkeiten zusammentreffen müssen. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 22. Februar 2017 – 4 AZR 514/16 – explizit noch einmal darauf hingewiesen, dass das Merkmal der selbstständigen Leistungen im Sinne der Entgeltgruppe 9a auf den Voraussetzungen der Entgeltgruppe 6 aufbaut, wonach gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erforderlich sind. Mit anderen Worten, Zeiten, zu denen der Kläger zwar etwaige selbstständige Leistungen erbringt, dies allerdings nicht im Einzelnen auf Basis gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse, können dem Begehren des Klägers auf Höhergruppierung nicht zum Erfolg verhelfen. Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn von einem einzigen Arbeitsvorgang hinsichtlich der Tätigkeiten des Klägers auszugehen wäre. Hierzu hat nun allerdings der Kläger ebenso wenig hinreichend substantiiert vorgetragen.
Unter Berücksichtigung der zuvor geschilderten Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers den Anforderungen an die Darlegungslast nicht. Ersichtlich ist der Vortrag des Klägers in der Klagebegründung durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. Juli 2016 – 8 Sa 306/16 – geprägt. Über weite Strecken stimmt der Vortrag in der Klageschrift wörtlich mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Hamm überein. Allerdings würde die Wiederholung von Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Hamm in der zuvor zitierten Entscheidung in den entsprechenden Entscheidungsgründen nur dann dem Kläger helfen, wenn entweder seine Tätigkeit zu 100 % mit jener übereinstimmen würden, welcher der maßgeblichen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm zugrunde lag oder aber wenn es auf konkrete Abweichungen gar nicht ankommen würde, weil die Aufgabe eines Vollziehungsbeamten oder Vollstreckungsbeamten im kommunalen Bereich so definiert ist, dass es auf Abweichungen im Einzelfall nicht ankäme.
Beide Voraussetzungen sind hier nicht einschlägig. Der Aufgabenbereich eines Vollstreckungsbeamten oder eines Vollziehungsbeamten im kommunalen Bereich ist nicht gesetzlich oder in sonstiger Hinsicht allgemein verbindlich geregelt. Entsprechendes behauptete Kläger selbst auch gar nicht.
Ebenso wenig kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Klägers in jenem zu 100 % entsprechen, welcher dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm zugrunde lag, entspräche.
Es hilft den Kläger auch nicht, wenn er hinsichtlich der herangezogenen Arbeitsplatzbeschreibung sowohl in der alten als auch in der aktualisierten Fassung von einem Verstoß gegen ein Atomisierungsverbot ausgeht. Es ist an dem Kläger, konkret vorzutragen, dass die Anforderungen an einen sogenannten einheitlichen Arbeitsvorgang einschlägig sind.
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in seiner Entscheidung vom 7. Juli 2016 allerdings lediglich ausgeführt, dass die gesamte Tätigkeit eines kommunalen Angestellten im Aufgabenfeld der städtischen Vollziehungsbeamten sich als ein einheitlicher Arbeitsvorgang im Sinne der tarifrechtlichen Eingruppierungsvorschriften darstellen kann. Die Entscheidung kann nicht so verstanden werden, dass dies notwendig der Fall wäre!
Des Weiteren hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Begriff der selbstständigen Leistungen nicht verwechselt werden darf mit dem Begriff des selbständigen Arbeitens im Sinne von allein arbeiten, d. h. ohne direkte Aufsicht oder Lenkung durch Weisungen tätig zu sein (Bundesarbeitsgericht vom 22.4.2009 – 4 AZR 166/08). Maßgebend für selbstständige Leistungen ist dementsprechend eine wie auch immer geartete Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses. In diesem Sinne kommt es darauf an, ob der Beschäftigte sich bei der Arbeit fragen muss, wie es nun weitergeht, worauf es ankommt, was als nächstes geschehen muss.
Hierzu ist der Vortrag beider Seiten im Streit. Der Beklagte verweist hier auf eine Dienstanweisung für Vollziehungsbeamten mit einem Umfang von 18 Seiten und darüber hinaus auf einen Ablaufplan Forderungsmanagement (Anlagen 1 und 2 zum Schriftsatz vom 2. Oktober 2018). Soweit der Kläger hier die Auffassung vertritt, beide Unterlagen könnten nicht so verstanden werden, dass sie so konkret gefasst sein, dass sie wie eine Checkliste zu verstehen seien, also dementsprechend jeglicher Beurteilungsspielraum entfalle, genügt der Kläger seiner Darlegungslast nicht.
Es genügt nicht, den Vortrag des Beklagten in Abrede zu stellen oder aber verbleibende Beurteilungsspielräume zu behaupten. Der Kläger muss anhand konkreten Vortrages zu seinen tatsächlichen Tätigkeiten darlegen, dass vor Ort signifikante Entscheidungsspielräume verbleiben.
Wie bereits ausgeführt reicht es nicht schon aus, dass der Kläger bei Tätigkeiten im Außendienst allein arbeitet und sich mit Vollstreckungsschuldner und deren Einwendungen auseinandersetzen muss.
Soweit der Kläger im Schreiben vom 25. Juni 2018 an die Leitung des Fachdienstes 36 moniert, dass bei Rückfragen bei der Zulassungsstelle aufgrund der dortigen Öffnungszeiten Probleme bestehen, belastbare Auskünfte zu erhalten, um Entscheidungen zu treffen, belegt dies doch signifikant, dass hier Rücksprachebedarf besteht. Um bei dem dort genannten Beispiel zu bleiben ist festzuhalten, dass bei Bestätigung des Wegfalls der Voraussetzungen des Vollstreckungsauftrages ersichtlich kein Entscheidungsspielraum verbleibt. Eine Prüfung, ob aktuell die Voraussetzungen eines Vollstreckungsauftrages noch gegeben sind, beinhaltet nicht bereits eine selbstständige Leistung im Tarifsinne.
Dezidierte Darstellungen der Tätigkeiten des Klägers unter Berücksichtigung der maßgeblichen Zeitanteile sind nicht vorgelegt worden. Die Aufschlüsselungen des Klägers, für welchen Fachdienst er mit welchen Zeitanteilen tätig gewesen ist (Anlagen K 10 und K 11) ersetzen keinen substantiierten Vortrag.
Nachdem auch unter Berücksichtigung der unstreitig unrichtigen Arbeitsplatzbeschreibung aus dem Jahr 2013 sich kein hinreichend nachvollziehbarer Vortrag des Klägers ergibt, war die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung zu den Kosten und aus dem Unterliegen des Klägers im Sinne der §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Hinsichtlich der Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes wurde der 36-fache Differenzbetrag zugrunde gelegt.