Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 03.05.1996, Az.: 5 U 22/95

Nichtigkeit einer Wertsicherungsklausel nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe (MHG) ; Begriff der Wohnraummiete; Pachtzinsverpflichtung für Inventar ; Rückwirkende Erhöhung laufender Leistungen ; Verwirkung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
03.05.1996
Aktenzeichen
5 U 22/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 15225
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1996:0503.5U22.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 15.03.1995 - AZ: 2 O 235/94

In dem Rechtsstreit
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 1996
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 15. März 1995 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger sind in Höhe von 25.135,12 DM beschwert.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung fuhrt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

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1)

Unrichtig ist allerdings die Auffassung der Beklagten, die Wertsicherungsklausel in § 8 des Pachtvertrages sei gegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe (MHG) nichtig. Das MHG gilt nur für Wohnraummiete, die hier nicht vorliegt. Zwar sind auf dem verpachteten Grundstück auch zwei Wohnungen gelegen. Der Vertragszweck, auf den zur Bestimmung des Vertragscharakters abzustellen ist (BGH WM 1986, 912, 913 f), besteht aber in der Grundstücksüberlassung zur gewerblichen Nutzung. Mit Recht haben Kläger und Landgericht auf die weit überwiegenden Anteile an Nutzfläche und Pacht abgestellt. Aber auch in der Überlassung der Wohnungen selbst liegt schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten keine Wohnraummiete. Unter diesem Begriff fällt nämlich nicht jede Vermietung von Wohnräumen, vielmehr muß die Vermietung gerade zu Wohnzwecken erfolgen (vgl. Voelskow in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl. 1995, § 564 b Rdnr. 11 und vor § 1 MHG Rdnr. 9; Barthelmes, WKSchG, 5. Aufl. 1995, Einführung Rdnr. 26 b). Keine Wohnraummiete liegt vor, wenn Vertragszweck nicht die Eigennutzung, sondern die Weitervermietung der Wohnräume ist; gerade dann, wenn die Räume zur Weitervermietung überlassen werden, handelt es sich nicht um Miete, sondern um Pacht, weil die Räume zur Nutzung, nicht aber zum Gebrauch überlassen werden (Voelskow a.a.O., § 564 b Rdnr. 11). Aus dem Vorbringen der Beklagten, sie habe die Räume nie in Eigennutzung nehmen wollen, sondern ohne Beteiligung der Verpächter eigenverantwortlich Mietverträge über die Wohnungen abgeschlossen, ergibt sich, daß ihr die Räume zu gewerblichen Zwecken überlassen sind.

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Im übrigen ließe sich die von der Beklagten versuchte rechtliche Aufspaltung des Pachtvertrages in zwei selbständige Verträge mit dem Vertragstext nicht vereinbaren. Es handelt sich um einen einheitlichen Pachtvertrag, in dem die beiden Wohnungen als Nebensache behandelt worden sind.

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2)

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, daß die Beklagte den Wegfall der Pachtzinsverpflichtung für das Inventar nicht ausreichend vorgetragen bzw. nachgewiesen hat. Zwar spricht die von ihr eingereichte Seite 5 des Betriebsprüfungsberichts vom 17.04.1978 dafür, daß die Beklagte den größten Teil des Pachtinventars von den Verpächtern gekauft hat, so daß auch ohne ausdrückliche neue Vereinbarung der entsprechende Pachtzinsanspruch nach § 323 Abs. 1 zweiter Halbsatz BGB entfallen wäre. Indessen liefert die entsprechende Feststellung des Betriebsprüfers keinen vollgültigen Beweis, zumal nicht der vollständige Betriebsprüfungsbericht vorliegt und ebenso nicht der Jahresabschluß, auf den sich die Auflösung der Rückstellung bezieht.

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3)

Die Beklagte kann sich allerdings, soweit erhöhte Pacht für die Zeit vor Anfang 1994 gefordert wird, und somit auch für die hier im Streit befindliche Zeit nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auf Verwirkung (§ 242 BGB) berufen. Das Erhöhungsverlangen hat die frühere Klägerin, vertreten durch den jetzigen Kläger zu 2), unstreitig erstmals Anfang 1994 geltend gemacht. Für die Zeit davor brauchte sich die Beklagte nicht auf eine rückwirkende Erhöhung der von ihr gezahlten Pacht einzustellen.

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Bei rückwirkender Erhöhung von laufenden Leistungen aufgrund einer Wertsicherungsklausel ist die Rechtsprechung eher als bei anderen Rechtsbeziehungen geneigt, Verwirkung anzunehmen (vgl. BGH DNotZ 1979, 19, 21; OLG Düsseldorf BB 1994, 2309 [OLG Düsseldorf 25.08.1994 - 10 U 216/93]). Dies liegt daran, daß ein Vertrauenstatbestand regelmäßig schon dadurch aufgebaut wird, daß der Gläubiger die objektiv zu geringe Leistung des Schuldners widerspruchslos entgegennimmt und damit aus der Sicht des Schuldners als volle Erfüllung akzeptiert. Die beiden zitierten Entscheidungen befassen sich allerdings mit Fällen, in denen die Wertsicherungsklausel so formuliert war, daß der Schuldner der vertraglich festgelegten Erhöhung zunächst zustimmen mußte, ehe die Erhöhung wirksam wurde, während § 8 des Pachtvertrages vom 05.01.1967 mit dem Wortlaut "wird vereinbart, daß der Pachtzins ... sich ... erhöht oder erniedrigt..." mit den Klägern unbedenklich dahin auszulegen ist, daß ohne gesonderte Erhöhungsvereinbarung der nach den Indexzahlen zu berechnende Pachtzins geschuldet wird. Dies macht für die Frage der Verwirkung jedoch keinen wesentlichen Unterschied. Der Vertragstext gibt keine Auskunft darüber, ob die Beklagte von sich aus die jeweilige Neuberechnung vornehmen und unaufgefordert den erhöhten Pachtzins zahlen sollte, wie die Kläger meinen, oder ob die Verpächter jeweils rechtzeitig vor dem 1.7. des Kalenderjahres die Höhe der neuen Pacht zu ermitteln und der Beklagten mitzuteilen hatten. Die üblichen Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr sprechen eher für die letztere Alternative. Da diese Frage mindestens unklar geregelt war, kann der Beklagten kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn sie die ursprünglich vereinbarte Pacht stets weiterzahlte, und die Ausgestaltung der Erhöhungsregelung steht dem auf die widerspruchslose Entgegennahme der Leistungen gegründeten Vertrauen der Beklagten darauf, daß sie für die Vergangenheit nicht mehr auf erhöhten Pachtzins in Anspruch genommen werde, nicht entgegen.

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Ein weiterer Umstand, der sich im Rahmen der Verwirkungsprüfung zugunsten der Beklagten auswirkt, liegt auch darin, daß die Wertsicherungsklausel erst nachträglich am 18.03.1994 von der Landeszentralbank genehmigt worden und dadurch erst wirksam geworden ist. Dies wirkt zwar auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück. Jedoch ist auch daraus, daß die Verpächter über einen so langen Zeitraum nichts unternommen haben, um die Wertsicherungsklausel genehmigen zu lassen und ihr dadurch zur Wirksamkeit zu verhelfen, ein Vertrauenstatbestand herzuleiten, der die rückwirkende Inanspruchnahme für die Zeit vor der Forderung der erhöhten Pacht ausschließt (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Die Auffassung der Kläger, solche Genehmigungen seien nur bei illoyalen Vertragspartnern erforderlich, steht mit der Rechtslage nicht in Einklang.

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Gegen ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten spricht auch nicht die behauptete geschäftliche Unerfahrenheit der früheren Klägerin. Diese ist nämlich bestritten, und die Beklagte hat vorgetragen, die frühere Klägerin habe mit ihrem Ehemann über Jahre hinweg das Geschäft betrieben. Auch das Alter der früheren Klägerin kann in diesem Zusammenhang nicht angeführt werden. Sie war bei Abschluß des Pachtvertrages 60 Jahre alt, so daß ohne näheren Sachvortrag davon ausgegangen werden muß, daß sie jedenfalls während der ersten Perioden der Pachtzeit imstande war, ihre Rechte gegenüber der Beklagten zu wahren und geltend zu machen. Soweit schließlich der Kläger zu 2) in der Berufungsverhandlung die Persönlichkeit der früheren Klägerin näher geschildert hat, kann dies der Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens der Beklagten schon deswegen nicht entgegen stehen, weil nicht festgestellt werden kann, daß dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten die frühere Klägerin und ihre Charaktereigenschaften bekannt waren und die Beklagte somit die Anspruchslosigkeit und Konfliktscheu der früheren Klägerin bewußt ausgenutzt hätte.

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4)

Entsprechend den vorstehenden Ausführungen sind Pachtrückstände im Jahre 1990, wie sie eingeklagt sind, lediglich in Höhe der nicht gezahlten Inventarpacht entstanden. Diese Rückstände von 3.000,00 DM (bzw. bei genauer Berechnung von 3.002,40 DM) sind durch die während des Rechtsstreits von der Beklagten gezahlten 15.500,00 DM mehr als beglichen. Da eine Zahlungsbestimmung der Beklagten nicht vorgetragen ist, ist nach § 366 Abs. 2 BGB von der Tilgung der Klagforderung, soweit sie berechtigt ist, als der lästigsten Schuld auszugehen.

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5)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

13

Die Beschwer der Kläger berechnet sich nach den beiden Beträgen von 3.087,06 DM und 19.494,00 DM, die das Landgericht der früheren Klägerin zugesprochen hat, unter Hinzurechnung von 4 % Zinsen auf 15.500,00 DM für die Zeit vom 02.04.1990 bis zum 14.09.1994 mit einem Betrag von 2.554,06 DM, die insoweit selbständig ohne die Hauptforderung, von der sie abhängen, geltend gemacht werden (vgl. § 4 Abs. 1 ZPO).

Streitwertbeschluss:

Die Kläger sind in Höhe von 25.135,12 DM beschwert.