Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.12.1983, Az.: HEs 110/83
Voraussetzungen für die Aufhebung eines Haftbefehls; Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft; Begriff der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs einer Sache
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 29.12.1983
- Aktenzeichen
- HEs 110/83
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1983, 13532
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1983:1229.HES110.83.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- Landgericht ... - 30.9.1983 - AZ: 30 Js 1580/83
- Amtsgericht ... - 01.07.1983 - AZ: 79 Gs 1688/83
- Amtsgericht ... - 01.07.1983 - AZ: 55 Gs 26/83
- StA ... - AZ: 47 Js 19530/83
Rechtsgrundlagen
- § 121 Abs. 1 StPO
- § 112 Abs. 1 StPO
- § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO
Fundstellen
- MDR 1984, 774-775 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 1984, 340-341
Verfahrensgegenstand
Diebstahl
Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
hat im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht und des Angeklagten
am 29. Dezember 1983
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 1.7.1983 - 55 Gs 26/83 - wird aufgehoben.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist seit dem 1.7.1983 in Untersuchungshaft. Zunächst wurde gegen ihn der Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 1.7.1983 - 79 Gs 1688/83 - vollstreckt, bis dieser am 20.12.1983 durch das Amtsgericht aufgehoben wurde. Dem Angeklagten wurde darin vorgeworfen, am 30.6.1983 in ... im Kaufhaus ... zwei Paar Schuhe entwendet zu haben. Dieser und ein weiterer Diebstahlsvorwurf sind Gegenstand der Anklage der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... vom 30.9.1983 - 30 Js 1580/83 - vor dem Jugendrichter in ....
Seit dem 20.12.1983 beruht die Untersuchungshaft auf dem Haftbefehl des Amtsgerichts ... vom 1.7.1983 - 55 Gs 26/83 -. Durch diesen Haftbefehl wird dem Angeklagten vorgeworfen, am 8.2.1983 gemeinsam mit anderen in die Gaststätte ... in ... eingestiegen zu sein, mehrere Automaten aufgebrochen und Bargeld daraus entwendet zu haben sowie am 7.4.1983 in ... in der Gaststätte ... einen ähnlichen Diebstahl versucht zu haben. Diese und zwei weitere Diebstahlsvorwürfe sind Gegenstand der Angeklagte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... vom 20.9.1983, die inzwischen zur Hauptverhandlung vor dem Jugenschöffengericht in ... zugelassen worden ist.
Die Untersuchungshaft darf nicht fortdauern.
Dringender Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO) ist zwar aufgrund des Geständnisses des Angeklagten gegeben. Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), denn der Angeklagte ist schon nach dem fehlgeschlagenen Diebstahlsversuch vom 7.4.1983 vor der Polizei nach ... geflohen. Haftverschonung nach § 116 StPO kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht. Die weitere Untersuchungshaft wäre auch nicht unverhältnismäßig (§ 120 StPO).
II.
Die Untersuchungshaft ist jedoch nicht länger zu rechtfertigen, weil die Sache weder besonders schwierig noch besonders umfangreich ist und auch kein anderer wichtiger Grund vorliegt, der ein Urteil bisher nicht zugelassen hat (§ 121 Abs. 1 StPO).
1.
Die Voraussetzungen für die besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO sind gegeben, weil die Zeiten, die der Angeklagte aufgrund der beiden oben bezeichneten Haftbefehle in Untersuchungshaft gewesen ist, im Hinblick auf die bevorstehende Verbindung der beiden Verfahren zusammengerechnet werden müssen.
In den Fällen einer bereits vollzogenen Verbindung zweier Ermittlungs- oder Strafverfahren mit Untersuchungshaft wird Zusammenrechnung überwiegend für geboten gehalten (vgl. OLG Braunschweig NJW 1967, 363 [OLG Braunschweig 18.11.1966 - HEs 52/66]; OLG Hamm MDR 1977, 426 [OLG Hamm 07.10.1976 - 4 BL 1007/76]; Kleinknecht/Meyer, StPO, § 121 Rdz. 7; KMR-Müller, § 121 Rdz. 2; KK-Boujong, § 121 Rdz. 11; Kleinknecht-Janischowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, Rdz. 248 Fn 47). Der abweichenden Ansicht von Dünnebier (in: Loewe/Rosenberg, StPO, § 121 Rdz. 17) vermag der Senat nicht zu folgen. Der Begriff "wegen derselben Tat" in § 121 Abs. 1 StPO ist ausdehnend auszulegen. Maßgebend für die Anrechnung ist, daß es sich um Untersuchungshaft wegen Taten handelt, die Gegenstand desselben Verfahrens sind, weil nur so der Zweck der Bestimmung, die über 6 Monate hinausdauernde Untersuchungshaft auf die nach den jeweiligen Umständen notwendige Dauer zu beschränken, erreicht werden kann (vgl. auch Senatsbeschluß vom 3.6.1966, NJW 1966, 1574).
Im vorliegenden Falle sind die beiden Verfahren allerdings noch nicht verbunden. Daß auch vor der eigentlichen Verbindung eine Zusammenrechnung erforderlich sein kann, hat schon das OLG Braunschweig im Jahre 1966 gemeint (NJW 1967, 363), ohne allerdings hierauf näher einzugehen. Der Senat hält die Zusammenrechnung für erforderlich, wenn alle Voraussetzungen für eine Verbindung vorliegen und diese unmittelbar bevorsteht. Denn die Zusammenrechnung darf nicht davon abhängen, ob das zuständige Gericht die Verbindung alsbald beschließt oder ob es die Entscheidung bis in die Hauptverhandlung hinausschiebt. Das Amtsgericht ... - Jugendrichter - hat am 20.12.1983 auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... beschlossen, das bei ihm anhängige Verfahren an das Amtsgericht ... zwecks Übernahme abzugeben (vgl. § 13 Abs. 2 StPO). Auch die hiesige Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, daß die Übernahme und Verbindung der Sach- und Rechtslage entsprechen würde. Der Senat teilt diese Meinung. Da die Sachen voraussichtlich miteinander verbunden werden, müssen die beiden Untersuchungshaftzeiten zusammengerechnet werden.
2.
Bei Beachtung des Gebots, Untersuchungshaftsachen beschleunigt und vermeidbare Verzögerungen zu bearbeiten, hätte ein Urteil bereits ergehen können.
In dem Verfahren des Jugendrichters in ... waren die Akten nach AbschluG der Ermittlungen der Kriminalpolizei am 19.8.1983 bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... eingegangen. Deshalb hätte noch im August 1983 Anklage erhoben oder die Sache an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... abgegeben werden können. Die Sache lag einfach, der Angeklagte hatte gestanden. Es war aus den Akten zu ersehen, daß gegen den Angeklagten in ... wegen des Verdachts von Einbruchsdiebstählen ermittelt wurde. Haftbefehl und Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft ... waren vermerkt, darüber hinaus hatte die Kriminalpolizei schon vorgeschlagen, die Verfahren aufeinander abzustimmen. Tatsächlich ist die Anklage der Staatsanwaltschaft ... erst am 30.9.1983 verfügt worden und erst am 7.10.1983 beim Jugendrichter eingegangen. Dieser hat erst am 15.11.1983 die Zustellung der Anklage veranlaßt und eine telefonische Antrage beim Amtsgericht ... angeordnet. Schließlich hat er auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 8.12.1983 den Beschluß vom 20.12.1983 erlassen. Wäre diese Sache ohne Verzögerungen bearbeitet worden, so hätte sie dem Jugendschöffengericht in ... zu derselben Zeit vorgelegen, zu der auch die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ... bei ihm anhängig wurden. Als Alternative hierzu hätte auf eine unverzüglich erhobene Anklage vor Mitte Oktober 1983 ein Urteil ergehen können.
In dem Verfahren des Jugendschöffengerichts in ... hätte ebenfalls ein Urteil noch vor Ablauf der Frist von 6 Monaten für die besondere Haftprüfung ergehen können. In dieser Sache ist zwar vor dem 20.12.1983 keine Untersuchungshaft vollstreckt worden, so daß das Gebot der Beschleunigung von Haftsachen nicht unmittelbar galt. Infolge der Zusammenrechnung der Haftzeiten ist aber eine zusammenfassende Betrachtung geboten. Hätten die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht ... oder der Jugendrichter in ... das bei ihnen anhängige Verfahren alsbald abgegeben, so hätte das Jugendschöffengericht in ... die Hauptverhandlung spätestens an einem seiner Sitzungstage im Dezember 1983, nämlich am 5., 12. oder 19.12.1983, durchführen und ein Urteil erlassen können. Außerdem ergab sich bereits bei Eingang der Anklage am 28.9.1983 aus den Akten, daß der Angeschuldigte sich auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts ... in Untersuchungshaft befand. Um zu vermeiden, daß im Vertrauen auf den jeweils in anderer Sache bestehenden Haftbefehl die Untersuchungshaft insgesamt über Gebühr verzögert wird, aber auch zur Vorbereitung einer sachgerechten jugendgerichtlichen Gesamtbeurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten, war auch der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts in ... gehalten, zur Abstimmung der beiden Verfahren aufeinander die Initiative zu ergreifen.
Einer Hauptverhandlung des Jugendschöffengerichts noch im Dezember 1983 stand allerdings entgegen, daß sein Vorsitzender zwischen dem 14.10. und dem 24.11.1983 Verteidigern Akteneinsicht gewährt hatte. Der hierdurch verursachte Zeitverlust war aber vorhersehbar und durch Anlegung von Doppelakten vermeidbar. Wenn die Terminstage des Jugendschöffengerichts im Dezember 1983 wegen anderer, bereits anberaumter Termine eine Hauptverhandlung nicht ohne weiteres zuließen, so hätte dafür durch Verlegung weniger vordringlicher Sachen, in denen keine Untersuchungshaft vollzogen wurde, Platz geschaffen werden müssen.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts ... war nach alledem entsprechend dem von der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht gestellten Antrag aufzuheben.
Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Oberlandesgericht ...