Amtsgericht Nordhorn
Urt. v. 10.02.2005, Az.: 3 C 1673/04
Bibliographie
- Gericht
- AG Nordhorn
- Datum
- 10.02.2005
- Aktenzeichen
- 3 C 1673/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 43597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGNOHOR:2005:0210.3C1673.04.0A
Fundstelle
- DAR 2007, IV Heft 8 (red. Leitsatz)
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.108,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGS seit dem 10.10.2004 zu zahlen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.200,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht.
Der Kläger ist Eigentümer eines PKW Volvo V 40. Am 07.06.2004 befuhr er mit seinem PKW die Tannenbergstraße in Sch. in Richtung des Hessenweges. Dabei näherte er sich der in die Gegenfahrbahn einmündenden Weißen Straße. Vor Einmündung der Weißen Straße in die Tannenbergstraße ist deutlich sichtbar aufgestellt das Zeichen: "Achtung Vorfahrt". Am Vorfallstag war der Sohn der Beklagten, die allein erziehend ist, acht Jahre und acht Monate alt. Er hielt sich an diesem Tag bei der Familie A. auf, um mit dem Sohn Janni zu spielen. Mit einem BMX-Rad seines Freundes fuhr der Sohn der Beklagten - Luca Lindemann - auf der Weißen Straße. Luca, Janni und ein weiteres Kind veranstalteten dort ein Fahrradrennen. Der Kläger erkannte kurz vor dem Einmündungsbereich der Weißen Straße die Gefahr, dass es zu einer Kollision mit den Rad fahrenden Kindern kommen könnte. Trotz seines Vorfahrtsrechts brachte er sein Fahrzeug daraufhin zum Stehen. Der Sohn der Beklagten versuchte noch, sein Rad zu bremsen, was ihm aber nicht gelang. Luca kollidierte mit der linken Seite des Fahrzeugs des Klägers.
Der Polizeibeamte K. stellte nach dem Unfall fest, dass das BMX-Rad, welches der Sohn der Beklagten benutzte, nicht verkehrssicher war. So wies es keine Beleuchtungseinrichtungen auf. Die Rücktrittbremse fehlte, das Hinterrad war mit einem Handbremshebel nur mit großem Kraftaufwand bremsbar und das Vorderrad konnte überhaupt nicht gebremst werden. Der Sohn der Beklagten wurde bei dem Unfall erheblich verletzt. An dem Fahrzeug des Klägers entstand ein Sachschaden in Höhe von unstreitig 3.108,44 EUR.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Sohn Luca verletzt habe. Hierzu trägt der Kläger vor, dass der Sohn der Beklagten das verkehrsunsichere Fahrrad aus früheren Fahrten gekannt habe. Unstreitig sagte der Sohn der Beklagten anlässlich der Vernehmung bei der Polizei, dass er die Vorfahrtregeln nicht so genau kenne. Auch räumte der Sohn der Beklagten bei der Polizei ein, ein Wettrennen gefahren zu sein. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe ihren Sohn nicht hinreichend in die Verkehrsregeln eingewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an Ihn 3.108,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.10.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass die Familie A. über ein derartiges BMX-Fahrrad verfügt habe. Am Vorfallstag sei ihr Sohn bei der Familie A. zu Besuch gewesen, um mit dem Sohn Janni zu spielen. Dies habe ihr Sohn schon öfter gemacht. Daraus sei zu folgern, dass die Beklagte ihre Aufsichtspflicht - partiell - auf Frau A. übertragen habe. Weiterhin behauptet die Beklagte, dass Luca vor der Kollision bereits 12 Monate mit dem Rad allein zur Schule gefahren sei. Auch habe sie mehrfach Radtouren mit ihrem Sohn unternommen und ihn dabei über die Verkehrsregeln informiert.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Luca L., Janni A. und Britta A.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 03.02.2005 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3.108,44 EUR gem. § 832 Abs. 1 BGB zu.
Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die u.a. wegen Minderjährigkeit der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt dann nicht ein, wenn der Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.
Der Sohn der Beklagten fügte dem Kläger widerrechtlich Schaden zu. Eine Haftung folgt aus § 823 Abs. 1 BGB, allerdings ohne die Haftungsvoraussetzung Verschulden. Der Sohn der Beklagten befuhr mit einem Fahrrad die Weiße Straße, obwohl das Fahrrad nicht verkehrstauglich war. Nach den Feststellungen des Polizeibeamten K. wies das Fahrrad keine Beleuchtung auf. Ferner funktionierten die beiden Handbremsen unzureichend. Weiterhin ist der Sohn der Beklagten auch deshalb für den Schaden verantwortlich, weil er das Vorfahrtsrecht des Klägers missachtete. Trotz eindeutiger Vorfahrtregelung fuhr er in die Tannenbergstraße ein und kollidierte dort mit dem Fahrzeug des Klägers. Dabei ist davon auszugehen, dass der Sohn der Beklagten sowie zwei weitere Kinder ein Wettrennen veranstalteten. Es ist daher klar, dass der Sohn der Beklagten für den Unfall verantwortlich ist. Dabei spielt der Gesichtspunkt der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges keine Rolle. Denn der Kläger brachte sein Fahrzeug unstreitig vor der Kollision zum Stehen, so dass ein Verursachungsbeitrag des Klägers jedenfalls gem. § 254 BGB zurücktritt.
Die Beklagte ist für das Verhalten ihres Sohnes verantwortlich. Ihr ist nämlich eine Aufsichtspflichtverletzung vorzuwerfen. Sie hat ihren Sohn nicht hinreichend über die Verkehrsregeln und das Fahren mit dem Fahrrad belehrt und informiert.
Es entspricht allgemeiner Meinung, das ein Kind von den Erziehungsberechtigten über die Regeln und Gefahren der Fortbewegung mit einem Fahrrad belehrt und ihm die selbständige Benutzung des Rades erst dann gestattet werden kann, wenn sich die Aufsichtspflichtigen von der Fähigkeit zum technischen Beherrschen des Fahrrades und seiner Bereitschaft zur Beachtung der geltenden Regeln auch außerhalb des Gesichtskreises der Eltern überzeugt haben ( Kammergericht MDR 1997, 840, 841 [KG Berlin 03.03.1997 - 22 U 1221/96]; Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Aufl. 2003 Randnr. 324). Nach allgemeiner Meinung muss das Kind mit dem Gerät ausreichend vertraut sein, mit den speziellen Verhaltensvorgaben, den einschlägigen Verkehrsregeln bekannt gemacht sein. Es muss so unterwiesen sein, dass es dem Gefahrengrad einer Straße und den Verkehrssituationen nach seinen Kräften und Fähigkeiten Rechnung tragen kann. Das Kind muss über die Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer belehrt sein und darüber, ernstlich Rücksicht zu nehmen. Es muss zur Vorsicht ermahnt sein. Dabei ist anerkannt, dass die Verhaltensweise des Kindes auch zu überwachen ist.
Es kann offen bleiben, ob der Ansicht des Amtsgerichts Detmold zu folgen ist, wonach Eltern ihre Aufsichtspflicht über ein 6-8 jähriges Kind generell nicht erfüllen, wenn sie das Kind ohne eine Aufsicht mit der Möglichkeit sofortigen Einschreitens bei Regelverstößen mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen lassen (so AG. Detmold NJW 1997, 1788 [AG Detmold 05.12.1996 - 6 C 424/96]). Das erkennende Gericht ist jedenfalls der Ansicht, dass im vorliegenden Fall aus diversen Umständen geschlossen werden kann, dass Luca L. zum Unfallzeitpunkt nicht fähig war, eigenverantwortlich am Straßenverkehr teilzunehmen. Dies ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
So bekundete Luca L. entgegen der Behauptung seiner Mutter, dass sie ihn nicht über das Verbot von Wettrennen mit Fahrrädern auf Straßen informiert habe. Das Wettrennen von Kindern mit Fahrrädern ist aber gerade besonders unfallträchtig. Mit dem Fahrrad wird Kindern ein Fortbewegungsmittel an die Hand gegeben, mit dem erhebliche Geschwindigkeiten zu erreichen sind. Diese Geschwindigkeiten werden von den Kindern häufig unterschätzt. Sie unterschätzen auch die Strecke, die bis zum Abbremsen des Fahrrades zurückgelegt wird. Veranstalten die Kinder dann auch noch ein Wettrennen, werden die Kinder von der Beobachtung des Straßenverkehrs abgelenkt. Dementsprechend ist es geboten, dass Erziehungsberechtigte ihre 8-jährigen Sprösslinge über das Verbot von Wettrennen aufklären. Dieser Pflicht kam die Beklagte nicht nach.
Das Gericht glaubt auch, dass Luca nicht hinreichend in Verkehrsregeln eingewiesen worden ist. Nach seinen Angaben bekam er in der Schule lediglich zweimal Verkehrsunterricht von einer Stunde. Dass dies nicht ausreichend ist, liegt auf der Hand. Nach den Angaben von Luca war es auch nicht die Beklagte, die ihn auf dem Weg zur Schule begleitete. Dies war vielmehr der Opa, der nach dem Angaben von Luca ein paar mal mitgefahren sei. Nach den Angaben von Luca unterwies seine Mutter ihn bei einigen Verkehrsschildern. Dies ist indes nicht ausreichend. Wenn Kindern im Alter von 8 Jahren von den Eltern erlaubt wird, selbständig am Straßenverkehr teilzunehmen, dann müssen die Eltern das Kind über die wesentlichen Verkehrsregeln einweisen. Dies ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht geschehen. So bekundete Luca auch bei der Vernehmung durch den Polizeibeamten, dass er die Vorfahrtregeln nicht so genau kenne. Dementsprechend ist nur erklärlich, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Zwar versuchte Luca noch zu bremsen, aber offenbar zu spät. Denn er hatte nicht hinreichend auf den vorfahrtberechtigten Verkehr geachtet.
Die Beklagte hat ihre Aufsichtspflicht auch unter einem anderen Gesichtspunkt verletzt. Wie oben bereits dargelegt wurde, sind die Erziehungsberechtigten gehalten, das Verhalten ihres Kindes im Straßenverkehr unbeobachtet zu kontrollieren. Dementsprechend ist zu fordern, dass Eltern zumindest stichprobenweise das Verhalten des Kindes überwachen und sodann gegebenenfalls Mängel abstellen. Insoweit räumte die Beklagte ein, dass sie ihren Sohn Luca nicht unbeobachtet kontrolliert habe.
Schließlich folgt eine Aufsichtspflichtverletzung auch daraus, dass die Beklagte sich mit der Zeugin Britta A. nicht hinreichend abgesprochen hat. Nach den Anhaben der Zeugin Britta A. waren zwischen ihr und der Beklagten keine Abmachungen über die Aufsichtspflicht getroffen worden. Nach den Angaben der Zeugin war die Übernahmen der Aufsichtspflicht "selbstverständlich". Dies ist jedoch nicht ausreichend. Die Beklagte hätte mit der Zeugin A. schon absprechen müssen, ob Luca sich von dem Grundstück der Wohnung der A. entfernen durfte. Auch hätte beredet werden müssen, ob Luca hierzu gegebenenfalls ein Fahrrad nutzen darf. Die Gefahr lag doch auf der Hand. Dem Kind Janni A. war gerade das neuwertige BMX-Rad geschenkt worden. Dementsprechend hätte Frau A. doch damit rechnen müssen, dass ihr Sohn und gegebenenfalls auch der befreundete Luca mit dem Rad fahren könnten. Dieser Gefahr war vorzubeugen. Jedenfalls kann das Gericht nicht feststellen, dass zwischen der Beklagten und Frau A. eine hinreichend deutliche Absprache über das getroffen wurde, was Luca durfte und was nicht. Dann aber ist auch die Aufsichtspflicht nicht wirksam auf Frau A. übertragen worden.
Die vorstehenden Gesichtspunkte lassen die Annahme, dass die Beklagte ihre Aufsichtspflicht erfüllt habe, nicht zu. Der Beklagten ist es nicht gelungen, die Erfüllung der Aufsichtspflicht zu beweisen. Sie muss daher für den klägerischen Schaden haften.
Der Klage war somit vollumfänglich stattzugeben.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 281 Abs.1, 288, 286 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1 und 709 Satz 1 ZPO.