Arbeitsgericht Verden
Urt. v. 27.11.2003, Az.: 3 Ca 1567/03
Anspruch auf Schadensersatz wegen vertraglicher Pflichtverletzung des Arbeitgebers; Pflicht zur Meldung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitsamt; Informationspflicht des Arbeitgebers; Vorliegen einer Soll-Vorschrift; Verstoß des Arbeitnehmers gegen die Meldepflicht
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Verden
- Datum
- 27.11.2003
- Aktenzeichen
- 3 Ca 1567/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 28195
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGVER:2003:1127.3CA1567.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 280 Abs. 1 S. 1 BGB
- § 241 Abs. 2 BGB
- § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III
- § 629 BGB
Fundstellen
- ArbRB 2004, 273 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- AuA 2004, 55 (Volltext mit red. LS)
- BB 2004, 1632-1633 (Volltext mit red. LS)
- EzA-SD 3/2004, 11
- NZA-RR 2004, 108-109 (Volltext mit amtl. LS)
- StuB 2004, 944
- info also 2004, 235 (Kurzinformation)
- schnellbrief 2004, 6-7
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Verden
auf die mündliche Verhandlung vom 27.11.2003
durch
den Richter am Arbeitsgericht Ermel als Vorsitzenden
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreites.
- 3.
Der Streitwert wird auf 800,00 Euro festgesetzt.
- 4.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche.
Die Klägerin war seit Dezember 1999 bis zum 31.08.2003 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 07.07.2003, der Klägerin zugegangen am 09.07.2003.
In dem Kündigungsschreiben heißt es:
"Hiermit kündigen wir das bestehende Arbeitsverhältnis zwischen Ihnen und der Firma Efefirat Feinkost GmbH, form- und fristgerecht zum 31.08.2003".
Gegen diese Klage erhob die Klägerin mit Telefax vom 26.07.2003 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Verden (Aktenzeichen: 3 Ca 1063/03).
In der Güteverhandlung vom 14.08.2003 schlössen die Parteien einen Vergleich, aufgrund dessen das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.08.2003 endete.
Mit Schreiben vom 03.09.2003 teilte die Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsamt Bremen, der Klägerin mit, sie hätte sich am 17.07.2003 spätestens beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden müssen, tatsächlich habe sie sich erst am 02.08.2003 gemeldet und damit 16 Tage zu spät.
Nach § 140 SGB III mindere sich ihr Anspruch auf Leistungen um 50,00 Euro für jeden Tag der verspäteten Meldung wegen Verstoßes gegen § 37 b SGB III. Der Anspruch mindere sich daher in Höhe von insgesamt 800,00 Euro. Die Anrechnung beginne am 01.09.2003 und sei voraussichtlich ab dem 16.10.2003 beendet.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz mit der Begründung, die Beklagte habe die Klägerin im Rahmen des Ausspruches der Kündigung vom 07.07.2003 nicht darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Klägerin unverzüglich bei der Bundesanstalt für Arbeit hätte arbeitslos melden müssen.
Der Klägerin sei durch dieses Versäumnis aufgrund der Kürzung des Arbeitslosengeldes ein Schaden in Höhe von 800,00 Euro entstanden.
Im Zeitraum zwischen dem 23. und 26.07.2003 habe ein anwaltliches Beratungsgespräch stattgefunden. In diesem Beratungsgespräch sei die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen worden, dass sie verpflichtet sei, sich unverzüglich beim Arbeitsamt arbeitslos zu melden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 800,00 Euro netto als Schadensersatz zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Für die Klage fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Selbst wenn ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bestände, würde kein Kausalzusammenhang bestehen, da die Gründe der verspäteten Meldung beim Arbeitsamt allein die Klägerin kenne. Zumindest bestünde aber ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin bzw. ein Mitverschulden des Prozessbevollmächtigten, welches sich die Klägerin zurechnen lassen müsse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Güte- und Kammerverhandlung vom 27.11.2003 verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 800,00 Euro als Schadensersatz.
1.
Für den von der Klägerin erhobenen Anspruch fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.
Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III, § 37 b SGB III, § 140 SGB III.
Es stellt keine vertraglichen Pflichtverletzungen des Arbeitgebers dar, wenn der Arbeitgeber entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III den Arbeitnehmer über die Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung beim Arbeitsamt nicht informiert.
Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III soll der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Verpflichtung unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt informieren.
Pflichten des Arbeitgebers, die sich aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ergeben, können im Einzelfall dazu führen, dass der Arbeitgeber auch im Hinblick auf die Vertragspflichten zum Arbeitnehmer mit der Verletzung der öffentlich-rechtlichen Pflicht zugleich Nebenpflichten aus dem-Arbeitsvertrag verletzt.
Voraussetzung hierfür ist, dass nach dem Schutzzweck der Norm die Vorschrift zumindest auch die privatrechtlichen schützenswerten Interessen des Arbeitnehmers wahren soll.
Diesem-Schutzzweck dient § 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB III - jedenfalls soweit es die Information des Arbeitnehmers über seine Pflicht, sich unverzüglich beim Arbeitsamt zu melden angeht - nicht.
Selbst nach ihrem Wortlaut handelt es sich bei der Vorschrift nicht um eine zwingende Verpflichtung sondern um eine "Soll"-Vorschrift. Zwar können sich im Rahmen privatrechtlicher Verträge aus Soll-Vorschriften zugleich vertragsrechtliche Nebenpflichten ergeben. Im Rahmen der Systematik des § 2 SGB III hat der Gesetzgeber allerdings bereits zwischen Soll- und Muss-Verpflichtungen unterschieden.
Für den Arbeitgeber sieht die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III - bezogen auf ihren sozialrechtlichen Gehalt - keine Sanktion für die Fälle vor, in denen der Arbeitgeber der Vorschrift nicht nachkommt.
Eine Nebenpflichtverletzung des Arbeitgebers im Falle der Missachtung der Vorschrift scheidet jedenfalls deshalb aus, weil der Schutzzweck der Norm nicht der Schutz des privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses ist. Die Vorschrift verfolgt vielmehr rein arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen. Sich verspätet meldende Arbeitssuchende verlangsamen die Einleitung von Vermittlungs- und Eingliederungsbemühungen und nehmen dem Arbeitsamt die Möglichkeit, frühzeitig Vermittlungsbemühungen zu entfalten (vgl. Hümmerich, Holthausen, Welslau, Arbeitsrechtliches im Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt NZA 2003, S. 7, 9).
Nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III soll mithin der Arbeitgeber aufgrund gesellschaftlicher Mitverantwortung am Übergang in eine neue Beschäftigung nur mitwirken. Die Zielsetzung ist damit rein öffentlich-rechtlicher Natur (ebenso Bauer/Krets, NJW 2003, S. 537, 542) [BGH 30.01.2003 - III ZR 270/02].
Bereits zur vorhergehenden Fassung des § 2 SGB III ist in der Literatur mit überzeugenden Gründen die Auffassung vertreten worden, dass die Vorschrift nach Wortlaut und Aufbau allein sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen, aber keine zivilrechtlichen Folgen habe (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Auflage, § 19 RN 13).
An dieser systematischen Einordnung hat sich durch die Einführung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nichts Grundlegendes geändert. Dem steht nicht entgegen, dass die Vorschrift ebenfalls von der Verpflichtung spricht, den Arbeitnehmer zur Meldung beim Arbeitsamt freizustellen und die Teilnahme an erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen zu ermöglichen.
Insoweit hat der Gesetzgeber durch Schaffung des § 629 BGB positiv-rechtlich eine Verpflichtung des Arbeitgebers festgeschrieben, den Arbeitnehmer zur Stellensuche freizustellen. Hierzu gehört nicht nur das Aufsuchen eines neuen Arbeitgebers sondern ebenso des Arbeitsamtes (Staudinger/Preis, § 629 BGB RN 15).
Da der Schutzzweck der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III rein öffentlich-rechtlicher Natur ist begründet ein Verstoß gegen diese Pflicht keine Nebenpflichtverletzung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsvertrag.
2.
Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob und in welchem Maße ein Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB zu einer Minderung eines Schadensersatzanspruches führen würde. Insoweit spricht allerdings bereits einiges dafür, dass der Klägerin für Zeiträume nach ausdrücklicher Information durch ihren Prozessbevollmächtigten ein ganz überwiegendes Mitverschulden anzulasten wäre, das geeignet sein könnte, für diese weiteren Zeiträume einen Schadensersatzanspruch der Beklagten vollständig auszuschließen. In diesem Fall wäre allein fraglich, in welchem Umfang die Beklagte für eine verzögerte Meldung durch die Klägerin im Zeitraum vom 18.07.2003 bis zu dem Tag, an dem das erste Beratungsgespräch mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin geführt wurde, haftet.
Unterstellt man den der Klägerin günstigsten Termin wäre dies der 26.07.2003 (Tag des Einganges der Klageschrift bei Gericht).
Die Bundesanstalt für Arbeit hat einen Verstoß gegen die Meldepflicht ab dem 17.07.2003 angenommen. Hat das Beratungsgespräch erst am 26.07.2003 stattgefunden, so hätte die Klägerin sich spätestens am Montag, dem 28.07.2003 arbeitslos melden müssen. Die Meldung wäre dann 11 Tage zu spät gewesen, so dass der Beklagten allenfalls ein Schaden in Höhe von 550,00 Euro zurechenbar wäre. Hat das Gespräch früher stattgefunden - etwa wie vom Klägervertreter gemutmaßt am 23.07.2003 - wäre eine persönliche Meldung beim Arbeitsamt am 24.07.2003 zumutbar gewesen. Insoweit würde sich ein der Beklagten zurechenbarer Gesamtschaden auf höchsten 350,00 Euro belaufen.
Unbeschadet der Frage, ob der Klägerin überhaupt ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach zusteht, war die Klage daher in Höhe von mindestens 250,00 Euro auch deshalb abzuweisen, weil es insoweit an einem der Beklagten zurechenbaren schuldhaft verursachten Schaden fehlt.
II.
Ein Anspruch folgt nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III.
Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III ist kein Schutzgesetz i. S. § 823 Abs. 2 BGB, da ihre Zielrichtung allein öffentlich-rechtlicher Natur ist (vgl. oben I.).
III.
Als unterlegene Partei trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsstreites (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO).
Soweit die Abweisung der Klage allein damit begründet ist, dass es bereits an einer Anspruchsgrundlage fehlt, war die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der hier in Rede stehenden Rechtsfrage gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 800,00 Euro festgesetzt.