Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.05.2006, Az.: 10 B 2923/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.05.2006
- Aktenzeichen
- 10 B 2923/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44487
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2006:0505.10B2923.06.0A
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Verbot einer Mahnwache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - am 5. Mai 2006
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 05.05.2006 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. April 2006 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung, mit der der Antragsgegner eine Versammlung verboten hat.
Der Antragsteller meldete unter dem 22. April 2006 beim Antragsgegner eine Versammlung an, die am 06. Mai 2006 von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr in Bad Nenndorf unter dem Motto: "8. Mai, Gefangen, Gefoltert, Gemordet - damals wie heute - Besatzer raus" als Mahnwache auf der Bahnhofstraße in Höhe Poststraße vor dem alten Schwimmbad, dem "Wincklerbad", stattfinden soll. Verantwortlicher Leiter der Versammlung sollte der Antragsteller sein. Bei erwarteten 50 Teilnehmern sollen 15 schwarze Fahnen, 5 Transparente, Trommeln und ein Fahrzeug mit elektroverstärkter Akustik eingesetzt werden.
Mit Verfügung vom 27. April 2006 verbot der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung sowie jede Form der Ersatzveranstaltung: Das gewählte Motto sei geeignet, den Tatbestand der Volksverhetzung zu verwirklichen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass von der Mahnwache und deren Teilnehmern eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgehen werde. Es gebe im Hinblick auf im einzelnen aufgeführte Straftaten und Aktivitäten des Antragstellers erhebliche Zweifel an seiner Zuverlässigkeit als Versammlungsleiter. Auch die vorgesehenen Hilfsmittel rechtfertigten die Verfügung. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen.
Der Antragsteller erhob dagegen Klage (Az.: 10 A 2922/06), über die noch nicht entschieden ist und teilte dem Antragsgegner mit, dass er stellvertretender Versammlungsleiter bleibe und Herr ... aus ......... als Versammlungsleiter auftrete.
Am 05. Mai 2005 hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 05. Mai 2006 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. April 2006 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er meint, dass der Antragsteller im Verhinderungsfalle des Herrn .... maßgeblichen Einfluss auf den Ablauf der Mahnwache nehmen würde. Auch der nunmehr eingesetzte Versammlungsleiter sei strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Das Gericht geht davon aus, dass es sich bei dem nunmehr gestellten Antrag nicht um einen Abänderungsantrag des unter dem Aktenzeichen 10 B 2885/06 entschiedenen Antrages handelt. Denn dieser neue Antrag hat gegenüber dem ersten Antrag einen neuen Streitgegenstand, nämlich das Begehren, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 27. April 2006, so dass die von der Kammer bei ihrer nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Ermessensentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung angesichts der hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stellen sind, zugunsten des Antragstellers ausfallen muss.
Nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes - VersG - kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.
Die im pflichtgemäßen Ermessen der Ordnungsbehörde stehende Beschränkung der in Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch die Erteilung von Auflagen bis hin zur Untersagung der Versammlung setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit folgt, dass nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ein Verbot oder eine Auflösung der Versammlung rechtfertigt. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat vielmehr eine Güterabwägung stattzufinden mit der Folge, dass ein Verbot nur zulässig ist, wenn es zum Schutz anderer, dem Versammlungsrecht gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Zur Annahme einer Gefährdung i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG genügt nicht eine abstrakte Gefahr; die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen "erkennbare Umstände" dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. nur BVerfGE 69, 315, 353).
Gemessen an diesen hohen Anforderungen sind der Verbotsverfügung des Antragsgegners und den von ihm vorgelegten Unterlagen keine hinreichend konkreten Erkenntnisse zu entnehmen, dass bei der vorgesehenen Veranstaltung ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar droht.
Der Antragsgegner stützt seine Prognose, bei der von dem Antragsteller geplanten Veranstaltung drohe ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit, in erster Linie auf das Motto der Veranstaltung: "8. Mai, Gefangen, Gefoltert, Gemordet - damals wie heute - Besatzer raus", das den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen solle. Wegen Volksverhetzung wird gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB u.a. bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Ein Aufstacheln zum Hass ist die Einwirkung auf Sinne und Leidenschaften, die objektiv geeignet und subjektiv im Sinne eines zielgerichteten Handelns dazu bestimmt ist, eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu steigern (vgl. Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Auflage 2001, § 130 Rdnr. 5 a). Die Einschätzung des Antragsgegners, dass das Motto selbst darauf abzielt, die in Deutschland stationierten alliierten Streitkräfte zu diffamieren, vermag das Gericht nicht zu teilen. Der Antragsgegner weist selbst darauf hin, dass die britischen Streitkräfte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Wincklerbad als Gefangenenlager benutzt haben. Dort sollen sich nach dem in den Verwaltungsvorgängen eingefügten Zeitungsbericht vom 24. Dezember 2005 Vorkommnisse ereignet haben, die menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen dürften. Wenn diese zum Anlass für eine Mahnwache genommen werden, rechtfertigt das gewählte Motto für sich genommen nicht den Schluss, dass Teile der Bevölkerung diffamiert werden. Ein Gedenken an die Vorgänge ist durchaus zulässig. Selbst wenn die Aussage "Besatzer raus" zu erwarten sein sollte, überschreitet diese politische Ansicht nicht die Grenzen der Meinungsfreiheit. Diese wäre erst dann überschritten, wenn die Geschehnisse dazu verwendet werden, um die unter der Diktatur Hitlers begangenen Gräueltaten zu verharmlosen oder zu legitimieren. Dafür gibt es jedoch keine bereits aus dem Motto herzuleitenden Anhaltspunkte. Selbst wenn man in die Prognose einbezieht, dass die Versammlung von Personen getragen ist, die der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, bietet das Versammlungsgesetz nicht die Handhabe, bereits auf ein neutral gehaltenes Motto hin die Wahrnehmung eines Grundrechtes zu versagen.
Durch Tatsachen belegte Anhaltspunkte dafür, dass die vom Antragsteller angemeldete Demonstration den vom Antragsgegner angenommenen Verlauf nehmen wird, gibt es jedoch nicht. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Demonstration nicht nur von dem angegebenen Thema bestimmt sein wird, sondern auch eine Plattform für rechtsextremistische Auffassungen bieten soll, fehlt es an über bloße Vermutungen hinausgehenden greifbaren Anhaltspunkten für einen volksverhetzenden oder gewaltsamen Demonstrationsverlauf. Sollte es im Laufe der Versammlung zu einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kommen, bietet das Versammlungsrecht hinreichende Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Vermag sich die Annahme, es würden Straftaten begangen, nur auf eine vage Prognose zu stützen, so werden die o.g. Anforderungen an ein Versammlungsverbot nicht erfüllt. Schließlich fällt in diesem Zusammenhang auch ins Gewicht, dass nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nur mit einer geringen Zahl von Teilnehmern gerechnet wird, so dass es, sollte es tatsächlich zu Straftaten kommen, der Polizei möglich sein dürfte, diese zu unterbinden, ggf. die Versammlung aufzulösen und die Auflösungsverfügung auch durchzusetzen.
Dasselbe gilt für die Bedenken, die der Antragsgegner aus der Person des Antragstellers als - stellvertretender - Versammlungsleiter herleitet. Es fehlen hinreichend konkrete Erkenntnisse darüber, die geeignet sind, die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als - stellvertretender - Versammlungsleiter - zu rechtfertigen. Die vom Antragsgegner in seiner Verfügung aufgeführten Straftaten und Aktivitäten können für die zum jetzigen Zeitpunkt zu stellende Prognose nichts hergeben. Der Antragsteller wurde am 31. Januar 2005 aus der Haft entlassen. Seit diesem Zeitpunkt gibt es keine ihm zurechenbaren Vorkommnisse, die seine Unzuverlässigkeit zu begründen geeignet sind. Die nach der streitigen Verfügung zu beobachtende Zunahme von Aktivitäten der gewaltbereiten rechten Szene im Landkreis Schaumburg ist weder in der Verfügung noch in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners noch in der Antragserwiderung konkretisiert. Das Gericht vermag angesichts dessen nicht zu beurteilen, worauf diese Darstellung beruht und ob der jeweilige Sachverhalt geeignet ist, ein Versammlungsverbot zu tragen. Bei diesem offenen Ausgang gebührt der Wahrnehmung des Grundrechts aus Art. 8 GG Vorrang, weil - wie bereits ausgeführt - auch insoweit die Möglichkeit besteht, bei einer etwaigen Fehleinschätzung während der Versammlung die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Es kommt hinzu, dass der Antragsteller eine Versammlung der NPD während des Bundestagswahlkampfes im Herbst 2005 geleitet hat, ohne dass es dabei zu Vorfällen gekommen ist, die einen konkreten Anlass für die Annahme bieten könnten, der Antragsteller sei unzuverlässig.
Hinsichtlich des voraussichtlichen Verhaltens des nunmehr als Versammlungsleiters auftretenden .... kann nicht an sein früheres "In-Erscheinung-Treten" angeknüpft werden. Maßgebend sind vielmehr in erster Linie in der Vergangenheit gezeigte Verhaltensweisen mit versammlungsrechtlichem Bezug, die zu einer strafrechtlichen Ahndung geführt haben. Unter Berücksichtigung dessen lassen zwar einzelne Verurteilungen Rückschlüsse auf erneute Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften zu. Auch bei einer alle Umstände in den Blick nehmenden Betrachtung lässt sich jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Schaden an der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgütern, die ein Verbot der Versammlung rechtfertigt, nicht feststellen.
Die von dem Antragsgegner zur Rechtfertigung des Verbots angeführten Gesichtspunkte zum Ort der Mahnwache und zur Verwendung der vorgesehenen Hilfsmittel vermögen das Versammlungsverbot ebenfalls nicht zu rechtfertigen, weil den dadurch entstehenden Gefahren durch mildere Mittel wie Auflagen begegnet werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 2; § 52 Abs. 2 GKG.