Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 20.08.1993, Az.: 5 T 442/93
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 20.08.1993
- Aktenzeichen
- 5 T 442/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 24503
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:1993:0820.5T442.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Peine - 13.07.1993 - AZ: 11 XVII 1096
In dem Betreuungsverfahren
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen den Genehmigungsbeschluß des Amtsgerichts Peine vom 13. Juli 1993 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht ..., die Richterin am Landgericht ... und den Richter am Landgericht ... am 20. August 1993 beschlossen:
Tenor:
Der Beschluß des Amtsgerichts Peine vom 13.7.1993 wird aufgehoben.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebühren- und gerichtsauslagenfrei. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Betroffenen trägt die Staatskasse.
Wert: 2 000,00 DM.
Gründe
Das Amtsgericht Peine hat nach der Anhörung der Betroffenen durch Beschluß vom 13. Juli 1993 mit einstweiliger Anordnung die Betreuung mit dem Aufgabenbereich "Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen (§ 1906 Abs. 4 BGB)" angeordnet. Zum Betreuer wurde der Landkreis ... bestellt. Mit dem angefochtenen Beschluß vom selben Tage hat das Amtsgericht Peine die Anbringung von Bettgittern bei der Betroffenen vormundschaftsgerichtlich genehmigt. In dem Beschluß bezieht sich das Amtsgericht auf ein Schreiben des Arztes ... vom 4.7.1993, das lautet:
"Dr. med. ..., den 4.7.1993 Facharzt für Allgemeinmedizin ...
Ärztliches Attest für unterbringungsähnliche Maßnahmen
Betrifft: Frau ...
Diagnose: Hirnorganisches Abbausyndrom mit Desorientiertheit.
Notwendige Fixierungsmaßnahmen:
X Bettgitter.
Die Patientin kann die Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht erkennen bzw. sie kann nicht einsichtig handeln, weil s. Diagnose
Voraussichtliche Dauer der Fixierungsmaßnahme: dauernd.
Dr. med. ...
Facharzt für Allgemeinmedizin
...."
Gegen den Beschluß vom 13.7.1993 hat die Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt.
Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluß war aufzuheben, weil die Voraussetzungen für die Genehmigung der unterbringungsähnlichen Maßnahme nach den §§ 1906 Abs. 4 BGB, 70e Abs. 1 Satz 3 FGG nicht vorliegen.
Die Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme setzt einen entsprechenden Antrag des Betreuers voraus. Der zum Betreuer bestimmte Landkreis ... hat einen solchen Antrag nicht gestellt. Es sind auch keine Anhaltspunkte aktenkundig, die darauf hindeuten, daß der Betreuer die Anordnung eines Bettgitters beantragen will. Schon aus diesem Grunde war der angefochtene Beschluß aufzuheben.
Weiter setzt die Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme voraus, daß dem Betreuungsrichter ein ärztliches Zeugnis vorliegt, § 70e Abs. 1 Satz 3 FGG. Das von dem Arzt ... unterzeichnete Schriftstück genügt den Mindestanforderungen, die an ein solches Zeugnis zu stellen sind, nicht.
Ein ärztliches Zeugnis im Sinne des § 70e FGG hat zu der Frage der Auswirkungen der bei der Betroffenen vorliegenden Krankheit, zu der Erforderlichkeit und Dauer gerade der beantragten Maßnahme Stellung zu nehmen. Wenngleich § 70e Abs. 1 Satz 3 FGG nicht ausdrücklich vorschreibt, daß dem ärztlichen Zeugnis zwingend die vorherige persönliche Untersuchung des Arztes vorausgehen muß, wird der das Betreuungsrecht beherrschende Amtsermittlungsgrundsatz regelmäßig dazu führen, daß nur solche Zeugnisse verwertet werden können, die auf einer zeitnahen persönlichen Untersuchung durch den Arzt fußen. Der Zeitpunkt dieser Untersuchung ist in das ärztliche Zeugnis aufzunehmen.
Ein für die Entscheidung nach § 1906 Abs. 4 BGB verwertbares ärztliches Zeugnis darf sich qualitativ nicht von einem Gutachten unterscheiden (vgl. MüKo-Schwab, BGB, 3. Aufl., § 1906, Rn. 53; Keidel u.a. FGG, 13. Aufl., § 68b, Rn. 9). Auch wenn ein ärztliches Zeugnis ergebnishafter als ein Gutachten formuliert sein kann, muß das Gericht in der Lage sein, eine Würdigung der Feststellungen des Arztes vorzunehmen. Der Unterschied zwischen Gutachten und ärztlichem Zeugnis liegt primär auf verfahrensrechtlichem Gebiet (Bienwald, Betreuungsrecht, § 68b FGG, Rn. 12). Es unterliegt nicht den Beweisregeln der §§ 402 ff. ZPO; der Betroffene kann das Zeugnis selbst vorlegen und den Arzt auswählen, der es formuliert.
Das von Herrn ... unterzeichnete Schriftstück vom 4.7.1993 genügt diesen Anforderungen nicht. Die Grundlage der Diagnose wird nicht mitgeteilt. Der Begriff "Desorientiertheit" ist nicht ausgefüllt. Nicht jeder (zeitlich oder örtlich?) desorientierte Mensch bedarf der Anbringung eines Bettgitters. Es fehlen in dem Schriftstück Angaben, wann die Betroffene von dem Arzt in welchem Umfang untersucht worden ist. Schließlich läßt das Schreiben sich nicht zu der Frage der Erforderlichkeit gerade dieser unterbringungsähnlichen Maßnahme aus. Vermißt wird zudem eine Begründung, warum die Anbringung von Bettgittern "dauernd", das heißt doch wohl lebenslang, erforderlich sein soll.
Es liegt damit kein ärztliches Zeugnis im Sinne der § 70e FGG vor, das Voraussetzung für die Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme nach § 906 Abs. 4 BGB ist.
Der angefochtene Beschluß war daher mit der Kostenfolge aus den §§ 128b KostO, 13 Abs. 2 FGG aufzuheben.