Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 11.10.2005, Az.: 3 B 1691/05
Rechtmäßigkeit der Besetzung einer Stelle als Leiters eines Hauptamtes ; Einstweiliger Rechtsschutz bei beamtenrechtlichen Konkurrentenklagen; Auswahlverfahren im Rahmen einer Beförderungsentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 11.10.2005
- Aktenzeichen
- 3 B 1691/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 23722
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2005:1011.3B1691.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 VwGO
- Art. 33 Abs. 2 GG
- § 5 NGG
Verfahrensgegenstand
Stellenbesetzung
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit dem sich der Antragsteller, im Angestelltenverhältnis stehend und seit 1988 vollständig vom Dienst freigestellter Vorsitzender des Personalrates beim Antragsgegner, gegen die Besetzung der Stelle eines Leiters/einer Leiterin des zum 01.09.2005 zusammengelegten Haupt- und Personalamtes durch die Beigeladene wendet, bleibt ohne Erfolg. Der Antragsteller hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 S.1, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Zwar liegt ein Anordnungsgrund (und damit die Eilbedürftigkeit für die begehrte gerichtliche Entscheidung) vor. Die Kammer hat in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit dem Nds. OVG in Fällen der sog. Dienstpostenkonkurrenz zwischen zwei Stellenbewerbern einen Anordnungsgrund angenommen, weil sich diese Fallkonstellation durch die Besonderheit auszeichnet, dass ein umgesetzter Bewerber die Möglichkeit erhält, sich auf einem Beförderungsdienstposten zu bewähren. Dies führte zu einem nicht mehr rückgängig zu machenden Vorteil für ein Auswahlverfahren im Rahmen einer späteren Beförderungsentscheidung, was im Ergebnis eine Vorverlagerung der Rechtschutzgewährung bedeutet. Die Tatsache, dass der Beigeladenen die Leitung des Haupt- und Personalamtes bereits übertragen wurde, steht - anders als im Fall einer vollzogenen Beförderung, die zur Erledigung des Verfahrens führt - dem Vorliegen des Anordnungsgrundes nicht entgegen, weil eine Umsetzung rückgängig gemacht werden kann.
Es fehlt allerdings an einem Anordnungsanspruch (offen bleiben kann, ob dies allein deswegen der Fall sein kann, weil der Antragsteller keine Erklärung über eine beabsichtigte Niederlegung seines Amtes für den Fall seiner Auswahl abgegeben hat), der sich hier allein aus dem Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers ergeben kann. Zwar spricht Überwiegendes dafür, dass das Auswahlverfahren des Antragsgegners nicht frei von Rechtsfehlern ist, was zu einer Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs führt; im Ergebnis ist die getroffene Besetzungsentscheidung jedoch deswegen nicht zu beanstanden, weil eine fehlerfreie Wiederholung des Auswahlverfahrens zu keiner anderen Entscheidung führt. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller vorliegend bereits deswegen nicht für die Besetzung der für einen Beamten ausgeschriebenen Stelle in Betracht kommt, weil er Angestellter ist, wie der Antragsgegner in seiner Mitteilung an den Antragsteller vom 24.08.2005 ausführt. Insoweit beruft sich der Antragsteller auf die von ihm vorgelegte Entscheidung des BAG vom 18.09.2001 - 9 AZR 410/00 - und meint, dass aus den Gründen dieser Entscheidung nicht nur beamtete Bewerber in Betracht kommen können, weil der sog. Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG angesichts der Bedeutung der zu besetzenden Stelle nicht greife.
Dieser Auffassung dürfte allerdings die Rechtsprechung des BVerwG entgegenstehen. Das Gericht hat in seinem Urteil vom 26.10.2000 (2 C 31/99) ausgeführt:
"Art. 33 Abs. 2 GG garantiert ein Recht zur Bewerbung um ein vorhandenes öffentliches Amt, das auch in einem Angestelltenverhältnis übertragen werden kann, und auf eine sachgerechte Entscheidung darüber. Weiter gehende Ansprüche - insbesondere auf Ernennung - werden hierdurch nicht begründet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1998 - 2 BvR 159/97 - ZBR 1998, 351 <352>). Art. 33 Abs. 2 GG wird insbesondere nicht dadurch verletzt, dass für die Ernennung beamten- und haushaltsrechtliche Voraussetzungen aufgestellt sind.... Zahl und Art der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst bestimmt allein die jeweils zuständige öffentlich-rechtliche Körperschaft im Rahmen ihrer Organisationsgewalt (vgl. BVerfGE 7, 377 <398>[BVerfG 11.06.1958 - 1 BvR 596/56]; 17, 371 <377>[BVerfG 05.05.1964 - 1 BvR 365/60]; BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1998, a.a.O.)."
Ob das Organisationsermessen des Dienstherrn höher zu bewerten ist als der Bewerbungsverfahrensanspruch des Angestellten, bedarf allerdings hier ebenso wenig einer abschließenden Entscheidung wie die Frage, ob das im Auswahlvermerk angesprochene Streikrecht die ausgeschriebene Stelle dem Funktionsvorbehalt unterfallen lässt.
Das Fehlen der persönlichen Voraussetzungen für die Stellenbesetzung als Angestellter - entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht für eine nicht in Rede stehende Verbeamtung - kann dem Antragsteller demgegenüber nicht entgegengehalten werden. Zwar ist er ausgebildeter Gymnasiallehrer und war bis zu seiner jetzigen Tätigkeit als Personalratsvorsitzender zwischen 1984 und 1988 als Kreisjugendpfleger tätig. Damit verfügt er nicht über die Ausbildungen und Prüfungen, die für Angestellte im allgemeinen kommunalen Verwaltungsdienst grundsätzlich Voraussetzung sind (vgl. § 25 BAT i. V. m. Anlage 3 zum BAT). Aufgrund seines Alters - der Antragsteller wurde 1949 geboren - ist er jedoch nach § 3 Abs. 1a der Anlage 3 zum BAT von der Ausbildungs- und Prüfungspflicht befreit, was der Auswahlvermerk vom 16.06.2005 verkennt.
Dem Antragsgegner ist für die Besetzungsentscheidung aber insbesondere insoweit ein Fehler unterlaufen, als es zwischen den Bewerbern an einem Leistungsvergleich auf der Grundlage vergleichbarer Daten fehlt.
Die vom Antragsteller angegriffene Entscheidung unterliegt, ebenso wie eine Beförderungsentscheidung, als Akt wertender Erkenntnis einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die gerichtliche Nachprüfung beschränkt sich dabei auf die Frage, ob die Verwaltung den anzuwendenden Rechtsbegriff oder den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BVerwGE 80, 224, 226) [BVerwG 22.09.1988 - 2 C 35/86]. Dabei hat sich die Auswahlentscheidung insbesondere innerhalb des vorgeschriebenen gesetzlichen Rahmens zu halten, der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. § 8 NBG ergibt. Danach ist eine Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu treffen. Eine dem Leistungsgrundsatz gerecht werdende Auswahl hat dabei in erster Linie grundsätzlich auf die letzte dienstliche Beurteilung und deren Gesamturteil abzustellen. Voraussetzung für die Verwertung einer dienstlichen Beurteilung ist dabei, dass sie eine hinreichende Aussagekraft für die Beantwortung der Frage besitzt, in welchem Maße der Beurteilte den Anforderungen des ausgeschriebenen Dienstpostens gerecht werden kann (OVG Lüneburg in Nds. Rechtspflege 1995, 168 f.).
Davon abweichend zeichnet sich die hier vorliegende Konkurrenzsituation durch die Besonderheit aus, dass zwar für die Beigeladene unter dem 21.05.2005 eine mit der Gesamtnote "sehr gut" abschließende Anlassbeurteilung erstellt wurde; der Antragsteller konnte demgegenüber wegen seiner ausschließlichen Personalratstätigkeit seit 1988 nicht beurteilt werden und aus seiner davor liegenden Dienstzeit liegt eine Beurteilung nicht vor. Aus diesem Grunde hat der Antragsgegner die Auswahlentscheidung auf der Grundlage eines entsprechenden Vermerks vom 16.06.2005 getroffen, in dem im Hinblick auf den Antragsteller "andere Fakten aus der Personalakte herangezogen" wurden. Das erweist sich als fehlerhaft.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass in Fallgestaltungen einer Konkurrenz zwischen Beamten, von denen einer wegen seiner Personalratsfunktion über längere Zeit vom Dienst freigestellt ist, eine fiktive Fortschreibung der Laufbahn und der Beurteilungen zu erfolgen hat, um auf diese Weise ein "Beurteilungssurrogat" zu erlangen (hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.07.1999, 2 B 11275/99; in IÖD 2000. 92ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 08.06.1995, 1 R 26/94, zitiert nach juris). Mit Hilfe dieses Surrogates, das sich an der beruflichen Weiterentwicklung vergleichbarer Beamten orientiert, wird einerseits, soweit möglich, eine Vergleichbarkeit mit den Laufbahnsituationen und Beurteilungen der nicht freigestellten Beamten erreicht; andererseits wird dem Verbot, Personalratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit zu benachteiligen (§ 41 Abs. 1 Nds. PersVG), Rechnung getragen. Indem auf die durchschnittliche Fortentwicklung eines vergleichbaren Personenkreises abgestellt wird, wird gleichzeitig eine Begünstigung des Personalratsmitgliedes vermieden, die die genannte Vorschrift ebenfalls verbietet. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Situation hätte der Antragsgegner diese Grundsätze hier beachten müssen.
Die vorstehenden Erwägungen führen dazu, dass dem Antragsteller fehlende Einzelmerkmale aus dem Anforderungsprofil nicht ohne weiteres entgegengehalten werden können. Insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis der langjährigen Berufserfahrung auch in Leitungsfunktion - die Beigeladene ist seit Januar 2001 Leiterin des Personalamtes - setzte insoweit eine Entscheidung zu ihren Gunsten erst eine fiktive Nachzeichnung der Entwicklung des Antragstellers voraus. Gleiches gilt im Grundsatz für die Erwägungen, dass sich der Antragsteller in der Vergangenheit nicht mit den die Kommunalaufsicht betreffenden Rechtsfragen - die Stellenausschreibung weist auf diesen Bereich ausdrücklich hin - zu befassen hatte.
Dennoch bleibt der vorliegende Antrag im Ergebnis erfolglos, weil auch bei Beachtung der dargestellten Grundsätze und Vermeidung der erwähnten Fehler die Besetzungsentscheidung erneut zu Gunsten der Beigeladenen ausfallen wird. Der Antragsgegner hat sich bei der Ausschreibung daran gebunden und ist von Gesetzes wegen (§ 5 NGG) gehalten, Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorrangig zu berücksichtigen. Selbst wenn, wie erörtert, die Einschätzung gerechtfertigt wäre, der Funktionsvorbehalt greife für die ausgeschriebene Stelle nicht, und selbst wenn die fiktive Fortschreibung der beruflichen Entwicklung und der Beurteilungen für den Antragsteller, der derzeit in die Vergütungsgruppe BAT IVa eingruppiert ist, eine "sehr gute" Anlassbeurteilung ergäbe, wobei für die Vergleichbarkeit zu berücksichtigen ist, dass die Beigeladene ihre Beurteilung in der Besoldungsgruppe A 12 erzielt hat, wäre allenfalls ein Gleichstand erzielt. Das folgt aus den maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien des Antragsgegners, die ausdrücklich für Beamte gelten und nach ihrer Ziffer 8 auch für Angestellte Anwendung finden; ein Gesamturteil mit der Wertungsnote "Sehr gut" ist nach Ziffer 4.3 dieser Richtlinien die beste denkbare Bewertung. Unter diesen Voraussetzungen ist eine erneute Entscheidung des Antragsgegners zu Gunsten der Beigeladenen zwangsläufig und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Hiernach war der Antrag abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen förmlichen Antrag gestellt hat.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG (i. d. F. des Art. 1 KostRMG v. 5.5.2004, BGBl. I S. 718), wobei der Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG nach der Streitwertfestsetzungspraxis der Beamtensenate des Nds. Oberverwaltungsgerichts (s. z. B. den Beschl. v. 13.10.2004 - 2 ME 1174/04 -, NVwZ-RR 2005, 124; ebenso zuletzt Beschluss vom 27.04.2005, 2 ME 186/05) nicht zu halbieren ist.
Fahs
Lassalle